Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → UNO


KONFERENZ/186: Entwicklungsbremse Geschlechterungleichheit - Potenzial der Menschheit zur Hälfte ungenutzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. März 2015

Frauen: Entwicklungsbremse Geschlechterungleichheit - Potenzial der Menschheit zur Hälfte ungenutzt

von Thalif Deen


Bild: © Rick Bajornas/UN

Szene aus der 57. Sitzung der Kommission über den Status der Frau
Bild: © Rick Bajornas/UN

New York, 6. März 2015 (IPS) - Das Treffen soll eine der größten Einzelveranstaltungen werden, die je unter ein und demselben Dach stattfand: Auf der diesjährigen Sitzung der UN-Frauenrechtskommission (CSW) vom 9. bis 20. März in New York werden mehr als 1.100 Nichtregierungsorganisationen und 8.600 Frauenvertreter erwartet.

Regierungen und UN-Agenturen haben 200 Parallel-Events geplant, die die offiziellen Gespräche der 59 Mitgliedstaaten zählenden CSW flankieren. Hinzu kommen die Foren der zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs), die sowohl in als auch außerhalb der Vereinten Nationen stattfinden werden.

Der enorme Aufwand dient einem Ziel: So sollen sämtliche Erfolge und Misserfolge der 20-jährigen Aktionsplattform, ein auf der historischen Weltfrauenkonferenz in Peking beschlossenes Programm zur Herbeiführung der Geschlechtergerechtigkeit, auf den Prüfstand gestellt werden. Die Fortschritte sind nach Aussagen von CSOs und UN-Vertretern begrenzt. Die Versäumnisse sind gewaltig.

Die Gründe für die miserable Bilanz liegen nach Ansicht von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf der Hand. "Solange wir 50 Prozent der Menschheit (sprich: die Frauen) außen vor lassen, sind wir nicht in der Lage, das Potenzial der Welt zu 100 Prozent zu nutzen."

"Machtstrukturen beseitigen"

UN-Menschenrechtshochkommissar Zeid Ra'ad Al Hussein zufolge müssen die 193 UN-Mitgliedstaaten mehr für die Gleichberechtigung tun, als die Lippen zu bewegen. Sie sollten "ernsthaft die Machtstrukturen und Kräftespiele beseitigen, die die Diskriminierung aufrechterhalten".

Yasmeen Hassan, Leiterin der internationalen Frauenorganisation 'Equality Now', berichtete gegenüber IPS, dass 189 Staaten in der Pekinger Aktionsplattform zugesichert hätten, alle Gesetze abzuschaffen, durch die eine geschlechtsbedingte Diskriminierung möglich sei. Doch nach 20 Jahren, so drei aufeinanderfolgende Berichte von Equality Now, wurde gerade einmal die Hälfte der Gesetze überprüft, überarbeitet und korrigiert. "Wir zollen zwar den aktiven Regierungen unseren Beifall, doch sind wir enttäuscht, dass sich weltweit so viele frauenfeindliche Gesetze halten konnten."

Mavic Cabrera-Balleza, internationale Koordinatorin des 'Global Network of Women Peacebuilders' (GNWP), Projektpartner des 'International Civil Society Action Network', zeigte sich positiv überrascht, dass der letzte Entwurf der politischen Peking+20-Erklärung, den das CSW-Büro vorgelegt hat, die langsamen und unebenen Fortschritte klar und deutlich hervorhebt und die Lücken und Hindernisse bei der Umsetzung der zwölf wichtigsten Bereiche klar benennt.

"Die Vorlage erkennt ferner an, dass es 20 Jahre nach der Vierten Weltfrauenkonferenz [in Peking] kein Land geschafft hat, seinen Frauen und Mädchen Gleichberechtigung zu verschaffen, dass ein signifikantes Maß an Ungleichheit zwischen Mann und Frau geblieben sei und dass Frauen und Mädchen aufgrund vielfältiger und übergreifender Formen der Diskriminierung eine zunehmend größere Angriffsfläche bieten und Marginalisierung erleben. Sie wird den Mitgliedstaaten die Augen öffnen, was das Global Network of Women Peacebuilders und die übrige Zivilgesellschaft begrüßen", erläuterte sie.

Wie Joseph Chamie, ehemaliger Leiter der UN-Bevölkerungsabteilung, unterstrich, hat die CSW gute Arbeit geleistet und weltweit zu einer Verbesserung der Lage der Frau beigetragen. Mit Blick auf Gesundheit und Sterblichkeit erinnerte er daran, dass vor der Gründung der CSW die Lebenserwartung von Frauen bei durchschnittlich 45 Jahren gelegen hatte. Heute sind es 72 Jahre. "Und das ist eine bemerkenswerte Leistung."

Chamie fügte ferner hinzu, dass im Bereich der reproduktiven Gesundheit der Frau einiges bewegt werden konnte. "Abgesehen davon, dass weniger Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt sterben, können Frauen heute über die Zahl der Kinder, den Zeitpunkt des Kinderkriegens und die Abstände zu den Geburten selbst bestimmen."

Dem Experten zufolge ist es allerdings unzureichend, sich ausschließlich mit den Ungleichheiten und Verzerrungen auseinanderzusetzen, mit denen Frauen zu kämpfen hätten. Auch die der Männer und Jungen dürften nicht ignoriert werden. Ansonsten würden die Bemühungen, eine wahre Geschlechtergerechtigkeit und die dringend erforderliche sozioökonomische Entwicklung für alle zu erreichen, behindert oder verzögert.

Nach Angaben von 'UN Women' ist nur jeder fünfte Abgeordnete weiblich. Etwa die Hälfte aller Frauen weltweit geht einer bezahlten Beschäftigung nach - gegenüber 1995 ein Anstieg von zehn Prozent. Geblieben ist das Problem der ungleichen Bezahlung. In der jetzigen Geschwindigkeit wird es nach Schätzungen der Weltfrauenorganisation noch 81 Jahre dauern, bis Frauen einen Gleichstand im Berufsleben erreicht haben werden.


Frauen weiterhin von Friedensverhandlungen ausgeschlossen

Im Jahr 2000 hatte die bahnbrechende UN-Sicherheitsresolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit anerkannt, dass die Rolle von Frauen in Friedensprozessen im Anschluss an Kriege gestärkt werden muss. Doch von 1992 bis 2011 waren nur vier Prozent derjenigen, die Friedensverträge unterzeichneten, und neun Prozent, die an den Verhandlungstischen saßen, Frauen.

Laut Hassan gibt es eine Vielzahl von Gesetzen, die die Rechte von Frauen beschneiden. So ist es Frauen nicht im gleichen Maße wie den Männern erlaubt, Ehen einzugehen. Zudem sind es meist die Männer, die als Familienvorstände anerkannt werden. Andere Bestimmungen wiederum verlangen von den Frauen Gehorsam und erlauben Polygamie. Auch ist das Heiratsalter von Mädchen deutlich niedriger als das der Jungen. Zudem sind Frauen benachteiligt, wenn es um die Staatsbürgerschaft ihrer ausländischen Männer oder deren gemeinsamen Kinder geht. Zeugenaussagen von Frauen haben vielerorts nicht den gleichen Wert wie die der Männer, und für Frauen gelten oft Reisebegrenzungen.

Und dann ist da die enorme wirtschaftliche Ungleichheit, etwa was die Erb- und Eigentumsrechte anbetrifft. Weiter gibt es Gesetze, die die Vergewaltigung von Frauen in der Ehe tolerieren, Vergewaltiger straffrei ausgehen lassen, wenn sie ihre Opfer heiraten, und die Männern erlauben, ihre Frauen zu züchtigen.

"Allein die Tatsache, dass es solche Gesetze gibt, beweist, dass etliche Regierungen Frauen nicht als gleichwertige Bürger betrachten. Solange dies so bleibt, wird es keine Fortschritte bei den vor 20 Jahren verabredeten Zielen geben", warnte Hassan.


Gewalttätige Partner

Wie neue Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) belegen, erfahren 35 Prozent der Frauen weltweit Gewalt von ihren Partnern und von Nicht-Partnern. Zudem hätten durchschnittlich 30 Prozent der Frauen, die sich in einer Beziehung befänden, berichtet, dass sie die eine oder andere Form der körperlichen oder sexuellen Gewalt erfahren hätten, so die WHO.

Global gesehen gingen 38 Prozent der Morde an Frauen auf das Konto ihrer Intimpartner, so Cabrera-Balleza. Sie geht davon aus, dass es innerhalb der CSW in Fragen der sexuellen und reproduktiven Rechte inklusive der Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) wie in den vorangegangenen Jahren zu keiner Einigung kommen wird.

Für befremdlich hält die GNWP-Chefin ferner, dass der Entwurf der politischen CSW-Erklärung nicht auf die Tausenden von Frauen eingeht, die den laufenden Konflikten und der Gewalt von Extremisten zum Opfer fallen. Sie monierte in diesem Zusammenhang, dass die UN nicht sektorenübergreifend agierten. So gebe es keine Verbindung zwischen dem UN-Sicherheits- und dem Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), dem die CSW untersteht. "Angesichts all dieser Defizite möchte ich, dass wir, die Zivilgesellschaft, auf der 59. CSW-Sitzung an unsere Grenzen gehen." (Ende/IPS/kb/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/03/world-misses-its-potential-by-excluding-50-per-cent-of-its-people/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. März 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang