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ORGANISATION/581: UN-Generalsekretär fordert neuen Marshall-Plan für Konfliktstaaten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2015

Entwicklung: UN-Generalsekretär fordert neuen Marshall-Plan für Konfliktstaaten

von Ramesh Jaura


BERLIN/NEW YORK (IPS/IDN) - Während Europa und die USA eine hoch emotionale Debatte über internationalen Terrorismus führen und Bestrafungsaktionen durchführen - wobei der französische Präsident François Hollande erklärt, dass "Frankreich sich im Krieg befindet" - wirken die Ausführungen von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon weitaus rationaler. Bekanntermaßen arbeitet er an einem umfassenden Aktionsplan zur Verhütung von gewaltbereitem Extremismus, der im nächsten Jahr der UN-Vollversammlung vorgestellt werden soll.

Gegen die zunehmende Bedrohung durch gewaltbereite extremistische Gruppen, wie etwa den Islamischen Staat, anzugehen, betreffe im Kern die Mission der Vereinten Nationen und erfordere eine gemeinsame Reaktion, sagte Ban am 29. September auf einem hochrangig besetzten Treffen in New York.

Etwa sechs Wochen später erklärte er bei der Eröffnung einer Debatte im UN-Sicherheitsrat zum Thema 'Sicherheit, Entwicklung und die tieferliegenden Gründe für Konflikte' am 17. November: "Die heutigen gewaltsamen Konflikte und der gewaltbereite Extremismus wurzeln häufig in einer Mischung aus Ausgrenzung, Ungleichheit, Missmanagement von Rohstoffen, Korruption, Unterdrückung, Fehlverhalten von Regierungen sowie der Frustration und Entfremdung, die mit einem Mangel an Arbeitsplätzen und Chancen einhergeht."

Nach Ansicht von Ban hat die internationale Staatengemeinschaft bei ihren Reaktionen den drei Grundpfeilern der Vereinten Nationen, nämlich Frieden, Entwicklung und Menschenrechte, bisher nicht ausreichend Rechnung getragen.


Ban warnt vor Diskriminierung von Muslimen in Zeiten des Terrors

Die Debatte im Sicherheitsrat über Konfliktprävention war bereits vor den Terroranschlägen in Paris angesetzt worden und erhielt durch die Attentate weiteres Gewicht. Als Ban sich auf die Anschläge in Paris, Beirut und Bagdad, das mutmaßliche Bombenattentat auf ein russisches Flugzeug über Ägypten im Oktober sowie auf die wachsende Bedrohung durch die Terrormiliz Islamischer Staat bezog, die bereits weite Teile Syriens und des Iraks kontrolliert, warnte er zugleich vor Repressalien gegen Muslime.

"Solche Handlungen sind durch nichts zu rechtfertigen", erklärte Ban. "Ich bin sehr beunruhigt über Repressalien und weitere Diskriminierungen gegen Muslime, insbesondere gegen muslimische Flüchtlinge und Migranten. Dies treibt die Entfremdung voran, die Terroristen für sich ausnutzen."

Ban erläuterte vier Grundsätze zur Prävention von Konflikt und Terrorismus. Dabei betonte er die Wichtigkeit der 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung, die friedliebende und inklusive Gesellschaften fordert, welche Gerechtigkeit zusichern und rechenschaftspflichtige Institutionen schaffen. Die 17 Ziele umfassende Agenda wurde am 25. September von der UN-Vollversammlung verabschiedet.

Unter Ziel 16 sind zehn Zielvorgaben formuliert, die berücksichtigen, dass die am stärksten durch Korruption beeinträchtigten Institutionen das Justizwesen und die Polizei sind. Korruption, Schmiergeldzahlungen, Diebstahl und Steuerflucht kosten Entwicklungsländer demnach Jahr für Jahr etwa 1,26 Billionen US-Dollar. Laut der 2030-Agenda könnte mit dieser enormen Summe die Armut auf der Welt für mindestens sechs Jahre überwunden werden.

Den Vereinten Nationen zufolge ist der Anteil der Kinder, die in Konfliktgebieten die Grundschule vorzeitig verlassen, bis zum Jahr 2011 auf 50 Prozent gestiegen. In absoluten Zahlen sind dies 28,5 Millionen Kinder, die keine grundlegende Schulbildung erhalten. Instabile Gesellschaften gefährden somit die Erreichung von Ziel vier auf der Agenda, nämlich der Bildung für alle.

Wie Ban vor dem Sicherheitsrat sagte, ist gezielte Entwicklungshilfe notwendig, um Risikofaktoren wie Ungleichheit und Ausgrenzung auszuschalten. Dies sei besonders dann wichtig, wenn Gesellschaften dabei seien, Konflikte hinter sich zu lassen, jedoch zugleich Gefahr liefen, wieder dorthin zurückzukehren.


Menschenrechte müssen in den Fokus rücken

Eine verstärkte Prävention bedeute auch, die Menschenrechte genauer im Blick zu haben. Denn Menschenrechtsverletzungen sind oftmals die verlässlichsten frühen Anzeichen für Konflikte, erklärte Ban unter Berufung auf die Initiative 'Human Rights up Front' (HRuF). Die Initiative war von dem UN-Generalsekretär Ende 2013 ins Leben gerufen worden, um sicherzustellen, dass die Vereinten Nationen entsprechend den Grundsätzen der UN-Charta und der UN-Resolutionen frühzeitige und wirksame Maßnahmen ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht auf breiter Front zu verhindern.

Die Ziele sollen durch drei Veränderungen im UN-System erreicht werden: durch einen kulturellen Wandel, der sicherstellt, dass UN-Mitarbeiter Prävention als eine ihrer Hauptaufgaben betrachten, durch operative Veränderungen, die vorsehen, dass UN-Teams den Behörden von Staaten vor dem Ausbruch von Krisen zur Seite stehen sowie frühzeitigere und transparentere Beziehungen zu nationalen Behörden und anderen Mitgliedsstaaten, wenn sich die Zustände verschlechtern.

Nach Überzeugung von Ban müssen alle Akteure mehr Kohärenz beweisen. Die Vereinten Nationen sollten dadurch Stärke zeigen, dass sie dem Sicherheitsrat und der Kommission für Friedenskonsolidierung (PBC) fundierte Analysen bereitstellen. PBC, ein zwischenstaatliches Beratungsgremium, das Friedensbemühungen nach der Beendigung von Konflikten unterstützt, hat insofern eine einzigartige Rolle, als dass es wichtige Akteure, darunter internationale Geber, Finanzinstitutionen, Regierungen und truppenstellende Staaten, zusammenbringt. Zudem stellt es Ressourcen bereit und schlägt Strategien für den Friedensaufbau in Post-Konflikt-Gesellschaften vor.


Verlässliche Finanzierung von Friedensinitiativen angemahnt

Ban hob außerdem die Notwendigkeit einer angemessenen, planbaren Finanzierung für die UN-Mediationstätigkeit, die Länderteams und den Fonds zur Friedenskonsolidierung (PBF) hervor. Dieser Fonds für Post-Konflikt-Friedensinitiativen war im Oktober 2006 eingerichtet worden. Zurzeit werden auf diesem Weg 222 Projekte in 22 Staaten durch eine "rasche, flexible und maßgebliche Finanzierung" von Post-Konflikt-Friedensmaßnahmen unterstützt.

Ban forderte eine globale Wiederaufbauinitiative nach dem Vorbild des mit Milliarden von Dollar ausgestatteten Marshall-Plans, mit dem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg Westeuropa halfen.

Syrien müssen wiederaufgebaut und Länder, die große Zahlen von Flüchtlinge aufnehmen, müssten unterstützt werden, sagte er unter Nennung von Staaten wie Jordanien, den Libanon und die Türkei. "Der Ruf nach einem Wiederaufbauplan für die Region vom Umfang des Marshall-Plans wird immer lauter", erklärte Ban. Die menschlichen Kosten durch die Fehler der UN seien an viel zu vielen Orten offensichtlich. "Leid und Rückschritte belasten mein Gewissen stark, und sollten dies auch bei Ihnen tun. Wir besitzen die Werkzeuge, um Besseres zu erreichen. Lasst sie uns benutzen." (Ende/IPS/ck/30.11.2015)


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http://www.indepthnews.info/index.php/global-issues/2561-un-chief-pleads-for-peace-development-and-human-rights

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IPS-Tagesdienst vom 30. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2015

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