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AL-ARAKIB/005: Urgent Action - Nach Räumung Aufforstung vorbereitet (ai)


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-236/2010-4, AI-Index: MDE 15/014/2011, Datum: 1. Februar 2011 - mr

ISRAEL / BESETZTE PALÄSTINENSISCHE GEBIETE
Nach Räumung wird nun Aufforstung vorbereitet

Weitere Informationen zu UA-236/2010 (MDE 15/027/2010, 12. November 2010, MDE 15/028/2010, 24. November 2010, MDE 15/030/2010, 23. Dezember 2010 und MDE 15/011/2011, 25. Januar 2011)


BEWOHNERiNNEN DES DORFES AL-'ARAQIB IM SÜDEN ISRAELS

Das im Negev im Süden Israels gelegene Beduinendorf al-'Araqib wurde nach acht Abrissen im Jahr 2010 im Januar 2011 erneut zerstört. Der Jüdische Nationalfonds (Jewish National Fund - JNF) bereitet nun eine Aufforstung auf dem Gebiet des ehemaligen Dorfes vor. Am 31. Januar um 8 Uhr kamen MitarbeiterInnen der Regierungsbehörde "Israel Land Administration" (ILA) zusammen mit mindestens 25 PolizistInnen in Kampfausrüstung und Angehörigen der "Green Patrol", die der israelischen Natur- und Parkbehörde untersteht, nach al-'Araqib. Sie zerstörten mit zwei Bulldozern über 20 behelfsmäßige Unterkünfte, die BewohnerInnen nach den letzten beiden Abrissen am 16. und 17. Januar errichtet hatten.

Nach dem Abriss am 31. Januar begannen JNF-MitarbeiterInnen, die seit etwa zwei Wochen um das Dorf herum stationiert sind - Bewässerungsgräben und Terrassen anzulegen. Sie bereiten damit die umfangreiche Bepflanzung des Dorfgeländes mit Bäumen vor. Eine einstweilige gerichtliche Verfügung, die dem JNF untersagte, das Gelände zu bepflanzen, lief zwar am 23. Januar aus, doch der zuständige Richter empfahl allen beteiligten Parteien dringend, keine "unabänderlichen" Maßnahmen auf dem Grund und Boden durchzuführen. Dennoch verfolgt der JNF sein Vorhaben. Er wird dabei von den israelischen Behörden unterstützt, die keine Maßnahmen eingeleitet haben, um die BeduinInnen, die al-'Araqib bewohnt haben, umfassend zu konsultieren, mit dem Ziel, eine Lösung für den fehlenden Zugang zu angemessenem Wohnraum zu finden.

Die israelischen Sicherheitskräfte begrenzen den Aufenthalt der BewohnerInnen von al-'Araqib auf den Dorffriedhof, der einzige intakt gebliebene Bereich des Dorfes. Hier versuchen die BewohnerInnen sich vor Wind und Regen zu schützen, die Frauen und Kinder halten sich in der kleinen Friedhofsmoschee auf. Die BewohnerInnen haben keine anderen Unterkünfte und hoffen immer noch, auf ihrem Land bleiben und ihre Häuser wieder aufbauen zu können.

Drei BewohnerInnen und eine Unterstützerin - Haia Noach, die Direktorin des Forums für Koexistenz im Negev - standen am 1. Februar vor Gericht, weil sie angeklagt sind, sich den Abrissen am 16. und 17. Januar widersetzt zu haben. Es wird damit gerechnet, dass vier weitere DorfbewohnerInnen in naher Zukunft ebenfalls angeklagt werden. Während dieser Ereignisse wurden mindestens zehn Menschen, darunter fünf unter 18 Jahren, verletzt, als die Polizei Tränengas sowie verschiedene gummiummantelte Geschosse in einigen Fällen aus nächster Nähe direkt auf BewohnerInnen und ihre UnterstützerInnen abfeuerten.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Al-'Araqib gehört zu den über 40 "nicht anerkannten" palästinensischen Dörfern in Israel, obwohl die DorfbewohnerInnen über die israelische Staatsbürgerschaft verfügen und seit langer Zeit Ansprüche auf das Land besitzen. Die BewohnerInnen dieser vielfach in der Wüste Negev gelegenen Ortschaften verfügen weder über ein verbrieftes Wohnrecht noch ist ihre Versorgung mit Wasser und Strom gewährleistet.

Am 27. Juli 2010 wurden mindestens 46 Häuser und andere Einrichtungen in al-'Araqib, darunter Ställe und Wassertanks, von VertreterInnen der ILA gemeinsam mit über 1000 BereitschaftspolizistInnen zum ersten Mal zerstört. Das ganze Dorf wurde niedergerissen, und tausende Olivenbäume und andere Bäume wurden entwurzelt. Dies zerstörte die Lebensgrundlage der DorfbewohnerInnen. Besitz der Menschen wurden von der Polizei beschlagnahmt. Am 4. und 10. August wurden provisorische Unterkünfte, welche die AnwohnerInnen errichtet hatten, mit der Unterstützung einer großen Polizeieinheit in Kampfanzügen und eines Wasserwerfers zerstört und unter Bulldozern begraben. Am 17. August, während des Ramadan, als die BewohnerInnen fasteten, rissen die Behörden die Unterkünfte erneut ab. In der Morgendämmerung des 12. September kamen zahlreiche PolizistInnen wieder mit Bulldozern nach al-'Araqib und zerstörten neu errichtete Zelte und andere Bauten ein weiteres Mal. Am 13. Oktober wurde wieder das ganze Dorf niedergerissen. Dabei wurde die Leiterin des Forums für Koexistenz im Negev, einer Gruppe, die die DorfbewohnerInnen unterstützt, von der Polizei festgenommen. Man untersagte ihr für zehn Tage den Zutritt zum Dorf. Bei der siebten Abrissaktion am 22. November wurden an die 30 Gebäude zerstört und etwa 1600 Olivenbäume gefällt, die zwei Kilometer von der Ortschaft entfernt angepflanzt worden waren und Familienangehörigen der Bewohner von al-'Araqib gehörten. Am 23. Dezember wurden erneut etwa 30 behelfsmäßige Unterkünfte zerstört, und der Wassertank der BewohnerInnen wurde beschlagnahmt. Am 16. Januar 2011 wurde das Dorf ein weiteres Mal zerstört und am folgenden Tag erneut, nachdem DorfbewohnerInnen über Nacht provisorische Gebäude errichtet hatten. Die Polizei setzte dieses Mal Gummigeschosse und Tränengas gegen die BewohnerInnen und ihre UnterstützerInnen ein und verletzte dabei mindestens zehn Personen. 13 Menschen nahm die Polizei fest, weil sie gegen den Abriss demonstriert und versucht hatten, ihre Häuser wieder aufzubauen. Obwohl die israelische Regierung beabsichtigt haben soll, einige "nicht anerkannte" Dörfer offiziell anzuerkennen, wurde Anfang 2010 in den israelischen Medien berichtet, dass das Innenministerium, die Regierungsbehörde ILA und die Polizei beschlossen hätten, den Abriss von Beduinengebäuden im Negev zu verdreifachen. Die deutliche Zunahme an Abrissen und Abrissverfügungen in diesem Jahr bestätigt derartige Berichte. Shlomo Zeiser, für Entwicklungsfragen zuständiger ILA-Mitarbeiter, äußerte sich am 16. Januar gegenüber hebräischsprachigen Medien mit den Worten: "Wir machen den Weg für Anpflanzungen frei... und werden uns um eine dauerhafte Lösung für die Situation in al-'Araqib bemühen".


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte Sie mit Nachdruck auffordern, die Aktivitäten der JNF zur Aufforstung, ebenso wie die Zwangsräumungen und Hauszerstörungen auszusetzen, bis eine Klärung des Anspruchs auf das Land und eine Lösung aufgrund von umfassenden Konsultationen mit den BewohnerInnen gefunden worden ist, die ihr Recht auf sichere und angemessene Unterkunft ebenso respektiert wie ihren Anspruch, ihre traditionelle Lebensweise fortsetzen zu können.

- Ich bitte Sie eindringlich sicherzustellen, dass die BewohnerInnen bis zu einer gerichtlichen Klärung ihrer Ansprüche in dem Dorf bleiben und ihre Häuser wieder aufbauen können.

- Bitte respektieren Sie das Recht der Beduinenbevölkerung auf ihr angestammtes Land und sorgen Sie dafür, dass die Ortschaft al-'Araqib und andere "nicht anerkannte" Dörfer offizielle Anerkennung erfahren.


APPELLE AN

LEITER DER ILA
Yaron Bibi
Israel Land Administration, 6 Shamai Street,
PO Box 2600, Jerusalem 94631, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Director-General)
Fax: (00 972) 2 620 8427
E-Mail: natalil@mmi.gov.il

VORSITZENDER DES JÜDISCHEN NATIONALFONDS
Effie Stenzler
Jewish National Fund
Keren Kayemet Yisrael Street
PO Box 7283, Jerusalem 91072, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Director-General)
Fax: (00 972) 2 670 7500
E-Mail: efis@kkl.org.il


KOPIEN AN

MINISTERPRÄSIDENT
Benjamin Netanyahu
Office of the Prime Minister
3 Kaplan Street, Kiryat Ben-Gurion
PO Box 187, Jerusalem, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Prime Minister)
Fax: (00 972) 2 566 4838
E-Mail: pm_eng@pmo.gov.il

BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL
S.E.Herrn Yoram Ben Zeev
Auguste-Viktoria-Straße 74-76, 14193 Berlin
Fax: (030) 8904 5555
E-Mail: botschaft@israel.de oder ambsec@berlin.mfa.gov.il


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Hebräisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 15. März 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE SEND APPEALS IMMEDIATELY

- Urging them to put an immediate stop to the JNF foresting operations, as well as evictions and demolitions in the area, pending a resolution of relevant land claims and a solution based on genuine consultation with residents that guarantees their right to safe and adequate housing and enables them to continue their traditional livelihoods;

- Urging the Israeli authorities to ensure that residents are allowed to remain in the village and rebuild their homes pending a resolution of their land claims in the Israeli courts;

- Urging the Israeli authorities to respect the Bedouin population's right to their ancestral land and to officially recognize al-'Araqib and other "unrecognized" villages.


In den Schlussbeobachtungen vom Juli 2010 drückte der UN-Menschenrechtsausschuss seine Besorgnis über die "Vorwürfe über Zwangsräumungen der beduinischen Bevölkerung auf Grundlage des Gesetzes "Public Land Law" (Vertreibung von Eindringlingen) von 1981 mit den Änderungen von 2005" aus und über das, was er als "unzureichende Einbeziehung" der landwirtschaftlichen und anderen traditionellen Bedürfnisse der beduinischen Bevölkerung des Negev bezeichnete und die Schwierigkeiten, denen sich die BeduinInnen aufgrund der israelischen Vorgehensweisen beim Zugang zu "Gesundheitseinrichtungen, Bildung, Wasser und Strom" gegenübersehen. Der Menschenrechtsausschuss forderte die israelischen Behörden auf "das Recht der beduinischen Bevölkerung auf ihr angestammtes Land und ihre traditionelle auf Landwirtschaft basierende Lebensweise zu respektieren" und "den Zugang der beduinischen Bevölkerung zu Gesundheitseinrichtungen, Bildung, Wasser und Strom unabhängig ihres Aufenthaltsortes in Israel" zu garantieren. Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung hat ebenfalls seine Besorgnis darüber ausgedrückt, dass Israel die BeduinInnen aus "nicht anerkannten" Dörfern in Städte umsiedelt, verlangte die offizielle Anerkennung ihrer Dörfer und forderte Israel auf, seine "Konsultationsbemühungen" mit den DorfbewohnerInnen "zu verstärken" und vor jeglicher Umsiedlung eine Vereinbarung bzw. die Zustimmung der Betroffenen zu erzielen.

Zusätzlich zu den Abrissaktionen in al-'Araqib und anderen in Israel gelegenen palästinensischen Ortschaften wurden 2010 auch verstärkt Häuser im besetzten Westjordanland zerstört. Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) sind im Jahr 2010 im Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem mehr als 430 Privathäuser, Viehställe, Wirtschaftsgebäude und Wasserzisternen der PalästinenserInnen von den israelischen Behörden zerstört worden, eine Zunahme von 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Westjordanland wurden dadurch annähernd 600 PalästinenserInnen obdachlos, die Hälfte von ihnen Kinder. Weitere 14 000 Menschen verloren Teile ihrer Häuser oder für ihren Lebensunterhalt unerlässliche Einrichtungen.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-236/2010-4, AI-Index: MDE 15/014/2011, Datum: 1. Februar 2011 - mr
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2011