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ORGANISATION/555: UN - Partnerinnen sollen Soldaten begleiten, um sexuellen Missbrauch zu verhindern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Juni 2015

UN: Neuer Vorschlag zur Verhinderung des sexuellen Missbrauchs durch Blauhelme - Partnerinnen sollen Soldaten begleiten

von Thalif Deen


Bild: © Sylvain Liechti/UN

Uruguayischer Soldat der UN-Stabilisierungsmission in der Demokratischen Republik Kongo (MONUSCO)
Bild: © Sylvain Liechti/UN

NEW YORK (IPS) - Im November 2007 wurden 108 Soldaten eines asiatischen Landes, die an der UN-Friedensmission in Haiti teilgenommen hatten, wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in ihre Heimat zurückgeflogen. Einer der Beschuldigten erklärte später gegenüber einer lokalen Zeitung: "Was erwartet man eigentlich von uns, wenn wir von den UN mit Gratis-Kondomen ausgestattet werden?"

Mit der kostenlosen Bereitstellung von Präservativen will die Weltorganisation natürlich nicht die Soldaten zu sexuellen Übergriffen ermuntern, sondern der Übertragung sexueller Krankheiten vorbeugen.

Die sexuellen Übergriffe in Haiti sind kein Einzelfall. Aus diesem Grund wollen die Vereinten Nationen eine unabhängige Expertengruppe ins Leben rufen, die Empfehlungen zur Vermeidung solcher Verbrechen und zur Bestrafung der Täter ausarbeiten soll.

"Vielleicht sollten die UN sich Gedanken darüber machen, wie sie den UN-Friedenssoldaten die Mitnahme ihrer Freundinnen, Frauen und Kinder ermöglichen können", meinte Joe Lauria, UN-Korrespondent des 'Wall Street Journal' im Gespräch mit IPS. Die damit verbundenen Zusatzkosten würden sich im Kampf gegen die "epidemischen sexuellen Übergriffe von UN-Friedenssoldaten auf diejenigen, die sie eigentlich zu schützen verpflichtet sind", auszahlen.


Historische Vorbilder

Es sei nur schwerlich nachzuvollziehen, warum die UN diese Möglichkeit nie in Erwägung gezogen haben. In der Militärgeschichte gebe genügend Beispiele dafür, dass Soldaten ihre Frauen mitnahmen - mitunter bis an die Front. Dies sei im alten Rom und im US-amerikanischen Bürgerkrieg der Fall gewesen. Dafür spreche auch, dass UN-Friedenssoldaten selten in Kampfhandlungen gerieten.

In Deutschland, Südkorea oder anderswo stationierten US-Soldaten werde auch erlaubt, mit ihren Familien zusammenzuleben, meinte Lauria. Im Fall der UN-Soldaten könnten diese selbst für den Unterhalt ihrer Partnerinnen aufkommen, indem man ihnen einen Zuschuss zu ihrem Sold zahle. Seiner Meinung nach wäre es fahrlässig, diese Möglichkeit nicht in Betracht zu ziehen.

Als Lauria seinen Vorschlag auf einem Presse-Briefing vorstellte, erklärte der UN-Sprecher Stephane Dujarric, dass in quasi allen Friedensoperationen mit einigen wenigen Ausnahmen wie Zypern die Anwesenheit der Familien militärischer wie auch ziviler Einsatzkräfte nicht vorgesehen sei. Der Vorschlag sei zwar interessant, doch glaube er nicht, dass UN-Soldaten oder UN-Polizeioffiziere ihre Frauen zu ihren Einsatzorten mitnehmen könnten. "Ich glaube, dass Machtmissbrauch oder sexuelle Übergriffe bekämpft werden müssen."

Da die UN weder politisch noch rechtlich autorisiert sind, straffällig gewordene Militärmitglieder zu bestrafen, kommen die meisten Täter unbehelligt davon. Das liegt daran, dass die Vergehen in ihren Heimatländern entweder nicht geahndet werden oder die Justiz nicht effektiv genug arbeitet.

Ian Richards, Vorsitzender des Gewerkschaftsverbands CCISUA, der 60.000 UN-Mitarbeiter vertritt, ist der Meinung, dass man militärische und zivile Mitarbeiter nicht über einen Kamm scheren sollte. "Mehr als 21.000 zivile Kollegen sind in Friedensoperationen im Einsatz. Sie leisten gute Arbeit. Fast alle von ihnen arbeiten in Dienststellen, die nicht für Familien vorgesehen sind. Das sexuelle Fehlverhalten von UN-Mitarbeitern, so schrecklich es auch sein mag, hält sich sehr in Grenzen."

Im letzten Jahr wurden drei UN-Mitarbeiter wegen sexueller Übergriffe gefeuert. "Das sind Einzelfälle, nicht die Norm", so Richards. Alle UN- Mitarbeiter seien sich im Klaren darüber, dass die Weltorganisation im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eine Null-Toleranz-Haltung einnehme. Bei ihrer Rekrutierung müssten sie eine entsprechende Erklärung unterzeichnen.

"Aus diesen Gründen bin ich mir nicht sicher, ob die Anwesenheit der Ehefrauen in dieser Hinsicht wirklich eine Rolle spielen würde. Außerdem befinden sich die als familienuntauglich eingestuften Dienststellen in Konfliktregionen oder Gebieten, in denen Rebellen oder Terroristen aktiv sind. Das sind nicht die richtigen Orte für Frauen und Kinder."

Wie ein UN-Mitarbeiter, der sich Anonymität ausbat, erklärte, gibt es einige Kollegen, die in Kriegsgebieten im Irak stationiert seien und ihre Familien auf eigene Kosten ins benachbarte Kuwait gebracht hätten. Sie könnten sich dies leisten, da sie gut bezahlt würden und Gefahrenzulagen und Tagesgelder erhielten.


Sicherheitsproblem

Ein UN-Vertreter erklärte gegenüber IPS, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass Frauen und Kinder in den Übersee- und insbesondere den Hochrisikomissionen zugelassen würden, weil es schwierig sei, für ihre Sicherheit zu sorgen. Außerdem würden sich in einem solchen Fall die Kosten für den Schutz der UN-Mitarbeitet verdoppeln oder verdreifachen.

Barbara Tavora-Jainchill, Vorsitzende der UN-Mitarbeitergewerkschaft in New York, erklärte gegenüber IPS, dass die bloße Trennung von den Familien Stress erzeugen könne. "Ich denke, dass ein instabiles Umfeld in Verbindung mit einer schwachen oder gar keinen Regierung ein Gefühl der Macht über die Lokalbevölkerung verursacht, das einige wenige veranlasst, sich sträflich zu verhalten."

In Friedens- und politischen Missionen müssten die Möglichkeiten, Fehlverhalten zu ahnden, gestärkt werden, sagte sie. Ihrer Meinung nach sollten sich die Vereinten Nationen bei der Identifizierung von Missetätern von Whistleblowern helfen lassen.

Inzwischen hat ein hochrangiger Ausschuss unter Leitung des ehemaligen osttimoresischen Staatspräsidenten José Ramos-Horta ein umfassendes Gutachten über die UN-Friedensoperationen und die künftigen Herausforderungen erstellt.

Auf einer Pressekonferenz am 16. Juni erklärte Ramos-Horta, dass die UN bei sexueller Ausbeutung und Missbrauch kein Pardon kennen würden. "Sexuelle Übergriffe von Blauhelmen zerstören und unterminieren das Vertrauen in die Stärke der UN: ihre Integrität." (Ende/IPS/kb/19.06.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/06/could-peacekeeping-wives-deter-sexual-abuse-in-u-n-overseas-operations/

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IPS-Tagesdienst vom 19. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2015

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