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GEWERKSCHAFT/296: Rollenoffset- und Tiefdruck - Gefangen im Strudel der Krise (Druck+Papier)


DRUCK+PAPIER Nr. 2/Mai 2010
Die ver.di-Branchenzeitung

Gefangen im Strudel der Krise

Finanzielle Hilfen der EU gibt es nur bei konstruktiver Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften - Überzählige Maschinen stilllegen

Von Michaela Böhm


Der Rollenoffset- und Tiefdruck ist in einem Strudel der Krise gefangen. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Jetzt wollen auch die Arbeitgeber die Branche neu strukturieren. Dabei soll die Europäische Union (EU) helfen. Das geht aber nicht ohne die Gewerkschaften. Doch noch gibt es keine Anzeichen, dass die Druckunternehmer etwas anderes tun als in der Vergangenheit: den durch die Krise verschärften ruinösen Preiskampf fortsetzen, die Folgen auf dem Rücken der Beschäftigten abwälzen und warten, bis der Konkurrenz die Luft ausgeht.


John Caris mag es schonungslos. Dürfte er sich eine Begleitmusik zu seinem Vortrag auswählen, würde er Donnergrollen wählen. Europas Rollenoffset- und Tiefdruckindustrie gleicht einem Schlachtfeld, sagt der Vorstandsvorsitzende des niederländischen Druckunternehmens Roto Smeets und Vertreter der Tiefdruckvereinigung ERA. Zeitschriften verlieren Leser, Kataloge werden dünner, Werbung wandert ab ins Internet. Dicke Kataloge, auflagenstarke Zeitschriften und massenweise gedruckte Werbung gehören der Vergangenheit an. Keine neue Entwicklung.

Die Unternehmen haben darauf reagiert, indem sie neue Maschinen gekauft haben. Breitere, schnellere. »Wir wollten der Kosten Herr werden. « Die Erklärung von Nikolaus Broschek, Aufsichtsrat bei Europas zweitgrößtem Tiefdruckkonzern Schlott, klingt nicht nur hilflos, sie ist es auch. Doch nicht nur Schlott hat so gehandelt. Zwischen 2005 und 2008 haben die europäischen Tiefdruckunternehmen 28 neue Maschinen aufgestellt. Und neue Werke eröffnet wie Europas Tiefdruck primus Prinovis in Liverpool. Wie Bauer in Polen oder Arvato in Italien.


Ein Drittel der Maschinenkapazität bleibt ungenutzt

Reichlich dürftig. So salopp drückt sich Heinz-Reiner Treichel, Professor für Druck- und Medientechnologie an der Bergischen Universität Wuppertal, natürlich nicht aus. Er sagt: »Solange ich meinen Kunden nicht mehr bieten kann als neue Maschinen, ist das Risiko groß, den Markt verlassen zu müssen.« Die Entwicklung des Internets hätten Druckunternehmer und Verleger allenfalls interessiert beobachtet. Statt neue Geschäftsfelder aufzubauen, haben sie zugeschaut, wie sich Andere die Werbeetats abgriffen. Ein Drittel der Maschinenkapazität bleibt ungenutzt. Was fehlt, sind die Aufträge. Mindestens eine Million Tonnen Papier könnten in ganz Europa zusätzlich bedruckt werden. Die Finanz- und Wirtschaftskrise verstärkt unterdessen die Misere. Die Kunden, etwa Verlags- und Versandhäuser, profitieren davon und drücken kräftig die Preise. Und die Druckunternehmen reagieren, indem sie Werke schließen wie Bauer in Köln, Burda in Bratislava und Prinovis in Darmstadt, indem sie Arbeitsplätze abbauen, Leute entlassen und das Einkommen der Beschäftigten drücken.

Was tun? Alles muss reduziert werden, findet John Caris von Roto Smeets. Die Überkapazitäten und die Zahl der Beschäftigten. Aber bitte sozialverträglich. Dabei schielt er wie andere Arbeitgeber auch auf den Europäischen Globalisierungsfonds, einen Millionen schweren Fördertopf, den EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor gut vier Jahren durchsetzte. Um ein »Zeichen der Solidarität« zu setzen.

Mit 50 Mio. Euro jährlich will die Kommission denen helfen, die ihren Job verlieren, weil ein Unternehmen dichtmacht, eine Fabrik in ein Billiglohnland verlegt oder weil die Finanz- und Wirtschaftskrise zuschlägt. Das Geld soll den Geschassten helfen, wieder Arbeit zu finden. Aber dafür müssen sie erst einmal entlassen werden. Und zwar in Massen. Brüssel hilft erst, wenn mindestens 500 Menschen in einem Unternehmen oder in einer Branche in einer Region die Arbeit verlieren.


»Wo der Arbeitsmarkt nichts hergibt, sind wir machtlos«

Wie Harry Albich, 54, Elektriker. Er ist so ein Globalisierungsopfer. Fast 14 Jahre hat er bei Nokia eine vollautomatische Anlage gefahren. Bis der finnische Handyhersteller im Juni 2008 das Werk in Bochum schließt. Albich landet bei der Transfergesellschaft Peag. Man kümmert sich um ihn. Was kann er? Profilanalyse. Was braucht er? Einen Kurs. Stellen suchen, Bewerbungen schreiben, »das war in Ordnung«. Rund 60 Mal bewirbt er sich und erhält genauso viele Absagen.

Albich ist nicht der einzige von Nokia, der trotz maßgeschneidertem Training, mit 5,6 Millionen Euro aus Brüssel finanziert, noch arbeitslos ist. Fast 1.400 Ex-Nokianer hat Peag in Trainings geschickt. Davon sind noch immer mehr als zwei Drittel arbeitslos. »Eine sehr schlechte Quote«, sagt Angelika Preiß von Peag. Was daran liege, dass die letzten Stellen besetzt worden seien von den Ex-BenQ-Leuten des taiwanesischen Mobiltelefonunternehmens, das die Menschen in Bocholt und Kamp-Lintfort arbeitslos gemacht hat. Die Krise habe ihr übriges getan. Preiß: »Wo der Arbeitsmarkt nichts hergibt, sind auch wir machtlos.«

Den Globalisierungstopf anzuzapfen, sei jedoch kein Mittel, um sich um den Sozialplan zu drücken, macht Sabine Baum vom Bundesarbeitsministerium klar. Das Geld aus Brüssel fließe erst, wenn andere Maßnahmen, etwa aus dem Sozialplan und von der Bundesagentur, ausgeschöpft seien. Und doch mag es manch einen Unternehmer veranlassen, sich beim Sozialplan knauserig zu geben und auf den Globalisierungstopf zu verweisen.

Geld aus Brüssel mag dem Einzelnen helfen, wieder Arbeit zu finden, und Entlassungen als sozialverträglich zu etikettieren, eine Lösung für die Branche ist es nicht. Das wissen auch die Arbeitgeber und möchten, dass die Europäische Union sie bei der Restrukturierung unterstützt. Natürlich »in sozialer Verantwortung«. Der Zusatz darf nicht fehlen. Denn will man Unterstützung von der Europäischen Kommission, sind immer beide gefragt, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften. Deshalb ist passiert, was bis vor kurzem undenkbar war: Die europäischen Druck-Arbeitgeber Intergraf und der gewerkschaftliche Dachverband UNI graphical arbeiten zusammen. Mit von der Partie sind ver.di und Gewerkschaften aus anderen europäischen Ländern.

Die Arbeitgeber wollen vor allem eins: einen eigens für die Druckindustrie geschaffenen Strukturfonds. Kurzum: finanzielle Unterstützung aus Brüssel. Dem könnte auch Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Vorsitzender, etwas abgewinnen. Aber eine Finanzspritze sollten nur die Druckunternehmen erhalten, die tatsächlich Maschinen stilllegen. Und zwar für immer. Und nur dann, wenn Konzerne nicht gleichzeitig woanders neue Fabriken hinstellen. Wenn Tarife eingehalten und Arbeitszeiten verkürzt werden und möglichst wenig Menschen ihre Arbeit verlieren.


ver.di-Vertreter kritisieren Unverbindlichkeit des Treffens

Doch davon sind die Druck-Arbeitgeber weit entfernt. Während der europäische Druck-Arbeitgeberverband Intergraf den ersten gemeinsamen Workshop von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gewerkschaften im März in Mailand als Erfolg bezeichnet, weil über die Probleme der Druckindustrie offen diskutiert wurde, kritisieren die ver.di-Teilnehmer die Unverbindlichkeit des Treffens. Es gab kein Papier, in dem man sich auf gemeinsame Positionen verständigt hätte, so ver.di-Vertreter Achim Schulze. Und der Betriebsratsvorsitzende von Prinovis in Itzehoe, Roland Koesling, fragt sich, ob der Workshop mehr war als Augenwischerei. »Der Dreh- und Angelpunkt ist doch, die überzähligen Maschinen auf Europas Druckmarkt stillzulegen. Aber darüber wurde in Mailand kein Wort verloren.«

Und so bleibt es - vorerst jedenfalls, wie es immer war: Die Druckunternehmen krempeln ihre eigenen Betriebe um, bauen Personal ab, kürzen am Einkommen der Beschäftigten und halten ihre Maschinen startbereit. Um sie sofort für den nächsten Großauftrag in Gang zu setzen, wenn ein Konkurrent im Sog des Preisdumpings und ruinösen Wettbewerbs untergegangen ist und den Betrieb dichtgemacht hat.


Die Großen dominieren

Zwar beschäftigen 95 Prozent der mehr als 130.000 Druckunternehmen in Europa weniger als 50 Menschen. Doch dominiert wird die Druckindustrie von den großen. Das ist in Deutschland nicht anders. Hier befinden sich rund 36 Prozent der europäischen Tiefdruck- und etwa ein Viertel der Rollenoffsetkapazitäten. In den großen Betrieben in Deutschland arbeitet fast die Hälfte aller Beschäftigten der Druckindustrie, und in den großen Betrieben gehen auch die meisten Arbeitsplätze verloren.


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Quelle:
DRUCK+PAPIER Nr. 2/Mai 2010, S. 3
Die ver.di-Branchenzeitung, 148. Jahrgang
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Bundesvorstand / Fachbereich Medien, Kunst und Industrie
Frank Bsriske und Frank Werneke
Redaktion: Henrik Müller (verantwortlich)
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DRUCK+PAPIER erscheint für die Mitglieder der
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regulär fünf Mal als Beilage zur
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2010