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INTERNATIONAL/042: Brasilien - Eisenbahn für den Nordosten, Entlastung für Soja-Straßentransport (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. August 2011

Brasilien: Eisenbahn für den Nordosten - Entlastung für Soja-Straßentransport

Von Mario Osava

Stau in Jaciara, 140 Kilometer von Cuiabá entfernt - Bild: © Mario Osava/IPS

Stau in Jaciara, 140 Kilometer von Cuiabá entfernt
Bild: © Mario Osava/IPS

Cuiabá, Brasilien, 10. August (IPS) - Wer die 215 Kilometer lange Strecke zwischen den Städten Cuiabá und Rondonópolis im westzentralen Bundesstaat Mato Grosso zurücklegen will, braucht vor allem eins: Geduld. Lastwagen kriechen hier hinter Lastwagen her. Wer entnervt aus der Schlange der rumpelnden Brummis ausscheren will, riskiert auf der löchrigen Gebirgspiste sein Leben.

Untersuchungen haben ergeben, dass auf ihrem 2.000 Kilometer langen Weg von den Sojafeldern Mato Grossos bis zu den Atlantikhäfen durchschnittlich 8.000 Lastwagen pro Tag den Abschnitt der BR-464-Autostraße befahren. Das Aufgebot soll nun durch den Ausbau des Schienenverkehrs verringert werden. Den Plänen zufolge wird die 'Ferronorte', so der Name der Eisenbahn, die neuen landwirtschaftlichen Grenzen im Westen und Norden Brasiliens mit dem Zentrum und Süden Brasiliens verbinden.

Die Bahnlinie beginnt an der nordwestlichen Grenze des südbrasilianischen Bundesstaates São Paulo und soll sich bis ins 1.056 Kilometer entfernte Cuiabá, der Hauptstadt von Mato Grosso, erstrecken. In dem Bundesstaat selbst konnten bereits drei Bahnhöfe ihren Betrieb aufnehmen. 2012 soll Rondonópolis an das Schienenetz angeschlossen sein, wie Francisco Vuolo vom zuständigen Logistikunternehmen 'Logística Intermodal de Transportes' betont. Zwei Jahre später sei dann Cuiabá dran, so der Sohn von Senator Vicente Vuolo, dem geistigen Vater des Schienenprojekts.

Vor fünf Jahren hatte das Unternehmen 'América Latina Logística' (ALL) für die Dauer von 90 Jahren die Genehmigung für den Betrieb des Schienenverkehrs erhalten. Der Vertrag kann um weitere 90 Jahre verlängert werden. Die Firma weigerte sich jedoch, das Schienennetz von Rondonópolis bis nach Cuiabá auszuweiten, weil dies eine Zusatzinvestition in Höhe von 500 Millionen US-Dollar erforderlich gemacht hätte.

Nach Demonstrationen für eine Ausweitung des Schienennetzes nach Cuiabá gab ALL seine Konzession für den umstrittenen Streckenabschnitt zurück. Nun wird die Bundesstaatenbehörde in Zusammenarbeit mit der Nationalen Landtransportagentur und der staatlichen Schienenbaufirma Valec den Ausbau der 1976 vom Parlament bewilligten Eisenbahnstrecke bis nach Cuiabá voranbringen.


Von der Utopie zur Wirklichkeit

Interesse an dem Bau der Schienenstrecke haben bereits Investoren aus China, Deutschland und anderen Ländern angemeldet, wie Francisco Vuolo berichtet. Zwei weitere Anschlüsse würden dann den Zugang zu den Seehäfen des Atlantiks herstellen. Die Eisenbahnstrecke, einst als Utopie belächelt, gilt nun als eine realistische Alternative, um den Frachtverkehr im großen Stil zu bewältigen.

Seit einem Jahrzehnt ist Mato Grosso das Zentrum der brasilianischen Sojaproduktion. Neben Baumwolle und Mais ist Soja mit einem Produktionsvolumen von mehr als 20 Millionen Tonnen im Jahr Hauptexportgut des südamerikanischen Landes. Wie Seneri Paludo vom lokalen Bauern- und Viehzüchterverband Famato erklärte, werden die niedrigsten Sojapreise der Welt durch die Kosten des Landtransportes erheblich erhöht. Durch den Eisenbahnverkehr ließen sich die Kosten um 30 Prozent drücken.

Vivian Correa und Pedro Ramos, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Campinas, fanden heraus, dass die durch den Lkw-Transport verursachten Mehrkosten von 25 Prozent Brasilien gegenüber den USA in einen Wettbewerbsnachteil bringen. In den Vereinigten Staaten liegen die Transportkosten sogar unter zehn Prozent.

Ein besseres Transportaufgebot könnte die Agrarproduktion steigern. Zudem ließe sich die Anbaufläche in Mato Grosso problemlos verdoppeln. So verfügt der Bundesstaat über 9,2 Millionen Hektar Weideland, das für den Anbau von Getreide geeignet wäre. Angestrebt werde die allmähliche Abkehr von der extensiven Viehwirtschaft hin zu den rentableren Plantagen, sagte Famato-Chef Paludo.

In diesem Sinne fordert die Industrie den Ausbau des Schienenverkehrs von Mato Grosso bis in den mittleren Norden des Landes, wo der Löwenanteil des brasilianischen Sojas angepflanzt wird. Außerdem machen sich die Unternehmer für befestigte Straßen, fünf Autobahnen und zwei befahrbare Wasserwege stark.


Auch Flussverkehr wird ausgebaut

Nach den Vorstellungen der beiden Vuolos sollte Cuiabá nicht nur mit dem Bundesstaat São Paulo, sondern auch mit Porto Velho und Santarém verbunden werden. Porto Velho ist die Hauptstadt des Nachbarstaates Rondônia und Santarém eine Hafenstadt am Tapajós-Fluss, der in den Amazonas einmündet. Doch dieser Plan wird wohl kaum Wirklichkeit werden, zumal im nächsten Jahr eine asphaltierte Straße fertig gestellt sein wird und ein Teil des Transports über den Wasserweg abgewickelt werden soll.

Der noch in diesem Jahrzehnt geplante Bau von fünf Wasserkraftwerken am Tapajós und anderen an seinen Nebenflüssen Juruena und Teles Pires fördert den Ausbau befahrbarer Wasserwege, von denen sowohl der Norden als auch der Westen von Mato Grosso profitieren wird. Die Wasserstraße Teles Pires-Tapajós könnte die aktuellen Transportkosten für Soja aus der Mitte und dem Norden von Mato Grosso um 73,8 Prozent verringern, so die Professoren der Universität von Campinas in einer neuen Studie. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.famato.org.br/
http://www.aprosoja.com.br/novosite/index.php
http://www.ipsnoticias.net/print.asp?idnews=98790

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2011