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INTERNATIONAL/080: Plurilaterale Handelsgespräche gefährden Doha-Entwicklungsrunde (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. März 2012

Handel: Plurilaterale Handelsgespräche gefährden Doha-Entwicklungsrunde

von Ravi Kanth Devarakonda


Genf, 19. März (IPS) - Indien, Brasilien und Südafrika haben Bemühungen einiger Länder um ein exklusives plurilaterales Handelsabkommen zur Liberalisierung des Dienstleistungssektors als Gefahr für die Gespräche der Welthandelsorganisation (WTO) im Allgemeinen und die Doha-Entwicklungsrunde im Besonderen bezeichnet. Wie die Vertreter der drei IBSA-Staaten im Vorfeld eines Treffens der sogenannten 'wirklich guten Freunde' (real good friends - RGF) erklärten, ist es ratsam, die laufenden WTO-Handelsgespräche zunächst abzuschließen.

Die plurilaterale Initiative sei ein Anschlag auf die Doha-Runde und verstoße gegen die Grundprinzipien Transparenz, Inklusivität und Multilateralismus, so die IBSA-Handelsbeauftragten. Die Doha-Gespräche zielen auf eine weitere Öffnung der Märkte und eine bessere Einbindung der Entwicklungsländer in den Welthandel. Im Gegensatz dazu geht es bei der plurilateralen Übereinkunft darum, besondere WTO-Zugeständnisse für RGF wie USA, EU-Länder, Australien, Chile, Japan, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Schweiz, Singapur, Südkorea und Taiwan auszuhandeln.

Die RGF-Koalition wird sich am 21. März zu ihrem dritten Brainstorming zusammenfinden, um die Grundlagen für ein plurilaterales Dienstleistungsabkommen außerhalb der WTO vorzubreiten. Auch wenn die Konturen, was Form und Substanz der vorgeschlagenen Abkommens angeht, noch undeutlich sind, scheint die Koalition fest entschlossen, zu einem Ergebnis zu kommen, das dem höchst möglichen gemeinsamen Nenner Rechnung trägt.

Die IBSA-Staaten haben sich zwar noch nicht formell gegen die Bestrebungen der RGF positioniert. Doch warnen die Handelsgesandten aus den drei Ländern vor den Gefahren, die ein plurilaterales Abkommen für das WTO-Handelssystem und die Doha-Runde darstellt.


Angriff auf multilaterale Bestrebungen

"Wir denken nicht, dass plurilaterale Initiativen den Erfordernissen wie Transparenz und Inklusivität gerecht werden, die ja die Grundlagen eines jeden multilateralen Prozesses sind", sagte Brasiliens Handelsgesandter für die WTO, Botschafter Roberto Azevedo, im IPS-Gespräch. "Brasilien glaubt nicht, dass sie der Wiederaufnahme multilateraler Verhandlungen dienlich sind, sondern ganz im Gegenteil diese nur noch erschweren. "Brasilien ist daran interessiert, einen multilateralen Marktzugang für Dienstleistungen zu auszuhandeln, sofern andere bereit sind, über den Marktzugang für Agrarprodukte zu sprechen, der zentrales Thema der Doha-Verhandlungsrunde ist."

"Die plurilaterale Schiene zugunsten eines Dienstleistungsabkommens gefährdet das Gleichgewicht in den Doha-Verhandlungen", so auch der indische Gesandte Jayant Dasgupta. Sein südafrikanischer Kollege Faizel Ismail warnte vor der Gefahr, die das angestrebte plurilaterale Abkommen für ein den Enwicklungsländern zugute kommendes Ergebnis der Doha-Runde darstellt.

Selbst innerhalb der EU, die eine aktive Rolle bei den derzeitigen Initiativen der RGF spielt, macht sich Unbehagen breit. "Wir nehmen die Position ein, dass wir keine Initiativen ergreifen sollten, die die WTO unterminieren, weil die WTO wichtig für den Handel ist", sagte der EU-Handelskommissar Karel de Gucht am 12. März.

Bisher hat noch keine Staatengruppe seit Gründung der WTO 1995 versucht, ein plurilaterales Exklusivfreihandelsabkommen für Dienstleistungen für eine ausgewählte Ländergruppe innerhalb der WTO auszuhandeln. In der Vergangenheit kam es zu offenen plurilateralen Abkommen wie dem WTO-Abkommen über Informationstechnologie, das die Liberalisierung des Handels für verschiedene elektronische Güter vorsieht, und dem Abkommen über Telekommunikationsdienstleistungen.

Die laufenden Explorationsgespräche der RGF kommen zu einer Zeit, in der es den WTO-Mitgliedstaaten nicht gelingt, die seit 2001 laufende Doha-Enwicklungsrunde zum Abschluss zu bringen. Handelsdiplomaten führen das Stocken der Gespräche darauf zurück, das ein großes Industrieland (USA) versuche, eine Maximalforderung zu Lasten der Mehrheit der Länder durchzuboxen.


Hinter verschlossenen Türen

Im Gegensatz zu den multilateralen Verhandlungen, bei denen zumindest auf dem Papier alle Mitglieder ein gleiches Mitspracherecht haben, finden im plurilateralen Prozess die Gespräche ausgewählter Staaten hinter verschlossenen Türen statt. Die USA und andere Industriestaaten rechtfertigen ihren Vorstoß damit, dass es schwierig sei, mit 153 Ländern zu einem annehmbaren Kompromiss zu kommen.

"Wir sind Teil einer auf Konsens basierenden Organisation, in der die 153 Mitglieder alle Entscheidungen mittragen müssen. Das bedeutet in der Praxis, dass man sich auf den geringsten gemeinsamen Nenner einigt", meinte der US-WTO-Handelsgesandte Michael Punke kürzlich auf einem vom Europa-Zentrum für Politikwirtschaft organisierten Seminar in Brüssel.

Punke zufolge ist es deshalb ratsam, ein plurilaterales Dienstleistungsabkommen zustande zu bringen. Die RGF-Gruppe sei in der Lage, ein Ergebnis vorzulegen, das den höchsten gemeinsamen Nenner vorweisen könne, da diese Staaten längst in einem Liberalisierungsprozess zugunsten des Handels mit Dienstleistungen steckten.

Doch Entwicklungsländer widersetzen sich dem Angriff auf den multilateralen Ansatz. "Je größer die Zahl der Teilnehmer, umso größer die Schwierigkeit eines gemeinsamen Abkommens", räumte Azevedo ein. "Doch der Nutzen eines solchen Konsensabkommens wäre deutlich größer. Um es kurz zu sagen: ein bescheidenes Ergebnis mit einer größeren Anzahl von Ländern bringt ein attraktiveres und bedeutenderes Ergebnis." (Ende/IPS/kb/2011)


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http://www.wto.org/english/tratop_e/dda_e/dda_e.htm
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107106

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2012