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KONFERENZ/167: Entwicklung - LDC-Konferenz in Istanbul braucht deutlich mehr als warme Worte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2011

Entwicklung: LDC-Konferenz in Istanbul braucht deutlich mehr als warme Worte

Gastbeitrag von UN-Botschafter Anwarul K. Chowdhury, Fürsprecher der ärmsten Länder


New York, 6. Mai (IPS) - Am 9. Mai berufen die Vereinten Nationen die internationale Konferenz ein, die sich mit den Herausorderungen befasst, mit denen sich die "ärmsten und schwächsten Glieder der internationalen Menschheitsgemeinschaft" konfrontiert sehen. Das einwöchige, von der Türkei ausgerichtete hochkarätige Treffen ist das vierte einer Serie von UN-Konferenzen, die alle zehn Jahre stattfinden. Den Anfang hatte 1981 die UN-Konferenz in Paris gemacht.

Die 48 Länder, um die es in Istanbul geht, beherbergen 880 Millionen Menschen. Sie werden als ärmste Länder der Welt (Least Developed Countries - LDCs) bezeichnet. Auch 40 Jahre nach der Einrichtung dieser Kategorie haben die LDCs keine Stimme, sind ausgegrenzt und äußerst krisenanfällig. Sie werden selten von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen, es sei denn, sie sind Schauplätze von Konflikten und Katastrophen.

Während sich der lange Vorbereitungsprozess, an dem alle UN-Mitgliedstaaten und relevanten Einrichtungen beteiligt waren, seinem Ende nähert, sind die an die Vierte UN-LDC-Konferenz (UNLDC IV) geknüpften Hoffnungen gedämpft. Die Euphorie, wie sei im Vorfeld der anderen Konferenzen zu spüren war, fehlt. Vor allem die dritte Konferenz in Brüssel mit ihrem zukunftsfähigen und solidarischen Ergebnis hatte den Entwicklungsbemühungen der LDCs einen gewaltigen Auftrieb gegeben und beförderte die Belange der LDCs ins obere Feld der globalen Entwicklungsagenda.

In den letzten Jahren jedoch hat sich die internationale Lage verschlechtert. Ein neuer und innovativer Ansatz ist erforderlich, um möglichen, in Istanbul erreichbaren Ergebnissen eine gewisse Struktur zu verleihen. Doch bisher ist nichts geschehen, und die Vorbereitungen führten zu Resultaten, denen der Funke fehlt, um die LDCs in Schwung zu bringen. Stattdessen wird der Verhandlungsprozess von dem normalen, taktlosen Gezänke dominiert, das bei UN-Verhandlungsprozessen üblich ist. Doch besonders schlimm ist, dass die Geberstaaten ihrer Rolle als angesehene und langjährige 'Entwicklungspartner' - der Begriff findet sich in allen LDC-relevanten UN-Dokumenten wieder - offenbar nicht mehr gerecht werden wollen.

Die LDCs scheinen an der Behäbigkeit der Verhandlungen, dem Mangel an Kreativität bei den Empfehlungen und die Substanzlosigkeit des in Arbeit befindlichen Abschlussdokuments schier zu verzweifeln. Der derzeit kursierende Ausdruck '4Ds' verdeutlich am besten das Verhalten der 'Entwicklungspartner': Deny (verweigern), Dilute (verwässern), Delay (verzögern) und Divide (teilen). Die Strategie, die die Partner seit Beginn des UNLDC-IV-Prozesses verfolgen, lautet verzögern und teilen. Nichts kann wenige Tage vor Beginn der Konferenz in Istanbul frustrierender sein.

Was die Zahl der Events und das Profil der Konferenz angeht, wird Istanbul kaum über eine bloße Zusammenkunft hinausgehen. Mehr als 40 Regierungschefs werden auf dem Treffen erwartet, Parallelforen für die Zivilgesellschaft, Unternehmer und Abgeordneten arrangiert. Doch was ein substanzielles Konzept angeht, fällt de Konferenz weit hinter die Erwartungen all jener zurück, die der Meinung sind, dass das Elend der LDCs vor allem in Zeiten des globalen wirtschaftlichen Niedergangs (...) der internationalen Gemeinschaft besondere Zuwendungen abverlangt.

Erinnern wir uns: Ein Schlüsselkriterium der UN für die Eingruppierung von Ländern in die LDCs ist die besondere Anfälligkeit für externe Krisen. Der weltweite Anstieg der Nahrungsmittel- und Benzinpreise hat dazu geführt, dass diese Anfälligkeit akzentuiert wurde und die Durchführung nationaler Programme zur Armutsbekämpfung und Unterstützung bedürftiger und benachteiligter Menschen nicht mehr gewährleistet werden konnte.

Man stellt sich natürlich die Frage, was UNLDC IV in diese Sackgasse gebracht hat. Hier einige Realitäten, die sich in dieser letzten Phase (vor Beginn der Konferenz) nicht von der Hand weisen lassen:

1) Seit der Aufnahme der Verhandlungen über das Abschlussdokument verschanzen sich die Entwicklungspartner, was ihre Zusagen angeht, hinter einer minimalistischen Position. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer, die entscheidend an dem positiven Ausgang der letzten drei LDC-Konferenzen beteiligt waren, fallen weniger durch eine kreative und zukunftsfähige Agenda als durch eine äußerst zögerliche Haltung auf. Auch die größten Geberstaaten USA und Japan hinken hinterher. Für sie scheinen fragile und verfehlte Staaten attraktiver zu sein als die LDCs.

Um sich aus der Affäre zu ziehen, stellten einige Geberstaaten eine gewisse Bauernschläue unter Beweis, indem sie den Entwurf des UNLDC IV-Schlussdokuments im Namen der Süd-Süd-Zusammenarbeit überfrachteten. Die derzeitigen globalen Finanzkrisen haben sicherlich einen Anteil an der Gebermüdigkeit. Sollten die Länder jedoch ihre Zusagen gegenüber den Ärmsten nicht einhalten, wäre es unredlich, noch von einer globalen Partnerschaft zu sprechen.

2) UN-Generalsekretär General Ban Ki-moon hatte sein zweites Jahr im Amt mit der Zusage gestartet, die Not der "unteren Milliarde" zu lindern. Diese eingängige Bezeichnung für alle LDCs scheint inzwischen von seiner Prioritätenliste verschwunden zu sein. Die von ihm ins Leben gerufene Gruppe aus neun prominenten Persönlichkeiten, die mit geistreichen Ideen aufwarten sollten, um der UNLDC IV Leben einzuhauchen, ist gescheitert.

Die Gruppe war viel zu spät gebildet worden. Zudem besteht sie aus Personen, die keine Glaubwürdigkeit besitzen, was ihr öffentliches Engagement für die LDCs angeht. Tatsächlich hat eine Auswertung der öffentlichen Statements der 'Eminenten Personen' ergeben, dass sich niemand von ihnen jemals substanziell zu den LDCs geäußert hat. Der Generalsekretär gab seine Verantwortung an eine Gruppe von Leuten weiter, die sich in keinster Weise den Belangen der LDC verpflichtet fühlen und deren im März vorgestellter Bericht weder die Aufmerksamkeit der Regierungen noch der Öffentlichkeit und der Medien gewinnen konnte.

(Anmerkung der Redaktion: Der Gruppe der Eminenten Personen gehörten unter anderem der malische Präsident Alpha Oumar Konaré, der ehemalige türkische Wirtschaftsminister Kemal Dervis, Ex-Weltbankpräsident James Wolfensohn und der ehemalige EU-Entwicklungskommissar Louis Michel an).

3) Auch ist nicht zu übersehen, dass es an einer kraftvollen, dynamischen und kreativen Persönlichkeit an der Spitze der LDCs gebricht, die notwendig gewesen wäre, um von vornherein den Verhandlungsprozess voranzubringen und zu steuern.

4) Die Qualität der substanziellen Dokumente für UNLDC IV (...) lassen eine klare Analyse und Vision vermissen, die für einen durchschlagenden Erfolg so wichtig wären.

5) Zwar werden die Gespräche vom LDC-Vorsitzenden im Namen der Gruppe der 77 der 132 Entwicklungsländer geführt. Tatsache ist jedoch, dass viele Entwicklungsländer aus Angst, nicht in den Genuss der gleichen Privilegien wie die LDCs zu kommen, als Bremser fungieren.

6) Der UN-Apparat für Öffentlichkeitsarbeit hat bei der Verbreitung von Informationen, die für die LDCs und die Weltgemeinschaft von Belang gewesen wären, keine Rolle gespielt. Seine Event-orientierte Pressemitteilungen versagten kläglich, ein verstärktes Engagement für UNLDC IV zustande zu bringen. Die viel gepriesene Strategie der Fürsprache für die LDCs, zu der die UN-Vollversammlung aufgerufen hatte, trug keine Früchte.

7) (...) Die Hindernisse beim Zugang der LDCs zu den Märkten anderer Entwicklungsländer sind noch immer viel zu groß. Sie müssen unverzüglich beseitigt werden, soll die Süd-Süd-Zusammenarbeit an Bedeutung gewinnen.

8) Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass sich die Entwicklungspartner und die LDCs nicht an die Zielsetzungen der UN-Aktionsprogramme halten. (...)

9) Es fehlt ein Mechanismus, der die externen Schocks der furchtbaren 'Cs' - Climate Change (Klimawandel), Credit Crunch (Kreditklemme) und 'Commody Costs' (Rohstoffpreise) - abfedert. Die internationalen Krisen der letzten Jahre zeigen, dass alle Programme und Zusagen für die LDCs wirkungslos waren. (...) Die ärmsten und schwächsten Menschen in den LDCs brauchen ein globales Sicherheitsnetz, das automatisch bei Krisen, auf die sie keinen Einfluss haben, greift.

Wollen die politischen Entscheidungsträger auf der Konferenz in Istanbul (9. bis 13. Mai) ihre Glaubwürdigkeit wiedererlangen, müssen sie Verantwortung übernehmen und sich um diejenigen kümmern, deren Nöte am größten sind. Die Vereinten Nationen und der UN-Generalsekretär sollten Führungsstärke beweisen und die Speerspitze der internationalen Bemühungen bilden, denjenigen Ländern aus dem Morast zu helfen, deren Lage sich durch die globale 'Entwicklungskrise' verschlechtert hat.

Ohne besondere Anstrengungen zur Rettung der Konferenz in Istanbul wird eine wichtige Gelegenheit ungenutzt verstreichen. (Ende/IPS/kb/2011)

* Chowdhury war UN-Untergeneralsekretär und Beauftragter für die LDCs. Er nahm an allen LDC-Konferenzen statt und rief den Umsetzungsmechanismus des letzten UN-LDC-Programms ins Leben. Der UN-Botschafter gehört ferner im Direktorium von IPS-Nordamerika an.


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2011