Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

INTERNATIONAL/151: Freihandel mit Asien und der EU - amerikanische Ziele und Positionen (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Freihandel mit Asien und der EU - amerikanische Ziele und Positionen

von Sabine Muscat
April 2013



Inhalt

Atlantik und Pazifik: Die Zahlen im Vergleich
1. Einleitung: Von null auf hundert in der Handelspolitik
2. Der Traum vom transatlantischen Freihandel
3. Schwenk nach Asien-Pazifik
4. Rückkehr in den Westen
5. Ausblick: Ochsentour in Asien und Europa
Literatur
Anhang

*

Zweigleisige Handelspolitik. Die US-Regierung von Präsident Barack Obama nimmt beim Freihandel zwei große Projekte parallel in Angriff. Seit 2010 verhandelt sie mit einer wachsenden Gruppe von Anrainerstaaten des Pazifiks über die Transpacific Partnership (TPP). In diesem Jahr will sie nun auch Freihandelsgespräche über eine Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) mit der EU aufnehmen.

Wirtschaftliche Vorteile. Die USA erhoffen sich Zugang zu den Wachstumsmärkten Asiens. Beim TPP setzt Washington auf den Wegfall von Zöllen und Investitionshürden, aber auch auf besseren Schutz geistigen Eigentums und auf Regeln für den Wettbewerb mit Staatsunternehmen. Die EU bleibt wichtigster Partner bei Handel und Investitionen. Die Barrieren sind gering, aber man hofft, dass bei dem großen Volumen selbst kleine Verbesserungen Wachstumsimpulse setzen können. Von einem Pakt mit der EU versprechen sich die USA etwa den Abbau von nicht-tarifären Handelshürden für Dienstleistungen und Agrarprodukte.

Gemeinsames Projekt. In den letzten Jahren fehlte den transatlantischen Partnern ein identitätsstiftendes Projekt jenseits der geopolitischen Krisenherde. Das TTIP soll diese Lücke füllen - und dient zudem der »Ausbalancierung« der starken Asien-Orientierung der Obama-Regierung.

Globale Modellfunktion. Aus US-Sicht könnten beide Abkommen Modellfunktionen für den globalen Handel einnehmen - und insbesondere für den Konkurrenten China. Eine Gefahr für die multilateralen Handelsgespräche im Rahmen der Welthandelsorganisation wird nicht mehr befürchtet - im Gegenteil gibt es die Hoffnung sie wiederzubeleben.

Harter Weg. In Asien-Pazifik verhandeln die USA mit Ländern mit sehr unterschiedlichem Entwicklungsstandard. Der Beitritt Japans wird die Lage weiter verkomplizieren. Aber auch die intern uneinige EU ist für Washington kein einfacher Partner. Dauerstreit-Themen wie sanitäre Regeln im Agrarsektor oder der Umgang mit Daten und Sicherheitsstandards werden auch die Handelsgespräche belasten.

*

Atlantik und Pazifik: Die Zahlen im Vergleich

Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Tabellen wurden nicht in den SB übernommen.
Sie sind zu finden unter:
http://www.fes.de/cgi-bin/gbv.cgi?id=10003&ty=pdf

*

1. Einleitung: Von null auf hundert in der Handelspolitik

US-Präsident Barack Obama trat zu Beginn seiner ersten Amtszeit beim Thema Handel eher auf die Bremse. Nun ist der Demokrat an mehreren Fronten gleichzeitig aktiv geworden. Seit März 2010 verhandelt seine Regierung mit Anrainerstaaten des Pazifiks über die Schaffung einer Freihandelszone (Transpacific Partnership, TPP) - ein Projekt, das schon sein Vorgänger George W. Bush angestoßen hatte. Im Januar 2013 informierte der Handelsbeauftragte den Kongress über die Aufnahme von Gesprächen über ein WTO-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (International Services Agreement) - ein Sektor, in dem die US-Wirtschaft traditionell sehr stark ist. Im Februar schließlich kündigte Obama Gespräche über ein Handels- und Investitionsabkommen mit der EU an (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP).

Beobachter rätseln noch, mit viel Verve die Obama-Regierung sich tatsächlich für diese Projekte einsetzen wird. Aber das Engagement des Präsidenten für den Handel ist komplementär zu einem anderen erklärten Ziel seiner Regierung: Die USA sollen zu einer Exportnation werden, statt Jahr für Jahr Defizite mit ihren Handelspartnern einzufahren. Die 2010 ausgerufene Nationale Exportinitiative sieht vor, das produzierende Gewerbe wettbewerbsfähiger zu machen, neue Märkte zu erschließen, und das Exportvolumen bis 2015 zu verdoppeln.

Die Entscheidung für die beiden regionalen Handelsinitiativen hat jedoch auch politische Hintergründe. Nachdem die Liberalisierungsgespräche im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO zum Erliegen gekommen sind, suchen viele Staaten nach Alternativen. Die USA haben sich in den letzten Jahren genau wie die EU einer Reihe von bilateralen Freihandelsinitiativen mit Staaten in Asien und Lateinamerika zugewandt - wenn auch längst nicht im gleichen Umfang wie die EU, die aktuell fast 30 laufende Verhandlungen führt. Die Bildung eines regionalen Handelsblocks in der Asien-Pazifik-Region könnte diese Initiativen bündeln und neue Märkte erschließen. Von einem Abkommen mit der EU verspricht man sich in Washington wie in Brüssel Effizienzgewinne durch den Abbau der trotz genereller Marktoffenheit verbleibenden nicht-tarifärer Barrieren. In den USA und in Europa sind Konjunkturprogramme wegen der Sorge um Haushaltsdefizite und Verschuldung kaum noch als politisches Instrument einsetzbar, um Wachstumsschwächen auszugleichen. Auch die Niedrig-Zinspolitik der US-Notenbank Fed ist ausgereizt. Washington ist deshalb genau wie europäische Regierungen daran interessiert, die wirtschaftliche Erholung mit anderen Mitteln zu fördern. US-Unternehmen konnten ihre Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit in jüngster Zeit stark steigern. Der Abbau von Handelshemmnissen soll ihnen nun die Expansion auf internationale Märkte erleichtern.

Bei beiden Initiativen ist China der »Elefant im Raum«, um eine amerikanische Redensart zu verwenden: Niemand spricht offen über den Konkurrenten in Asien, aber alle haben ihn fest im Blick. Mit der TPP wollen die USA ihre Beziehungen zu Chinas Nachbarländern stärken. Die TTIP soll die Regeln für den Welthandel nach westlichem Muster definieren - von der Normierung für Zukunftstechnologien über den Schutz geistigen Eigentums bis hin zu Arbeitsrecht und Umweltschutz.

Keines der beiden Projekte wird einfach umzusetzen sein. In der TPP verhandeln Länder mit sehr unterschiedlichem Entwicklungsstand sowohl über klassische Fragen des Marktzugangs als auch über nicht-klassische Handelsthemen wie Patentrecht und Wettbewerbsverzerrungen durch Staatsunternehmen.

Die beiden Verhandlungspartner in der TTIP spielen in der gleichen Liga und operieren auf einer breiten Basis gemeinsamer Werte. Ihr größtes Problem wird sein, dass die einfachen Fragen im transatlantischen Handel längst gelöst sind. Das neue Abkommen wird sich deshalb in erster Linie mit hartnäckigen Problemen befassen, um die seit Jahren ergebnislos gerungen wird.


2. Der Traum vom transatlantischen Freihandel

Nach dem Ende des Kalten Krieges gab es viele Anläufe zu einer weiteren Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen - von der Transatlantischen Erklärung 1990 über die Neue Transatlantische Agenda aus dem Jahr 1995 bis zur 1998 vereinbarten Transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft. Auf dem EU-USA-Gipfel im Juni 2005 vereinbarten beide Seiten in der EU-US-Wirtschaftsinitiative die verstärkte Kooperation bei Regulierung und Standardisierung, beim Schutz geistigen Eigentums und bei öffentlichen Ausschreibungen.

Parallel zu diesen Initiativen stand eine größere Vision im Raum: Vor allem deutsche und britische Politiker sprachen sich wiederholt für die Schaffung einer transatlantischen Freihandelszone aus. In den 1990er Jahren traten Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) und der britische EU-Handelskommissar Sir Leon Brittan für das Konzept ein.

Der Vorstoß scheiterte am Widerstand anderer EU-Staaten. So fürchtete Frankreich eine amerikanische Dominanz in der Landwirtschaft, aber auch im Kultur- und Medienbereich. Auch auf der anderen Seite des Atlantiks hatte es niemand eilig. Die Volkswirtschaften der USA und Europas sind bereits eng verflochten, die durchschnittlichen nominalen Zölle liegen nach WTO-Schätzungen bei rund vier Prozent (3,5 Prozent für die USA, 5,2 Prozent für die EU), die tatsächlich erhobenen Zölle liegen noch niedriger. (Es gibt allerdings Spitzen in einigen Sektoren wie Textilien oder Landwirtschaft.)

Im Herbst 2006 erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Idee eines transatlantischen Wirtschaftsraumes zu einer Priorität der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007. (Mildner, 2007) Der Vorstoß löste in Deutschland eine Debatte aus, in der es auch um die Verteidigung gemeinsamer transatlantischer Werte gegenüber Konkurrenten wie China und Indien ging.[1]

Handelsexperten warnten vor der Gefahr eines transatlantischen Protektionismus, der die 2001 gestartete Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) über die globale Liberalisierung gefährde. Aber Merkel überzeugte ihre Kritiker, dass es ihr vor allem um den Abbau nicht-tarifärer Hindernisse gehe und sicherte sich die Unterstützung von US-Präsident George W. Bush. Auf dem EU-USA-Gipfel am 30. April 2007 vereinbarten beide Seiten die Einrichtung des Transatlantischen Wirtschaftsrates (Transatlantic Economic Council, TEC).


Transatlantischer Wirtschaftsrat

Das neue Gremium trat am 9. November 2007 unter Leitung von EU-Industriekommissar Günter Verheugen und dem Direktor des Nationalen Wirtschaftsrates im Weißen Haus Allan Hubbard zusammen. Seit 2009 ist für die US-Regierung Michael Froman am Ruder, der für internationale Wirtschaftsfragen zuständige Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama. Auf der EU-Seite übernahm 2010 Handelskommissar Karel De Gucht den Vorsitz.

In sechs Treffen bis November 2011 erreichte das Forum Einigungen über eine Reihe technischer Fragen. Ein Kompromiss im Bereich der Zollsicherheit bewahrte EU-Exporteure vor den Folgen eines US-Gesetzes, wonach ab 2012 jeder Container vor seiner Verschiffung aus Europa in die USA unter Aufsicht amerikanischer Behörden hätte durchleuchtet werden müssen. Der TEC ist auch auf das Gebiet der Zukunftstechnologien vorgedrungen - etwa bei der Schaffung gemeinsamer Standards für Batterien in Elektroautos.

Die Fortschritte wurden jedoch von Konflikten in anderen Bereichen überschattet. Der Verbraucherschutz wurde zur Zerreißprobe für den TEC. Die USA begrenzen die Einfuhr von Rindfleisch aus Europa mit dem Verweis auf die Rinderseuche BSE, die EU verbietet Importe von Rindfleisch, das mit Hormonen behandelt wurde - in den USA eine gängige Praxis. Ein weiterer Dauerstreitpunkt sind genetisch modifizierte Lebensmittel, deren Zulassung in der EU einen langwierigen Prozess erfordert.

Der »Geflügel-Streit« wurde zum Symbol für einen transatlantischen Kultur-Clash beim Umgang mit Agrarprodukten. Seit 1997 verbietet die EU die Einfuhr amerikanischen Hühnerfleisches, das mit Chlorwasser desinfiziert wurde. Fleischprodukte in der EU dürfen nur mit Wasser gereinigt werden. Industriekommissar Verheugen wollte das Importembargo 2008 aufheben - gestützt auf wissenschaftliche Befunde, wonach der Verzehr von Hühnerfleisch, das so behandelt wurde, dem Verbraucher nicht schade.[2] Aber der Deutsche hatte seine Rechnung ohne die EU-Agrarminister gemacht, die seinen Vorschlag abschmetterten. In den USA gilt der Fall seither als Beweis dafür, dass die EU intern uneins und deshalb kein einfacher Verhandlungspartner sei.

Die Europäer hatten ihrerseits gute Gründe, am Engagement der USA zu zweifeln. Barack Obama und seine Demokraten maßen dem Thema Handel nach seinem Amtsantritt im Januar 2009 zunächst keinen großen Stellenwert bei. Drei Freihandelsabkommen, die die Bush-Regierung mit Kolumbien, Panama und Südkorea ausgehandelt hatte, steckten nach seiner Wahl im November 2008 weitere drei Jahre lang im Kongress fest.[3]

In Europa wuchs der Eindruck, dass die USA in ihrer tiefen Wirtschaftskrise nach 2007 einen Schwenk zum Protektionismus vollzogen - etwa als bei der Vergabe von Aufträgen aus dem Konjunkturprogramm ausländische Bieter mit »Buy American«-Vorschriften ausgeschlossen wurden. Derweil dümpelte der TEC fern der öffentlichen Aufmerksamkeit vor sich hin.


3. Schwenk nach Asien-Pazifik

Als der Demokrat Obama schließlich beim Freihandel aktiv wurde, galt seine Aufmerksamkeit zunächst nicht Europa. Zum Auftakt einer Asienreise im November 2009 bekräftigte Obama in Honolulu das Interesse der USA an einer Aufnahme von Freihandelsgesprächen mit einer Gruppe von Anrainerstaaten des Pazifiks.

Die Transpazifische Partnerschaft (TPP) baut auf einem früheren Abkommen auf, das die Staaten, Brunei, Chile, Neuseeland und Singapur 2005 geschlossen hatten und das 2006 in Kraft trat. Die Bush-Regierung hatte 2008 Gespräche mit dieser Staatengruppe aufgenommen und ihr Interesse an einer Ausweitung auf ein umfassendes regionales Abkommen bekundet.

Die TPP-Verhandlungen begannen im März 2010. Die 16. Runde fand im März 2013 in Singapur statt, die 17. Runde ist im Mai in Lima angesetzt. Zuletzt nahmen 11 Staaten an den Gesprächen teil: Australien, Brunei, Chile, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur, die Vereinigten Staaten und Vietnam. Thailand und die Philippinen haben Interesse an einem späteren Beitritt signalisiert.

Am 15. März verkündete Japan sein Interesse an einem Eintritt in die Verhandlungen. Die TPP-Partner beschlossen die Aufnahme des neuen Teilnehmers am 20. April. Die USA werben außerdem um eine Teilnahme Südkoreas. Die Regierung in Seoul verhält sich bisher abwartend - Beobachter sagen, sie wolle erst die Folgen des bilateralen Abkommens mit den USA auswerten, das seit einem Jahr in Kraft ist.[4]

Nach dem Beitritt Japans repräsentieren die TPP-Länder fast 40 Prozent des globalen Wachstums sowie fast ein Viertel des globalen Handels mit Waren und Dienstleistungen. Die US-Regierung verbindet mit der Gründung dieses Handelsblocks eine Reihe von Motiven und Zielen:

Neue Märkte. Während die USA mit sechs der TPP-Staaten bereits Freihandelsabkommen haben (mit Australien, Chile, Peru, Singapur sowie mit Kanada und Mexiko im Rahmen der nordatlantischen Freihandelszone Nafta), hoffen US-Exporteure auf besseren Marktzugang in Schwellenländern wie Malaysia und Vietnam - und künftig auch in der Industrienation Japan.

Regeln für das 21. Jahrhundert. Das TPP verfolgt einen Ansatz, der über traditionellen Freihandel hinausgeht. Das Abkommen soll Bereiche erfassen, die in den Welthandelsgesprächen im Rahmen der WTO nicht abgedeckt werden. Dazu gehören Regulierungs- und Wettbewerbsfragen, der Schutz von Investitionen, sowie Standards für Umweltschutz und Arbeitsrechte.

Konkurrenz zu China. In Asien stehen die USA mit China in einem Freihandelswettrennen. Sieben der elf TPP-Verhandlungspartner der USA haben bereits bilaterale Abkommen mit China. Viele Beobachter - insbesondere in China - glauben deshalb, dass die Obama-Regierung mit dem TPP in erster Linie ein geopolitisches Motiv verfolge: Sie wolle den Konkurrenten China in Schach halten, indem sie die Kooperation mit dessen asiatischen Nachbarn suche.[5] Vertreter der US-Regierung betonen, dass die Tür für China prinzipiell offen sei, wenn es bereit sei, sich an den geplanten hohen Standards des Abkommens - darunter strengere Regeln für Staatsunternehmen und den Schutz geistigen Eigentums - zu orientieren.[6] Dazu ist Peking mit Verweis auf sein Entwicklungsstadium nicht bereit.[7]

• Impuls für den Welthandel. Nach dem Zusammenbruch der Doha-Runde der WTO ist unter den Asien-Pazifik-Staaten eine »Nudelschale« bilateraler Freihandelsabkommen entstanden. Das TPP könnte aus US-Sicht ein Vehikel sein, um das Wirrwarr an Regeln zu vereinheitlichen. Dazu kommt die Hoffnung, dass ein ehrgeiziges regionales Abkommen auch der Liberalisierung im Rahmen der WTO einen neuen Impuls geben könnte.

Die TPP-Staaten halten offiziell an ihrem Ziel fest, die Verhandlungen bis Ende dieses Jahres abzuschließen - aber dieser Termin dürfte vor allem nach dem Beitritt Japans nicht einzuhalten sein. Nach US-Angaben sind die Verhandlungen über Themen wie Telekommunikation, Zölle oder regulatorische Kohärenz nach dem Abschluss der Singapur-Runde weitgehend abgeschlossen.[8] Trotzdem stehen in den 29 Kapiteln des Abkommens weiterhin viele kritische Punkte in Klammern.[9]

Die USA drängen Schwellenländer wie Malaysia und Vietnam zu einer Öffnung ihrer Dienstleistungssektoren und ihrer öffentlichen Ausschreibungen, die in diesen Ländern von Staatsunternehmen dominiert werden. Im Gegenzug fordert aber etwa Vietnam das Auslaufen amerikanischer Einfuhrzölle für Textilien und Schuhe.[10] Für die wenigen verbleibenden Produktionsstätten in den USA, etwa den Turnschuhhersteller New Balance in Maine, wäre dies eine existenzielle Bedrohung.

Ein wichtiger Punkt aus US-Sicht ist auch der Schutz von Patenten, insbesondere in der Pharmaindustrie. Hier versuchen die USA strengere Regeln für die Laufzeit des Patentschutzes einzubauen als es die WTO in ihrem TripsAbkommen vorsieht und als sie es selbst in den Abkommen mit Entwicklungsländern wie Kolumbien, Panama und Peru durchgesetzt hatten. Während einigen Republikanern im Kongress die Forderungen der USA in den TPP-Verhandlungen noch nicht weit genug gehen, sehen Bürgerrechtsgruppen und Entwicklungshilfeorganisationen Gefahren für die medizinische Versorgung mit Generika in den Partnerländern.[11]

Als schwieriger Gesprächspartner entpuppt sich Mexiko, das seit Herbst 2012 an den Verhandlungen teilnimmt. Die mexikanischen Unterhändler sehen ihre Vorteile im Rahmen der Nafta schwinden, wenn andere Schwellenländer die gleichen Zollprivilegien erhalten, und sperren sich aus diesem Grund gegen eine volle Liberalisierung der Märkte für Textilien und Milchprodukte.[12] Die Wechselwirkungen zwischen der TPP und den anderen bilateralen Abkommen unter den Staaten der Gruppe bedürfen generell noch juristischer Klärung.[13]

Die Aufnahme Japans bringt den Zeitplan für die Gespräche endgültig ins Wanken. Die Teilnahme der drittgrößten Volkswirtschaft dürfte die Dynamik der Gespräche grundlegend verändern und den Fokus auf die Konfliktpunkte zwischen den beiden Schwergewichten USA und Japan lenken.

Japan wird seinen Agrarmarkt, insbesondere den Markt für Reis, auch in Zukunft vor Importen schützen wollen - Kompromisse sind am ehesten beim Rindfleisch denkbar. In den USA wehrt sich die Autoindustrie vehement gegen eine Aufhebung der Zölle auf die Einfuhr japanischer Autos, solange Japan den eigenen Markt über nicht-tarifäre Hindernisse abschottet.[14] Japan mag in der TPP aus USSicht der große Preis sein, aber Tokio wird mit Sicherheit kein einfacher Verhandlungspartner.


4. Rückkehr in den Westen

Die Europäer verfolgten den amerikanischen Schwenk nach Asien mit Argwohn - auch wenn der amerikanische Vizepräsident Joe Biden auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar klar stellte: »Wir werden beides sein: eine pazifische, aber auch eine atlantische Macht«.[15] In der Zwischenzeit trieb die EU ihre eigenen Projekte im Osten voran. Mit Japan nahm sie am 25. März Gespräche über ein bilaterales Abkommen auf - was in der europäischen Autoindustrie ähnliche Proteste auslöste wie die TPP in den USA.

Das Handelsabkommen der EU mit Südkorea orientiert sich inhaltlich an dem Abkommen, das die USA mit dem ostasiatischen Land ausgehandelt hatten. Aber die EU war schneller bei der Umsetzung. Das EU-Korea FTA trat im Juli 2011 in Kraft, der US-Kongress ratifizierte das US-Korea Free Trade Agreement (KORUS) erst im Oktober 2011 gemeinsam mit den Abkommen mit Kolumbien und Panama.

Zwei Jahre nach Obamas Vorstoß für den regionalen Freihandel mit Asien wagten auch die USA und die EU einen neuen Anlauf. Der US-EU-Gipfel im November 2011 setzte die »High-Level Working Group for Jobs and Growth« ein, die den Weg zu Freihandelsgesprächen bereiten sollte. Das Gremium unter Leitung des US-Handelsbeauftragten Ron Kirk und von EU-Handelskommissar Karel De Gucht legte am 11. Februar 2013 seinen Abschlussbericht vor, in dem beide Seiten offiziell die Aufnahme von Verhandlungen über eine »Transatlantic Trade and Investment Partnership« (TTIP) empfahlen. Am nächsten Tag setzte sich Obama in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation (State of the Union) für das Projekt ein.

Die TTIP wird in dem Bericht der Working Group als »umfassendes Handels- und Investitionsabkommen« definiert. Es soll noch mehr als die TPP über eine klassische Freihandelsagenda hinausgehen und sich über den Marktzugang hinaus mit Fragen der Regulierung sowie mit der Ausarbeitung von »Regeln, Prinzipien und neuen Formen der Kooperation« im Welthandel befassen.[16]

Nach einer Reihe vergeblicher Anläufe in den vergangenen Jahrzehnten war die kritische Masse für einen transatlantischen Handelsraum aus US-Sicht erreicht.

Wachstum und Arbeit. Die USA und die EU handeln täglich Waren und Dienstleistungen im Wert von fast zwei Milliarden Euro. Der transatlantische Handel deckt mehr als 45 Prozent des globalen Handels ab. Amerikanische und europäische Unternehmen haben Investitionen in Höhe von 2,8 Billionen Euro auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks getätigt. Die Hürden sind gering, aber aufgrund des enormen Volumens könnten bereits kleine Verbesserungen eine große Wirkung entfalten. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sind Effizienzgewinne eine attraktive Perspektive. Nach Schätzungen könnte ein Handelsabkommen das Wirtschaftswachstum auf beiden Seiten um mindestens einen halben Prozentpunkt erhöhen.[17]

Hilfe für die Eurozone. Aus Sicht vieler US-Experten wäre die TTIP auch ein Beitrag der USA zur Stabilisierung der Eurozone. Es liege im eigenen wirtschaftlichen Interesse der USA, eine weitere Schwächung des europäischen Wirtschaftsraumes zu verhindern.[18] Andere argumentieren, dass die EU auf der Suche nach neuen Wegen, ihre Volkswirtschaft zu stimulieren, in Gesprächen kompromissbereiter sein werde als früher.[19]

Globale Modellfunktion. Den transatlantischen Partnern fehlte in den letzten Jahren ein identitätsstiftendes Projekt. Europäische und insbesondere deutsche Verfechter preisen das Projekt einer Freihandelszone oft als Stärkung der westlichen Wertegemeinschaft, die es nach außen zu verteidigen gelte.[20] Amerikaner klingen meist etwas nüchterner und betonen eher den Aspekt des fairen Wettbewerbs.[21] Wenn die USA in einem Abkommen mit der EU strenge Regeln für Staatsunternehmen oder den Schutz geistigen Eigentums fordern, geht es ihr dabei in erster Linie um die Modellfunktion, die das TTIP für Länder wie China spielen soll.

Die Europäische Kommission verabschiedete am 12. März den Entwurf für ein Verhandlungsmandat, über den der Europäische Rat nun abstimmen muss. Auch die ObamaRegierung informierte den Kongress am 20. März über ihre Absicht zur Aufnahme von Verhandlungen nach Ablauf der formalen Frist von 90 Tagen. Wenn alles nach Plan läuft, dürften beide Seiten ihre Mandate vor dem G8-Gipfel in Nordirland Mitte Juni beschlossen haben und könnten noch im Sommer mit den Verhandlungen beginnen.

Der Verhandlungszeitraum ist auf zwei Jahre angesetzt. Skeptiker halten dies für zu ambitioniert, zumal im Mai 2014 Europawahlen und ein Wechsel der Kommission anstehen. In den USA wird im November 2014 ein neuer Kongress gewählt. In einer Umfrage des Atlantic Council und der Bertelsmann Foundation ging allerdings die Mehrheit von 120 Entscheidungsträgern davon aus, dass es bis 2016 ein Abkommen geben werde. Die Mehrheit glaubte allerdings auch, dass dieses Abkommen nicht alle Hoffnungen auf Handelserleichterungen erfüllen werde (Atlantic Council/Bertelsmann, 2013).

Der transatlantische Markt mag insgesamt sehr offen sein, aber die verbleibenden Hindernisse und Streitpunkte sind zäh. Ein Beispiel ist der Dauerstreit über staatliche Subventionen für Boeing und Airbus, den beide Seiten vor der WTO austragen und der wohl kaum im Rahmen der TTIP gelöst werden dürfte.

Aber es gibt auch Themen, bei denen die Industrie auf beiden Seiten an einem Strang zieht. Autohersteller beklagen schon lange die Divergenz der Produktnormen und Regulierungen auf beiden Seiten des Atlantiks. Sie müssen in ihre Modelle andere Stoßstangen, Blinker und Airbags einbauen, wenn sie ihre Produkte über den Atlantik verschiffen wollen. Auch Chemie-, Pharma- und Kosmetikhersteller wünschen sich einfachere Zulassungsverfahren auf der anderen Seite oder eine wechselseitige Anerkennung ihrer Prozesse.

Die Anpassung von Normen und Regulierungsbehörden ist dennoch ein kompliziertes Unterfangen - auch wenn der politische Wille gegeben ist. Sie greift in nationale Gesetzgebungsprozesse ein und kollidiert mit dem Auftrag unabhängiger Regulierungsbehörden. Die Verhandlungspartner werden einen langen Atem brauchen, um die technischen Fragen zu lösen, die mit dem Ziel einer höheren regulatorischen Konvergenz in verschiedenen Sektoren verbunden sind.

Investitionen und der Handel zwischen Unternehmen, die auf beiden Seiten des Atlantiks tätig sind (intra-firm trade) spielen in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen eine größere Rolle als der klassische Handel. Die Industrie auf beiden Seiten hat deshalb ein besonders großes Interesse an einer Vereinfachung der Investitionsbedingungen - von einer Abschaffung von Beschränkungen für ausländische Beteiligungen in Telekommunikation oder Transportwesen - und Produktregulierungen, sowie an einer Vereinfachung der Finanzierungsströme und des Personenverkehrs.

In der Abwehr spielen die USA beim Thema öffentliche Aufträge. EU-Unternehmen klagen, dass »Buy American«-Regeln verhindern, dass sie bei Ausschreibungen zum Zuge kommen. Das Problem für die Unterhändler wird sein, dass diese Regeln oft auf der Ebene der Bundesstaaten erlassen werden.

Beim Verbraucherschutz ist Europa in der Defensive. In der EU (aber auch in den USA) formiert sich bereits der Widerstand von Gruppen, die eine Abschwächung europäischer Standards bei Lebensmittelsicherheit und Datenschutz fürchten, aber auch bei Umweltschutz und Arbeitsrecht.[22]

Bei diesem Thema spielen Traditionen und kulturelle Unterschiede eine große Rolle, wie der Geflügelstreit gezeigt hat. Die EU ist auf diesem Gebiet bereits in Vorleistung gegangen. Im Februar erlaubte sie in einer Abkehr von vorher geltenden Hygienevorschriften den Import von Zuchtschweinen aus den USA sowie die zuvor verbotene Reinigung von Rindfleisch mit Milchsäure.

Politiker und Industrieverbände warnen nun davor, den nach wie vor ungelösten Streit über Chlorhühner, Hormonrinder oder über die Zulassung genetisch modifizierter Lebensmittel und Saatgutes wieder zu einem Top-Thema auf der Handels-Agenda werden zu lassen. Aber die Lobby-Gruppen und Kongressmitglieder in den USA, die auf mehr Zugang zum europäischen Agrarmarkt drängen, laufen sich bereits mit Forderungen nach mehr Marktzugang warm.[23]

Allerdings sind auch die USA bei einer Reihe von Verbraucherschutzthemen in der Defensive: Die US-Behörden beschränken die Einfuhr von Äpfeln und Birnen aus der EU mit Verweis auf Pestizidrückstände. Und sie verbieten seit 1997 die Einfuhr von Rindfleisch aus der EU, um der Rinderseuche BSE vorzubeugen.

Der Datenschutz ist ein anderes Thema, das in Washington und in Brüssel viele nur noch mit spitzen Fingern anfassen werden. Aber die amerikanischen IT-, Medien- und Finanzbranchen drängen auf eine Aufweichung der strengen europäischen Regeln, die Unternehmen das Sammeln und Speichern von Kundendaten erschweren. Die neue Datenschutzverordnung, über die die EU gerade berät, dürfte die transatlantische Kluft beim Umgang mit Daten noch vergrößern.

Ähnlich sperrig ist die EU aus amerikanischer Sicht beim Schutz geistigen Eigentums in der Software- und Unterhaltungsindustrie. Im Sommer 2012 lehnte das EUParlament das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Acta) mit der Begründung ab, dass es zu stark in die Freiheit der Internetnutzer eingreife.

Bürgerrechtler auf beiden Seiten des Atlantiks fürchten, dass die Freihandelsinitiative auf Kosten der Konsumenten gehen könnte, falls sie die in der Regel strengeren Standards in der EU nach unten anpassen sollte. In den USA etwa fordert die Gruppe Public Citizen, dass eine regulatorische Konvergenz einen »floor« (Mindestanforderungen) festlegen solle, und nicht eine »ceiling«. Wer über den kleinsten gemeinsamen Nenner hinausgehen wolle, dürfte nicht dem Vorwurf ausgesetzt sein, Handelshemmnisse zu errichten.[24]

Die Abgrenzung zwischen Handelshindernissen und gerechtfertigtem Konsumentenschutz aber wird im Einzelfall sehr schwierig sein. Auf der einen Seite steht der oft von amerikanischer Seite erhobene Vorwurf, dass die EU nicht »wissenschaftlich« vorgehe - etwa wenn sie die Einfuhr genmodifizierter Sojabohnen verhindert, obwohl es keine gesicherten Erkenntnisse über deren Schädlichkeit für Mensch und Natur gibt. Auf der anderen Seite steht das Recht demokratisch organisierter Gesellschaften, solche Fragen selbst zu entscheiden.


5. Ausblick: Ochsentour in Asien und Europa

Handelsexperten weisen eine Gegenüberstellung der beiden Initiativen oft als einen Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen zurück: Bei den TPP-Staaten handelt es sich um Länder mit sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien, in der TTIP treten sich die USA und die EU auf Augenhöhe gegenüber. Mit den TPP-Staaten verbinden die USA klassische Handelsbeziehungen; in den Gesprächen geht es um Fragen des Marktzugangs. In der TTIP stehen dagegen technische Fragen wie Regulierung und Normierung im Vordergrund - sowie die Vereinfachung und der Schutz der Investitionen, die beide Seiten im jeweils anderen Wirtschaftsraum tätigen.

Dennoch stehen die beiden Handelsrunden miteinander im Wettstreit. Sie konkurrieren in Washington um Zeit, Aufmerksamkeit und Ressourcen.[25] Und die beiden regionalen Ansätze könnten einander trotz der großen Unterschiede gegenseitig beeinflussen.

So empfehlen die Handels-Experten Jeffrey Schott und Cathleen Cimino vom Peterson Institute for International Economics den USA und der EU, ihre jeweiligen Freihandelsabkommen mit Südkorea als Blaupause für ihr eigenes Abkommen zu nutzen. (Schott/Cimino, 2013). In Asien gilt das hoch entwickelte Südkorea derweil auch als potenzieller Beitrittskandidat zur TPP.

Kanada ist ein weiteres Bindeglied zwischen beiden Handelsregionen. Die EU führt schon seit längerem Freihandelsgespräche mit dem Land, das auf der anderen Seite auch TPP-Mitglied ist. Die Premierminister von Frankreich und Kanada, Jean-Marc Ayrault und Steven Harper, empfahlen bei einem Treffen im März einen raschen Verhandlungsabschluss als Stärkung ihrer jeweiligen Position gegenüber den USA.[26]

Umgekehrt könnten aber auch die USA Ergebnisse aus den TPP-Gesprächen nutzen, um Druck auf die Europäer auszuüben. Ein Beispiel dafür könnte der Streit über regionale Herkunftsbezeichnungen sein. Die EU möchte den Namensschutz von Lebensmitteln wie Parmesan, Champagner oder Nürnberger Würstchen ausweiten. Die USA lehnen dies ab und setzen sich auch in den TPP-Verhandlungen für eine Einschränkung des Schutzes so genannter »geographical indications« (GI) ein.

In Washington haben die beiden regionalen Initiativen eine Auseinandersetzung über Prioritäten in der Handelspolitik ausgelöst, die über den üblichen Zwist zwischen konkurrierenden ökonomischen Interessengruppen hinausgeht.

Transatlantiker argumentieren, dass die TTIP größere Chancen auf eine schnelle Umsetzung habe - und die bisherige wohlwollende Aufnahme in Kongress und Öffentlichkeit scheint ihnen Recht zu geben.[27] Anders als die TPP-Verhandlungen lösen Handelsgespräche mit hoch entwickelten europäischen Ländern keine Ängste vor dem Verlust amerikanischer Arbeitsplätze an Niedriglohnländer aus.

Im Gegenteil hoffen US-Gewerkschaften, den Schutz von Arbeitnehmern in den USA mit der Angleichung an europäische Regeln zu verbessern.[28] Auch die Umweltschutzlobby auf beiden Seiten denkt bereits darüber nach, wie sich die Handelsinitiative für ihre Ziele nutzen lassen könnte, etwa über eine Einbeziehung der Themen Energieeffizienz und Klimaschutz.

Doch was Gewerkschaften und Umweltverbände aufhorchen lässt, wirkt auf andere Parteien eher abschreckend. Konservative Kommentatoren warnen, die TTIP könnte über die Hintertür europäisches sozialstaatliches Denken und Regulierungen in die USA einführen. Die Sorge scheint wenig begründet, da sich die Industrie auf beiden Seiten gegen eine Europäisierung des amerikanischen Arbeitsmarktes sperren dürfte, der letztlich auch die Produktionskosten für europäische Investoren in den USA erhöhen würde. Man denke an die großen deutschen Autobauer BMW, Mercedes und Volkswagen, die ihre Werke in »right-to-work states« im Süden der USA aufgebaut haben, wo Gewerkschaften wenig zu sagen haben.

Generell haben die Europäer in den USA ein Imageproblem zu überwinden. In Washington werden immer wieder Zweifel an der Verlässlichkeit der EU laut. Der Kommentator Claude Barfield vom konservativen American Enterprise Institute führt europäische Uneinigkeit und Sturheit in früheren Gesprächen als Beleg an - und schließt daraus, dass die Obama-Regierung ihre Ressourcen lieber auf den Abschluss der TPP-Verhandlungen konzentrieren solle.[29]

Skeptiker sehen sich vor allem durch die jüngsten Signale aus Frankreich bestätigt. Paris beruft sich auf die »exception culturelle«, um an Quoten für französische Produkte in der Medien- und Unterhaltungsbranche festzuhalten.[30] Auch beim Thema Landwirtschaft geben sich die Franzosen sperrig. Die Handelsministerin Nicole Bricq sagte zwar, sie wünsche sich ein »festes Mandat« der Kommission für die Verhandlungen, sie warnte aber vor übertriebener Eile.[31]

Für Unsicherheit sorgt in Washington zudem die Rolle des Europäischen Parlamentes, das seit dem LissabonVertrag das letzte Wort bei internationalen Verträgen der EU hat. Es stellte seine neue Macht im Juli 2012 unter Beweis, als es das Acta-Abkommen, ein Lieblingsprojekt der USA, zu Fall brachte.[32]

Europäische Unterhändler mögen noch so sehr darauf pochen, dass auch die USA sich in vielen Bereichen mit der Handelsliberalisierung schwer tun - in Washington dominiert die Sicht, dass die interne Zerstrittenheit der EU-Mitgliedsländer in Handelsfragen das Haupthindernis für die geplanten Gespräche sei.[33] Viele Amerikaner sehen die EU in der Bringschuld und erwarten insbesondere von der Wirtschaftsmacht Deutschland, dass die Bundesregierung ihren Einfluss in den anderen Hauptstädten geltend machen solle - insbesondere in Paris.

Dabei hat die EU umgekehrt genauso viel Anlass zum Zweifeln. Noch ist unklar, wie viel Spielraum der Demokrat Obama in der Handelspolitik am Ende haben wird. Am 2. Mai unterstrich er seine Entschlossenheit allerdings durch zwei Personalien: Für die zuletzt vakanten Kabinettsposten des Handelsministers und des Handelsbeauftragten nominierte er seine enge Vertraute und frühere Fundraiserin, die Hyatt-Erbin Penny Pritzker, und Michael Froman, den bisherigen Berater für internationale Wirtschaftsthemen im Weißen Haus. Für die Europäer ist Froman als bisheriger Ko-Vorsitzender des TEC ein vertrautes Gesicht. Beide Personalien müssen noch vom Senat bestätigt werden.

Für die (Ver)handlungsfähigkeit der US-Regierung wäre es zudem entscheidend, dass der Kongress die Trade Promotion Authority (TPA) des Präsidenten erneuert, die 2007 abgelaufen ist. Mit dieser Ermächtigung ausgestattet könnte Obama verbindliche Vereinbarungen schließen, über die der Kongress zwar später abstimmen müsste, die er aber inhaltlich nicht mehr abändern könnte. Der amtierende Handelsbeauftragte Demetrios Marantis sagte am 19. März vor dem Finanzausschuss des Senates, dass die Regierung bereit stehe, mit dem Kongress Gespräche über die Erteilung von TPA aufzunehmen.

Zwar macht sich in Washington und in Brüssel niemand Illusionen über schnelle Erfolge - aber der politische Wille scheint auf beiden Seiten so groß wie nie zuvor. In einer Rede vor seinem National Export Council am 12. März verglich Obama die bevorstehenden Gespräche mit der EU mit einer »Ochsentour« (»a heavy slog«), erklärte die Ziele der Initiative jedoch für »erreichbar«.

Die parallelen TPP-Verhandlungen erinnern die transatlantischen Partner zugleich daran, dass dies das letzte Zeitfenster für eine westliche Handelsallianz sein dürfte. Bis 2030 wird Asiens Wirtschaftsmacht nach der Prognose des Global Trends Report des U.S. National Intelligence Council größer sein als die der USA und der EU zusammen.[34] Wenn sie künftig gemeinsam die Spielregeln setzen wollen, können sich die westlichen Mächte keinen weiteren Aufschub mehr leisten.


Anmerkungen

[1] Der damalige Chef des Berliner Spiegel-Büros Gabor Steingart empfahl in seinem Buch »Weltkrieg um Wohlstand« eine Freihandelszone als Bollwerk gegen China und Indien (Piper, 2006).

[2] Die USA verlangen beim Verdacht der Schädlichkeit von Nahrungsmitteln wissenschaftliche Beweise. Die EU verfährt nach dem »precautionary principle«. Solange ein Schaden nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ist die Praxis nicht erlaubt. Die Beweislast liegt beim Produzenten.

[3] Sie wurden erst im Oktober 2011 verabschiedet, nachdem die US-Gewerkschaften durchgesetzt hatten, dass etwa Kolumbien strengere Arbeitsschutzregeln einführen musste.

[4] Dabei fällt die Bilanz des ersten Jahres positiv für Südkorea aus, was in den USA - übrigens genau wie in der EU - Ressentiments gegen den Freihandel mit dem ostasiatischen Land geschürt hat. Zwar sind die US-Exporte nach Südkorea leicht gestiegen, doch zugleich hat sich Südkoreas Handelsbilanzüberschuss mit den USA um 44 Prozent erhöht. Vor allem koreanische Autobauer verbuchten starke Exportzuwächse. Die US-Farmindustrie drängt darauf, beim Thema Rindfleisch nachzuverhandeln. Südkorea begrenzt Einfuhren aus den USA mit dem Verweis auf die BSE-Gefahr.

[5] Die Handelsinitiative passt damit zu der stärkeren Ausrichtung nach Asien, die die US-Regierung in Obamas erster Amtszeit angekündigt hatte. Ursprünglich als »pivot to Asia« ausgerufen, bezeichnen Regierungsvertreter diese Politik heute etwas vorsichtiger als »rebalancing«.

[6] Dazu wäre anzumerken, dass auch das kommunistische Vietnam, das TPP-Verhandlungspartner ist, kein Muster freier Marktwirtschaft ist.

[7] Chinesische Kommentatoren können sich aber vorstellen, dass China sich mit einem höheren Entwicklungsstadium in Zukunft in Richtung der von den USA angestrebten Standards bewegen wird. Siehe dazu den Beitrag von Tang Qifang vom China Institute of International Studies in der Global Times (Online-Ausgabe vom 22. April 2013):
http://www.globaltimes.cn/NEWS/tabid/99/ID/776655/TPPs-high-standards-conflict-withgoal-of-expanding-membership.aspx

[8] »USTR Highlights Four TPP Areas Where Negotiations Mostly Wrapped Up,« Inside U.S. Trade, March 15, 2013.

[9] Für eine Übersicht der kniffligen Themen in den TPP-Verhandlungen siehe die beiden Studien von Fergusson / Jurenas / Williams (2013) sowie von Schott / Kotschwar / Muir (2013).

[10] Die USA müssten dafür ihre strengen Herkunftsregeln für Vorprodukte innerhalb der Zulieferkette lockern. Die Regeln sollen vermeiden, dass durch die Hintertür Länder wie China, mit denen die USA kein Handelsabkommen haben, von der Zollfreiheit profitieren. Die USA und Vietnam arbeiten an Listen mit Ausnahmen für Vorprodukte, die schwierig in anderen TPP-Ländern zu beziehen sind.

[11] Siehe dazu: »How the Trans-Pacific Partnership Agreement Threatens Access to Medicines,« Doctors Without Borders / Médecins Sans Frontières (MSF), TPP Issue Brief, September 2011
(http://www.doctorswithoutborders.org/press/2011/MSF-TPP-Issue-Brief.pdf)

[12] »Mexican Industry Groups Put Emphasis On Protection For Sensitive Items,« Inside U.S. Trade, March 15, 2013.

[13] »TPP Countries Face Legal Issues Over FTA Coexistence, Entry Into Force,« Inside U.S. Trade, March 15, 2013.

[14] Eine Gruppe demokratischer Kongressabgeordneter aus Bundesstaaten mit starker Autoindustrie drängte Obama am 14. März in einem offenen Brief dazu, die Zölle auf japanische Pkw und Lkw auch im Falle von Japans Eintritt in die TPP-Verhandlungen beizubehalten.
http://democrats.waysandmeans.house.gov/sites/democrats.waysandmeans.house.gov/files/C%20TPP%20Japan%20FIN%203%2014%2012.pdf

[15] Für europäische Politiker ist es zu einem Ritual geworden, bei Besuchen in Washington den amerikanischen Schwenk nach Asien zu beklagen und die Bedeutung Europas zu unterstreichen. »Europa ist immer noch relevant«, sagte der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament Vital Moreira am 9. April vor dem Center for Transatlantic Relations. Der SPD-Fraktionsführer Frank-Walter Steinmeier bemühte sich dagegen in einem Vortrag in Washington auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Center for Strategic and International Studies am 13. Februar, über diese Klage hinauszugehen. Er äußerte Verständnis dafür, dass eine langfristige Hinwendung nach Asien für die USA genauso wichtig sei wie der Erhalt der engen Bindung an Europa. Europa müsse sich ebenfalls verstärkt um Asien kümmern, sei es doch zugleich »eine atlantische Macht« und eine »Halbinsel von Asien«, wie er es scherzhaft ausdrückte. http://transatlantic.sais-jhu.edu/publications/articles/SteinmeierRedeWashington.pdf

[16] High Level Working Group, 2013, S. 1-2

[17] Nach Angaben der EU-Kommission könnte ein Abkommen der EU bis 2027 jährliche Zuwächse von 0,5 Prozent des BIP bringen. Für die USA wurde eine Steigerung des Wachstums um 0,4 Prozent vorhergesagt. Dies entspräche Einkommenszuwächsen in Höhe von 86 Milliarden EUR für die EU und 65 Milliarden EUR für die USA.
(http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=869) Eine im März 2013 veröffentlichte Studie des Londoner Center for Economic Policy Research im Auftrag der Europäischen Kommission schätzte den jährlichen wirtschaftlichen Gewinn eines umfassenden Handels- und Investitionsabkommens sogar auf 119 Milliarden EUR für die EU und auf 95 Milliarden EUR für die USA. (http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/march/tradoc_150737.pdf)

[18] »Eine 'verlorene Dekade' in Europa würde der US-Wirtschaft schweren Schaden zufügen«, sagte der transatlantische Handelsexperte Bruce Stokes am 27. Oktober 2011 vor dem Europa-Unterauschuss im US-Repräsentantenhaus. »Eine transatlantische Initiative für Jobs und Wachstum ist ein Weg, um die Eurokrise in eine ökonomische Chance für alle Amerikaner zu verwandeln.«
(http://archives.republicans.foreignaffairs.house.gov/112/sto102711.pdf)

[19] Tyson Barker: »For Transatlantic trade, this time is different. Why the latest U.S.-EU trade talks are likely to succeed,« Foreign Affairs (online), February 26, 2013
(http://www.foreignaffairs.com/articles/139027/tysonbarker/for-transatlantic-trade-this-time-is-different)

[20] Siehe dazu auch das elegische Essay, in dem Gabor Steingart im Handelsblatt vom 1. Februar 2013 für die Gründung der »Vereinigten Staaten des Westens« plädiert:
http://www.handelsblatt.com/politik/international/transatlantische-freihandelszone-die-vereinigten-staaten-deswestens/7719596.html

[21] Es gehe darum, gemeinsam die »Spielregeln« im Wettbewerb mit den »Indiens, Chinas, Brasiliens, Südkoreas und Mexikos« der Welt festzulegen, sagte US-Außenminister John Kerry am 27. März in einem Treffen mit Wirtschaftsführern in Paris. »Kerry: Emerging economies pose challenges for US, EU,« Voice of America, March 27, 2013

[22] »European activists could thwart US-EU trade deal,« Spiegel Online, February 26, 2013.
(http://www.spiegel.de/international/world/plan-for-trans-atlantic-trade-agreement-could-founder-on-euconcerns-a-885596.html)

[23] In einem Brief an den Handelsbeauftragten im Februar erklärten die beiden ranghöchsten Senatoren im Senats-Finanzausschuss, Max Baucus (D) und Orrin Hatch (R), den besseren Zugang zum Agrarmarkt zur Bedingung für die Zustimmung des Kongresses zu einem Abkommen mit der EU.
http://www.finance.senate.gov/newsroom/chairman/release/?id=17b2fd73-067d-4a4a-a50f-a00265efbf67 In einer Anhörung am 19. März forderte Baucus eine Öffnung des EU-Marktes für US-Rindfleisch - ein wichtiges Exportprodukt seines Heimatsstaates Montana. Tom Carper aus Delaware drängte auf die Erschließung neuer Exportmärkte für die Hühnerzüchter in seinem Bundesstaat:
http://www.finance.senate.gov/hearings/hearing/?id=bf63ffa8-5056-a032-5283bd347de7362c

[24] Siehe die Eingabe von Public Citizen vor dem U.S.-EU High Level Regulatory Cooperation Forum im April:
http://www.citizen.org/documents/public-citizen-TAFTA-comments-reg-coop-forum.pdf

[25] In der Anhörung vor dem Senats-Finanzausschuss am 19. März warnte der amtierende Handelsbeauftragte Demetrios Marantis davor, dass die jüngsten Haushaltskürzungen die Fähigkeit seiner Behörde beeinträchtigen könnten, mehrere Freihandelsgespräche parallel zu führen.

[26] »EU, Canada see trade deal as possible template for U.S. deal,« Reuters, March 14, 2013.
(http://ca.reuters.com/article/domesticNews/idCABRE92D0Q620130314)

[27] Bruce Stokes: »The public supports a Transatlantic trade pact - for now,« Reuters Blog (The Great Debate), February 19, 2013
(http://blogs.reuters.com/great-debate/2013/02/19/the-public-supports-a-transatlantic-trade-pact-for-now/)

[28] Der Gewerkschaftsverband AFL-CIO lobt in einer Stellungnahme die »aktive Arbeitsmarktpolitik und das starke soziale Sicherheitsnetz« in der EU, ebenso wie die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer, etwa über Vertretung in Vorständen. Er warnt allerdings vor Ausnahmen und Übergangsregelungen in Ländern wie Polen, Rumänien oder Bulgarien - verbunden mit der Befürchtung, dass US-Unternehmen ein Abkommen nutzen könnten, um Arbeitsplätze nach Osteuropa zu verlegen.
(http://www.aflcio.org/Issues/Trade/U.S.-EU-Free-Trade-Agreement)

[29] Claude Barfield: »Not so fast: Conflicting Deadlines for the TPP and US-EU FTA«, The American, March 8, 2013.

[30] Frankreich hatte das Konzept, wonach Kulturgüter anders behandelt werden müssen als kommerzielle Waren, 1993 in den GATT-Verhandlungen eingeführt. Der Schutz der »kulturellen und linguistischen Diversität« im audio-visuellen Sektor wird im Verhandlungsmandat der Europäischen Kommission als Ziel formuliert. Anders als in früheren Verhandlungen der EU wird der Bereich aber nicht von vornherein ausgenommen.

[31] Vergleiche dazu die Berichterstattung in der New York Times
http://www.nytimes.com/2013/03/26/business/global/france-not-eager-for-useurope-trade-agreement.html?_r=0
mit der Einschätzung in der französischen Presse
http://www.latribune.fr/economie/international/20130325trib000755898/un-accord-de-libre-echange-ue-etats-unis-trop-allechantsur-le-papier-.html

[32] Die Bertelsmann-Stiftung rät der US-Regierung in einem Positionspapier zu Europa, bei den Handelsgesprächen die Stimmung im EP nicht außer Acht zu lassen (Bertelsman, 2013).

[33] Howard Schneider: »For U.S.-E.U. deal, Europe will have its own negotiating to do, »Washington Post, March 18, 2013.

[34] Global Trends 2030: Alternative Worlds, National Intelligence Council, December 2012
(http://www.dni.gov/index.php/about/organization/national-intelligence-council-global-trends)


Anhang

Knifflige Liberalisierung: Schwierige Themen im transatlantischen und transpazifischen Handel

SEKTOREN:

AGRAR

TTIP
Die US-Agrarindustrie fordert den Abbau von EU-Regulierungen, die den Zugang zum EU-Markt erschweren. Die EU verbietet etwa die Einfuhr von Hühnerfleisch, das mit Chlor desinfiziert wurde sowie von hormonbehandeltem Rindfleisch. Die USA stören sich auch am langwierigen Zulassungsprozess für genmodifizierte Nahrungsmittel in der EU. Die EU kämpft für den Schutz regionaler Herkunftsbezeichnungen für Delikatessen wie Champagner oder Parmesan. Die USA setzen sich - wie auch in den TPP-Gesprächen - für eine großzügigere Verwendung dieser Namen ein.

TPP
Die USA, Neuseeland und Australien versprechen sich Zugang zum wachsenden Markt für Milchprodukte in Asien. US-Produzenten wehren sich zugleich gegen eine Öffnung des eigenen Marktes gegenüber Neuseeland - und kämpfen auf der anderen Seite für freien Zugang zum kanadischen Markt. Australien fordert die Öffnung des US-Zuckermarktes, den beide Seiten in einem bilateralen Handelsabkommen ausgeklammert hatten. Japan wird seinen Reismarkt weiter abschotten wollen, könnte US-Interessen aber durch eine Marktöffnung für amerikanisches Rindfleisch entgegenkommen.


AUTOS

TTIP
Die Autoindustrie auf beiden Seiten des Atlantiks kämpft für den Abbau von Zöllen und eine gegenseitige Anerkennung der Sicherheits- und Umweltstandards. Die deutsche Autoindustrie hat besonders viel zu gewinnen, aber auch US-Exporteure würden profitieren. Deutsche Hersteller, die in den USA für den Export fertigen, könnten dort mehr Arbeitsplätze schaffen.

TPP
Autos waren bisher kein großes Thema in den TPP-Verhandlungen. Das wird sich aber nach dem Beitritt Japans ändern. In der US-Industrie und im Kongress gibt es große Vorbehalte gegen eine Senkung der Einfuhrzölle. Sie werfen Japan vor, den eigenen Automarkt über nicht-tarifäre Hindernisse wie technische Spezifizierungen abzuschotten.


CHEMIE

TTIP
Für US-Chemiekonzerne ist die EU der größte Exportmarkt knapp vor Asien. Von einer Abschaffung der Einfuhrzölle erhofft sich die Branche Einsparungen von 1,5 Mrd. $ pro Jahr. US-Hersteller drängen auf Erleichterungen bei der Einhaltung der europäischen Chemikalienrichtlinie REACH (siehe Umwelt).

TPP
Von der amerikanischen Chemieindustrie war in den TPP-Verhandlungen bisher wenig zu hören. Auch das änderte sich mit der Aussicht auf einen Beitritt Japans. Das American Chemistry Council erhofft sich eine Ankurbelung des Exportgeschäftes mit Japan, das schon jetzt einer der »Top-Five-Märkte« für Chemikalien aus den USA sei.


ENERGIE

TTIP
US-Landwirte und Kongressabgeordnete wollen die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU im Rahmen der TTIP angesprochen wissen. Sojabohnenhersteller klagen über einen unfairen Ausschluss vom europäischen Markt, weil die EU den Klimaschutzwert ihres Produktes falsch berechne. Sie sehen sich von EU-Regulierungen doppelt geschädigt, weil die Verwendung amerikanischer Sojabohnen im Lebensmittelbereich an EU-Auflagen für genetisch modifizierte Nahrungsmittel scheitern.

TPP
Die TPP könnte neue Märkte für das boomende amerikanische Schiefergas erschließen. Für die Ausfuhr von verflüssigtem Erdgas (LNG) muss das Energieministerium die Genehmigung erteilen - nicht jedoch bei Ländern, mit denen die USA ein Handelsabkommen haben. Produzenten wittern vor allem in Japan einen Markt. Umweltschützer warnen vor ökologischen Schäden durch die Förderung (fracking) und den Bau der Pipelines sowie der Export-Terminals für die Verschiffung. (siehe Umwelt)


FINANZEN

TTIP
In den USA gibt es große Bedenken gegen eine Reihe europäischer Regulierungen, etwa gegen die geplante Finanztransaktionssteuer. Fragen der Finanzmarktregulierung besprechen beide Seiten im EU-US Financial Markets Regulatory Dialogue. Industrievertreter plädieren dafür, dass der Dialog über die Regulierung von Banken und Versicherungen sowie über die Harmonisierung von Rechnungslegung und -prüfung in die TTIP-Gespräche Eingang findet.

TPP
Die USA fordern eine Öffnung des Marktes für Finanzdienstleistungen. Dazu gehören das Recht, Filialen und 100 prozentige Tochterfirmen zu gründen sowie das Recht, grenzübergreifende Leistungen auch ohne eine Präsenz vor Ort anzubieten. Konflikte drohen mit dem neuen TPP-Mitglied Japan, das seinen öffentlich dominierten Versicherungsmarkt abschottet.


MEDIEN/INTERNET

TTIP
Die USA drängen auf Erleichterungen im Handel mit digitalen und audiovisuellen Produkten. Aber Frankreich kämpft darum, seinen Mediensektor weiter durch Quoten zu schützen. Konflikte sind beim Thema Datenschutz im Internet zu erwarten, der in der EU restriktiver gehandhabt wird. Die USA drängen weiter auf strengere Regeln zum Schutz geistigen Eigentums auf Grundlage des ActaAbkommens, das 2012 im EU-Parlament abgeschmettert worden war.

TPP
Die USA drängen auf den Abbau von Handelshürden für E-Commerce, Software und Medien sowie auf eine Stärkung des Patent- und Markenschutzes. Die Forderungen, etwa in Bezug auf die Strafbarkeit von Copyright-Verletzungen, gehen über das Acta-Abkommen (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) hinaus. Die USA wollen darüber hinaus verhindern, dass Länder grenzüberschreitenden Datenverkehr unterbinden oder dass sie verlangen, dass ein Unternehmen lokale Server nutzen oder Know-How transferieren muss, um seine Dienste vor Ort anzubieten.


PHARMA

TTIP
Die USA und die EU bemühen sich, die Zulassung von Medikamenten und Generika durch ihre jeweiligen Regulierungsbehörden zu vereinfachen. Sie bemühen sich auch um gemeinsame Regeln für biologische und biotechnologisch hergestellte Medikamente.

TPP
Die US-Regierung will einen strengeren Patentschutz für Medikamente durchsetzen, der über die WTO-Anforderungen hinausgeht. Bürgerrechtsgruppen warnen vor einer schlechteren medizinischen Versorgung der Bevölkerung mit Generika.


TEXTILIEN

TTIP
Anders als beim TPP fürchtet die US-Textilindustrie von Europa keinen unfairen Wettbewerb.Produzenten auf beiden Seiten des Atlantiks versprechen sich Vorteile von einem Abbau der nach wie vor hohen Zölle für Textilien, Kleidung und Schuhe. Die USA dürften allerdings auch gegenüber der EU auf strenge Ursprungsregeln (yarn-forward rule) für Vorprodukte dringen.

TPP
Textilzölle sind Streitpunkt zwischen den USA und Vietnam. Die USA bestehen auf strengen Ursprungsregeln. Die Vorprodukte einer Textilie sollen nicht aus einem Land außerhalb der Freihandelszone kommen. So soll vermieden werden, dass etwa China durch die Hintertür von dem Abkommen profitiert. Vietnam und die USA verhandeln über eine Liste mit Ausnahmen für bestimmte Produkte.

*

THEMEN:

ARBEITSRECHT

TTIP
Im Gegensatz zum TPP sehen US-Gewerkschaften die Freihandelsgespräche mit der EU als Chance, den Arbeitsschutz im eigenen Land zu verbessern - etwa, indem Arbeiter in transatlantisch tätigen Unternehmen in den USA mehr Mitsprache erhalten könnten. Es gibt in der Industrie auf beiden Seiten aber sicher auch Widerstände gegen eine größere Mitsprache von Arbeitnehmern.

TPP
In den TPP-Verhandlungen wollen die USA ähnliche arbeitsrechtliche Standards wie in ihrem bilateralen Abkommen mit Peru durchsetzen, das hohe Strafen und Sanktionen für Arbeitsrechtsverletzungen vorsieht. Gewerkschaftsvertreter fürchten jedoch, dass das große Interesse der US-Wirtschaft, etwa an einem Abkommen mit Vietnam, zu Kompromissen führen könnte.


INVESTITIONEN

TTIP
Wirtschaftsverbände auf beiden Seiten des Atlantiks fordern die Abschaffung nationaler Diskriminierung bei Investitionen in Sektoren wie Transport, Telekommunikation oder Logistik. Europäische Verbände klagen über Hürden für Investitionen ins US-Broadband-Internet, aber auch über Beteiligungsobergrenzen im Luftverkehr und in der Schifffahrt. Politiker und Wirtschaftsführer auf beiden Seiten plädieren für einen starken Streitschlichtungs-Mechanismus (siehe TPP), um ein Modell für künftige globale Abkommen zu schaffen.

TPP
Die USA drängen auf größtmöglichen Schutz für US-Investoren vor Enteignung oder Diskriminierung. Umstritten ist ein Mechanismus, der es Investoren ermöglichen soll, die Regierung eines Gaststaates nach internationalem Recht zu verklagen (investor-state dispute settlement, ISDS). Bürgerrechtsgruppen warnen, dass Konzerne so Umwelt- oder Gesundheitsschutzvorschriften fremder Staaten aushebeln können. Die Regierung von Australien kämpft dafür, von den ISDS-Regeln ausgenommen zu werden, obwohl sie selbst in Abkommen mit Entwicklungsländern solche Regeln durchgesetzt hatte.


KAPITALVERKEHR/WÄHRUNG

TTIP
Kongressmitglieder, die die Aufnahme von Regeln gegen Kapitalverkehrskontrollen und Währungsmanipulation im TPP fordern (siehe rechts), propagieren dies auch im transatlantischen Kontext.

TPP
Die USA verlangen ein striktes Verbot von Kapitalverkehrskontrollen, wollen aber Ausnahmen für den Fall schwerer Zahlungskrisen zulassen. Kongressmitglieder fordern Regeln gegen Währungsmanipulation - vor allem im Hinblick auf Japan, dem sie vorwerfen, den Yen künstlich niedrig zu halten.


PERSONENVERKEHR

TTIP
Die Wirtschaft auf beiden Seiten fordert Visa- und Reiseerleichterungen für Geschäftsreisende und qualifiziertes Personal. Ein Thema ist auch die gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen sowie die Regelung der Zulassung von Anwälten oder Ärzten.

TPP
Der Personenverkehr ist auch in den TPP-Gesprächen Thema. Es ist jedoch heikel, Visumsfragen zwischen Ländern mit verschiedenen Entwicklungsstufen und Systemen in einem Handelspakt zu regeln. Kanada bemüht sich um eine bilaterale Absprache mit den USA.


WETTBEWERB

TTIP
Die EU fordert besseren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in den USA. Viele Bundesstaaten schotten ihr Beschaffungswesen mit dem Ziel der Schaffung von Jobs im eigenen Land über »Buy American«-Vorschriften ab. Um eine Marktöffnung zu erreichen, müsste die US-Regierung einzelne Bundesstaaten dazu überredet, ihre Regeln zu lockern. Wettbewerbsverzerrend wirken sowohl in den USA als auch in der EU Subventionen in der Landwirtschaft oder in Schlüsselindustrien wie der Luftfahrt.

TPP
Die USA drängen auf besseren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen sowie auf den Abbau von Privilegien für Staatsunternehmen (SOEs) in einer Reihe von TPP-Staaten. Das kommunistische Vietnam, aber auch Malaysia und Singapur, die starke Staatsunternehmen haben, leisten heftigen Widerstand gegen die Vorschläge. Singapur fordert, dass das Kriterium für die Anwendung von Disziplinierungsmaßnahmen nicht die Eigentümerstruktur eines Unternehmens sein solle, sondern die Frage, ob der Staat direkten Einfluss auf das Management nehme.


UMWELT

TTIP
Industrie und Kongress wollen europäische Umweltschutzregulierungen thematisieren, die ihnen ein Dorn im Auge sind. Dazu gehören die Chemikalienverordnung REACH, aber auch der Kampf der EU für globale Kohlendioxidabgaben für Fluglinien. Umweltschützer auf beiden Seiten könnten versuchen, den Klimawandel zum Teil der Gespräche zu machen.

TPP
Wie in ihren bilateralen Abkommen setzen sich die USA für verbindliche Standards für Umwelt- und Artenschutz. Damit wollen sie verhindern, dass Länder ihre Standards senken, um Investitionen anzulocken. Streit gibt es darüber, wie die Einhaltung der Verpflichtungen durchgesetzt werden kann. Ebenfalls umstritten ist ein Vorschlag von Neuseeland, das Thema Klimawandel aufzunehmen.

*

Literatur

Atlantic Council / Bertelsmann Foundation: The Transatlantic Trade and Investment Partnership: Ambitious, but Achievable: A Stakeholder Survey and Three Scenarios, April 2013
(http://www.acus.org/files/publication_pdfs/403/TTIPReport.pdf)

Bertelsmann Foundation: Memo on the Transatlantic Economy, Field Manual to Europe: Ten Memos for the Next U.S. Administration, February 2013 
(http://www.bfna.org/sites/default/files/BF-FieldManual-FEB13%20-3.pdf)

European Commission: Recommendation for a Council decision, March 2, 2013 (text of EU draft mandate as leaked by Inside U.S. Trade on 28 March, 2013:
(http://www.bilaterals.org/IMG/pdf/eu_draft_mandate_-_inside_us_trade.pdf)

Executive Office of the President, The United States Trade Representative: Notification to Congress, March 20, 2013 (Benachrichtigung der Obama-Regierung an den Kongress über die Aufnahme von Handelsgesprächen mit der EU:
http://www.ustr.gov/sites/default/files/03202013%20TTIP%20Notification%20Letter.PDF)

Felbermayr, Gabriel et al.: Dimensionen und Auswirkungen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA, Ifo-Institut, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, 8. Februar 2013
(http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/infoservice/News/2013/02/news-20130228-Freihandel.html)

Fergusson, Ian F., et al: The Trans-Pacific Partnership Negotiations and Issues for Congress, Congressional Research Service, R42694, January 24, 2013 (http://www.fas.org/sgp/crs/row/R42694.pdf)

Hamilton, Daniel S. / Quinlan, Joseph P.: The Transatlantic Economy 2013. Annual Survey of Jobs, Trade and Investment between the United States and Europe. Center for Transatlantic Relations, Paul H. Nitze School of Advanced International Studies, Johns Hopkins University (Executive Summary:
http://transatlantic.sais-jhu.edu/publications/books/Transatlantic_Economy_2013/TE2013_executive_summary-old.pdf)

High Level Working Group on Jobs and Growth: Final Report, February 11, 2013
(http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/february/tradoc_150519.pdf)

Mildner, Stormy: Impulsgeber oder neutraler Vermittler: Die deutsche Ratspräsidentschaft in der EU-Handelspolitik, Diskussionspapier der Stiftung Wissenschaft und Politik, August 2007
(http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/arbeitspapiere/Analyse_KS_neuformatiert_Mildner.pdf)

Transatlantic Task Force on Trade and Investment: A New Era for Transatlantic Trade leadership: A Report from the Transatlantic Task Force on Trade and Investment, German Marshall Fund of the United States/European Center for International Political Economy February 2012 
(http://www.gmfus.org/wp-content/blogs.dir/1/files_mf/tatf_report_2012.pdf)

Schott, Jeffrey J. / Catheleen Cimino: Crafting a Transatlantic Trade and Investment Partnership: What Can Be Done, Peterson Institute for International Economics Policy Brief, March 2013
(http://www.iie.com/publications/pb/pb13-8.pdf)

Schott, Jeffrey J. / Kotschwar, Barbara / Muir, Julia: Understanding the Trans-Pacific Partnership, Peterson Institute for International Economics, January 2013


Über die Autorin

Sabine Muscat berichtet seit 2007 für deutsche Medien aus Washington (Financial Times Deutschland, Capital, Das Parlament). Sie publiziert auch auf englisch zu transatlantischen Themen (The Globalist).

*

Impressum

Friedrich-Ebert-Stiftung
Referat Westeuropa / Nordamerika |
Abteilung Internationaler Dialog
Hiroshimastraße 28 | 10785 Berlin | Deutschland
Verantwortlich:
Anne Seyfferth, Leiterin des Referats Westeuropa / Nordamerika
Tel.: ++49-30-269-35-7736 | Fax: ++49-30-269-35-9249
http://www.fes.de/international/wil | http://www.fesdc.org
E-Mail: ID-INFO-WENA@fes.de

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

ISBN 978-3-86498-532-4

*

Quelle:
Friedrich-Ebert-Stiftung
Referat Westeuropa / Nordamerika | Abteilung Internationaler Dialog
Hiroshimastraße 28 | 10785 Berlin | Deutschland
Verantwortlich:
Anne Seyfferth, Leiterin des Referats Westeuropa / Nordamerika
Tel.: ++49-30-269-35-7736 | Fax: ++49-30-269-35-9249

http://www.fes.de/international/wil | http://www.fesdc.org

E-Mail: ID-INFO-WENA@fes.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2013