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SYRIEN/002: Unruhen halten Syrien in Atem (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 10. Mai 2011

Unruhen halten Syrien in Atem

Von Karin Leukefeld, Damaskus


Bewaffnete Auseinandersetzungen in weiten Teilen Syriens haben auch am Montag die Bevölkerung in Atem gehalten. Militäroperationen wurden aus der Hafen- und Industriestadt Banias gemeldet, die Küstenstraße nach Lattakia war in weiten Abschnitten am Wochenende gesperrt. Auch aus der Umgebung von Deraa im Süden, aus Homs und anderen kleineren Orten in Zentralsyrien werden Militäroperationen gemeldet.

Während von im Ausland stationierten Web- und Facebookseiten von mehreren Toten bei Angriffen gegen Regierungsgegner berichtet wird, heißt es bei der Nachrichtenagentur SANA, daß Armee und Sicherheitskräfte gegen »Mitglieder bewaffneter terroristischer Banden« vorgehen, die »die Sicherheit der Bevölkerung gestört« hätten. Einige der »Terroristen« seien getötet und verletzt worden, so SANA, Dutzende habe man festgenommen, Waffen und Munition sichergestellt. Am Wochenende waren sechs Angehörige der Streitkräfte getötet worden, darunter drei 19-jährige Soldaten. Bei einem Anschlag auf einen Bus mit Arbeitern, die aus dem Libanon kommend in Richtung Homs unterwegs waren, wurden zehn Arbeiter getötet und vier verletzt, berichtete SANA. Im Libanon arbeiten rund 300.000 Syrer für geringe Löhne im boomenden libanesischen Baugewerbe.

Am Sonntagabend war es erneut in dem westlichen Damaszener Vorort Maddamiya zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen, berichteten Einwohner. Am Morgen riegelte die Armee den Vorort ab, um die Personen zu finden, die bewaffnet gegen Sicherheitskräfte und die Bevölkerung vorgegangen sein sollen. Örtliche Telefonleitungen und Mobilverbindungen waren den ganzen Tag über unterbrochen.

Derweil bleiben die beiden größten Städte des Landes, die politische Metropole Damaskus und die Wirtschaftsmetropole Aleppo unweit der türkisch-syrischen Grenze weiterhin ruhig. Offiziell leben in Aleppo rund 2,5 Millionen, in Damaskus 4,5 Millionen Menschen. Inoffiziell dürften es in beiden Großstädten jeweils bis zu zwei Millionen mehr Menschen sein. Die enorme Trockenheit der vergangenen fünf Jahre hat zu einer großen Landflucht unter der Bevölkerung geführt. Hunderttausende verließen ihre Dörfer und Höfe, weil sie von dem Ertrag ihrer Felder nicht mehr leben, ihr Vieh nicht mehr ernähren konnten. Die Armengürtel um Aleppo und Damaskus sind gleichzeitig größer und größer geworden, die Städte sind völlig überfordert, alle Menschen mit Strom und sauberem Wasser, medizinisch und im Schulbereich zu versorgen.

Die Armut und die Korruption der Behörden waren Regierungsvertretern zwar seit langem bekannt, deren Auswirkungen aber wurden offenbar unterschätzt. Von vielen Protesten wird berichtet, daß junge Männer sich Steine werfend und mit Parolen beteiligten, die unorganisiert, ohne Arbeit und ohne Schulabschluß sind.

Deraa, wo die Proteste vor zwei Monaten begonnen hatten, gilt als eine der Kornkammern für die syrische Hauptstadt, es gibt Olivenhaine und Gemüseanbau. In diesem Winter hat es so viel geregnet, wie schon seit Jahren nicht mehr, die Ernte könnte gut ausfallen, berichten Leute aus der Region. Mit den anhaltenden Auseinandersetzungen allerdings ist die erforderliche Feldarbeit unterbrochen, die Ernte unsicher geworden.

Auslöser der Proteste war die Festnahme und Mißhandlung von Jugendlichen, die regierungsfeindliche Parolen auf Hauswände geschrieben hatten. Die Regierung hatte sich umgehend eingeschaltet und die Verantwortlichen entlassen, was allerdings der Bevölkerung offenbar nicht ausreichte. Seit Wochen setzen sie ihre Proteste fort und waren damit zum Fanal für viele andere Unzufriedene im Land geworden.

Angefacht werden die Proteste von im Ausland stationierten Web- und Facebookseiten, darunter die »Syrische Revolution 2011«, die am Wochenende einen politischen Forderungskatalog veröffentlichte. Die Webseite wird von dem in Schweden lebenden Vertreter der Muslim Bruderschaft, Fida' ad-Din Tariif as-Sayyid 'Isa, beschrieben.


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Zum Thema siehe auch in der morgigen Tagesausgabe (12.05.2011) des Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Meinungen -> Standpunkt
STANDPUNKT/086: Syrien, ein neuerlicher Versuch, einen souveränen Staat zu unterwerfen (Falkenhagen/Queck)


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2011