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ORGANISATION/546: Interner UN-Bericht deckt Widersprüche über sexuelle Übergriffe von Blauhelmen auf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. März 2015

UN: Interner Bericht deckt Widersprüche in der Berichterstattung über sexuelle Übergriffe von Blauhelmen auf

von Lyndal Rowlands


Bild: © Albert González Farran/UN

Der durchgesickerte Bericht bewertet die Bemühungen der UN-Friedensmissionen in Haiti, der Demokratischen Republik Kongo, Liberia und des Südsudans, sexuelle Übergriffe durch Blauhelm-Soldaten zu verhindern
Bild: © Albert González Farran/UN

New York, 17. März (IPS) - Ein interner UN-Expertenbericht, der von der Nichtregierungsorganisation 'Aids-Free World' veröffentlicht wurde, enthüllt Widersprüche in der UN-Berichterstattung über Fälle sexueller Übergriffe durch UN-Friedenssoldaten.

Der auf den 3. November 2013 datierte, durchgesickerte Bericht bewertet die Risiken sexueller Übergriffe durch Blauhelmsoldaten und Präventivmaßnahmen der UN-Friedensmissionen in Haiti, der Demokratischen Republik Kongo, Liberia und des Südsudans. Darin heißt es: "Sexuelle Ausbeutung und sexueller Missbrauch werden als die höchsten Risiken der UN-Friedensmissionen eingestuft."

Nach Aussagen von Aids-Free World stehen die Erkenntnisse des Expertenteams in einem eklatanten Widerspruch zu Aussagen von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in seinen jährlichen Fortschrittsberichten. Der letzte wurde am 13. Februar veröffentlicht.

Aids-Free World hat in diesem Zusammenhang vor allem auf die Art und Weise hingewiesen, wie die UN Informationen über sexuelle Ausbeutung und über sexuellen Missbrauch zusammentragen. Auch ist von Verzögerungen, auf Vorwürfe entsprechend zu reagieren, die Rede, wodurch die Täter straffrei ausgehen. Kritisiert wird ferner eine "Kultur extremer Behutsamkeit im Umgang mit den Rechten der Täter, wie sie den Opfern hingegen selten zuteil wird".


Offener Brief an UN-Mitgliedstaaten

In einem offenen Brief an die Botschafter aller UN-Mitgliedstaaten vom 16. März betonte Aids-Free World: "Wir wissen, dass die UN den Bericht des Expertenteams nie verbreitet haben. Wir nehmen deshalb an, dass, wenn überhaupt, nur wenigen Regierungen bekannt ist, dass die von dem Generalsekretär beauftragten, unabhängigen Experten die Art und Weise, wie mit sexuellen Übergriffen der UN-Friedenssoldaten umgegangen wird, scharf kritisiert haben."

Wie Paula Donovan, Ko-Vorsitzende von Aids-Free World, gegenüber IPS erklärte, verfügte das Expertenteam, das den Bericht erstellt hatte, über die erforderliche Expertise, um sich mit dem komplexen Problem der Übergriffe von UN-Blauhelmen zu befassen. Andererseits greife der Bericht des UN-Generalsekretärs auf inadäquate und unvollständige Mechanismen der Berichterstattung zurück, die der komplexen Herausforderung, eine institutionelle Kultur der Straflosigkeit im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung und sexuellen Übergriffen zu beurteilen, nicht gewachsen seien.

"Jedes Jahr ist der Generalsekretär angehalten, der Vollversammlung Rechenschaft über sein Handeln abzulegen", sagte sie. Es gelte dann Fragen zu beantworten, wie: "Funktionieren diese besonderen Maßnahmen zum Schutz vor sexueller Ausbeutung und sexuellen Übergriffen überhaupt? Kommen wir unserem Null-Fall-Ziel damit näher?"

Dem Expertenteam zufolge gibt es eine Reihe von Gründen, warum über viele Fälle von sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (SEA) nicht berichtet wird. In dem Bericht heißt es, dass das "UN-Personal in allen Missionen, die wir besucht haben, auf etliche mutmaßliche oder offensichtliche Fälle von SEA hingewiesen habe, die nicht berücksichtigt oder untersucht wurden". Weiter erklären die Autoren: "Die UN sind sich der Ernsthaftigkeit des SEA-Problems gar nicht im Klaren, weil die offiziellen Zahlen die bemerkenswert hohe Zahl von SEA-Fällen verbergen."

Dass der UN-Generalsekretär dazu neige, die Zahl der Vorfälle in seinem Bericht eher klein zu halten, ist Donovan zufolge problematisch. Experten wüssten, dass die Verringerung der Zahlen nicht notwendigerweise den Rückschluss zulasse, dass die Übergriffe rückläufig seien. Sie wüssten, dass Programme gegen sexualisierte Gewalt nur dann funktionierten, wenn sich die Opfer sicher genug fühlten, um Übergriffe anzuzeigen.

"Die Opfer sexueller Übergriffe kommen nur dann aus der Deckung, wenn sie nicht fürchten müssen, dass das System nicht funktioniert, dass ihnen nie Gerechtigkeit widerfahren wird und dass sie sich in einer Situation wiederfinden könnten, die noch schlimmer ist als das, was sie besser nicht angezeigt hätten."

Donovan zufolge sind die Zahlen, die der UN-Generalsekretär verbreitet habe, auch deshalb unvollständig und ungenau, weil er nicht die Zahlen des Kinderhilfswerks UNICEF berücksichtigt, das über eigene Berichterstattungsmechanismen verfügt.


Hoffen auf Hochrangiges Panel für Friedensoperationen

Es besteht nach Ansicht der Expertin eine reelle Chance, dass das Hochrangige Unabhängige Panel für Friedensoperationen praktische Lösungen in Fragen der Straflosigkeit und Transparenz in UN- Friedensoperationen finden wird. Donovan zufolge hat Aids-Free World bereits eine Kopie des Expertenberichts an den Vorsitzenden des Panels, José Ramos-Horta, geschickt. Ramos-Horta wiederum hatte mit seinen mehr als 30.000 Facebook-Followern am 6. März einen Link zu einem Artikel über sexuelle Übergriffe von UN-Blauhelmen geteilt.

Aids-Free World hatte, nachdem die NGO von der Existenz des Expertenberichts erfahren hatte, eine Kopie bei den UN angefordert. "Daraufhin teilte man uns mit, dass dies kein öffentlich zugänglicher Bericht sei."

In den meisten Staaten gelten klare Regeln, was das Recht auf Information und dem Umgang mit klassifizierten und nichtklassifizierten Papieren angeht. Das ist bei den UN nicht zwingend der Fall. "Deshalb ist es unklar, warum dieser bestimmte Bericht nicht veröffentlicht wurde", so Donovan. Auf eine diesbezügliche Anfrage von IPS hat der Sprecher des UN-Generalsekretärs bisher nicht reagiert. (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/03/contradictions-beset-u-n-response-to-sexual-abuse-by-peacekeepers/

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IPS-Tagesdienst vom 17. März 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2015

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