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REDE/066: Ministerin Kristina Schröder zum Haushaltsgesetz 2012, 24.11.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2011 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es scheint bei einigen in Vergessenheit geraten zu sein, dass die Ausgaben für die Extremismusprävention nur einen Teil des Familienetats ausmachen. Sie arbeiten sich hier an wichtigen 29 Millionen Euro ab; keine Frage. Ich werde darauf auch noch zu sprechen kommen. Aber vorher möchte ich gern über die anderen 6,7 Milliarden Euro reden. Es wäre nämlich schön, wenn sich auch die Opposition wirklich für Familienpolitik interessieren würde; denn der gesellschaftliche Zusammenhalt beginnt in den Familien. Hierfür setzt der Einzelplan 17 die richtigen Prioritäten. Deswegen herzlichen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen, die das in den parlamentarischen Beratungen begleitet haben, vor allen Dingen an die Mitglieder des Familienausschusses und an die Mitglieder des Haushaltsausschusses, insbesondere an die Berichterstatter, Herrn Bockhahn als Hauptberichterstatter, Herrn Mattfeldt, Herrn Toncar, Herrn Schwanitz und Herrn Kindler.

Von den Veränderungen am ursprünglichen Entwurf des Einzelplans 17 profitieren ganz besonders Familien. Die Mittel für das Elterngeld wurden gegenüber dem Regierungsentwurf um 300 Millionen Euro auf 4,9 Milliarden Euro angehoben. "Schuld" daran - im besten Sinne - sind die Väter. 25,4 Prozent von ihnen nehmen mittlerweile eine Auszeit im Beruf. Väter wickeln, Väter füttern, Väter trösten, kurz: Väter definieren ihre Rolle neu. Diesen Erfolg sehen wir auf Spielplätzen, den sehen wir in Kinderarztpraxen, den sehen wir morgens auch in den Kitas, in denen man immer mehr Väter trifft. Das ist eine Politik der Wahlfreiheit, die den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Väter wollen sich mehr kümmern, und wir geben ihnen die Möglichkeit dazu.

Veränderungen brauchen wir auch beim Kitaausbau. Hier müssen vor allen Dingen die Länder ihre Anstrengungen deutlich erhöhen. Man muss sich das einmal vor Augen führen: Da stehen immer noch 900 Millionen Euro bereit, und die Länder rufen sie nicht ab. Ich glaube, wir müssen uns hier schon auch selbstkritisch fragen, ob wir vielleicht beim Krippengipfel 2007 ein wenig zu euphorisch waren und dabei vergessen haben, dass die Umsetzung der Beschlüsse präzise geplant und gesteuert werden muss. Offenbar reicht es nicht, dass wir wie bisher nur einmal im Jahr in die Ausbaustatistik schauen. Deshalb werde ich die Bewirtschaftungsregelungen für den Kitaausbau ab 2012 verschärfen. Ich will künftig von den Ländern jeden Monat ganz genau wissen, wie viele neue Plätze sie bauen wollen und wie viel eigenes Geld sie dort hineinstecken.

Lieber Herr Kollege Bockhahn, Sie haben recht, dass der Betrieb der Kitas eine teure Angelegenheit und damit auch eine besondere Herausforderung ist. Dies ist aber ausschließlich Aufgabe der Länder und Kommunen. Weil der Bundesregierung dieses Problem aber bewusst ist, fließen von den vier Milliarden Euro, die wir für den Kitaausbau ausgeben, 1,85 Milliarden Euro allein in den Betrieb der Kitas, und ab 2014 werden wir hierfür jährlich 770 Millionen Euro den Ländern zur Verfügung stellen - wir wissen eben genau, dass das die große Herausforderung ist -, obwohl es nicht die Aufgabe des Bundes ist.

Es ist nämlich klar: Ab 2013 kommt der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Auch wenn es immer wieder gerade vonseiten der SPD Bestrebungen gibt, diesen Rechtsanspruch zu verschieben: Er kommt. Die Eltern können sich auf uns verlassen. Die Bundesregierung steht felsenfest zu den finanziellen Zusagen, die wir beim Krippengipfel 2007 gemacht haben.

Bei einem weiteren gesellschaftlichen Großprojekt kann ich, früher als erwartet, Vollzug melden. Innerhalb von nur einem Jahr haben wir den Zivildienst weiterentwickelt zu einem freiwilligen Angebot, das Männern und Frauen, Menschen aller Generationen offensteht.

Was mussten wir uns nicht alles von der Opposition anhören: Die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes schade den bestehenden Jugendfreiwilligendiensten, hieß es. Niemals würden sich genügend Freiwillige finden. 70.000 Freiwillige - das sei doch eine illusorische Zahl. Heute können wir feststellen: Sie haben sich in allen Punkten geirrt, und zwar gewaltig. Es gibt schon jetzt mehr als 70.000 Menschen in Deutschland, die einen Freiwilligendienst leisten. FSJ und FÖJ stehen besser da als je zuvor. Der Bundesfreiwilligendienst übertrifft mit über 25.000 Verträgen in nur fünf Monaten schon jetzt alle unsere Erwartungen. Deshalb ist es an dieser Stelle Zeit für ein herzliches Dankeschön des Deutschen Bundestages an all diejenigen, die sich für und in den Freiwilligendiensten engagieren.

Viele Menschen engagieren sich auch in der Extremismusprävention. Ihr Engagement ist wichtig. Es ist erschütternd und beschämend, dass eine Bande von Neonazis in unserem Land 15 Jahre lang völlig unbehelligt Morde begehen konnte. Wir müssen ganz genau prüfen, ob hier schreckliche Fehler passiert sind oder ob wir es sogar mit einem Systemfehler zu tun haben.

Nachdenklich macht mich aber auch, mit welchen Methoden einige hier agitieren, um parteipolitischen Gewinn aus dieser schrecklichen Mordserie zu ziehen.

Deshalb möchte ich hier einmal einige Fakten klarstellen:

Erstens. In der politischen Bildung geht es darum, Kinder und Jugendliche vor totalitärem Gedankengut zu schützen - egal aus welcher Ecke es kommt.

Zweitens. Die Behauptung, man würde den Rechtsextremismus relativieren, wenn man auch Präventionsprogramme gegen Linksextremismus und Islamismus fördert, ist nicht nur falsch, sondern auch dumm. Denn sie verkennt die Realitäten: Kein einziger Cent, den wir zur Prävention von Linksextremismus und islamistischem Extremismus ausgeben, wurde bei der Rechtsextremismusprävention abgezogen.

Seit ich im Amt bin, wurde für die Projekte gegen Rechtsextremismus kein einziger Cent gekürzt. Auch für die Projektarbeit war keine Kürzung geplant, sondern das Ganze hatte etwas mit Verwaltung zu tun. Deshalb bedeutet die Entscheidung der Koalitionsfraktionen vom Dienstag, dass ich zwei Millionen Euro zusätzlich für Projekte gegen Rechtsextremismus zur Verfügung habe.

Was aber macht die Opposition? Die SPD fordert in ihrem Antrag, die Mittel für Programme gegen Linksextremismus und Islamismus fast um die Hälfte zu kürzen. Die Linke will die Programme natürlich ganz abschaffen. Wenn wir das machen würden, dann würde das Träger wie das Anne-Frank-Zentrum, die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die Türkische Gemeinde in Deutschland, das Archiv der Jugendkulturen oder auch die von Ihnen so viel zitierte Amadeu-Antonio-Stiftung treffen. Alle diese Träger haben innovative Projekte gegen Linksextremismus und Islamismus entwickelt; sie leisten hier Pionierarbeit. Sie, liebe Genossinnen und Genossen, wollen diese Pionierarbeit aus ideologischen Gründen plattmachen.

Drittens. Fakt ist, dass diese Bundesregierung mehr Geld für die Stärkung von Demokratie und Toleranz ausgibt als jede Bundesregierung zuvor. Davon profitiert auch die Rechtsextremismusprävention, die wir kontinuierlich verbessern. In der letzten Förderperiode wurden 90 lokale Aktionspläne gegen Rechtsextremismus gefördert; jetzt sind es 174. Das sind rund 5.000 Einzelprojekte.

Nach den schrecklichen Ereignissen im Juli in Norwegen - auch sie hatten einen rechtsextremen Hintergrund - habe ich den 16 Beratungsnetzwerken in den Ländern aufgrund des höheren Beratungsbedarfs insgesamt 800.000 Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. Ich bin umgehend bereit, den Beratungsnetzwerken noch einmal die gleiche Summe zur Verfügung zu stellen.

Nun kommen wir zur Demokratieerklärung. Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Streichung der Demokratieerklärung.

Interessant ist aber, dass sie dies nur für Träger von Projekten gegen Rechtsextremismus fordern. Sie sprechen in Ihrem Antrag lediglich das Programm zur Prävention von Rechtsextremismus an. Sie sprechen nicht die Initiative "Demokratie stärken" an, bei der es um Linksextremismus und Islamismus geht. Die Grünen sagen: Denen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, ist ein Bekenntnis zum Grundgesetz nicht zuzumuten. Bei denen, die gegen Linksextremismus und Islamismus kämpfen, halten die Grünen dies offensichtlich für erforderlich. Da sieht man: Das ist Doppelmoral.

Herr Kindler, in diesem Fall verkennen Sie und auch - das muss ich sagen - der Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes - das hat uns auch Herr Ossenbühl bestätigt, der dazu ein Gutachten angefertigt hat - , dass es hier nicht um Meinungsfreiheit geht. Vielmehr geht es darum, dass staatliche Gelder beantragt werden, die dem Zweck dienen sollen, Extremismus zu bekämpfen sowie Demokratie und Toleranz zu stärken. Da ist es nicht zu viel verlangt, dass diejenigen, die staatliche Gelder in Anspruch nehmen wollen, um Demokratie und Toleranz zu stärken, sich gleichzeitig zu Demokratie und Toleranz bekennen; das ist eine Selbstverständlichkeit. Herr Kindler, Sie hatten eine Frage gestellt. Dabei haben Sie wieder die einzelnen Extremismusarten genannt. Das ist doch gerade der Punkt: Sie reden immer nur über Rechtsextremismus und haben jetzt gesagt, dass Sie die Programme nur noch auf den Rechtsextremismus ausrichten wollen. Die Wahrheit ist deutlich komplexer. Ich will nicht, dass Linksextremismus von Rechtsextremisten bekämpft wird; ich will nicht, dass Rechtsextremismus von Linksextremisten bekämpft wird. Und ich will nicht, dass Islamismus von Islamhassern bekämpft wird. Ich will, dass Demokraten für die Demokratie kämpfen. Darum geht es.

Ich komme zu meinem letzten Punkt, Frau Präsidentin, und will mich dabei der SPD zuwenden. Auch die SPD sollte genau schauen, was unter ihrer Verantwortung passiert. In Mecklenburg-Vorpommern müssen Kitabetreiber eine Demokratieerklärung unterschreiben, seit es einen Versuch der NPD gab, eine Kita zu unterwandern. Kein Mensch spricht hier von einem Generalverdacht gegen Kitas. Sie halten das für völlig richtig - ich auch. Ich unterstütze die zuständige Ministerin, Frau Schwesig, hierbei, weil es mir um die Sache geht, unsere Demokratie vor Feinden zu schützen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 125-3 vom 23.11.2011
Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Kristina Schröder, zum Haushaltsgesetz 2012
vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011