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BERICHT/237: Waterworld - Bedeutung der Meerespolitik für das Nord-Süd-Verhältnis (IntKom)


Verein für Internationalismus und Kommunikation e.V. (IntKom) - November 2009

Waterworld
Über die Bedeutung der Meerespolitik für das Nord-Süd-Verhältnis

Von Kai Kaschinski


"La mer
Qu'on voit danser le long des golfes clairs
A des reflets d'argent
La mer
Des reflets changeants
Sous la pluie

Das Meer
Das man entlang der klaren Golfe tanzen sieht
Hat silberne Spiegelungen
Das Meer
Sich verändernde Spiegelungen
Im Regen

­..."

Charles Trenet (1946)


Das Meer ist weit mehr als nur eine ungeheure Ansammlung von Wasser. Es weckt Träume. Ist voller unentdeckter Orte mit Raum für Utopien. Seine verborgene Seite kann genauso gut die Furcht vor dem Unbekannten schüren wie es den Drang erzeugen kann gerade dieses zu erkunden. Die Meere markieren die Grenzen unserer Welt, sie trennen die Kontinente voneinander und sind doch zugleich die wichtigste Verbindung zwischen ihnen. Dies wie auch vieles Andere macht die Meere seit Langem zu einem kulturellen und politischen Fixpunkt und zu einem zentralen Element der globalen Beziehungen.

Über die Ozeane kamen die Kolonisatoren. Entdecker suchten auf dem Seeweg nach den Schätzen unerforschter Kontinente. Handelsgesellschaften versprachen sich Reichtum durch die Eröffnung neuer Routen und Umschlagsplätze. Matrosen fanden zu Abertausenden einen nassen Tod. Walfänger durchstreiften auf der Suche nach Tran, Ambra und Fischbein die unwirtlichsten Plätze der Weltmeere. über den Atlantik spannte sich das Dreieck, das Menschen im Süden zu Sklaven und Menschen im Norden zu Sklavenhaltern machte. Und heute sind die Schifffahrtswege der Weltmeere mit ihren Containerriesen und Tankern die Schlagadern des globalen Warenverkehrs und seiner Ökonomie.


DIE MEERE ALS SCHLÜSSEL ZUR WELT

Als Schlüssel zur Welt sind die Meere politisch umstrittenes Terrain. Flotten führten bei Salamis, Lepanto, Trafalgar, am Skagerrak und bei den Midway-Inseln Schlachten um die Vorherrschaft zu See. In der Antike war es das Mittelmeer, das die Römer nicht umsonst ihr "mare nostrum" nannten, dessen Kontrolle über Aufstieg und Fall in Europa und Nordafrika entschied. Für die Hanse waren es später ihre Flotten auf Nord- und Ostsee, die ihren Erfolg begründeten. Keine Weltmacht hatte lange ohne eine entsprechende Macht zu See Bestand. Erst mit dem Untergang der Armada konnte der Aufstieg der neuen Kolonialmächte beginnen und der dann im 19. Jahrhundert so berühmte Satz "Britannia rules the waves" zu seiner Bedeutung gelangen. Wer die Welt wollte, brauchte das Meer. Dementsprechend naheliegend war es, dass Kaiser Wilhelm 1. seinen Traum vom "Platz an der Sonne" und deutschen Kolonien in Übersee durch ein Flottenprogramm verwirklichen wollte, das Großbritanniens Vormachtstellung auf den Weltmeeren in Frage stellen sollte.

Auch die ungewöhnliche Geschichte Japans, aus dem in kurzer Zeit statt einer Kolonie eine Regionalmacht in Südostasien wurde, begründet sich nicht unwesentlich auf dessen Seemacht. In der Seeschlacht bei Tsushima siegte die japanische Flotte 1905 über ein russisches Geschwader und entschied so den "Russisch-Japanischen Krieg", der Japans politische Position festigte und seine Unabhängigkeit wahrte. In Russland hingegen trug die Niederlage zum Ausbruch der "Russischen Revolution" von 1905 bei. Die Seemacht Japans und eine andere Perspektive auf die Geschichte des Kriegsverlaufs führten dazu, dass viele Menschen in Südostasien den Zweiten Weltkrieg, der aus europäischer Sicht vor allem ein Krieg zu Land war, auch heute noch als den "Pazifischen Krieg" bezeichnen.

Wird ein Blick auf die Überbleibsel der Kolonialzeit geworfen, so fällt neben vielem Anderem auf, dass die meisten der Kolonialgebiete, die europäische Staaten wie Frankreich und Großbritannien nicht oder erst sehr spät in die Unabhängigkeit entlassen haben, scheinbar unbedeutende Inseln an den unterschiedlichsten Punkten der Erde sind, Ihre Bedeutung erschließt sich vor allem in Hinsicht auf ihre geostrategische Lage für See- und Luftflotten. Die Kontrolle dieser Gebiete eröffnet weit mehr als den "Platz an der Sonne" an einem tropischen Strand. Nicht umsonst war einer der wenigen Seekriege, die zwischen Staaten des globalen Nordens und Südens geführt wurden, der 1982 entbrannte "Falkland-Krieg" um die gleichnamigen Inseln in Südatlantik und ihre Schlüsselposition auf der Südhalbkugel.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Hugo Grotius' heute noch bekanntes Werk "mare liberum" und seine Forderung nach der "Freiheit der Meere" schon bei seiner Entstehung 1609 eine ungemein kontroverse Publikation war. Seine Auftraggeber von der holländischen Ostindien-Kompanie wollten das, was die Spanier und Portugiesen seit längerem besaßen und die Briten sich gerade erkämpft hatten, den freien Zugang zum Meer und zur Welt. Grotius betrachtete die Meere als ein exterritoriales Gebiet, dessen Nutzung und Befahrung jedem zustand. Das britische Königreich konterte 1639 mit dem von John Selden aufgestellten Grundsatz "mare clausum" Grotius' "Freiheit der Meere" und versuchte damit den Status quo für die maritimen Großmächte zu sichern und den Aufstieg neuer Seemächte zu verhindern. Großbritannien gestand seinen neu erworbenen Status anderen Ländern nicht zu und erklärte die Rechte am Meer als vergeben. Ein Unterfangen, das nicht gelang. Bis in das 20. Jahrhundert hinein wurde international weitgehend die 1703 von Cornelis van Bynkershoek in seiner Schrift "De dominio maris dissertatio" formulierte Position anerkannt, dass die nationalen Territorialrechte bei drei Seemeilen enden, der Reichweite eines Geschützes. Darüber hinaus beschränkte sich das Seerecht auf die Sanktion von Meuterei und Piraterie. Lange Zeit war das Seerecht also vor allem ein Recht der Seefahrt. Die Seerouten sollten beherrscht werden, nicht die Ozeane selbst. Die Schiffe sollten ungehindert zwischen den Kontinenten verkehren können und der Handel sollte florieren. Die Ressourcen der Meere selbst wurden in erster Linie durch Fisch- und Walfang erschlossen. Da Fisch- und Walbestände aber bis in das 20. Jahrhundert hinein als unerschöpflich galten, erschien ihre Reglementierung unnütz. Das Meer war unermesslich, entscheidend war nur das notwendige Kapital zur Ausrüstung eines Fangschiffes aufzubringen. Was sich tief unter der Meeresoberfläche befand war ohnehin unerreichbar und lag allein dadurch jenseits des Interesses.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts traten dann einige wesentliche Änderungen an dieser Situation ein, die nun dazu beitragen, dass die Meerespolitik international deutlich an Bedeutung gewinnt. Der ungehinderte Zugang zu den Meeren ist bis heute die Voraussetzung zu globalem Handel. Globalisierung ist ohne den Seeverkehr, der rund 90 Prozent der Waren weltweit transportiert, nicht zu denken. So steht bis heute die Forderung nach einem freien ungehinderten Seeverkehr ganz oben auf der Agenda des Seerechts, aber unübersehbar sind andere relevante Fragestellungen hinzugekommen. Auf der einen Seite ist es die Umweltpolitik, die eine neue Sicht auf die Welt der Ozeane beigesteuert hat. Die Meere werden nicht mehr als die unerschöpfliche Ressourcenquelle angesehen. Ihre Bestände sind überfischt, ihr Wasser ist verschmutzt und ihre Küsten verschwinden unter Beton. Eine dauerhafte Nutzung und Erhaltung der Meeresökosysteme verlangt globale Umweltschutzmassnahmen. Daneben ist es die mit der Ausweitung der Globalisierung einhergehende allgemeine Verknappung von Rohstoffen, die das Meer ins Blickfeld rückt. Technische Entwicklungen und die Etablierung der Ozeanografie als Wissenschaft haben die natürlichen Reichtümer der Meere ausbeutbar gemacht. Sie können geborgen und an die Oberfläche geholt werden. Etwas das heute kaum verwunderlich erscheint, aber vor wenigen Jahren noch in weiter Ferne lag.


DAS UN-SEERECHTSÜBEREINKOMMEN

Die Seerechtskonferenzen der UN von 1956, 1960 und 1972 wie auch die daran anschließenden internationalen Verhandlungen im Bereich der Meerespolitik dokumentieren diese Veränderungen. Vor der ersten UNCLOS-Konferenz ("United Nations Convention on the Law of the Sea") 1956 hatten bereits eine Reihe von Staaten ihre Territorialgebiete bis zu 200 Seemeilen weit in die internationalen Gewässer ausgedehnt. Es bestand Klärungsbedarf. Die Verhandlungen um eine einheitliche Regelung zur Nutzung der Meere und ihres rechtlichen Status sollten jedoch bis 1994 andauern. In diesem Jahr trat das heute geltende Seerechtsübereinkommen der UN in Kraft. Sie ist das Ergebnis der dritten UNCLOS-Konferenz, die 1972 eröffnet wurde. 1982 nach zehn Jahren zäher Verhandlungen war das Vertragswerk schließlich unterschriftsreif, doch sollten noch einmal mehr als zehn weitere Jahre mit verbissenen Debatten und nachträglichen Vertragsänderungen bis zur eigentlichen Ratifizierung vergehen. Erst dann waren endlich auch große Industriestaaten bereit dem hart umstrittenen Kompromiss mit dessen Ratifizierung ihre Zustimmung zu geben. Nachdem bis 1993 zwar über 50 Staaten aus dem globalen Süden dem Vertrag beigetreten waren, hatten bis dahin aus dem Norden nur Island und Malta zugestimmt. 1994 traten als erste große Industriestaaten Australien und Deutschland dem Vertrag bei. Als bisher letzter von insgesamt 158 Staaten kam 2009 die Schweiz hinzu. In der Zwischenzeit war ein weit gespanntes Netz internationaler Abkommen und Institutionen zur Verwaltung der Meere geknüpft worden.

Nur am Anfang war es ein Streit um die Kontrolle der Seewege und der Fischereizonen gewesen, der für Unruhe in den internationalen diplomatischen Gewässern gesorgt hatte. Am Ende waren es aber nicht die Fischkriege vor Island, Norwegen oder an der südamerikanischen Küste, die den ganzen Prozess dermaßen in die Länge zogen, sondern der Streit um die Rohstoffe am Meeresboden. Die Streitigkeiten um die Fischereizonen ließen sich durch eine allgemeine Ausdehnung der nationalen Wirtschaftszonen auf 200 Seemeilen schlichten. Ebenfalls geklärt werden konnten die Fragen zum Seeverkehr. Meerengen und Wirtschaftszonen dürfen frei befahren werden und Marineschiffe genießen überall Immunität. Dem Kalten Krieg gebot das übereinkommen damit keinen Einhalt. Machtdemonstrationen und militärische Unternehmungen auf See wurden durch die Erklärung der Hohen See zu einer Friedenszone nicht eingeschränkt. Auch die Vereinbarungen zum Meeresschutz konnten sich im Fahrwasser der entstehenden internationalen Umweltpolitik durchsetzen. Die neu entdeckten Ressourcen der Tiefsee und die Verhandlungen über die entsprechenden Nutzungsrechte hingegen entfachten Konkurrenzkämpfe und zeigten, dass das politische Interesse am Meer nicht mehr an dessen Oberfläche hält machte.

Obwohl die USA nie das UN Seerechtsübereinkommen unterzeichneten, betrachtete Henry Kissinger die Konvention dennoch als das bedeutendste Abkommen in der Geschichte der Menschheit. Die Ozeane und ihre Ressourcen wurden 1982 mit Artikel 136 der Konvention zum gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt. Ein Erbe, das gerecht aufgeteilt und für zukünftige Generationen bewahrt werden soll. Ein Gemeingut, das zwar internationaler Verwaltung unterliegt aber nicht in nationalen Besitz übergehen kann und damit einen transnationalen Charakter innehat. Selbst die festgelegte "Ausschließliche Wirtschaftszone" ist im Sinne der Konvention nur der Verwaltung und wirtschaftlichen Nutzung des jeweiligen Staates übergeben und nicht Teil seines Territoriums. Die "Freiheit der Meere" war nun im ursprünglichen Sinne der Konvention zumindest auf dem Papier kein Recht des Stärkeren mehr. Verschiedene Verfahrensweisen und Institutionen zur friedlichen Regelung möglicher Konflikte auf See wie der heute in Hamburg ansässige "Internationale Seegerichtshof" wurden eingerichtet. Die seit 1996 auf Jamaika arbeitende "Internationale Meeresbodenbehörde" wurde geschaffen um eine Beteiligung der ökonomisch und technologisch schwächeren Länder des Südens am Reichtum der Meere zu gewährleisten. Technologie-, Wissens- und Geldtransfers soll die Behörde organisieren damit ungleiche Ausgangsbedingungen und eventuelle Nachteile bei der Nutzung des gemeinsamen Erbes abgebaut werden.

Genau dieser Punkt des Abkommens war es aber, an dem der Streit um die Nutzung der Tiefsee-Ressourcen eskalierte und der die jahrelange Ablehnung des Seerechtsübereinkommens seitens der Industrieländer nach sich zog. Erst die Nachverhandlungen und das "übereinkommen zur Durchführung des Teiles XI des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen" von 1994, das die Mechanismen zur Durchsetzung einer gerechten Verteilung der Meeresressourcen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern durch eine Reihe von Ausnahmen wieder beträchtlich einschränkte, sicherte die weltweite Zustimmung zum Übereinkommen. Die Industriestaaten waren nicht bereit auf dem Meer eine ökonomische Ordnung zu etablieren, die die weltweite Ungleichheit an diesem Ort tendenziell hätte einebnen können.


DAS MEER ALS GEMEINGUT

Eingebracht hatte Arvid Pardo, UN-Botschafter Maltas, die Idee vom "Meer als gemeinsamen Erbe der Menschheit" 1967 zu einer Zeit als die Dekolonisierung die meisten Teile der Erde erfasst hatte und sich viele Länder des Südens in der Bewegung der Blockfreien organisierten. 1958 beim Abschluss von UNCLOS II waren viele der Staaten des Südens noch Kolonien gewesen und hatten noch gar nicht die Chance ihre Positionen in das internationale Seerecht einzubringen. 1972 aber hatte die Bewegung der Blockfreien starken Einfluss auf die beginnenden Verhandlungen zum neuen Seerechtsübereinkommen und konnte eine gerechte Verteilung der Meeresressourcen einfordern und zunächst auch im Vertragswerk verankern.

Kurz zuvor hatte die Meerespolitik eine wichtige Rolle bei den Ost-West-Abrüstungsverhandlungen gespielt und war damit bereits ins internationale Blickfeld gerückt. Nachdem die USA und die Sowjetunion in den 60er Jahren begonnen hatten U-Boote mit Atomraketen zu bestücken, waren die Ozeane Teil der strategischen Atomwaffenplanungen geworden. Der "Vertrag über das Verbot der Anbringung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und im Meeresuntergrund" (Seabed Treaty) schrieb 1971 fest, dass auf und unter dem Meeresboden keine Massenvernichtungswaffen stationiert werden dürfen. Während früheren meerespolitischen Abkommen zur Seefahrt, der wissenschaftlichen Erforschung der Meere oder der Fischerei der transnationale Ansatz der Konvention und der Idee vom "Meer als gemeinsamen Erbe der Menschheit" fehlte, wurde er im Meeresboden-Vertrag in Ansätzen sichtbar.

Erst in den 70er Jahren setzte jedoch eine Bewegung ein, die einer Perspektive des Gemeinguts, wie sie die Länder des Südens dann in Bezug auf die Meerespolitik einnahmen, auch im Norden zu politischer Relevanz verhalf. Während die Verhandlungen des Seerechtsübereinkommens gerade begannen, wurden im Rahmen der UN zwei Abkommen zum Schutz der Meeresumwelt auf den Weg gebracht. Das "Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen" (London Convention) von 1972 und das "Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe" (MARPOL) von 1973 waren ein Ausdruck des sich verbreitenden Umweltschutzgedankens. Auch die Umweltschutzbewegung bezog sich auf die Idee vom gemeinsamen Erbe der Menschheit. "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt" ist bis heute ein Leitmotiv der Umweltschutzbewegung geblieben. 1972 begann nicht nur der Verhandlungsprozess des Seerechtsübereinkommens, es war zugleich das Jahr in dem die erste Umweltkonferenz der UNO stattfand und von Apollo 17 das berühmte Foto "Blue Marble", das erste Bild vom "Blauen Planeten", aus dem All aufgenommen wurde. Diese "Blaue Murmel", die heute das Sinnbild für die Meereswelt und unseren Planeten schlechthin darstellt, wurde zunächst zum Symbol der internationalen Umweltbewegung. Mit der Verknüpfung von Meeres- und Umweltpolitik in der internationalen Politik wie auch auf Ebene sozialer Bewegungen setzte sich ein globaler Blick durch, der half die Idee vom Gemeingut im Seerechtsübereinkommen zu verankern. Umwelt- und Meerespolitik sind in der öffentlichen Wahrnehmung also keineswegs nur zufällig bis heute eng miteinander verknüpft.

Während die Umweltpolitik jedoch in den 80er und 90er Jahren zu einem zentralen Feld der internationalen Politik wurde, steckte das Seerechtsübereinkommen noch in seinen politischen Kontroversen fest. Die politische Situation im Süden veränderte sich zugleich aber drastisch. Das große Versprechen auf Fortschritt und Entwicklung löste sich nicht ein. Im Gegenteil, die Entwicklungsmodelle scheiterten, die Verschuldung vieler Staaten nahm in den 1980er Jahren dramatisch zu und ihr politischer Bewegungsspielraum wurde durch neue strukturelle ökonomische Abhängigkeiten eingegrenzt. Trotz des Seerechtsübereinkommens lag eine gleichberechtigte Erschließung der Meere für die Länder des Südens in weiter Ferne. Weder nach einer ganzen Reihe weiterer Abkommen zur Meerespolitik in den 80er und 90er Jahren, noch nach der späten Ratifizierung des Übereinkommens wurde der Gedanke vom Meer als Gemeingut zum Grundsatz internationaler Politik. Politische Utopien wie sie Elisabeth Mann Borgese in ihrem 1985 im Auftrag des "Club of Rome" geschriebenen Bericht "Die Zukunft der Weltmeere" formulierte und die den Gedanken von den Meeren als gemeinsamen Erbe der Menschheit auch in seiner sozialen Dimension aufgriffen, führen lediglich ein Schattendasein. Weder die Weltmeere im Allgemeinen noch das Seerecht im Speziellen konnten ihrer Rolle als Hoffnungsträger für eine Entwicklung, wie sie in der Einleitung zum Seerechtsübereinkommen formuliert ist, bisher gerecht werden: "Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens [...] überzeugt, daß die in diesem Übereinkommen verwirklichte Kodifizierung und fortschreitende Entwicklung des Seerechts zur Festigung des Friedens, der Sicherheit, der Zusammenarbeit und der freundschaftlichen Beziehungen zwischen allen Nationen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung beitragen und den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker der Welt in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen fördern werden ..."


DIE GEGENWART DER WELTMEERE

Elisabeth Mann Borgese hob drei Bereiche der Meerespolitik in ihrem Bericht hervor, die für sie wesentliche globale Entwicklungsoptionen für die Zukunft beinhalteten. Dies waren die Aquakultur, die Offshore-Förderung von Rohstoffen und die Gewinnung von regenerativen Energien aus dem Meer. Sowohl die Aquakultur als auch die Nutzung des Meeres als regenerative Energiequelle standen damals gerade am Anfang. Die Offshore-Förderung hingegen wurde insbesondere mit der Erschließung der Erdölfelder auf der Nordsee bereits in den 70er Jahren stark vorangetrieben. Die Errichtung der Ölplattformen war eine Reaktion auf die erste Erdölkrise, die eine unabhängigere europäische Ölversorgung politisch vorteilhaft erscheinen ließ und die teuren Anlagen auf See ökonomisch rentabel machte. Ebenfalls schon in den 70er Jahren wurden aufgrund der in Folge der Krise steigenden Preise für mineralische Rohstoffe die ersten Versuche zur Förderung von Manganknollen aus der Tiefsee unternommen. Während der Mineralienabbau in der Tiefsee schon nach sehr kurzer Zeit aus ökonomischen Gründen eingestellt wurde, expandierte die Offshore-Gewinnung von Erdöl bis auf aktuell ca. 25 Prozent der gesamten Ölfördermenge. Die Aquakultur, die erst später deutlich ausgebaut wurde, hat mittlerweile einen Anteil von über 20 Prozent an der weltweiten Fischproduktion. Sie gilt als das am stärksten wachsende Feld des gesamten Ernährungssektors. Die Gewinnung regenerativer Energien aus oder auf dem Meer ist der Bereich, der zuletzt merklich ausgebaut und vorangetrieben wurde. Die Anlage von Offshore-Windparks ist hier das wahrscheinlich bekannteste Beispiel. Vor Kurzem sind vor der deutschen Küste mehrere Windpark-Projekte genehmigt worden und das erste von ihnen, "Alpha ventus", befindet sich in Bau. Damit holt Deutschland als Staat, der über die weltweit größten Kapazitäten von Windenergie an Land verfügt, eine Entwicklung nach, die andere europäische Staaten ein paar Jahre zuvor begonnen haben. "Die Zukunft der Weltmeere" hatte jedoch nicht auf die Erhaltung des ökonomischen und gesellschaftlichen Status quo durch die Erschließung neuer Rohstoffquellen abgezielt. Im Vordergrund stand für Mann Borgese der gemeinsame Nutzen, den das Meer für die gesamte Menschheit haben sollte sowie der gemeinsame Schutz dieses Erbes. Letztlich sollte ein anderer Blick auf das Meer auch das Denken über unser Leben beeinflussen.

Jenseits der neuen ökonomischen Projekte gelang von den durch Elisabeth Mann Borgese behandelten maritimen Zukunftsfragen nur noch der Umweltproblematik mit dem Rückenwind ihres globalen Bedeutungszuwachses der Sprung vom Land ins Meer. Der Meeresschutz konnte sich dauerhaft neben den klassischen Feldern der Meerespolitik, der Seefahrt und der Fischerei, auf internationaler Ebene festsetzen. Im Rahmen des "Regional Seas Programme of UNEP" wurden bis in die 90er Jahre hinein verschiedene regionale Abkommen zum Schutz der Meeresumwelt geschlossen. Nun ist es insbesondere die Klimafrage, die in das Blickfeld der Ozeanografie und des Meeresschutzes geraten ist. Schon 1990 nach den ersten größeren Debatten um den Klimawandel wurde "AOSIS", ein Bündnis kleiner Insel- und niedrig liegender Küstenstaaten gegründet. In der Organisation haben sich eine ganze Reihe von Staaten aus dem globalen Süden zusammengeschlossen um Maßnahmen gegen die Auswirkungen der globalen Erwärmung und die Bedrohung durch einen beschleunigten Meeresspiegelanstieg voranzutreiben. Es sind vor allem Themen des Meeresschutzes wie der Meeresspiegelanstieg oder die Überfischung der Weltmeere, die globale Aspekte der Meerespolitik immer wieder in die öffentliche Diskussion bringen und dabei zumindest in Ansätzen entwicklungspolitische Probleme berücksichtigen. Andere im Kontext der Globalisierung relevante Entwicklungen auf den Meeren werden kaum als Teil des Nord-Süd-Verhältnisses wahrgenommen.

Selbst der Seeverkehr wird meist nur als ein Randphänomen des globalen Handels verstanden. Werden allerdings die Analysen zur Geschichte der Globalisierung und ihren Voraussetzungen näher betrachtet, muss sich diese Einschätzung verändern. Die Modernisierung und Rationalisierung des Seeverkehrs ist eine der Grundlagen, auf denen die Globalisierung aufgebaut ist. 1956 war in den USA das erste Containerschiff gebaut worden und 1960 hatte der Erfinder des Containers, Malcom Mclean, seine Reederei "Sea Land" gegründet. Bis zu Beginn der 80er Jahre waren die zentralen weltweiten Seeverkehre für Stückgut auf den Containerdienst umgestellt. Heute werden über 90 Prozent des Warenhandels über See abgewickelt, wovon 37 Prozent auf Tanker, rund 36 Prozent auf Massengutschiffe und rund 13 Prozent auf Containerschiffe entfallen. Ohne den Seeverkehr und einen kostengünstigen, durch digitale Datenverarbeitung unterstützten Transport in global standardisierten Boxen und riesigen Tank- und Transportschiffen, gäbe es kein auch nur annähernd so hohes Handelsvolumen. Die Sicherstellung eines freien Warenverkehrs und seine Effizienzsteigerung hatten jedoch entgegen den Prognosen des sich in den 1980ern durchsetzenden Neoliberalismus keine generell positiven Effekte auf die Ökonomien des Südens. Die Seerouten bilden lediglich die Strukturen der internationalen Arbeitsteilung ab und ihre Anlaufpunkte, die Häfen mit ihrem jeweiligen Hinterland, verweisen als Knotenpunkte einer globalisierten Ökonomie nicht nur auf die daran Beteiligten, sondern zugleich auf die Unbeteiligten. Der Seeverkehr verdeutlicht die Ströme von Rohstoffen und Produkten, die global gehandelt werden und die Orte an denen dies geschieht. Wer nicht die notwendigen technologischen, finanziellen oder eben auch logistischen Voraussetzungen zur Verfügung hat, ist von diesem Warenstrom ausgeschlossen. Anders als in Bezug auf die natürlichen Ressourcen der Hohen See war es weder Ziel des Seerechtsübereinkommens die Möglichkeit zur Teilnahme am globalen Handel zu gewährleisten noch diesen gerecht zu gestalten. Auch die "Internationale Seeschifffahrts-Organisation" (IMO), eine seit 1959 tätige Sonderorganisation der UN, hat keinen Auftrag dieser Art. Die Organisation regelt lediglich die sozial- und umweltpolitischen Standards der Seefahrt an Bord und in den Häfen. In der Zwischenzeit ist diese Problematik durchaus erörtert worden und es sind vereinzelte Programme ins Leben gerufen worden, aber ihre Gewichtung im Vergleich zu anderen Fragen der internationalen Politik und des Nord-Süd-Verhältnisses ist immer noch nachrangig. Dabei ist das Vorhandensein einer funktionierenden Infrastruktur sowohl regional, in Hinblick auf einen Stadtteil oder die Anbindung des Landes an die jeweiligen Metropolen, als auch international eine Basis für eine sozial gerechte Verteilung.

Noch gravierender als den Seeverkehr aus entwicklungspolitischen Debatten auszublenden, ist es einem anderen Punkt keine Aufmerksamkeit zu schenken, der zurück zu den Konflikten um das Seerechtsübereinkommen führt. Wie schon angesprochen sind es vor allem die neuen Chancen für Offshore-Vorhaben und die Ressourcenfrage, die das Gesicht der heutigen Meerespolitik verändert haben. Ihr Zusammenspiel prägt die wesentlichen Dynamiken, die die Zukunft der Ozeane bestimmen. Im Kontext der Globalisierung und eines intensivierten Zugriffs auf Naturressourcen, der sich darüber hinaus durch das ökonomische Wachstum von Staaten wie China, Indien und Brasilien verschärft hat, rücken die Rohstoffvorkommen auf See zunehmend in den Focus entsprechender ökonomischer Begehrlichkeiten. Aufgrund dieser Situation wurde die wissenschaftliche Erforschung der globalen Naturgüter in den letzten Jahren auch auf See immer weiter ausgedehnt. Liefert die Meeresforschung einerseits wichtige Grundlagen für den Meeresschutz, so ist sie andererseits doch auch die Voraussetzung zur ökonomischen Erschließung der Ozeane. Es entspinnt sich ein Wettlauf um die Schätze am Meeresgrund, der nicht mehr an den Grenzen der Jeweiligen Wirtschaftszonen hält machen wird. Die zunehmende Knappheit an Ressourcen auf dem globalen Markt macht so den 15 Jahre zurückliegenden Streit um die Tiefsee-Rohstoffe und das Seerechtsübereinkommen wieder aktuell. Doch nur das notwendige technische Knowhow und Kapital machen es möglich an diesem Rennen teilzunehmen. Während Schwellenländer wie China mittlerweile durchaus über die notwendigen Voraussetzungen verfügen, treten die ärmeren Staaten der Welt nur als Lizenzgeber in diesem Konkurrenzkampf an und verkaufen die Rechte an ihren maritimen Rohstoffvorkommen auf dem Weltmarkt. So haben China und Korea wie Deutschland, Japan, Frankreich und Russland bei der "Internationalen Meeresbodenbehörde" im Pazifik Claims zur Förderung von Manganknollen aus der Tiefsee eingetragen. Angola hingegen hat die Ölreservoirs seiner Wirtschaftszone an den französischen Ölmulti "Total" abgetreten. Grenzkonflikte um die Festlegung der "Ausschließlichen Wirtschaftszonen", die jahrelang im Hintergrund gärten und zunächst keine praktische Relevanz besaßen werden im Rahmen dieser Entwicklungen akut und nehmen an Schärfe zu. Die Offshore-Aktivitäten, die bisher in erster Linie innerhalb der jeweiligen Wirtschaftszonen stattfanden, werden ausgedehnt. Sie sollen in neues, noch unbewirtschaftetes Terrain, an die Grenzen des Unbekannten vorstoßen. Es sind Vorhaben von Unternehmen, die staatlich gefördert werden, multinational agieren, aber in erster Linie betriebswirtschaftlich und gewinnorientiert entscheiden. Letztlich bleiben es also privatwirtschaftliche Eigeninteressen, die mit dem Argument der Rohstoffknappheit den Zugriff auf das gemeinsame Erbe der Menschheit legitimieren und vorantreiben. Andererseits sind diese Unternehmungen durchaus nationalstaatlich zu verorten. Sichtbar wird dies derzeit unter anderem in den Konflikten zwischen den Anrainern der Arktis um die Grenzziehung der Wirtschaftszonen in dieser Region. Aufgrund sich verstärkender Interessen an den Rohstoffen der Arktis, sind die bisher nicht gänzlich geklärten Grenzverläufe umstritten. 2007 platzierte die Russische Föderation nahe dem Nordpol in über 2000 Metern Meerestiefe sehr medienwirksam eine Nationalflagge um ihre Ansprüche zu dokumentieren. Ein ganz ähnlicher Konflikt lässt sich zwischen Japan und Südkorea beobachten. Die für die Regelung der Grenzziehung im Rahmen des Seerechtsübereinkommens eingerichtete "Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels" und der für die strittigen Fälle zuständige "Internationale Seegerichtshof" rechnen mit über 100 Fällen, in denen weltweit eine entsprechende Klärung noch aussteht.


DIE ZUKUNFT DER WELTMEERE

Die Meerespolitik, die in der Zivilgesellschaft wie auch in der staatlichen Entwicklungspolitik noch wenig Berücksichtigung findet, hat seit der Jahrtausendwende innerhalb der EU stark an Gewicht gewonnen. Der 20. Mai wurde zum offiziellen, doch bisher wenig beachteten "Europäischen Tag des Meeres". Mit dem Forschungsprogramm "Ozean von morgen" sind 2009 34 Millionen Euro an Fördergeldern für multidisziplinäre maritime Forschungsvorhaben bereitgestellt worden. In erster Linie sind aber eine ganze Reihe von Konzepten verabschiedet worden, die die Meerespolitik der Mitgliedsstaaten wie auch die unterschiedlichen Politikfelder aufeinander abstimmen sollen. Das "Integrierte Küstenzonenmanagement", das "Grüne Buch", und das "Blaue Buch" zählen hierbei zu den wesentlichen Papieren. Dabei handelt es sich um Konzepte, die die unterschiedlichsten Aspekte der Meerespolitik thematisieren und verdeutlichen, wie abhängig die europäischen Gesellschaften vom Meer sind. Sie fordern dazu auf, die Meerespolitik auf die politische Agenda zu setzen und ihre Bedeutung zu erfassen. Begleitet werden sie von einer wachsenden Anzahl an Programmen in einzelnen Fachgebieten der EU-Kommission, wie zum Beispiel der "Meeres-Rahmenkonvention", die auf den Meeresschutz zielt. Entwicklungspolitische Fragestellungen finden innerhalb dieser Konzepte jedoch so gut wie keine Erwähnung. Das Meer wird aus sozialer, umweltpolitischer und ökonomischer Perspektive betrachtet, nicht aber aus einer internationalen. Das Anliegen eine gemeinsame Nutzung der Meere zu fördern, endet an den Grenzen der EU.

Die Praxis der internationalen Meerespolitik der EU-Politik konkretisiert sich am Beispiel der Fischereipolitik. Die "Gemeinsame Fischereipolitik" der EU setzt unter anderem die Vereinbarungen des Seerechtsübereinkommens zum Schutz der lebenden Ressourcen der Meere um und bildet den Rahmen für den Abschluss von Fischereiverträgen zwischen der EU und Staaten aus dem Süden. Mit diesen Verträgen erwirbt die EU Fischereikonzessionen für die Wirtschaftszonen von Ländern vor Westafrika oder im Pazifik. Die Größe der EU-Fischereiflotte und die Überfischung der eigenen Gewässer treiben die Mitgliedsstaaten zur Suche nach solchen neuen Fanggründen an. Im Endergebnis erhalten die EU-Fischer damit für eine durch die EU subventionierte Zahlung, die weit unter dem Marktpreis der gefangenen Fische liegt, den Zugriff auf eine Ressource, die für viele Menschen im globalen Süden eine Grundlage ihrer Existenz ist. In Westafrika trägt dies dazu bei, dass die Erträge der lokalen Fischerei erheblich sinken und der Zugang zu einer Nahrungsquelle eingeschränkt wird, die weltweit und insbesondere in vielen ärmeren Küstenstaaten gut eine Milliarde Menschen versorgt. Hinzu kommt, dass es durch die Maßnahmen, die die EU zur Kontrolle der Fischerei in diesen Gebieten unterstützt, nicht gelingt, die illegale Piratenfischerei zu unterbinden. Deren Fänge landen über Umwege ebenfalls auf den Tellern von Kunden der reicheren Länder im Norden. Umfragen unter den Flüchtlingen aus Westafrika, die versuchen ins Territorium der EU zu gelangen, haben ergeben, dass 15 Prozent der Flüchtlinge zuvor in den zusammenbrechenden Fischereisektoren der Länder tätig waren. Insgesamt ist dies eine Politik, die aus vielen Richtungen kritisiert wird und die weder eine zukunftsweisende Perspektive für den Meeresschutz beinhaltet, noch den politischen Ansprüchen des Seerechtsübereinkommens entspricht.

Inwieweit sich die Meere als Ort einer gerechteren Form der globalen Verteilung und einer umweltfreundlicheren Form des Wirtschaftens durchsetzen können, entscheidet sich nicht unwesentlich an den hier zuvor dargestellten Fragen zum Seeverkehr, der Fischerei und den Offshore-Aktivitäten. Insbesondere der Offshore-Politik auf der Hohen See wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Trotz aller Einschränkungen besteht hier auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens die Möglichkeit, Problematiken des Nord-Süd-Verhältnisses mit weniger ungleichen Ausgangsbedingungen zu verhandeln. Das Abkommen und die "Internationale Meeresbodenbehörde" reglementieren mit der Hohen See ungefähr 60 Prozent der Erdoberfläche und die dort in der Tiefsee lagernden Ressourcen. Dies kann als Ansatz genutzt werden, um die Idee von globalen Gemeingütern und gerechten ökonomischen Strukturen zu thematisieren und in die Öffentlichkeit zu tragen. Um hierbei nicht in eine Defensive gegenüber ständig neu formulierten Ansprüchen zu geraten, die versuchen dieses gemeinsame Erbe der Menschheit anzugraben und auszuhöhlen, gilt es angesichts der aktuellen Entwicklungen zügig zu handeln.

Wie schon an anderer Stelle erscheint es bei dieser Thematik sinnvoll, eine Vernetzung zwischen der Umwelt- und Internationalismus-Bewegung herzustellen. Sowohl die inhaltlichen Gemeinsamkeiten in der Beschäftigung mit der Meerespolitik, als auch die praktischen Handlungsfelder und Ziele bieten eine Vielzahl an möglichen Kooperationen. Eine Auseinandersetzung mit der Zukunft der Hohen See ist ohne die Formulierung umweltpolitischer Positionen ebenso unschlüssig wie eine Kampagne zum Schutz der Tiefsee, die deren rechtlichen Status und die Bedeutung der Rohstoffpolitik für das Nord-Süd-Verhältnis ausklammert.

Aus internationalistischer Perspektive können bei künftigen Kampagnen zur Meerespolitik Fragen zur Umsetzung eines nicht gewinnorientierten Transfers von Wissen und Technologie, zur institutionellen Verwaltung der Meeresgebiete, zur Zweischneidigkeit globaler Umweltkontrollen sowie zur Gewährleistung einer gerechten Verteilung der natürlichen Ressourcen eine zentrale Rolle spielen. Fragen, die nicht nur für eine global gerechte Meerespolitik von Bedeutung sind, aber in diesem Zusammenhang aufgrund des transnationalen Charakters der Hohen See einen neuen Blickwinkel erfordern.

Gelingt es der Internationalismus-Bewegung sich das Thema Meerespolitik anzueignen, eröffnen sich ihr neue politische Ansatzpunkte, die das Verständnis für globale Probleme in der Öffentlichkeit insgesamt verbreitern können. Um dies zu erreichen muss jedoch zunächst das Wissen über die Meerespolitik und ihre Geschichte inner- und außerhalb der Bewegung vermittelt und diskutiert werden. Noch ist das Meer für die Zivilgesellschaft in politischer Hinsicht ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Was sich draußen auf Hoher See abspielt ist scheinbar weit weg, aber eben nur scheinbar.


Literatur

- Babbage, Ross, Sam Bateman (Hrsg.), Maritime Change. Issues for Asia, St. Leonards 1993.
- Chomsky, Noam, Wirtschaft und Gewalt, Lüneburg 2001.
- Ellis, Richard, Der lebendige Ozean. Nachrichten aus der Wasserwelt, Hamburg 2006.
- Englert, Birgit/Grau, Ingeborg/Komolosy, Andrea, Nord-Süd-Beziehungen, Wien 2006.
- Gröh, Walter, Freiheit der Meere. Die Ausbeutung des "Gemeinsamen Erbes der Menschheit", Bremen 1988.
- Hutchinson, Stephen, Lawrence E. Hawkins, Wissen neu erleben. Ozeane, München 2005.
- Inoue, Kiyoshi, Geschichte Japans, Köln 2002.
- Mann Borgese, Elisabeth, Die Zukunft der Weltmeere, München 1987.
- Mayer-Tasch, Peter Cornelius (Hrsg.), Meer ohne Fische? Profit und Welternährung, Frankfurt/M., New York 2007.
- Meere. Vom sorglosen Umgang mit einem endlichen Schatz, Politische Ökologie, Heft 111, 26. Jahrgang, München, 2008.
- Pfeiffer, Hermannus, Seemacht Deutschland. Die Hanse, Kaiser Wilhelm II. und der neue Maritime Komplex, Berlin 2009.
- Platt McGuinn, Anne, Ein neuer Umgang mit dem Meer, in: Zur Lage der Welt 1999: Daten für das Überleben unseres Planeten,
  herausg. Worldwatch Institute, Frankfurt/M. 1999.
- Schätzing, Frank, Nachrichten aus einem unbekannten Universum. Eine Zeitreise durch die Meere, Köln 2006.
- Schmitt, Carl, Land und Meer. Eine weitgeschichtliche Betrachtung, 6. Aufl. Stuttgart 2008.
- Schulz, Raimund, Die Antike und das Meer, Darmstadt 2005.
- Thema: Lebensraum- und Wirtschaftsraum Weltmeere. Das Parlament, Nummer 25, 56. Jahrgang, Berlin 2006.
- Tomczak, Matthias, Das Ende der imperialistischen Seeherrschaft naht. Das Weltmeer - seine Erforschung, seine Nutzung
  und der misslungene Versuch seiner endgültigen Plünderung, Frankfurt/M., 1977.
- Vitzthum, Wolfgang Graf (Hrsg.), Die Plünderung der Meere. Ein gemeinsames Erbe wird zerstückelt, Frankfurt/M. 1981.
- Wende, Peter, Das britische Empire. Geschichte eines Weltreichs, 2. Aufl. München 2009.
- Die Zukunft der Europäischen Union. Europas Meere: Geschützte Vielfalt oder Müllkippe und Selbstbedienungsladen?
  EU-Rundschreiben, herausg. vom Deutschen Naturschutzring (DNR) e.V., Heft 09/10, Jahrgang 13, Bonn 2004.


Internetquellen

www.un.org/Depts/los/index.htm
www.greenpeace.de
www.waterkant.info
www.wikipedia.de


Autor Kai Kaschinski arbeitet im "Verein für Internationalismus und Kommunikation" und hat sich an der Organisation des Projekts "Wem gehört das Meer?" beteiligt.
KONTAKT: verein.intkom@gmx.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Grafik: Die rechtliche Aufteilung der Meere 1
In dieser Grafik wird das Flächenverhältnis zwischen den Ausschließlichen Wirtschaftszonen der einzelnen Staaten und der Hohen See, dem gemeinsamen Erbe der Menschheit, veranschaulicht.


*


Quelle:
Wem gehört das Meer?, S. 6 - 17
Eine Informations- und Bildungsbroschüre zur Bildungspolitik 11/2009
Herausgeber und Redaktion:
Verein für Internationalismus und Kommunikation e.V.
Bernhardstraße 12, 28203 Bremen
Telefon: 0421/720 34, Fax: 0421/307 46 65
E-Mail: verein.intkom@gmx.de
Internet: www.intkom.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2010