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UN-REPORT/084: High-End-Toiletten für die Reichsten, Freiluftklos für die Ärmsten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Juli 2015

Entwicklung: High-End-Toiletten für die Reichsten, Freiluftklos für die Ärmsten

von Thalif Deen


Bild: © Patricia Esteve/UN

Kinder besichtigen die neuen verbesserten Toiletten in ihrer Gemeinde in Côte d'Ivoire
Bild: © Patricia Esteve/UN

NEW YORK (IPS) - Die meisten Entwicklungsländer hinken mit dem Entwicklungsziel, ihren Bürgern eine sanitäre Grundversorgung zukommen zu lassen, hinterher. Doch dramatisch sind die Defizite in den ärmsten Staaten der Welt, wie ein neuer Bericht warnt.

Jeder dritte Erdenbürger muss ohne verbesserte Sanitäranlagen auskommen, heißt es in der Bilanz des Gemeinsamen Monitoring-Programms über die Fortschritte bei der Sanitär- und Trinkwasserversorgung. Von diesen insgesamt 2,4 Milliarden Menschen sind 946 Millionen gezwungen, im Freien zu defäkieren.

"Die Zahlen verdeutlichen vor allem eines: Nachhaltige Fortschritte wird es erst dann geben, wenn wir uns dieser Ungleichheiten annehmen", erklärte Sanjay Wijesekera, Leiter der Programme für Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene des Kinderhilfswerks UNICEF, das den Report in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellt hatte.

"Wenn wir bis 2030 eine universelle Sanitärversorgung erreichen wollen, müssen wir sicherstellen, dass sich in den ärmsten Ländern diesbezüglich Fortschritte einstellen."

Dem Report zufolge gibt es viele Gründe, warum Erfolge im Sanitärbereich ausgeblieben sind. So fehle es an Investitionen in die Veränderung von Verhaltensmustern, an Produkten, die sich auch die Ärmsten leisten könnten und sozialen Normen gegen die offene Defäkation.

Obwohl 2,1 Milliarden Menschen seit 1990 einen verbesserten Sanitärzugang erhalten haben, wird die Welt das entsprechende Millenniumsentwicklungsziel (MDG) um 700 Millionen Menschen verfehlen. Heute haben nur 68 Prozent aller Menschen weltweit Zugang zu verbesserten Sanitäranlagen. Das sind neun Prozent zu wenig, um das anvisierte 77-Prozent-Ziel bis Ende des laufenden Jahres zu erreichen.


Erfolge beim Wasserziel

Wie der UNICEF-Zahlenexperte Jeffrey O'Malley am 30. Juni vor Journalisten erklärte, sollten die bereits erzielten Fortschritte aber nicht kleingeredet werden. 2015 konnten 91 Prozent der Weltbevölkerung auf qualitativ besseres Trinkwasser zurückgreifen. 1990 hatte der Anteil noch bei 76 Prozent gelegen. Insgesamt konnten im laufenden Jahr 6,6 Milliarden Menschen auf sauberes Trinkwasser zurückgreifen. 663 Millionen Menschen - immerhin 100 Millionen weniger als im letzten Jahr - muss dies noch ermöglicht werden.

Während das Wasser-MDG erreicht werden konnte, fällt das Sanitärziel weit abgeschlagen zurück. Hält das Schneckentempo an, wird es noch 300 Jahre dauern, bis alle Afrikaner südlich der Sahara über Toiletten verfügen, warnt der Report.

Tim Brewer von der Entwicklungsorganisation 'WaterAid' mit Sitz in London erklärt sich die Erfolge beim Wasser-MDG hauptsächlich mit der Erreichbarkeit vieler Menschen. "Doch die Ärmsten bleiben auf der Strecke. Wir müssen dafür sorgen, dass die derzeit verhandelten UN- Nachhaltigkeitsziele (SDGs) sicherstellen, dass Erfolgsstrategien für die Ärmsten Priorität eingeräumt werden."

Die internationale Gemeinschaft dürfe sich nicht länger damit zufrieden geben, dass sich die Lage der vergleichsweise wohlhabenden Staaten verbessert habe, während schmutziges und mit Fäkalien verseuchtes Wasser Millionen Menschen krank mache, fügte er hinzu.

Brewer zufolge kommt dem Monitoring eine Schlüsselrolle zu. Sämtliche Fortschritte müssten messbar und nachvollziehbar sein. Es müsste qualifizierbare Indikatoren zur Wasserqualität und zur Bezahlbarkeit der Ressource geben. "Nur so kann gewährleistet werden, dass wir die Ziele bis 2030 erreichen und Regierungen dazu bringen, ihre Versprechen einzulösen."

In Staaten wie Japan und Südkorea ist der Toilettenbesuch mehr als nur ein Akt, sich Erleichterung zu verschaffen. Dort haben die Menschen Zugang zu High-End-Klosetts, werden mit Hintergrundmusik und schönen Ansichten verwöhnt. Doch Millionen Menschen in den Entwicklungsländern bleibt nichts anderes übrig, als sich im Busch oder auf Bahngleisen zu entleeren.

Offene Defäkation ist häufig verbunden mit einer entwicklungshemmenden chronischen Unterernährung, unter der weltweit 161 Millionen Kinder leiden. "Auch aus Gesundheitsgründen müssen wir für eine Beschleunigung der Sanitärfortschritte sorgen", betonte Maria Neira von der WHO.

Wijesekera hält einen universellen Sanitärzugang bis 2030 nur dann für möglich, wenn sich die internationale Gemeinschaft auf die Ärmsten der Armen fokussiert. "Wir können an die Erfolge der letzten 25 und insbesondere der letzten 15 Jahre anknüpfen", meinte er. "In der MDG-Ära konnten einige Länder rapide Fortschritte erzielen."


Auf die Ärmsten fokussieren

Als Beispiel führte er Äthiopien an, das die offene Defäkation um 64 Prozent senken konnte. Thailand wiederum hat die Kluft zwischen Arm und Reich beim Zugang zu Toiletten schließen können, wie Wijesekera betonte. "Dies zeigt, dass die Beseitigung der Ungleichheiten beim Zugang zu Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene positiv auf die Gesundheit, Ernährung, Bildung und wirtschaftliche Produktivität ausstrahlt."

Die Sanitärversorgung sei keine komplizierte Angelegenheit. "Doch haben uns die Erfahrungen in Entwicklungsländern gelehrt, dass die Bereitstellung von Geldern und Technologien allein nicht ausreicht. Ebenso wichtig ist es, die Sicht- und Verhaltensweisen der einfachen Menschen zu verändern. Und das braucht Zeit."

Auch gelte es, die Bedeutung der sanitären Grundversorgung für die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung herauszustellen, wie dies bereits wichtige politische Entscheidungsträger - angefangen vom UN-Generalsekretär über den Weltbankpräsidenten bis zum indischen Regierungschef - täten. "Wir müssen", so Wijesekera, "diese hochkarätige politische Unterstützung für Aktivitäten nutzen, die allen Menschen Zugang zu den Menschenrechten auf sauberes Trinkwasser und eine adäquate Sanitärversorgung ermöglichen". (Ende/IPS/kb/01.07.2015)


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www.ipsnews.net/2015/06/toilets-with-piped-music-for-rich-open-defecation-on-rail-tracks-for-poor/

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IPS-Tagesdienst vom 1. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2015

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