Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

INTERNATIONAL/086: Pakistan auf dem Weg zum Windkraft-Großproduzenten, Entwicklung mit Schattenseiten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. April 2012

Pakistan: Auf dem Weg zum Windkraft-Großproduzenten - Entwicklung mit Schattenseiten

von Zofeen Ebrahim

Windräder auf der Straße nach Jhimpir nahe Karachi - Bild: © Farooq Ahmed/IPS

Windräder auf der Straße nach Jhimpir nahe Karachi
Bild: © Farooq Ahmed/IPS


Jhimpir, Pakistan, 16. April (IPS) - "Ich begreife immer noch nicht, wie man aus Wind Strom erzeugen kann", sagt Mohammad Ahmad, ein Bäcker aus Jhimpir in der südpakistanischen Provinz Sindh. Rund 70 Kilometer von der geschäftigen Hafenstadt Karachi entfernt drehen sich am Rande der Zufahrtsstraße an die 15 Windräder. Und es sollen bald noch mehr werden.

Die Windgeneratoren sind zwischen 84 und 94 Metern hoch und wiegen jeweils etwa 84 Tonnen. Ein Rotor hat eine größere Spannweite als der Flügel einer Boeing 747. Im Vergleich zu den Windrädern wirken selbst hohe Gebäude in Karachi am Horizont zwergenhaft klein.

Vier der Generatoren, die von der türkischen Firma 'Zorlu Energi' aufgestellt wurden, liefern bereits seit Monaten Elektrizität an die pakistanische Regierung. Vor einem Jahr, als es in der Region noch zu häufigen Stromausfällen kam, lief die Energieproduktion im Rahmen eines Pilotprojekts an. Jhimpir war in der Zeit sicherlich der einzige Ort im Land, in dem die Lichter nicht ausgingen.

"Ein Jahr lang war die Freude groß", berichtet der Schriftsteller Khair Mohammad Qasi aus Jhimpir. "Der Strom eines einzigen Windrades reichte bereits für die Versorgung unserer ganzen Gemeinde."

Ziel ist es jedoch, bis 2013 auf der zur Verfügung stehenden Fläche mehr als 400 Megawatt Energie zu produzieren, wie Arif Alauddin, der Vorsitzende der Entwicklungsbehörde für Alternative Energien (AEDB), erläutert. Die Behörde soll dem privaten Sektor die Einrichtung von Windparks erleichtern. "Wenn wir mehr Land erhalten, können wir jährlich weitere 400 bis 500 MW erzeugen."


Energieproduktion in Pakistan bisher nicht ausreichend

Zurzeit hat das südasiatische Land ein Energiedefizit von rund 5.000 MW. Laut einem AEDB-Sprecher soll die in Jhimpir generierte Energie in das nationale Stromnetz eingespeist und landesweit verteilt werden, "wo immer Strom gebraucht wird". Nach Berechnungen des 'National Renewable Energy Laboratory' in den USA hat die Provinz Sindh das Potenzial, 50.000 MW Strom aus Wind zu produzieren. Landesweit können demnach etwa 350.000 MW Windenergie erzeugt werden.

Alle paar Tage reckt sich ein neues Windrad in der wüstenähnlichen Region in den Himmel. Derzeit sind in der Region 18 private Windenergieunternehmen tätig, deren Projekte unterschiedlich weit fortgeschritten sind. Jedes kostet etwa 130 Millionen US-Dollar, arbeitet mit unterschiedlichen Turbinen und hat eine Kapazität von rund 50 MW. Bis zum kommenden Jahr wollen acht bis zehn dieser Firmen ihre Operationen vollständig aufnehmen.

Wenn sich in dem Gebiet wie geplant ein Windrad an das andere reiht, wird Pakistan zu den 20 größten Windenergieproduzenten der Welt zählen. Die Vorbereitungen, die in dem Land bereits seit längerem laufen, haben in den letzten drei Jahren deutlich an Fahrt gewonnen. "Lässt man die Industriestaaten beiseite, die gemäß dem Kioto-Protokoll zu einer Reduzierung ihrer Schadstoffemissionen in einer festgelegten Höhe verpflichtet sind, so könnte Pakistan nach China und Indien zum dritt- oder viertgrößten Windkrafterzeuger weltweit aufsteigen", sagt Alauddin.


Arbeitskräfte werden von außerhalb geholt

In der Bevölkerung regt sich jedoch Widerstand gegen die alternative Energieproduktion. "Die Arbeiten gehen in einer halsbrecherischen Geschwindigkeit voran, doch die Firmen stellen keine Menschen aus der Region ein", kritisierte Rasul Baksh Dars, ein Lehrer aus Jhimpir. Die Hoffnungen der Lokalbevölkerung, durch die Entwicklung des Sektors zu Wohlstand zu kommen, hätten sich zerschlagen.

Wie Anwar Palari, ein Sprecher des unabhängigen Aktionskomitees 'Kohistan Bachayo', berichtet, rechtfertigen die Unternehmen die Einstellung auswärtiger Arbeitskräfte damit, dass die Menschen in Jhimpir nicht über das nötige Know-how verfügten. "Warum haben sie aber keine jungen Leute ausgebildet, als sie mit den Projekten begannen?"

Hosh Mohammad Jatial, der als Ingenieur für Zorlu Energi tätig ist, weist die Vorwürfe zurück. Seine Firma habe 15 seiner 32 Mitarbeiter am Ort rekrutiert, die jedoch nicht im technischen Bereich eingesetzt werden könnten. "Das hat damit zu tun, dass wir vor Ort nicht einmal einen einzigen Schweißer finden konnten."

Palari hingegen erklärt, dass die wenigen eingestellten Ortskräfte qualifizierte Ingenieure seien, die nun niedere Arbeiten verrichten müssten.

Von dem Zorlu-Windpark aus kommt man über eine staubige, holprige Straße an den Turbinen des Düngemittelherstellers Fauji vorbei zum Dorf Umar Chang. Der dort lebende Bauer Mohammad Tayyeb geht nicht davon aus, dass er und seine Nachbarn jemals die Energie erhalten werden, die man ihnen versprochen habe." Der Strom werde nach Karachi oder in die nahe Jhimpir gelegene Industriestadt Nooriabad geleitet, so der 55-Jährige. "Dabei ist es unser Grund und Boden, auf dem die Windräder stehen. Wir haben also das Recht, von dem Projekt zu profitieren."


Bauern fürchten Landverluste

Tayyeb zufolge besitzen die Dorfbewohner Landtitel, die auf die britische Kolonialzeit zurückgehen. Er befürchtet, dass die Bauern Teile ihres Landes verlieren werden, wenn weitere Windräder errichtet werden. Hafeez Ahmed Sial, der höchste Regierungsbeamte in dem Distrikt, versichert hingegen, dass den Investoren nur staatliche Grundstücke zur Verfügung gestellt werden. Die Behörden seien bestrebt dafür zu sorgen, dass allen Seiten die Energieproduktion zugute komme. (Ende/IPS/ck/2012)

Links:
http://www.aedb.org/wind.htm
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107285

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. April 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2012