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FRAGEN/015: Innovative Finanzmechanismen - UN-Untergeneralsekretär Philippe Douste-Blazy im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Juli 2015

Entwicklung: "Ohne Überwindung des Armutsgefälles endet das 21. Jahrhundert in extremer Gewalt" - UN-Untergeneralsekretär Philippe Douste-Blazy im Interview

von Nora Happel


Bild: © Philippe Douste-Blazy mit freundlicher Genehmigung

Philippe Douste-Blazy
Bild: © Philippe Douste-Blazy mit freundlicher Genehmigung

NEW YORK (IPS) - Der Erfolg der Nachhaltigkeitsziele zur Armutsbekämpfung, die im kommenden September von der UN-Vollversammlung in New York angenommen werden, hängt in besonderem Maße von deren Finanzierbarkeit ab. Gelingt es der Weltgemeinschaft nicht, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen, wird die Welt nach Ansicht des UN-Untergeneralsekretärs Philippe Douste-Blazy Ende des 21. Jahrhunderts von extremer Gewalt heimgesucht.

Im Vorfeld der dritten internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung, die vom 13. bis 16. Juli im äthiopischen Addis Abeba stattfindet, wird häufig die Bedeutung 'innovativer Finanzmechanismen' betont. Diese gelten als stabil und wichtig, um Planungssicherheit zu erreichen und die traditionelle öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) in einer Zeit zu ergänzen, in der das globale Wachstum stockt und die meisten Geberländer unter einer angespannten Haushaltslage leiden.

Hinter dem Konzept, das Anfang des 21. Jahrhunderts im Zusammenhang mit den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs) in Erscheinung trat, steckt die Idee, mit Hilfe von Steuern, öffentlich-privaten Partnerschaften und anderen Instrumenten größere Beträge zusammenzubringen, um dringend erforderliche Gelder zur Entwicklungsfinanzierung zu erschließen.

Der ehemalige französische Außenminister Douste-Blazy ist der Vorsitzende und Gründer der Gesundheitsinitiative UNITAID, die sich über eine Ein-US-Dollar-Solidaritätssteuer auf Flugtickets an der Finanzierung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Malaria, HIV/Aids und Tuberkulose beteiligt.

Die wohl größten Hoffnungen werden an eine Finanztransaktionssteuer (FTT) geknüpft. Sie gilt als Chance, Finanzspekulationen entgegenzuwirken und gleichzeitig große Beträge zu generieren. Die Pläne einer europäischen FTT, zu der sich elf EU-Länder bereit erklärt haben, könnte der nächste Schritt auf dem steinigen Weg der Entwicklungsfinanzierung sein.

Im Interview mit IPS erläutert Douste-Blazy die Chancen und Möglichkeiten innovativer Finanzmechanismen. Es folgen Auszüge aus dem Gespräch.


IPS: Welche Rolle kommt der innovativen Finanzierung im Kontext der Verhandlungen über die Post-2015-Entwicklungsagenda zu?

Philippe Douste-Blazy: 2015 ist aufgrund von drei Großveranstaltungen - der Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba, der UN-Vollversammlung, die die Nachhaltigkeitsziele beschließen wird, und des Klimagipfels in Paris - ein historisch wichtiges Jahr.

In allen drei Fällen geht es um das Zustandekommen wunderbarer Abkommen, denen aber die finanziellen Mittel fehlen, sie umzusetzen. Doch ich kann nur eindringlich warnen: Wenn es uns nicht gelingt, innovative Finanzierungsmöglichkeiten in einer Zeit aufzutun, in der es mehr Geld gibt als je zuvor, die Kluft zwischen Arm und Reich jedoch immer größer wird, wird das 21. Jahrhunderts in extremer Gewalt zu Ende gehen.

IPS: Die Entwicklungsfinanzierung bedarf beträchtlicher Beträge. Ist die FTT das passende Instrument, um die erforderlichen Summen zusammenzubringen?

Douste-Blazy: Der Finanzsektor ist der Sektor, der derzeit am wenigsten besteuert wird. Das ist völlig überraschend, erst recht wenn man bedenkt, wie sehr der Sektor der Entwicklung geschadet hat. Eine geringfügige Besteuerung der Finanztransaktionen könnte Hunderte von Milliarden Dollar weltweit generieren und somit eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Armut, Pandemien und den Klimawandel spielen.

Wir leben in einer vollständig globalisierten Welt, und all diese Gefahren lasten auf jedem einzelnen Erdenbürger. Globalisierte Aktivitäten und Wechselwirkungen sollten der globalen Solidarität förderlich sein. Dies hatten wir zusammen mit den (damaligen) Präsidenten Jacques Chirac (Frankreich) und Inácio Lula da Silva (Brasilien) im Sinn, als wir die Solidaritätssteuer auf Flugtickets einführten.

Die Menschen reisen mehr und mehr. Einen geringen Teil der Ticketgebühren einzubehalten bietet eine Möglichkeit, überall auf der Welt den Zugang zu lebensrettenden Behandlungen zu verbessern. Die FTT folgt der gleichen Logik. Der Bedarf der Entwicklungsfinanzierung ist gewaltig, und wir müssen uns die Mittel dort beschaffen, wo sie zu finden sind. Innovative Finanzierungsinstrumente sollten nicht als miteinander rivalisierende sondern zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten betrachtet werden.

IPS: UNITAID investiert Solidaritätszuschläge in den Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria. Was konnte die Initiative bewirken?

Douste-Blazy: Zunächst einmal haben die UNITAID-Investitionen 2007 den Markt für wirksamere HIV-Behandlungsmethoden geschaffen, was zu einem Rückgang der Behandlungskosten von 1.500 Dollar pro Jahr auf unter 500 Dollar führte.

Zweitens konnte UNITAID mit Hilfe des Globalen Fonds und des Weltkinderhilfswerks UNICEF für mehr als 437 Millionen hochwertige Malariatherapien sorgen. Die globale Gemeinschaft wurde also dahingehend unterstützt, die Todesfälle um 47 Prozent seit 2000 zu senken.

Drittens konnten wir mit USAID und der Bill und Melinda Gates Stiftung einen 40-prozentigen Preisnachlass bei den Kartuschen eines neuen wichtigen Tuberkulosetests (GeneXpert) für 145 Länder aushandeln. Dadurch wurden der globalen Gemeinschaft innerhalb von zwei Jahren Ausgaben in Höhe von mehr als 70 Millionen US-Dollar erspart. Ferner wurden die Chancen, TB-Resistenzen gegenüber Medikamenten festzustellen, auf jährlich 30 Prozent erhöht.

IPS: Worum geht es bei Ihrem in Planung befindlichen neuen Projekt UNIITLIFE?

Douste-Blazy: Wir müssen gegen die skandalöse Realität vorgehen, dass 870 Millionen Menschen unterernährt sind. Wir leben in einer Welt, in der fast 30 Prozent der afrikanischen Kinder unter chronischer Unterernährung leiden, die zu schlechten Leistungen in der Schule und extremen Wachstumsverzögerungen führt.

Angesicht dieser Geißeln, die Generationen von Menschen dezimiert, Gesellschaften destabilisiert und vor allem afrikanische Staaten heimsucht, haben wir die Pflicht, auf Antworten zu sinnen, die Effizienz und Solidarität miteinander verbinden. Das ist der Grund, warum wir UNITLIFE ins Leben rufen wollen.

UNITLIFE basiert auf einem denkbar einfachen Prinzip. So soll ein Teil des unglaublichen Reichtums, der auf die Ausbeutung und den Einsatz afrikanischer Rohstoffe zurückzuführen ist, in einer Weise eingesetzt werden, dass die Globalisierung der Solidarität mit der Globalisierung der Wirtschaft Schritt halten kann. Bisher haben sechs afrikanische Staatschefs dem Prinzip ihre Unterstützung zugesagt.

UNITAID ist der Weltgesundheitsorganisation (WHO), UNITLIFE UNICEF zugeordnet.

IPS: Wie muss die FTT der elf europäischen Staaten aussehen, damit sie besonders wirksam ist? Wie bewerten Sie die französische und italienische FTT?

Douste-Blazy: Die FTTs sind eine herbe Enttäuschung. Sie erfüllen in keiner Weise die an sie gestellten Erwartungen - sowohl was ihre Regulierung als auch ihre Einkünfte angeht. Es sieht danach aus, als gehe es den Regierungen Frankreichs und Italiens lediglich darum, ihre Finanzsektoren zu schützen.

Viele Ausnahmeregelungen verhindern, dass besonders spekulative Transaktionen wie Derivate, Kursmaklergeschäfte und Hochfrequenzhandel besteuert werden können. Dabei wäre die Besteuerung dieser Instrumente besonders effektiv. Eine europäische FTT, die nicht auf Auslandsanteile angewandt wird, ist in höchstem Maße enttäuschend. Die elf politischen Entscheidungsträger müssen einen größeren Ehrgeiz an den Tag legen und eine starke, weitreichende FTT ohne die Möglichkeiten von Schlupflöchern eintreiben.

IPS: Wie lässt sich sicherstellen, dass ein gewisser Anteil dieser Steuereinahmen für Entwicklungszwecke verwendet wird?

Douste-Blazy: 17 Prozent der französischen FTT sind für Klimamaßnahmen und die Bekämpfung von Pandemien vorgesehen. Präsident François Hollande hat versprochen, einen Teil der europäischen FTT für die gleichen Zwecke auszugeben. Wir wollen hoffen, dass der Anteil höher ausfällt.

Der spanische Ministerpräsident Marianno Rajoy hat sich ebenfalls dazu verpflichtet, einen Teil der Einnahmen für internationale Solidaritätsprojekte auszugeben. Wirklich interessant wird es aber erst, wenn die elf Regierungschefs sich zu gemeinsamen Solidaritätsanstrengungen entschließen. Die Einnahmen zur Finanzierung multilateraler Fonds wie den Globalen Fonds, die WHO oder den Grünen Fonds zu verwenden, wäre sicher der beste Weg, um sicherzustellen, dass die Steuergelder zur Finanzierung von Entwicklungsprojekten verwendet werden.

In einer Zeit, in der wir Zehntausenden von Migranten bei der Reise über das Mittelmeer zusehen, das sich zum größten Massengrab der Welt entwickelt, möchte ich betonen, dass die einzige Lösung dieser Masseneinwanderung aus den armen in die reichen Länder darin besteht, dass wir jedem einzelnen Menschen all das bereitstellen, was wir als globale öffentliche Güter bezeichnen: Nahrungsmittel, Trinkwasser, Medikamente, Bildung und Sanitärversorgung. (Ende/IPS/kb/10.07.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/07/qa-if-we-dont-close-the-poverty-gap-the-21st-century-will-end-in-extreme-violence/

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IPS-Tagesdienst vom 10. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2015

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