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KRIMINALITÄT/061: El Salvador - Schüler und Lehrer im Visier krimineller Banden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. März 2012

El Salvador: Schüler und Lehrer im Visier krimineller Banden - 145 Opfer im letzten Jahr

von Edgardo Ayala


San Salvador, 15. März (IPS) - Der 18-jährige Wilber Geovany Hernández wurde an einem Abend nach Schulschluss im Norden von San Salvador erschossen. Er ist bereits der elfte Schüler, der seit Beginn des Schuljahres am 23. Januar der ausufernden Gewalt in El Salvador zum Opfer fiel. In dem zentralamerikanischen Land hat die verbreitete Kriminalität längst die Bildungseinrichtungen erreicht. Schüler und Lehrer werden erpresst, angegriffen und ermordet.

Experten warnen eindringlich vor den Folgen. Schon jetzt kommen viele Schüler in El Salvador nicht mehr zum Unterricht. Das gilt für 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die an den besonders von Gewalt betroffenen Schulen angemeldet sind, wie eine Erhebung der Lehrergewerkschaft 'Simeduco' herausfand.

Landesweit gibt es 5.000 öffentliche Schulen, an denen etwa zwei Millionen Kinder und Jugendliche eingeschrieben sind. 340 Einrichtungen gelten als gefährlich und 161 davon als hochriskant.

Multilaterale Organisationen kritisieren, dass das Land mit 6,1 Millionen Einwohnern eine der niedrigsten Einschulungsraten Lateinamerikas vorweist. Das System sieht neun obligatorische Schuljahre mit kostenfreiem Unterricht vor. Auf die sechsjährige Grundschule folgen drei Jahre Mittelschule, die die Schüler in der Regel im Alter von 15 Jahren verlassen.

"Die Kinder und Jugendlichen müssen in einem Umfeld der Angst und der Repression lernen", sagte Felipe Rivas, der Vizepräsident der Stiftung für Bildungsinnovationen in Zentralamerika (Fieca).


Hohe Analphabetenrate

In El Salvador fehlt es zudem an den finanziellen Möglichkeiten, um das Schulsystem zu verbessern. Erhebungen von 2010 zufolge beträgt die Analphabetenrate im landesweiten Durchschnitt zehn Prozent. In ländlichen Regionen steigt sie bis auf 22 Prozent. Das Bildungsministerium hat sich das Ziel gesteckt, bis 2014 den Anteil der Menschen, die weder lesen noch schreiben können, auf vier Prozent zu senken. Experten halten dies allerdings auch wegen der hohen Gewaltrate für unrealistisch.

32,7 Prozent der Kinder werden im Alter von vier Jahren für den Vorschulunterricht angemeldet. Die meisten gehen bereits nach sechs und nicht erst nach neun Schuljahren ab. Auch dafür macht Rivas die Gewalt mit verantwortlich.


Erschreckend hohe Mordrate

Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Bildungsministeriums 139 Schüler und sechs Lehrer an staatlichen Schulen getötet, meist im Umkreis des Schulgeländes. 2011 wurde in dem Land eine Gesamtzahl von 4.374 Morden registriert. Demnach kamen auf jeweils 100.000 Einwohner 70 Morde. Diese Rate gehört zu den höchsten auf der Welt, wie mehrere internationale Untersuchungen belegen. In Lateinamerika beträgt der durchschnittliche Anteil von Morden 30 pro 100.000.

Die Gewalt in El Salvador geht in vielen Fällen von den rund 29.000 Mitgliedern krimineller Banden aus. Die berüchtigsten sind 'Mara Salvatrucha' und 'Barrio 18'. Medienberichten zufolge rekrutieren diese Gangs Kinder und Jugendliche in den Schulen der gefährlichsten Viertel. Die Mädchen und Jungen geraten dann in den Kreislauf von Drogenhandel und anderen Verbrechen.

"In den Schulen werden Drogen gehandelt und auch konsumiert", erklärte der Generalsekretär von 'Simeduco', Manuel Molina. "Wir haben sogar Eltern gesehen, die ihre Kinder als Dealer einsetzen."


Lehrer müssen Schutzgeld zahlen

Lehrer werden von den Banden häufig erpresst. Wenn sie nicht zahlen, begeben sie sich in Lebensgefahr. An manchen Schulen treiben die Kriminellen monatlich umgerechnet 100 US-Dollar Schutzgeld von dem Direktor und jeweils 50 Dollar von den Lehrern ein. Viele Lehrkräfte haben sich daraufhin aus den Brennpunkten in andere Gebiete versetzen lassen.

Die nationale Polizei PNC hat etwa 560 Beamte an 161 Risiko-Einrichtungen abgestellt, um für die Sicherheit von Schülern und Lehrern zu sorgen. Im März 2010 unterzeichneten die PNC und das Bildungsministerium eine Übereinkunft, die umfassende Schutzmaßnahmen vorsieht. Auch werden Sport- und Kunststunden als Teil der Gewaltprävention angeboten.

Molina zeigte sich allerdings skeptisch: "Das Thema ist komplex, und es scheint, als seien die Pläne nicht aufgegangen. Möglicherweise hat sich die Situation sogar verschlechtert", fürchtet er. Die Durchsuchung und Registrierung von Schülern durch die Polizei stieß ebenso auf Kritik wie Pläne, die Schüler gruppenweise im Sinne der Gewaltprävention zu Besuchen in die Gefängnisse zu schicken. Befürchtet wird unter anderem, dass die Sicherheitskräfte ihre Kompetenzen überschreiten könnten. (Ende/IPS/ck/2012)


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IPS-Tagesdienst vom 15. März 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2012