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AGRAR/1649: Wahlnachlese - Die Zivilgesellschaft muss es richten (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 371 - November 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wahlnachlese: Die Zivilgesellschaft muss es richten
Die Grünen auf Bundesebene haben im Wahlkampf agrarpolitische Chancen nicht genutzt, aber Porzellan zerbrochen

von Ulrich Jasper



Nun also wieder Große Koalition. Die Agrarpolitik von Merkel-CDU mit Seehofer/Aigner-CSU ist uns bestens bekannt. Es ist eine Politik, die dem Geschäft einen möglichst freien Weg verschaffen will. Einige sagen dazu "Markt". Es ist wohl eher die Förderung derjenigen, die an den heimischen Märkten ohnehin schon in der Position des Stärkeren sind und am längeren Hebel sitzen. Die Agrarpolitik der Union, mindestens der CDU, orientiert sich an den Interessen der Ernährungs- und Agrarindustrie. Drei Beispiele:


Agrarpolitik der Union

1) Milch: In den harten Auseinandersetzungen der letzten Jahre um die Regeln am Milchmarkt stand diese Union seit dem Seehofer'schen Wortbruch nach dem Milchgipfel von 2008 untrennbar an der Seite der exportorientierten Milchindustrie. Galt Deutschland früher in Brüssel als Vermittler zwischen den nordeuropäischen Markt-Liberalisierern und den Markt-Interventionisten, so steht Berlin nun mit an der Spitze der Marktprediger.

2) Tierschutz: In der Auseinandersetzung, die Nutztierhaltung auch am Bedürfnis der Tiere auszurichten, folgen die Unions-Parteien ebenfalls den Interessen der immer stärker auf Auslandsabsatz fokussierten Industrie. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Fleischindustrie ja nicht zu gefährden, erklären CDU/CSU den Tierschutz zu einem teilbaren Gut. Mehr Tierwohl, das was kostet, soll es nur für einen kleinen, gerne auch wachsenden Inlandsmarkt geben. Damit aber das Kostenniveau nicht auch für den Massen-Export steigt, wird ein wirksames Anheben der gesetzlichen Standards für alle abgewehrt, so lange es geht.

3) In der aktuellen EU-Agrarreform war die Merkel-Regierung der mächtigste Gegenspieler von Agrarkommissar Ciolos. Das gilt sowohl für das Greening, also der Bindung der Direktzahlungen an die Einhaltung von übergesetzlichen ökologischen Mindeststandards, als auch für die Maßnahmen, die für eine "gerechtere" Verteilung der Gelder zwischen den landwirtschaftlichen Betrieben sorgen sollten: Kürzung und schließlich Kappung der Direktzahlungen bei sehr großen Betrieben mit wenig Arbeitskräften. Christ-Demokraten und Christ-Soziale haben in Brüssel alles daran gesetzt, wirksame Vorgaben zur Wahrung von Schöpfung und Gerechtigkeit zu blockieren. Ciolos hat das Grundgerüst zwar retten können, aber zu dem Preis weit geöffneter nationaler Spielräume in der Umsetzung der Reform. Das Aigner-Konzept für diese Umsetzung in Deutschland fiel entsprechend aus: Es soll sich möglichst wenig ändern, der Teufel soll das Steuergeld weiter auf den größten Haufen schütten. Auch den größten Bodenspekulanten soll für jeden Hektar die volle, ganz aus Steuergeld finanzierte Prämie serviert werden. Die Merkel-Seehofer-Union sieht sich zwar genötigt, das alles auch noch als "Politik zur Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft" zu überschreiben, glaubwürdig ist sie damit aber nicht. Auf der anderen Seite gibt es in CDU und CSU auch Mandats- und Funktionsträger, die für eine ziemlich andere Agrarpolitik eintreten, die bäuerliche Werte ernst meinen, wenn sie darüber reden. Es gibt sie in West und Ost. Aber bei den großen Weichenstellungen bleiben sie bisher außen vor.


SPD kein Korrektiv

Zur SPD fällt die Geschichte kürzer aus. Das diesjährige Wahlprogramm der 150 Jahre alten Partei enthält zwar den Satz "Wir wollen eine nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft". Aber in der Praxis wird sozialdemokratische Agrarpolitik im wesentlichen bestimmt von den zwei SPD-Ministern Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern und Vogelsänger aus Brandenburg. Diesen fehlt jede Idee von einer Politik, die gezielt einen umgekehrten Strukturwandel einleitet hin zu einer mittelständischen, bäuerlichen Landwirtschaft in mehr eigenständigen Betrieben mit mehr Wertschöpfung und mehr Arbeitskräften. Und wenn sie von so einer Idee hören, arbeiten sie gleich mit ganzer Kraft dagegen. Ihre Agrarpolitik ist passgenau ausgerichtet auf die Bedürfnisse derjenigen Agrarunternehmen, die aus den ehemaligen LPG'en hervorgegangen sind. Große Koalition können diese Herren bestens, auch wenn der eine in Brandenburg noch bis Herbst 2014 mit der Linken koaliert. (Übrigens trägt die Linke diese Politik voll mit.) Nun also Große Koalition in Berlin aus dieser Union und dieser SPD, aus der heraus niemand der Kanzlerin und den Bauernverbandsnahen in CDU/CSU/SPD einen Kurswechsel abringen, abverhandeln, abnötigen wird.


Schwache Grüne

Die Grünen haben entschieden, einen solchen Versuch nicht zu unternehmen: Nach zwei Sondierungsgesprächen mit der Union haben sie abgewunken. Die Grünen sagen, sie fühlen sich zu schwach, um der Union in Koalitionsverhandlungen Fortschritte abzuringen. Mag sein, auch wenn das komisch klingt. Schließlich waren die Grünen noch nie zuvor in sechs Bundesländern gleichzeitig mit in der Regierung. Sicher, das beeindruckt eine Kanzlerin Merkel nur bedingt, wenn sie auch die SPD bekommen kann, die im Bundesrat sogar eine Stimmenmehrheit gegen die Union organisieren kann. Es gibt also eine objektiv schlechtere strategische Ausgangslage für die Grünen als für die SPD, die Union in Verhandlungen zu ziehen. Aber sollen die Grünen deshalb warten, bis die Union eine eigene Mehrheit im Bundesrat hat? Das verbessert die Position für die Union, nicht für die Grünen. Bleibt also nur, dass die Spitzen-Grünen darauf warten, mindestens parallel nicht nur mit der Union, sondern auch mit SPD und Linke zusammen über eine Koalition verhandeln zu können. Damit begeben sich die Grünen nicht nur wiederum ganz in die Hand der SPD, die mit den Linken nicht will. Sondern hier setzt sich die selbst gewählte Ausrichtung der Grünen möglichst "links" der SPD fort. Für diese Ausrichtung stand vor allem Trittin, aber er ist damit ganz und gar nicht alleine.


Selbst geschwächt

Agrarpolitisch haben sich die Grünen im Bundestagswahlkampf selbst geschwächt. Auch im Feld der Landwirtschaftspolitik haben die Grünen an Zuspruch, Vertrauen, Kompetenz erheblich verloren. Dabei war die Ausgangslage besonders auf diesem Feld ausgesprochen vielversprechend. Bei der Landtagswahl im Januar 2013 in Niedersachsen, dem selbst ernannten Agrarland Nummer eins, hatten die Grünen um den heutigen Agrarminister Christian Meyer es hinbekommen, von den Wählern in Landwirtschaftsfragen als kompetenter eingestuft zu werden als die CDU. Auch auf dem Land haben die Grünen bei der Wahl im Januar gute Ergebnisse eingefahren. Seitdem gestalten fünf Grünen-Minister in fünf westdeutschen Flächenländern die Agrarpolitik. Was für ein Pfund, was für ein Potenzial. Aber es gab in der Berliner Grünen-Spitzen damit keinen richtigen Umgang, zumindest keinen strategischen, es blieb bei einer Parallelveranstaltung. Trittin, Roth, Künast, Özdemir erklärten sich selbst zu Fachleuten und plapperten munter drauf los, fuhren zu den Demos der Bewegung und quatschten in jedes Mikrophon. Die Trittin'schen "Drogendealer im Stall" und die Özdemir-Verirrung mit dem "Rüssel-Abschneiden" bei den Schweinen sind nur die gröbsten Ausrutscher. Vor allem kam wieder die alte Haltung zum Vorschein: Hau die Bauern, dann kriegst Du die Städter. Das war schon falsch, als Künast Bundesministerin war. Aber auch dank der intensiven Bündnisarbeit, in die sich viele Bäuerinnen und Bauern in den letzten Jahren eingebracht haben, war diese Haltung jetzt wahltaktisch sogar kontraproduktiv. Die Gesellschaft ist viel weiter. Grün-affine Bauern schüttelten den Kopf und wurden still, die anderen wendeten sich empört ab - auch viele, die gerade erst einen Zugang zu dieser Partei gefunden hatten. Der Veggi-Day war auch so eine Verirrung. Welche Herausforderungen in der Fleischwirtschaft, in der Tierhaltung, in der Landwirtschaft sind denn gelöst, wenn die Kantinen einen Tag fleischlos bleiben? Ernsthafte Politik sieht anders aus.


Grandios gescheitert

Noch eine Baustelle mit hervorragender Ausgangslage gab es, die EU-Agrarreform. Einen solchen Agrarkommissar hat Brüssel noch nicht gehabt: einen, der die Forderungen der AbL und der Verbände-Plattform, also der Bewegung, aber auch der Grünen so stark aufgreift wie eben dieser Ciolos es getan hat. Zudem war diese Reform die erste, bei der das EU-Parlament das Recht (und eigentlich die Pflicht) zur vollen Mitentscheidung hat. In keinem anderen Parlament gibt es für einzelne Abgeordnete so viel Möglichkeiten, durch intensive Arbeit und geschicktes Agieren im mühsamen Schmieden von Kompromissen Mehrheiten für eigene Schwerpunkte zu organisieren. Den Fraktionszwang wie im Bundestag oder den Landtagen gibt es dort nicht. Doch die Grünen-Abgeordneten haben daraus nichts gemacht. Der zuständige hessische Abgeordnete Häusling spricht davon, das Parlament sei "grandios gescheitert". Das fällt ganz auf ihn selbst zurück. Er hat in der Meinungsbildung im Hohen Haus keine Rolle gespielt - schade. Die Grünen insgesamt werden nicht umhinkommen, sich der Mühe zu unterziehen, in die fachliche Ebene einzusteigen und eigene tragfähige Konzepte, Vorschläge, Alternativen zu erarbeiten und dafür in Kompromiss-Verhandlungen etwa im Bundesrat, aber auch im nächsten EU-Parlament wechselnde Mehrheiten zu organisieren. Die Grünen haben diese Wahl verloren. Der Bauernverband erhebt daraus den Anspruch, nun noch mehr als bisher in Berlin agrarpolitisch durchregieren zu können.


Die Zivilgesellschaft

Beim DBV gab es eine kurze Zeit sorgenvoller Aufregung, weil sich CDU/CSU womöglich doch mit den Grünen an den Koalitionstisch setzen und das Agrarressort "opfern" könnten. Die Sorge ist vorbei. Nicht vorbei sind aber sämtliche fachliche Probleme, in die diese Eintracht von Bauernverband und Bundesministerium die Bauern, die Landwirtschaft, die Agrarwirtschaft insgesamt geführt hat. Die Widersprüche wachsen mit dem zerstörerischen Strukturwandel, mit dem weiteren Machtzuwachs der Agrar- und Ernährungsindustrie und dem entsprechenden Bedeutungsverlust der Landwirtschaft selbst, die immer mehr in die Rolle des reinen Rohstoff-Lieferanten gerät. Umweltprobleme (z.B. Nährstofffracht), die Tierschutzdebatte, der Verlust an Wertschöpfung und Lebensqualität in den Dörfern - all das bleibt auch nach dieser Wahl bestehen. Genauso wie eine wache Zivilgesellschaft, die auf echte Lösungen drängt und sich weiter vernetzen wird, auf dem Land und in der Stadt.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 371 - November 2013, S. 12-13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2014