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AGRAR/1625: Nahost - Jordan-Tal als Spielball der Politik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. September 2013

Nahost: Jordan-Tal als Spielball der Politik

von Jillian Kestler D'Amours


Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Zerstörtes Haus im palästinensischen Dorf Jiftlick im Westjordanland
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Jiftlick, Westjordanland, 23. September (IPS) - Das Jordan-Tal ist eine landwirtschaftliche Region voller Kontraste. Im Einzugsgebiet der jüdischen Siedlungen zeigt sich der Wasserreichtum im Grün der Felder. Hingegen erweist sich die Nahrungsmittelproduktion auf Palästinenserland als mühevolle Angelegenheit.

"Für uns Bauern ist es ein steter Kampf", sagt der Palästinenser Ahmad Said Moahri aus der Ortschaft Jiftlick. "Oft ist der landwirtschaftliche Anbau ein Verlustgeschäft, doch wegziehen kommt nicht in Frage, weil Israel das Land sofort konfiszieren würde." Dem 46-Jährigen gehören etwa 47.000 Quadratmeter Ackerland. Auf über der Hälfte der Fläche erntet er Auberginen, Tomaten und Zucchini, den Rest hat er an andere Bauern verpachtet.

Moahri verdient an der Landwirtschaft jährlich umgerechnet zwischen 4.200 und 5.600 US-Dollar. Von September und bis Januar geht er nahe der illegalen israelischen Siedlung Massu'a einem Zweitjob nach, um seine Familie ernähren zu können.

"Von Anfang an hatte die Siedlung alles, was sie braucht, von Israel bekommen. Wir dagegen gehen leer aus", kritisiert Moahri, der etwa 2,80 Dollar pro Stunde verdient. Damit bringt ihm die Arbeit in der Fabrik jährlich zwischen 3.400 und 4.000 Dollar ein.

Wie auch aus einem vom Ma'an-Entwicklungszentrum veröffentlichten Bericht hervorgeht, werden in Massu'a auf 1,8 Millionen Quadratmetern Auberginen, Paprika, Zucchini, Gurken, Wassermelonen, Melonen und Datteln angepflanzt. "Die geographische Lage der Siedlungen im Jordan-Tal wurde vom landwirtschaftlichen Wachstumspotenzial in der Region bestimmt", berichtet Ma'an und fügt hinzu, dass in den Siedlungen vor allem für den Export produziert wird.


Jordan-Tal für Palästinenser kaum zugänglich

Das Jordan-Tal nimmt fast 30 Prozent des Westjordanlandes ein. Mehr als 87 Prozent des Gebietes liegen in Zone C, die vollständig von israelischem Militär kontrolliert wird. Zurzeit leben etwa 9.300 israelische Siedler und 65.000 Palästinenser im Jordan-Tal. Palästinenser dürfen fast 95 Prozent des Tals nicht betreten, da die Hälfte des Landes von israelischen Siedlern genutzt wird und weitere 45 Prozent zu geschlossenem Militärgelände erklärt wurden.

Das Jordan-Tal ist als Brotkorb der Palästinenser bekannt, denn dort befindet sich der größte Teil des urbaren Landes des Westjordanlandes. In einem 2010 veröffentlichten Bericht betonte die Weltbank, dass die Palästinenser, wenn sie weitere 50 Millionen Quadratmeter Land und zusätzliche Wasserquellen nutzen dürften, jährlich etwa eine Milliarde Dollar erwirtschaften könnten.

Den politischen Führern der Palästinenser und Israels entgeht dieses ökonomische Potenzial nicht. Während die Friedensgespräche zwischen beiden Seiten weitergehen, hat die Palästinensische Autonomiebehörde erneut betont, dass es keinen palästinensischen Staat ohne eine Kontrolle über Jericho und das Jordan-Tal geben werde. "Dass wir davon nicht abrücken werden, haben wir bereits mehrfach gesagt", erklärte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am 16. August.

Die israelische Regierung sieht das Jordan-Tal hingegen als Sicherheitspuffer zu Jordanien. Die jüdischen Siedlungen und deren Aktivitäten in dem Gebiet werden daher großzügig bezuschusst.

Die palästinensische Regierung wiederum unternimmt wenig, um die Palästinenser im Jordan-Tal zu unterstützen. Bislang wurde maximal ein Prozent des gesamten Haushalts für den Agrarsektor bereitgestellt. Demgegenüber wurden zwischen 2001 und 2005 mehr als 85 Prozent des Budgets für die Gehälter der Mitarbeiter der Autonomiebehörde aufgebracht.


Beitrag der Landwirtschaft zum BIP rückläufig

Der Beitrag der Landwirtschaft zum palästinensischen Bruttoinlandsprodukt sank von etwa 13,3 Prozent 1994 auf 5,7 Prozent in 2008, wie ein Bericht der palästinensischen Organisation 'Al Shabaka' festhält.

"Wir Farmer erhalten nicht genügend Unterstützung. Der Regierung ist die Lage der Landwirtschaft egal. Diese Vernachlässigung setzt dem Agrarsektor zu, doch die Autonomiebehörde hat ihre Strategie nicht geändert", meint Moahri.

Moayyaf Bsharat leitet das Jerichoer Büro der Vereinigung der Agrararbeitsgruppen, die den palästinensischen Bauern im Westjordanland und im Gazastreifen Unterstützung leistet. Leider könne die Autonomiebehörde den notleidenden Bauern in der Zone C nicht zu Hilfe eilen, weil ihr durch das Osloer Friedensabkommen die Hände gebunden sei, erklärte er.

"Die erste Lösung besteht darin, das Oslo-Abkommen zu beenden. Die Lösung für das Jordan-Tal ist zu 100 Prozent politisch. Die Bauern fordern den Zugang zu ihren Ressourcen Land und Wasser. Die Probleme können nur dann gelöst werden, wenn es eine große politische Lösung gibt", meint Bsharat. Israel wirft er vor, die Palästinenser in der Zwischenzeit aus dem Gebiet vertreiben und sie um ihre Agrargüter und ihr Wirtschaftspotenzial bringen zu wollen. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.maan-ctr.org/pdfs/FSReport/cultivating/cultivating.pdf
http://www.btselem.org/download/201105_dispossession_and_exploitation_eng.pdf
http://www.maan-ctr.org/pdfs/FSReport/Village/vf.pdf
http://al-shabaka.org/policy-brief/economic-issues/farming-palestine-freedom?page=show
http://www.ipsnews.net/2013/09/politics-eats-into-palestinian-breadbasket/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2013