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FRAGEN/044: ver.di-Bundeskongress in Leipzig - Mehr inhaltliche Debatten notwendig (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 38 vom 20. September 2019
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

ver.di-Bundeskongress in Leipzig vom 22. bis 28. September
Mehr inhaltliche Debatten notwendig

Herbert Schedlbauer im Gespräch mit drei Delegierten


Im Vorfeld des ver.di-Bundeskongress sprach die UZ mit drei der Delegierten über ihre Erwartungen.

UZ: Welche Erwartungen habt ihr an den Bundeskongress?

Jan Schulze-Husmann: Ich bin sehr gespannt. Dieser Kongress steht im Zeichen des Umbruchs. Vor allem auf der personellen Seite, aber auch innerorganisatorisch. Zukünftig soll es statt dreizehn nur noch vier Fachbereiche geben. Aus dem Fachbereich Medien, Kunst und Industrie kandidiert Frank Werneke als Nachfolger für Frank Bsirske. Daran knüpfen sich natürlich viele Erwartungen an ein stärkeres inhaltliches Herangehen von Themen. Ich denke hier an solche Schwerpunkte wie Arbeitszeitverkürzung und den Kampf gegen den Rechtsruck in der Bundesrepublik. Da erwarte ich, dass meine Gewerkschaft Pflöcke setzt auf dem Bundeskongress.

Martin Körbel-Landwehr: Meine Hoffnung ist, dass wir diesmal auch ausreichend Zeit haben, um die Anträge zu diskutieren und zu entscheiden. Insbesondere zu den Fragestellungen Arbeitszeit, Personalbemessung und zum Thema Klima und Auswirkungen auf die Politik unserer Gewerkschaft.

Jürgen Senge: Wir müssen uns mehr um Themen bemühen, die die Gesellschaft bewegen. Hierzu zählt der Klimawandel und Umweltschutz. Die Belastungen am Arbeitsplatz sind gravierend. Eine Arbeitszeitreduzierung, die Vereinbarung von Familie und Beruf gehört dazu.

UZ: Welche Themen sind wichtig für die Stärkung von ver.di?

Jan Schulze-Husmann: Bei der Arbeitszeitverkürzung muss eine wöchentliche Verkürzung her. Wir brauchen eine offensive gesellschaftspolitische Herangehensweise mit einer bundesweiten Kampagne, wie es in vielen Anträgen deutlich gefordert wird. Hier besteht Nachholbedarf bei ver.di. Da waren wir über Jahrzehnte zu defensiv.

Martin Körbel-Landwehr: In den Betrieben ist es nötig, wieder über Arbeitszeitverkürzung zu reden. Gesellschaftspolitisch brauchen wir dazu eine ver.di-Kampagne. Dabei muss klargemacht werden, dass die Frage der Arbeitszeitverkürzung immer mit einer gleichzeitigen Personalbemessung verknüpft sein muss, da sie ohne einen entsprechenden Personalausgleich wirkungslos ist.

Jürgen Senge: Die durchgeführte Umfrage im Öffentlichen Dienst, welche Arbeitszeitmodelle man sich dort vorstellt, geht gar nicht auf die tatsächlichen Bedürfnisse ein. Die Fragestellungen orientieren auf Lebensarbeitszeitkonten. Was wir brauchen ist aber eine tägliche Entlastung. Wer während seines Berufslebens gesundheitlich am Ende ist, dem hilft eine Lebensarbeitszeitverkürzung erst recht nicht mehr.

UZ: Weitere Schwerpunkte werden sein ??

Jan Schulze-Husmann: Ganz wichtig sind Frieden und Abrüstung. Hier müssen alle Gewerkschaften stärker nach außen wirken. Eine konsequente Aufklärung und Mobilisierung gegen Rechts entwickeln und nicht nachlassen, dies auch immer wieder zu diskutieren und dafür auf die Straße gehen. Hierzu gehört zu analysieren, warum prozentual mehr Gewerkschaftsmitglieder AfD wählen als der Durchschnitt der Menschen.

Martin Körbel-Landwehr: Zu Frieden und Abrüstung gab es auf vergangenen Gewerkschaftstagen von ver.di eindeutige Beschlusslagen. Ich hoffe, dass wir nicht hinter diese Beschlüsse zurückgehen, sondern deutlich machen, dass die Erhöhung der Rüstungsausgaben jedenfalls keine Lösung für uns darstellt. Im Vordergrund muss meiner Meinung nach die Stärkung der Entwicklungspolitik stehen und nicht mehr Ausgaben für Rüstung. Die Rechtsentwicklung sehe ich als einen weiteren Schwerpunkt. Für mich steht aber nicht die formelle Auseinandersetzung mit der AfD im Vordergrund, sondern die inhaltliche in den Betrieben. Es geht darum, die Köpfe der Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen. Wie gelingt es, mit entsprechenden Diskussionen, die Parolen der AfD und anderer Rechter zu entlarven? Die Menschen müssen sich darauf besinnen, dass nur eine fortschrittliche Politik ihre Situation sowohl in der Gesellschaft als auch im Betrieb verbessert.

Jürgen Senge: Den Rechten keinen Raum gewähren. Sie haben in ver.di nichts zu suchen. ver.di muss in dieser Richtung sich noch mehr an Aktionen beteiligen. Das Thema gehört stärker durch Personal- und Betriebsräte wieder in die Betriebe. Da sitzt ein nicht geringer Teil der Wähler.

UZ: Wie sollte auf die bereits begonnene Digitalisierung reagiert werden?

Jan Schulze-Husmann: Die Digitalisierung der Arbeitswelt wird eine geschlossene Herangehensweise innerhalb der Gewerkschaften erfordern. Da diese eine zunehmend psychische Belastungen erzeugen wird. Die Arbeitskräfte, die übrigbleiben, also noch gebraucht werden für eine bestimmte Zeit, werden ein Vielfaches an Arbeit leisten müssen und eine zusätzliche Arbeitsverdichtung erleben. Darauf sind die Gewerkschaften in keiner Weise vorbereitet. Deshalb ist auch die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche mit vollem Lohn- und Personalausgleich in großen Schritten so notwendig, sonst wird das Heer der Arbeitslosen immer größer. Die wenigen, die noch Arbeit haben, würden abqualifiziert und gingen regelrecht auf dem Schlauch.

Martin Körbel-Landwehr: Da bin ich mir noch nicht schlüssig, welche Position wir einnehmen sollten. Vom Standpunkt der Beschäftigten aus ist dies differenziert zu sehen. Auf der einen Seite besteht die Gefahr einer permanenten Überwachung und Kontrolle von Menschen in dieser Gesellschaft. Aber es gibt auch in Folge der Digitalisierung Möglichkeiten zur Vereinfachung der Arbeitsprozesse. Wir wissen aber, dass die Arbeitgeber in erster Linie daran interessiert sind, die Digitalisierung zum Arbeitsplatzabbau zu nutzen, nicht zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Aus diesem Grund müssen wir uns auch tarifpolitisch stärker damit beschäftigen.

Jürgen Senge: Digitalisierung ohne große Arbeitszeitverkürzung bringt Massenarbeitslosigkeit und noch mehr Billigjobs. Das ist genau, was die Unternehmer wollen. Sie sind auch für eine individuelle Arbeitszeitverkürzung, weil es für sie am billigsten ist und auch keine Neueinstellungen erfordert.

UZ: Der Kongress wird sich einen großen Teil mit sich selbst beschäftigen. Das lässt viele Satzungsanträge vermuten.

Jan Schulze-Husmann: Aus dem Hut gezaubert wurde wieder die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre. obwohl die vor vier Jahren auf dem Bundeskongress 2015 schon abgelehnt wurde. Auch heute gelten immer noch dieselben Argumente. Wer ernsthaft mehr ehrenamtliche Arbeit fördern will, darf die Gremienarbeit vom Zeitraum her nicht verlängern. Wir haben schon heute große Probleme, ehrenamtliche Funktionen für vier Jahre zu besetzen. Bei fünf Jahren wird die "Verpflichtung" insbesondere bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen eher hemmend sein. Auch und gerade, was die innergewerkschaftliche Demokratie angeht, muss es deshalb bei vier Jahren bleiben.

Martin Körbel-Landwehr: Aus meiner Erfahrung heraus ist genau diese Innenbetrachtung von ver.di ein Problem. Nachdem wir uns in den vergangenen Jahren schon ständig mit den internen Veränderungsprozessen beschäftigt haben, müssen wir jetzt endlich davon wegkommen. Ich halte es für wenig förderlich, bei jedem Bundeskongress die gleichen Anträge zu stellen. Vor vier Jahren wurde bereits deutlich gemacht, dass man bestimmte Änderungen, wie zum Beispiel die Verlängerung der innergewerkschaftlichen Wahlperioden von vier auf fünf Jahre, nicht will.

Jürgen Senge: Also, dass mit der Verlängerung der Legislatur von vier auf fünf Jahre nervt langsam. Darüber haben wir lang und breit schon 2015 diskutiert. Hier geht es nur darum, Kosten zu sparen. Bei einer Verlängerung verliert man das Forum, dass Kollegen miteinander diskutieren und etwas verändern können. Die wesentlichen Weichenstellungen werden in den Gremien, Vorständen, auf Konferenzen, auch auf diesem Bundeskongress gestellt. Wer die Basis wirklich mitreden lassen will, wer glaubwürdig mehr Wert auf ehrenamtliche Arbeit legt, muss es bei der alten Regelung belassen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 52. Jahrgang,
Nr. 38 vom 20. September 2019, Seite 3
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2019

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