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ENERGIE/1908: Chile - Mit Solarkraft zur autonomen Energieregion (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. August 2014

Chile: Mit Solarkraft zur autonomen Energieregion

von Marianela Jarroud


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Coyhaique, die Hauptstadt der südchilenischen Region Aysén, wird von schneebedeckten Wipfeln eingerahmt. Die Idylle zeigt nicht, dass dies die Stadt mit der größten Luftverschmutzung Chiles ist
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Coyhaique, Chile, 12. August (IPS) - Im patagonischen Aysén müssen die Menschen doppelt so viel Geld für Strom bezahlen wie im Rest des Landes. Schuld sind sie zum Teil selbst: Sie kochen und heizen fast zwölf Monate im Jahr mit Feuerholz. Coyhaique, die Hauptstadt der Region Aysén, ist daher die Stadt mit der höchsten Luftverschmutzung Chiles.

Dabei hat Aysén großes Potenzial, Energie auf natürliche Weise zu erzeugen: insbesondere durch Wind- und Wasserkraft. Doch gegen die großflächige Ausbeutung der Natur zur Produktion von Wasserkraft hat sich in den vergangenen Jahren die Mehrheit der Bevölkerung heftig gewehrt. Im Juni dieses Jahres kippte Chiles Präsidentin Michelle Bachelet schließlich das Projekt HidroAysén, das im Fokus der Proteste stand. Anstelle solcher Großprojekte will Aysén nun mit kleinen Energieanlagen autonome Energieregion werden.

"Man kann Aysén als das Mekka Chiles für Wasserkraft bezeichnen", sagt Peter Hartmann, Mitglied des 'Patagonischen Verteidigungsrates' und Gründer des Projekts 'Aysén - Quelle des Lebens', gegenüber IPS. "Aber die großen Konzerne haben hier ein Monopol geschaffen. Und schon jetzt wird ein großer Anteil des Treibstoffverbrauchs der Region einzig in die Energieproduktion gesteckt." Dadurch koste Benzin in Aysén doppelt so viel wie in den meisten anderen Regionen des Landes. Dadurch sei auch der Preis für Strom doppelt so hoch wie beispielsweise in der Hauptstadt Santiago.


Großprojekte gefährden die reiche Artenvielfalt

Gegen Großkraftwerke wie das jetzt gestoppte HidroAysén spricht, dass der riesige Bau, der benötigte Stausee und die gesamte Infrastruktur für das Projekt einen Großteil der Natur zerstört hätte. In Aysén, rund 1.500 Kilometer südlich von Santiago gelegen, hätte das besonders gravierende Auswirkungen. Die Region liegt mitten in Patagonien, einer für ihre Artenvielfalt von Flora und Fauna bekannten Gegend. Neben weltberühmten Gletschern ist Patagonien außerdem reich an immergrünen Wäldern, Fjorden, Seen und Flüssen.

Das im August 2007 vorgestellte HidroAysén-Projekt sah den Bau von fünf großen Staudämmen an den Flüssen Baker und Pascua auf einer Gesamtfläche von 5.910 Hektar vor. Geplant war zudem eine 1.912 Kilometer lange Stromleitung durch neun der 15 chilenischen Regionen. 2008 stimmten 32 der 34 zuständigen öffentlichen Einrichtungen gegen das Vorhaben. Insgesamt hätte das Projekt eine Leistung von 2.750 Megawatt erzielt und eine jährliche Kapazität von 18.430 Gigawattstunden erreichen sollen.

Umweltgruppen und einige Regierungsvertreter schlugen daraufhin als Präventivmaßnahme gegen das Großprojekt vor, für die südliche Region Aysén den Welterbestatus der Weltkulturorganisation UNESCO zu beantragen. Patagonien ist nicht nur wegen seines ungeheuren Artenreichtums ein Juwel. Es ist zudem eines der größten Wasserreservoirs der Erde.

Doch dieses Juwel ist nicht nur durch Großprojekte wie HidroAysén in Gefahr. Die regionale Hauptstadt Coyhaique ist die Stadt mit der größten Luftverschmutzung Chiles. Schuld sind die rund 50.000 Bewohner der Stadt selbst: Zum Kochen und Heizen nutzen sie Feuerholz, das häufig nass und moosbewachsen ist. Da die Temperaturen in Aysén fast das gesamte Jahr hindurch unter dem Gefrierpunkt liegen, wird das ganze Jahr über geheizt - und das Holz hat kaum die Möglichkeit, zu trocknen. Bei der Verbrennung entsteht nicht nur Kohlendioxid (CO2), sondern auch andere Gase, die die Luft stark verschmutzen und nicht nur für die Umwelt, sondern auch die Gesundheit der Menschen eine Gefahr darstellen.


Politik ist Teil des Problems

Die Politik trägt ihren Teil dazu bei, dass sich an der Situation nichts ändert: "Wenn jemand auf die Idee kommt, eine elektrische Heizung zu nutzen, muss er sofort ein Bußgeld zahlen. Elektrische Wärme gilt als Energieverschwendung", sagt Hartmann. "Diese Widersprüche versteht hier niemand."

Dazu komme, dass die Häuser in der Region meist schlecht isoliert seien. 9,9 Prozent der Bevölkerung gilt als arm. Das ist zwar weniger als der chilenische Durchschnitt, der bei 11,7 Prozent liegt. Doch in Aysén gelten 4,2 Prozent als extrem arm - der chilenische Durchschnitt liegt bei 3,7 Prozent. Doch selbst die vom Staat bezuschussten Häuser sind nicht ordentlich gedämmt. Hartmann spricht daher nicht vom "sozialen Wohnungsbau", sondern vom "Anti-sozialen Wohnungsbau".

Umgerechnet rund 7.000 US-Dollar zahlen Patagonier pro Jahr für das Heizen ihrer Häuser mit Holz. 32 Dollar müssen sie pro Kubikmeter für das nasse und moosbewachsene Gut zahlen. Wollen sie trockenes Feuerholz, das leichter brennt, müssen sie ganze 56 Dollar auf den Tisch legen.

17,6 Millionen Menschen leben in Chile. 97 Prozent der fossilen Energie, die die Menschen verbrauchen, muss das Land importieren. Ein Großteil des Treibstoffes wird zur Energieproduktion eingesetzt. Die Kosten für eine Megawattstunde Strom sind mit die höchsten in ganz Lateinamerika. 160 US-Dollar müssen die Chilenen blechen, in Peru sind es nur 55 Dollar, in Kolumbien 40 und in Argentinien lediglich zehn.


Setzen auf Sonne und Wind

Miriam Chible setzt daher wie ihre Mitstreiter auf Energiesouveränität. "Wir versuchen, in Aysén ein anderes Modell wirtschaftlicher Entwicklung zu erarbeiten", sagt die Witwe und Mutter von vier Kindern, die Mitglied des von Präsidentin Bachelet im April eingesetzten 'Beirats für Regionale Entwicklung und Dezentralisierung' ist. Statt großer Staudämme propagiert Chible sogenannte Mini-Wasserkraftwerke, vor allem aber Wind- und Solarkraft sowie Geothermie.

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Die Aktivistin Miriam Chible hat auf dem Dach ihres Restaurants Solarpanels installiert
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Erste Erfolge gibt es bereits. Eine Solar-Kooperative hat im August einen ersten Workshop zum Erfahrungsaustausch zu unkonventionellen Energiequellen gegeben. Und Chible selbst hat 24 Solarpanels auf dem Dach ihres Restaurants installiert. Jetzt sollen LED-Lampen organisiert werden, mit denen die Mitglieder der Kooperative ihre Glühbirnen zu Hause austauschen sollen. "Wir haben auch Stromzähler angeschafft, um überprüfen zu können, wie viel Energie wir pro Tag verbrauchen", sagt Chible.

Obwohl es in Teilen der Region viel schneit und das Thermometer selten über null Grad klettert, ist Photovoltaik eine probate Lösung, sagt der Energieminister von Aysén, Juan Antonio Bijit, gegenüber IPS. "Wir haben bis jetzt gute Erfolge mit Solarkraft erzielt." Er will außerdem weiter auf Wasserkraft setzen und verstärkt Windenergie nutzen. Doch vor allem will er die Bevölkerung der Region in die Planungen miteinbeziehen, wie Aysén seine Energieautonomie erreichen will. "Wir können nicht im stillen Kämmerlein nach Lösungen suchen und sie den Menschen vorsetzen. Die Menschen, die hier wohnen, sollen sich aktiv an Lösungen beteiligen." (Ende/IPS/jt/2014)


Links:

http://www.ipsnews.de/news/news.php?key1=2014-06-11%2013:43:14&key2=1
http://aysenreservadevida.blogspot.com/
http://www.ipsnews.net/2014/08/chiles-patagonia-seeks-small-scale-energy-autonomy/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2014