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REDE/047: Kristina Schröder zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010, 11.06.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 11. Juni 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In einem Punkt halte ich es genauso wie meine Vorgängerinnen, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit: Ob es die Wehrpflicht gibt oder nicht und, wenn es sie gibt, wie lange sie dauert oder ob sie verkürzt werden muss, ist nicht mein Thema. Die Wehrpflicht muss allein verteidigungspolitisch begründet und allein aus verteidigungspolitischen Erwägungen abgeschafft oder verkürzt werden. An diesen Diskussionen beteilige ich mich als Abgeordnete oder als Staatsbürgerin, aber nicht als für den Zivildienst zuständige Ministerin. Trotzdem muss die Wehrpflicht verteidigungspolitisch und kann auch nicht jugendpolitisch begründet werden.

Ich stelle fest: Es gibt junge Männer, die von ihrem Grundrecht, den Dienst an der Waffe zu verweigern, Gebrauch machen. In diesem Fall bin ich gefordert. Solange es den Zivildienst zur Sicherung dieses Grundrechtes geben muss, so lange ist es meine und unsere Aufgabe, allen Beteiligten einen qualitativ hochwertigen Zivildienst anzubieten und zu ermöglichen.

Mit dieser Zielsetzung bin ich auch in die Verhandlungen zum Wehrrechtsänderungsgesetz gegangen. Weil wir uns aus verteidigungspolitischen Gründen für die Verkürzung des Wehrdienstes entschieden haben, vollzieht der Zivildienst diese Kürzung mit. Dabei war und ist es mein Ziel, auch unter veränderten Rahmenbedingungen die Qualität des Zivildienstes und seiner in knapp 50 Jahren gewachsenen Strukturen zu sichern. Genau das ist nach meiner festen Überzeugung mit der Einführung eines freiwilligen zusätzlichen Dienstes im Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 gelungen. Im Sinne der etwa 90.000 jungen Männer, die Jahr für Jahr Dienst an unserer Gesellschaft leisten, im Sinne der rund 38.000 Zivildienststellen, die mit circa 111.000 Zivildienstplätzen bundesweit ein dichtes Netz der Fürsorge geknüpft haben, und im Sinne der vielen hilfsbedürftigen Menschen, die diese Fürsorge gern und dankbar annehmen, habe ich in den letzten Monaten für die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung der Zivildienstdauer gekämpft. Ich freue mich, dass wir uns am Ende auf diese Option verständigen konnten.

Ich gehe davon aus, dass ich hier weder die bekannten Fakten noch die bekannten Bewertungen wiederholen muss. Stattdessen will ich die Gelegenheit nutzen, endlich einmal mit drei Mythen um den Zivildienst aufzuräumen, die aus meiner Sicht eine sachliche Diskussion hin und wieder erschwert haben.

Zivildienst für Profit heißt der erste Mythos, den wir zum Beispiel eben wieder von dem Redner der Linken gehört haben. Ich meine damit die Behauptung, 30 Prozent der Zivildienstleistenden, vor allen Dingen Zivis in Krankenhäusern, würden nicht für das Gemeinwohl, sondern für den Profit privater Unternehmen arbeiten. Ich denke, Sie alle wissen aus Ihren Wahlkreisen, dass es heute fast keine Krankenhäuser mehr in der Trägerschaft einer Kommune gibt. Die meisten Kreiskrankenhäuser sind heute als eigenständige GmbH organisiert und landen in den Berechnungen schon deshalb in der Schublade mit dem Label "gewinnorientierte Einrichtung". Dadurch, dass rechtlich selbstständige Krankenhäuser und in diesem Zuge ebenfalls der Zivildienst als profitorientiert eingeordnet werden, kommen auch die genannten 30 Prozent zustande.

Diese Argumentation greift aber zu kurz. Man kann über Trägerstrukturen lange streiten; das ist eine gesundheitspolitische Diskussion. Aber die Praxis im Zivildienst ist absolut klar und einfach und im Übrigen auch mehrfach gerichtlich bestätigt worden. Als Zivildienststellen werden nur Einrichtungen anerkannt, die entweder vom Finanzamt von der Körperschaft- und Umsatzsteuer befreit sind oder die in den Krankenhausbedarfsplan eines Landes aufgenommen wurden. Das Bundesamt für den Zivildienst hält sich strikt an diese vor Ort getroffenen Einschätzungen zur Förderungswürdigkeit einzelner Einrichtungen.

Dem zweiten Mythos will ich entgegenhalten: Realitätsfern ist auch die Diskussion um die Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes. Es ist natürlich ganz klar: Wenn man von einem Tag auf den anderen diejenigen aus dem Sozialbereich abziehen würde, die dort ohne Planstelle beschäftigt sind, dann gäbe es in Deutschland in der Tat ein ernstes Problem. Darüber kann man weitschweifig diskutieren, aber bitte im richtigen Zusammenhang.

Arbeitsmarktpolitische Diskussionen auf dem Rücken des Zivildienstes auszutragen, ist weder fair noch sachgemäß. Denn die Frage der Arbeitsmarktneutralität wird gerade beim Zivildienst am schärfsten kontrolliert. Anders als beim Freiwilligen Sozialen Jahr wird jeder einzelne Platz streng auf seine Arbeitsmarktneutralität überprüft. 100 Außendienstmitarbeiter des Bundesamtes für den Zivildienst sind ständig bundesweit unterwegs, um die Einhaltung dieser strikten Vorgabe zu kontrollieren. Damit haben wir im Zivildienst das engmaschigste Netz an Kontrollen, viel engmaschiger als bei jeder anderen Engagementform in Deutschland.

Für sachlich unbegründet halte ich auch den dritten Mythos, der in den Diskussionen der letzten Wochen immer wieder bemüht wurde. Es wurde teilweise der Eindruck erweckt, dass man junge Männer sozusagen vom Joch des Zivildienstes befreien müsste. Da frage ich mich schon, mit wie vielen Zivildienstleistenden diejenigen, die sich als Befreier der jungen Männer vom Joch des Zivildienstes geben, eigentlich gesprochen haben.

Frau Kollegin Vogler, so ganz aufmerksam haben Sie die Publikation aus meinem Hause leider nicht gelesen, sonst hätten Sie den Artikel anders zusammengefasst. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass bei jedem einzelnen Zivildienstplatz die Arbeitsmarktneutralität strikt überprüft wird. Wenn die Arbeitsmarktneutralität verletzt wird, dann bekommt der Zivildienstträger seine Zulassung aberkannt. Dieses Regime ist das strengste bei allen Engagementformen, die wir in Deutschland haben.

Sachlich unbegründet ist auch der dritte Mythos, der immer wieder bemüht wird, dass man die Zivis sozusagen aus dem "Joch des Zivildienstes" befreien müsste. Wer da den Befreier gibt, den frage ich, ob er überhaupt schon einmal mit Zivildienstleistenden gesprochen hat. Wenn Sie mit Zivildienstleistenden am Ende ihres Dienstes sprechen, dann wissen Sie, dass sie alle betonen, dass der verpflichtende Charakter des Zivildienstes eher eine untergeordnete Rolle spielt. Für sie steht vielmehr die Prägung der eigenen Persönlichkeit durch den Zivildienst im Zentrum.

Wichtig ist, dass jedem Zivildienstleistenden eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote offen steht. Rund 98 Prozent aller Zivildienstpflichtigen suchen sich selbst ihre Dienststelle und vereinbaren die Einzelheiten des Dienstes direkt mit der Einrichtung. Das ist eine Selbststeuerung, die hervorragend funktioniert. Das sorgt für eine hohe Motivation der jungen Männer. Das sorgt auch für einen Wettbewerb der Dienststellen um die jungen Männer. Das führt dazu, dass fast alle Zivis am Ende ihres Dienstes ein ausgesprochen positives Fazit ziehen.

Deshalb sind auch die Unkenrufe zum freiwilligen zusätzlichen Dienst fehl am Platz. Solange es einen Wettbewerb der Einrichtungen um die jungen Männer gibt, so lange müssen wir uns keine Sorgen machen, dass an irgendeiner Stelle Zivis in größerer Zahl unbemerkt unter Druck gesetzt werden.

Im Übrigen gibt es viele Personen des öffentlichen Lebens, die in jungen Jahren Zivildienst geleistet haben. Wissen Sie zum Beispiel, was an Jogi Löws Auswahl wirklich bemerkenswert ist? Das ist nicht der hohe Anteil ganz junger Spieler im Kader, sondern der hohe Anteil ehemaliger Zivis im Kader. Leider ist kein aktiver Zivi dabei. Ich hatte mich schon darauf gefreut, in Zukunft einem Zivi gratulieren zu dürfen, so wie das der Kollege zu Guttenberg bei den Biathleten der Sportkompanien der Bundeswehr macht. Aber der Zivildienst ist auch ohne Medaillengewinner eine großartige Institution in unserer Gesellschaft.

Man kann zur Wehrpflicht stehen, wie man will. Aber zwei Dinge müssen klar sein:

Der Zivildienst kann und darf die Wehrpflicht nicht begründen. Aber umgekehrt darf derjenige, der sich über die Wehrpflicht ärgert, nicht auf den Zivildienst einprügeln. Im Interesse der jungen Männer, die so viel für unsere Gesellschaft leisten und die auch künftig etwas von ihrem Zivildienst haben sollen, will ich die hohe Qualität des Zivildienstes erhalten und den Zivis auch in Zukunft gute und interessante Angebote machen.

Ich bitte Sie, unabhängig von Ihrer Haltung zur Wehrpflicht, mich dabei zu unterstützen.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 67-2 vom 11.06.2010
Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Kristina Schröder, zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 vor dem
Deutschen Bundestag am 11. Juni 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2010