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WOHNEN/089: Soziale Stadtentwicklung durch Urban Governance (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2009

Soziale Stadtentwicklung durch Urban Governance

Von Nicole Zeuner


Die Gestaltung der sozialen Entwicklung ist eine der zentralen Herausforderungen der deutschen Städte in den nächsten Jahren. Notwendig ist hierbei eine Rückkehr zur Gestaltungskraft der Politik, Mut zur Veränderung althergebrachter Verwaltungswege hin zu mehr Bürgerbeteiligung: ein Begreifen von Politik als Gemeinschaftsaufgabe aller beteiligten Akteure und vernetzte Strukturen der Zusammenarbeit. Mit anderen Worten: Mehr Urban Governance.


Mehr als 57 der rund 81 Millionen Menschen in Deutschland leben in großen Städten und Metropolenregionen. Und der Anteil der Stadtbevölkerung nimmt weiter zu. Der Verlauf der sozialen Entwicklung in deutschen Großstädten und Metropolenregionen in den nächsten 10 bis 20 Jahren wird entscheidend für den Erfolg und die Glaubwürdigkeit der Sozialen Demokratie in Deutschland sein. Nur eine stabile Gemeinschaft mit fairen sozialen Strukturen, mit aktiven Bürgerinnen und Bürgern, die sich den Belangen ihrer Kommune verpflichtet fühlen und in dieser gut integriert sind, die Arbeit haben, die Zugang zu bezahlbarem und angemessenem Wohnraum sowie zu hervorragenden Bildungseinrichtungen haben, bildet den Grundstein für ein erfolgreiches Gemeinwesen.

Die Aspekte und Herausforderungen sozialer Entwicklung in Metropolenregionen sind vielfältig und vor allem eng miteinander verzahnt. Zentrale Fragen der Gegenwart und der Zukunft der sozialen Entwicklung sind: Gelingt es insbesondere in den großen Städten der sozialen Spaltung entgegen zu wirken? Wie stigmatisierend wirkt das Quartier? Wird der Wohnort immer bestimmender für den Bildungs- und Teilhabeerfolg von Kindern - ihr Leben lang - oder gelingt es der Politik gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern gegenzusteuern und neue Wege zu gehen? Haben alle Zugang zu einem hervorragenden Bildungssystem - von der Kita bis zur beruflichen Weiterbildung im Erwachsenenalter? Wird so sicher gestellt, dass wieder für immer mehr Kinder und Jugendliche der Aufstieg durch Bildung Realität wird? Steht adäquater und bezahlbarer Wohnraum sowohl mit Blick auf die Kalt- als auch die Warmmiete für alle zur Verfügung? Ist der Wohnungsbestand energetisch auf höchstem Stand saniert und wird Deutschland so zum Vorreiter für nachhaltiges Bauen, nachhaltige Städteplanung und erneuerbare Energien? Sind die Herausforderungen des Klimawandels in allen Handlungsfeldern ausreichend bedacht? Werden öffentliche Räume mit einem hohen Anteil von Bürgerbeteiligung entwickelt und allen zugänglich gemacht? Wie ist Mobilität organisiert? Wie durchlässig sind die "Grenzen" zwischen den verschiedenen Quartieren? Kann der öffentliche Personennahverkehr Autos in den Zentren als vorherrschendes Verkehrsmittel ablösen? Sind die Auswirkungen des demografischen Wandels ausreichend bedacht und in den Planungen von Infrastruktur und öffentlicher Daseinsvorsorge berücksichtigt?

Diese zahlreichen Herausforderungen stellen sich vor dem Hintergrund einer bereits stark angespannten Haushaltslage in den meisten deutschen Kommunen. Und die Anspannung wird sich durch die Krise und die fiskalischen Konsequenzen der Konjunkturprogramme noch verschärfen. Wie sollen die genannten Herausforderungen vor diesem Hintergrund sozial und ausgeglichen gestaltet werden? Die Verteilungskämpfe werden zeigen, ob die Verantwortung der Gesamtstadt für benachteiligte Gebiete so weit verankert ist, dass es sich in der Zuweisung der Mittel wider spiegelt.


Herausforderungen sozial und ausgeglichen meistern

Das Programm "Soziale Stadt" hat mit seinem gebietsbezogenen Ansatz und der ressortübergreifenden Ressourcenbündelung das Ziel, die Lebensbedingungen vor Ort gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern eines Quartiers zu verbessern und die Potenziale zu aktivieren. Viele der vor Ort entwickelten Ansätze und Grundüberzeugungen sind und waren erkenntnisleitend für die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels in der Stadtplanung und -entwicklung hin zu den Bewohnerinnen und Bewohnern mit ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen in dem jeweiligen Sozialraum. Zehn Jahre "Soziale Stadt" haben gezeigt, dass viele Entwicklungen positiv sind, dass die geschaffenen Unterstützungs- und Beteiligungssysteme wichtige und zukunftsträchtige Entwicklungen anschieben können. Es zeigt sich aber auch, dass es Quartiere in Berlin und anderswo in der Republik gibt, die weit über den zeitlich begrenzten Horizont des Programms "Soziale Stadt" hinaus auf Unterstützung angewiesen sein werden. Hier stellt sich insbesondere mit Blick auf die sich verringernden Haushaltsmittel die Frage, welche Programme und Maßnahmen werden in die Regelfinanzierung und damit in die Langfristigkeit übernommen? Hier sind erbitterte Kämpfe zu erwarten, wenn es darum gehen soll, welche Aufgaben zentrale Pflicht einer sozialen Stadt sind und welche damit in die Regelfinanzierung übergehen; und welche Projekte nicht mehr mit finanzieller Unterstützung vom Staat rechnen können. In diesen Auseinandersetzungen wird es auf eine gezielte Steuerung und Planung der sozialen Infrastruktur ankommen, besonders auf die intensive Beteiligung der Anwohnerinnen und Anwohner.

Um eine neue Qualität urbaner Mitwirkungs-, Verantwortungs- und Steuerungskultur zu erreichen, die auch vor dem Hintergrund ökonomischen Wandels, politischer, sozialer und kultureller Fragmentierung der Stadtgesellschaften Handlungsfähigkeit ermöglicht, wird es hilfreich sein, die Grundüberzeugungen des Programms "Soziale Stadt" zu übernehmen und dennoch neue Wege in der ganzen Stadt zu gehen: Macht zu teilen und eingefahrene Strukturen zu verlassen. Urban Governance ist solch ein Weg, denn Governance fragt nicht nur danach, wer die Macht hat, sondern vor allem, wie kommunale Ziele erreicht werden können. Akteure, soziale Gruppen und Institutionen setzen sich miteinander in Beziehung, um gemeinsame Ziele zu diskutieren, festzulegen und umzusetzen.

Eine wichtige Voraussetzung eines solchen Prozesses wird sein, Zugehörigkeitsgefühl und Selbstbewusstsein bei allen Stadtbürgerinnen und -bürgern zu verankern und darüber Engagement, Identität, Glauben in die eigene Gestaltungskraft zu schaffen und zu erhalten und ein lebenswertes Umfeld für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt zu realisieren. Nur die Menschen, die sich anerkannt und in ihrem Wert geschätzt fühlen, werden in der Lage sein, ihre Ressourcen und Fähigkeiten zu kommunizieren, sich aktiv in die Gestaltung von Prozessen einzubringen und so Freude an sich, ihrem Lebensumfeld und ihrer Stadt zu haben.

Dies setzt dynamische Gestaltungsprozesse voraus, die auch Politik und Verwaltung notwendigerweise einbeziehen und verändern. Am Ende steht eine neue Art des Regierens, in der die Verwaltungen nicht mehr alleiniger Entscheider, sondern vielmehr antreibender Moderator sein müssen. Eine Art des Regierens, die dynamische Entwicklung aufnimmt, mitgestaltet und umsetzen kann. Es ist wohl so: Man muss den Mut haben zu tun, was unmöglich erscheint!


Nicole Zeuner (* 1974) ist Politologin und verantwortet im Forum Berlin der Friedrich-Ebert-Stiftung den Arbeitsbereich Berlin Politik.
nicole.zeuner@fes.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2009, S. 27-39
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2009