Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → UNO

FRAGEN/001: Präsident der UN-Vollversammlung Al-Nasser im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Februar 2012

UN: Konferenz über atomwaffenfreie Nahostregion als Priorität -
> Präsident der UN-Vollversammlung Al-Nasser im Interview

von Ramesh Jaura

Nassir Abdulaziz Al-Nasser - © UN Photo/Paulo Filgueiras

Nassir Abdulaziz Al-Nasser
© UN Photo/Paulo Filgueiras
New York (IPS/IDN*) - Der Präsident der UN-Vollversammlung (UNGA), Nassir Abdulaziz Al-Nasser, ist fest entschlossen, die für dieses Jahr geplante internationale Konferenz über eine atomwaffenfreie Nahostregion einzuberufen.

"Ich werde persönlich und über mein Amt alle formalen und informellen Bemühungen und Events unterstützen, die auf eine rechtzeitige Einberufung der Konferenz 2012 abzielen", sagte er gegenüber 'Global Perspectives', dem Monatsmagazin des Online-Informationsdienstes IDN.

Der Katarer Al-Nasser hat seit dem 22. Juni 2011 den Vorsitz der UN-Vollversammlung inne. Er war von 1988 bis 2011 ständiger Botschafter seines Landes bei den Vereinten Nationen. In dieser Funktion war er Vorsitzender des hochrangigen UNGA-Komitees für Süd-Süd-Zusammenarbeit sowie der Gruppe der 77 einschließlich Chinas, dem größten Zusammenschluss der Entwicklungsländer.

Der UNGA-Präsident hat sich für seine Amtszeit vier Prioritäten gesetzt: die Vermittlung und friedliche Beilegung von Konflikten, die Reform und Revitalisierung der Vereinten Nationen, die Verbesserung des Katastrophenschutzes sowie die nachhaltige Entwicklung des globalen Wohlstands, Al-Nasser zufolge muss die internationale Gemeinschaft "ihrer moralischen Verpflichtung" nachkommen und die Pro-Demokratie-Bewegungen in den arabischen Ländern unterstützen. Es folgen Auszüge aus dem Interview.


Frage: Erwarten Sie, dass der Arabische Frühling die Arbeit der UN im Allgemeinen und der UN-Vollversammlung im Besonderen beeinflussen wird?

Nassir Abdulaziz Al-Nasser: Ich würde die Ereignisse in der arabischen Welt lieber als Arabisches Erwachen bezeichnen, weil dieser Begriff eine bessere und vorwärts weisende Beschreibung der Vorgänge abgibt als Arabischer Frühling.

Ich glaube, dass die arabische Welt einen entscheidenden Augenblick in ihrer Nahostgeschichte durchlebt, der möglicherweise bedeutsamer ist als die Dekolonisierungszeit. An diesem Punkt ist die internationale Gemeinschaft moralisch und auch praktisch dazu verpflichtet, den Ruf nach Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit und einer besseren Zukunft für die arabische Welt zu unterstützen.

Allerdings halte ich es für wichtig, darauf hinzuweisen, dass der demokratische Übergang von einem wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozess begleitet werden muss, der im Sinne der nationalen Ownership erfolgt. Den UN kommt die zentrale Rolle zu, Konsens herzustellen und den kollektiven politischen Willen zugunsten eines solchen Transformationsprozesses zu galvanisieren. Die Vereinten Nationen können den Ländern bei der Entwicklung ihrer Kapazitäten helfen.

Frage: Gibt es realistische Aussichten, dass Palästina in nächster Zeit ein vollwertiges UN-Mitglied - sagen wir bis 2014 zum 40. Jahrestag des UN-Beobachterstatus für die Palästinenserorganisation PLO - werden wird?

Al-Nasser: Ich sehe keinen Grund, warum das nicht der Fall sein sollte. Das palästinensische Volk hat ein Recht auf die Vollmitgliedschaft seines Landes als souveräner friedliebender Staat in allen UN-Organisationen einschließlich der Vollversammlung. Wir waren Zeugen der breiten Unterstützung der UN-Mitgliedstaaten und Delegierten für die Rede von (Palästinenser-) Präsident (Mahmud) Abbas und den Antrag der Palästinenser auf die UN-Vollmitgliedschaft.

Viele Länder haben Palästina bereits als Staat anerkannt. Dem UN-Sicherheitsrat liegt inzwischen der entsprechende Bericht des zuständigen Komitees vor. Die Palästinenser haben sich bisher noch nicht zu ihren nächsten Schritten geäußert. Wenn sie den Fall vor die UN-Vollversammlung bringen, um sich dort um den Status eines Landes mit ständigem Beobachterstatus zu bewerben, reicht eine einfache Mehrheit der anwesenden Staaten (von insgesamt 193) aus. Warten wir die Entscheidung der palästinensischen Führung ab.

Frage: Welche Rolle könnte die UN-Vollversammlung spielen, damit die für dieses Jahr geplante Konferenz über eine atomwaffenfreie Zone Nahost stattfindet und Früchte trägt?

Al-Nasser: Die Vollversammlung hat die nukleare Abrüstung auf ihrer ersten Sondersitzung über Abrüstung 1978 zu einer Priorität gemacht. Eine Vielzahl der Resolutionen, die der Vollversammlung zur Billigung vorgelegt wurden, nehmen deutlich Bezug zu der Bedeutung des Ziels einer atomwaffenfreien Nahostregion als Teil der weltweiten Friedens- und Sicherheitsbemühungen.

In diesem Jahr hat die Vollversammlung zusätzlich zu ihrer jährlichen Konsensresolution mit dem Titel 'Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone in der Nahostregion' die Resolution über 'Risiko der atomaren Verbreitung in Nahost' angenommen, die einen besonderen Bezug zu der Konferenz 2012 über die Einrichtung einer atom- und massenvernichtungswaffenfreien Region Nahost nimmt und die Konferenz stark unterstützt.

Zu verschiedenen Anlässen und auch in meinem Statement vor dem Ersten Komitee der UN-Vollversammlung habe ich die Ernennung des Finnen Jaakko Laajava zum Faszilitator (Vermittler) der Konferenz begrüßt. Ich habe die Unterstützung der gesamten UN-Vollversammlung angeboten, um ihm bei der Einberufung einer erfolgreichen Konferenz in diesem Jahr behilflich zu sein, wie sie im Abschlussdokument der Vertragsstaatenkonferenz zur Revision des Atomwaffensperrvertrags 2010 beschlossen worden ist.

Dass mir das Thema wichtig ist, habe ich durch die Entsendung eines hochrangigen Vertreters meines Büros zum Forum über die Erfahrungen anderer atomwaffenfreier Zonen mit dem Ziel der Einrichtung einer atomwaffenfreien Nahostregion unterstrichen, das im November 2011 von der Internationalen Atomenergiebehörde organisiert wurde. Ich werde auch weiterhin, persönlich und über mein Amt alle formalen und informellen Bemühungen und Events unterstützen, die auf eine rechtzeitige Einberufung der Konferenz 2012 abzielen.

Frage: Die UN-Vollversammlung setzt sich seit Jahren für eine Reform des UN-Sicherheitsrats als Antwort auf die geopolitischen Verschiebungen ein. Sehen Sie eine Chance, dass die Reform bis 2015, also 70 Jahre nach Gründung der UN, abgeschlossen werden kann?

Al-Nasser: Ich denke, dass eine Reform des UN-Sicherheitsrats im Sinne einer Revitalisierung der Entscheidungen wichtig ist, um weltweit für Frieden und Sicherheit zu sorgen. Sie ist eine der vier Prioritäten, die ich mir für meine Präsidentschaft gesetzt habe. Das erste Treffen der achten Runde zwischenstaatlicher Verhandlungen fand im November unter dem Vorsitz des afghanischen Botschafters Zahir Tanin statt, in dessen Führungskraft ich vollstes Vertrauen setze.

Ich denke, dass die Botschaft dieser Verhandlungen bei den Mitgliedsländern angekommen ist, dass nämlich eine Umsetzung dieser längst überfälligen Reform dringend notwendig ist. Als Präsident der Vollversammlung werde ich mich für eine Lösung einsetzen, die den kollektiven Willen aller Mitgliedstaaten widerspiegelt. Ich werde mir die Dynamik der Verhandlungen zunutze machen, indem ich in den nächsten Wochen eine Klausurtagung über die Reform des UN-Sicherheitsrates abhalten werde. (Ende/IPS/kb/2012)

* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte Informations- und Analysendienst IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland.


Link:
http://www.indepthnews.info/index.php/global-issues/700-nuke-free-middle-east-meet-a-priority-issue

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. Februar 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2012