Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → UNO

MELDUNG/116: US-Lauschangriff könnte Fall für den UN-Sicherheitsrat werden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Oktober 2013

UN: US-Lauschangriff könnte Fall für den Sicherheitsrat werden

von Thalif Deen


Bild: © UN/Milton Grant

Für viele ist der Lauschangriff auf die UN eine logische Auswirkung des weltweiten NSA-Spionageprogramms
Bild: © UN/Milton Grant

New York, 28. Oktober (IPS) - Im Vorfeld der verheerenden US-Invasion im Irak im März 2003 hatte der britische Geheimdienst das Büro des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan verwanzt. Als Clare Short, die frühere britische Entwicklungshilfeministerin, den UN-Chef über den Vorgang unterrichtete, kannte Annans Empörung keine Grenzen.

Und während sie selbst mit Annan auf der 38. Etage des UN-Sekretariatsgebäude in New York sprach, dachte sie: "Oh Gott, es wird ein Transkript von all dem hier geben, und Menschen werden wissen, was ich gesagt habe." So äußerte sie sich später gegenüber dem britischen Sender BBC.

Fast zehn Jahre später stehen nicht Großbritannien, sondern die USA am Pranger. James A. Paul zufolge, der sich seit 19 Jahren als Exekutivdirektor des 'Global Policy Forum' mit Sitz in New York mit der US-Politik kritisch auseinandersetzt, ist der elektronische Lauschangriff auf die UN die logische Konsequenz, die sich aus dem weltweiten Spionageprogramm des US-Geheimdienstes NSA ergibt.

Dass die Existenz eines solchen Programms überhaupt publik wurde, ist dem US-Whistleblower Edward Snowden zu verdanken, der als ehemaliger Mitarbeiter einer NSA-Beratungsfirma die Machenschaften aufdeckte und derzeit im russischen Exil lebt.

"Die von ihm verbreiteten Aufzeichnungen dokumentieren die Lauschangriffe und die Tatsache, dass es den NSA-Technikern gelungen ist, den verschlüsselten UN-Datenverkehr zu knacken und sich somit den Zugriff zu allen UN-Videotelekonferenzen zu verschaffen sowie auf äußerst aggressive Weise hochrangige UN- und US-Diplomaten überwacht zu haben", sagte er im IPS-Gespräch. Doch seiner Meinung nach dürfte die Erkenntnis, dass 35 Staatschefs wie Kanzlerin Angela Merkel ausspioniert und in Frankreich rund 70 Millionen Telefonanrufe mitgeschnitten wurden, nicht überraschen.


USA verantwortungsloses Handeln als UN-Gastland vorgeworfen

"Die UN haben erklärt, dass der Lauschangriff auf die Weltorganisation gegen internationales Recht verstößt und unvereinbar ist mit der besonderen Verantwortung, die den USA als Gastland des UN-Generalsekretariats zukommt", betonte er. "Doch diese Einwände werden bisher systematisch und schamlos missachtet", erklärte er.

Im September hatte die brasilianische Staatspräsidentin Dilma Roussef die USA öffentlich dafür gegeißelt, in das brasilianische Kommunikationsnetzwerk eingedrungen zu sein, Telefonanrufe abgefangen und auch die brasilianische Mission der Vereinten Nationen bespitzelt zu haben.

Während westeuropäische Politiker am 24. Oktober in Frankreich, Deutschland, Italien, Brasilien und Mexiko ihrer Empörung über den bisher größten Abhörskandal der Weltgeschichte Luft machten, hielt sich die UN mit Kommentaren weitgehend zurück. Auf die Frage, welchen Standpunkt denn die Vereinten Nationen in dieser Sache vertreten, erklärte UN-Sprecher Martin Nesirky am 25. Oktober: "Hier geht es um bilaterale Fragen, die einzelne Mitgliedstaaten betreffen."

Derzeit kursieren Gerüchte, dass einige UN-Mitgliedstaaten eine Resolution einbringen wollen, die den beispiellosen NSA-Vorstoß als Übergriff auf die Souveränität der betroffenen Staaten verurteilt. Doch wie nicht anders zu erwarten, setzen die USA Berichten zufolge derzeit alles daran, dass diese Resolution nicht verabschiedet wird. Dazu meinte der UN-Sprecher Farhan Haq gegenüber IPS, dass die Vereinten Nationen dem Prinzip der Unantastbarkeit diplomatischer Missionen einschließlich der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen verpflichtet seien.

Wie einem Statement der UN zu entnehmen ist, ist die Unantastbarkeit der Weltorganisation in internationalen Konventionen wie der Wiener Übereinkunft über diplomatische Beziehungen fest verankert. Aus diesem Grund erwarte man, dass Mitgliedstaaten entsprechend handeln werden, um dieses Prinzip zu schützen, geht aus einer UN-Stellungnahme zu dem im August vom Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel' veröffentlichen Bericht hervor.

Der Spiegel-Beitrag bezog sich zudem auf einen 29-seitigen Report des US-Außenministeriums, der US-Diplomaten aufruft, Informationen über wichtige Akteure innerhalb des UN-Systems wie Festnetz-, Mobiltelefon- und Fax-Nummern, Telefon- und E-Mail-Verzeichnisse, Kreditkartennummern, Dienstpläne, Passwörter und sogar biometrische Daten zu sammeln.


Übergriffe seit langem bekannt

Paul zufolge gab es in der Vergangenheit bereits eindeutige Hinweise auf derartige Übergriffe, vor allem im Zusammenhang mit der Irakdebatte. Dazu zählen etliche Berichte und die Zeugenaussage der britischen Kabinettsministerin Clare Short, die sogar eingeräumt hatte, Transkriptionen von Annans Treffen und Gesprächen gelesen zu haben.

Außerdem kursierten im gleichen Zeitraum Gerüchte, wonach die USA private Konferenzräume verwanzt hatten, in denen Strategien besprochen wurden, die eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zugunsten eines Militäreinsatzes im Irak verhindern sollten. "Diese Enthüllungen sind im Zusammenhang mit aggressiven US-Bemühungen zu sehen, Kriegsgegner innerhalb des diplomatischen Corps aus dem Amt zu drängen", sagte Paul. In etlichen Fällen sei die Rechnung aufgegangen und Diplomaten abberufen worden.

"Die Washingtoner Spionagechefs scheinen keine Hemmungen zu haben, jede Chance auf eine bürgerliche Ordnung zunichte zu machen, die ja Voraussetzung für eine demokratische Zukunft ist", kritisierte Paul. "Stattdessen schaffen sie eine Welt, in der Kontrolle zum ultimativen 'Panoptikum' erklärt wird, alle und alles überwachen zu dürfen."

"Ihre Kollegen in Großbritannien, Frankreich, Russland, China, Israel und anderen Staaten gehen ähnliche Wege", so Paul. "Vor uns liegt eine beängstigende Zukunft. Lässt sich der Trend stoppen? Sicher nicht von jenen, die zynisch erklären: 'Das war schon immer so.'" (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/10/u-s-spying-worldwide-may-come-under-u-n-scrutiny/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. Oktober 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2013