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ORGANISATION/554: UN - Post-2015-Agenda soll der "globalen Bürgerschaft" Priorität einräumen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Juni 2015

UN: Menschen in den Mittelpunkt von Entwicklung stellen - Post-2015-Agenda soll dem Konzept der 'globalen Bürgerschaft' Priorität einräumen

von Thalif Deen


Bild: © Teophil/cc by 3.0

Ein Friedenszeichen aus Menschen in Kroatien
Bild: © Teophil/cc by 3.0

NEW YORK (IPS) - Die Welt braucht einen neuen Sozialvertrag "mit den Menschen im Mittelpunkt von Entwicklung". So lautet eine Forderung, die auf dem Weltgipfel für soziale Entwicklung (WSSD) in Dänemark im März 1995 formuliert wurde und der die Vereinten Nationen mit dem Konzept der 'globalen Bürgerschaft' Leben einhauchen wollen.

Unter Berücksichtigung der Präambel der UN-Charta 'Wir, die Völker der Vereinten Nationen', legt die Weltorganisation derzeit letzte Hand an die sogenannte Post-2015-Entwicklungsagenda an. Dabei handelt es sich um einen Fahrplan mit qualifizierbaren Zielen der Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklung, die die Staatengemeinschaft in den kommenden 15 Jahren abarbeiten soll. Insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und 69 Indikatoren sollen den Ländern helfen, die globalen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.

Gleichzeit wartet die Zivilgesellschaft mit der Forderung auf, sich stärker auf menschenrelevante Fragen wie Hunger, Arbeitslosigkeit, Urbanisierung, Bildung, atomare Abrüstung, Bevölkerung, Menschenrechte und globale Umwelt zu konzentrieren.

Auf einem Musikfestival zum Thema 'Globale Bürgerschaft' im vergangenen September im New Yorker Central Park hatte UN-Generalsekretär Ban-Ki-moon erklärt: "Unsere Welt braucht mehr Solar- und Windkraft. Doch vertraue ich in eine noch stärkere Energiequelle: die Kraft der Menschen."

Wie der Botschafter Südkoreas bei den Vereinten Nationen und Vizepräsident des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC), Oh Joon, im vergangenen März 20 Jahre nach dem WWSD erklärte, hat nur die Armutsbekämpfung als eines der drei in Kopenhagen formulierten Ziele Aufnahme in die Millenniumsentwicklungsagenda (2000-2015) gefunden. Die beiden anderen Ziele - produktive Beschäftigung und soziale Integration - seien links liegen gelassen worden.


Zurück zu den Wurzeln

"Der ganzheitliche Ansatz, der sich in den drei Hauptanliegen des Weltsozialgipfels widerspiegelt, ist leider auf der Strecke geblieben", erklärte der Diplomat auf einem ECOSOC-Treffen in der zweiten Juniwoche. "Es wäre aber sinnvoll, sich mit der Frage zu beschäftigen, woran die UN-Entwicklungsagenden eigentlich anknüpfen."

Wirtschaftswachstum an sich, so wichtig es auch sein möge, reiche nicht aus, um die Armut und Ungleichheit zu verringern, betonte er. Erforderlich seien starke soziale Maßnahmen und eine inklusive und nachhaltige Entwicklung. Ebenso gelte es die vielen Verbindungen zwischen den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Bereichen aufzuzeigen.

Entwicklungsexperten befürchten jedoch, dass die Weltgemeinschaft die einmalige Chance vergeben könnte, die 'globale Bürgerschaft' zu einem wichtigen Bestandteil der Post-2015-Agenda zu machen. So erklärte Roberto Bissio, Geschäftsführer des 'Third World Institute', einer Non-Profit-Forschungs- und Kampagnenorganisation mit Sitz in Uruguay: "Wenn wir unter globaler Bürgerschaft die Inanspruchnahme von Rechten verstehen, wie etwa das Recht, Regierungen für das, was sie tun, rechenschaftspflichtig zu machen, oder bei der Verwendung von Steuergeldern ein Wörtchen mitsprechen zu dürfen, sind wir noch weit von globaler Bürgerschaft entfernt."

In den derzeitigen Debatten mit Blick auf die Konferenz über Entwicklungsfinanzierung (FfD) im Juli im äthiopischen Addis Abeba und auf den Gipfel über die Entwicklungsagenda im September in New York spiele das Konzept so gut wie keine Rolle. Stattdessen werde einem 'Multistakeholderismus' das Wort geredet.

Einst habe man zwischen 'Stakeholder' (Interessenvertreter) und 'Shareholder' (Teilhaber) unterschieden, um Konzerne für die negativen Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Anrainer ihrer Projekte haftbar zu machen, erläuterte Bissio, auch Koordinator des Sekretariats des internationalen Bürgernetzwerks 'Social Watch'.

Heute meine der im Internet oder in UN-Partnerschaften häufig verwendete Begriff 'Multistakeholder-Regierung', dass den Unternehmen in der globalen Regierungsführung eine Rolle zugewiesen werde, die ihnen nicht zwingend mehr Rechenschaftspflicht abverlange, so der Experte. "Das bedeutet nicht mehr, sondern weniger Rechte für die Bürger."

Sollte auf der FfD-Konferenz ein UN-Mechanismus für eine Zusammenarbeit der Staaten im Kampf gegen die Steuerflucht von multinationalen Konzernen gebilligt werden, könnte Bissio zufolge das Konzept der 'globalen Bürgerschaft' an Stärke gewinnen.

Dem ehemaligen chilenischen Staatspräsidenten Eduardo Frei Ruiz-Tagle zufolge haben Initiativen zur Förderung der Demokratie und sozialen Gerechtigkeit in seinem Land den politischen Nutzen von bürgerlichem Engagement eindeutig unter Beweis gestellt. In den letzten 25 Jahren sei es Chile gelungen, die Armut von 38,6 Prozent auf 7,8 Prozent und die extreme Armut von 13 Prozent auf 2,5 Prozent zu senken.

Der WSSD sei das bisher größte Treffen von Staats- und Regierungschefs gewesen und habe ein neues Entwicklungsmodell zur Förderung der sozialen Gleichheit hervorgebracht. Gemäß dem WSSD-Aktionsplan, den Menschen in den Mittelpunkt der Entwicklung zu stellen, habe Chile die Investitionen in die soziale Entwicklung erhöht. Diese Strategie werde von der derzeitigen Staatspräsidentin Michelle Bachelet weiterverfolgt.

Auch wenn es Lateinamerika gelungen sei, die soziale Ungleichheit zu verringern, sei diese immer noch größer als in anderen Weltregionen. Derzeit leben 28 Prozent der Gesamtbevölkerung Lateinamerikas und der Karibik in Armut. Das entspricht 167 Millionen Menschen, von denen 71 Millionen extrem arm sind.


Anstehende Aufgaben

Wie der chilenische Ex-Präsident weiter erläuterte, gilt es für einen globalen Fiskalpakt und eine Steuerreform zu sorgen, um mehr Gleichheit zu erreichen und eine "falsche" Entwicklung zu verhindern. Die Bekämpfung der Korruption und institutionelle Reformen seien weitere wichtige Anliegen. "Der Weltsozialgipfel von 1995 hat also nicht an Relevanz verloren."

Ruiz-Tagle zufolge bedarf der Kampf gegen Armut und Ungleichheit eines ethnischen Unterbaus und eines langen Atems. Er forderte die Regierungen auf, moralischen Standpunkten größere Bedeutung beizumessen.

Juan Somavia, ein ehemaliger Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und früherer ständiger Vertreter Chiles bei den Vereinten Nationen, erklärte auf dem ECOSOC-Treffen, dass die neuen Nachhaltigkeitsziele von dem Geist und der Dynamik der 1990er Jahren durchdrungen seien und somit eine gute Verhandlungsbasis darstellten. "Der Entwurf mit seinen 17 Zielen und 69 Indikatoren, die auf eine auf den Menschen zugeschnittene Armutsbekämpfungs- und Nachhaltigkeitsstrategie abheben, zeugt von besonders ehrgeizigen Absichten."

Angesichts der immensen globalen Herausforderungen sei die strategische Unterstützung der UN-Sekretariate in New York und Genf, der UN-Fonds und -Programme unerlässlich, betonte Somavia. Doch habe das Vertrauen der Menschen in die Weltorganisation in den letzten Jahren gelitten. Die neue Entwicklungsagenda müsse diesem Problem Rechnung tragen und Abhilfe schaffen. (Ende/IPS/kb/15.06.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/06/u-n-urged-to-put-global-citizenship-at-centre-of-post-2015-development-agenda/

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IPS-Tagesdienst vom 15. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2015

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