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INTERNATIONAL/196: Brasilien - Trotz Eisenbahn und Bergbau Entwicklung im Carajás-Korridor ausgeblieben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. März 2014

Brasilien: Chronische Armut im Carajás-Korridor - Trotz Eisenbahn und Bergbau Entwicklung ausgeblieben

von Mario Osava


Bild: © Mario Osava/IPS

Dem Dorf Auzilandia im brasilianischen Gemeindebezirk Alto Alegre do Pindaré hat die Anbindung an die Bahn keinen Entwicklungsschub gebracht
Bild: © Mario Osava/IPS

Alto Alegre do Pindaré/São Luis, Brasilien, 4. März (IPS) - In Brasilien genießt das Eisenbahnunternehmen 'Ferrocarril Carajás' den Ruf, besonders effizient zu sein. Gleichzeitig leistet es sich im gleichnamigen Korridor einen Personentransport, der Verluste schreibt. Doch als Entschädigungsbeitrag für das Leid, das Zug und Bergbau über die Menschen vor Ort gebracht haben, ist der Service unzureichend.

Gebaut wurde der einspurige Schienenstrang für den Transport von Eisenerz aus den Carajás-Minen quer durch das Amazonasgebiet zum Tiefseehafen Ponta da Madeira im Bundesstaat Maranhão. Vom Mineralienreichtum hat die Bevölkerung bisher nicht profitiert: Die Entwicklung ihrer Dörfer ist ausgeblieben. Viele Anrainer verdingen sich deshalb als Saisonarbeiter in den wohlhabenderen Regionen oder aber helfen auf den Großbaustellen im Amazonasgebiet aus.

In Auzilandia leben dies- und jenseits der Schienen rund 12.000 Menschen. Zum Ende eines jeden Jahres ist die Stadt wie ausgestorben, berichtet Leide Diniz. Auch ihr Mann ist im November weg, um mehr als 3.000 Kilometer südlich im Bundesstaat Santa Catarina in einem Restaurant auszuhelfen, berichtet Diniz. "Wenn er ein bisschen Geld verdient hat, kommt er zurück. Es geht halt nicht anders, denn hier bei uns gibt es keine Arbeit."

In den letzten Jahren ist es vielen des 31.000 Einwohner zählenden Gemeindebezirks Alto Alegre do Pindaré zur Gewohnheit geworden, in der Touristenhauptsaison nach Santa Catarina zu gehen. Alto Alegre do Pindaré, wo sich auch Auzilandia befindet, liegt im Herzen des Bundestaates Maranhão - zwischen dem semiariden Nordosten Brasiliens und dem Amazonas-Regenwald.


Saisonarbeit und Fron

Zwei Drittel der 892 Kilometer langen Carajás-Eisenbahnstrecke verlaufen durch Maranhão. Von dort kommen die meisten Menschen, die sich landesweit nach Arbeit umsehen. Sie sind häufig in prekären Arbeitsverhältnissen anzutreffen und arbeiten etwa als Goldschürfer, Erntehelfer, Viehhirten oder Holzkohleproduzenten.

Maranhão ist zudem der Hauptherkunftsort der Opfer der modernen Sklaverei. Auf dem brasilianischen Index für menschliche Entwicklung ist der Bundesstaat auf einem der hinteren Plätze anzutreffen, und beim Pro-Kopf-Einkommen belegt er den letzten Platz.

Ferrocarril Carajás und der brasilianische Bergbaukonzern 'Vale', der sie betreibt, werden nun erneut Gelegenheit erhalten, etwas für die Menschen vor Ort zu tun. Denn im Korridor soll ein zweiter Schienenstrang verlegt werden, sodass die Züge künftig in beiden Richtungen unterwegs sein können, da die Rohstoffproduktion in den Carajás-Bergen im brasilianischen Bundesstaat Pará verdoppelt werden soll.

Vorgesehen ist, ab 2018 jährlich 230 Millionen Tonnen hochwertiges Eisenerz für den Weltmarkt zu fördern. Vom Ponta da Madeira-Terminal in São Luis aus, der Hauptstadt von Maranhão, werden Erzeugnisse wie Mangan und Kupfer weltweit exportiert. Die Kosten für die Erweiterungsarbeiten werden auf 19,5 Milliarden US-Dollar geschätzt, wobei der Großteil der Investitionen in die Logistik gehen soll.


Unfälle trotz Schutzvorkehrungen

Niemand hatte bemerkt, wie das 15 Monate alte Kind über den Innenhof krabbelte und dann durch das Tor auf die in nächster Nähe verlaufenden Schienen kroch. Auf diese Weise verlor Leidiane de Oliveira Conceição ihren Sohn. "Der Vale-Zug hat uns nur Schmerz und Verluste gebracht", fügt der Großvater Evangelista da Silva hinzu, der einen Teil seines Grundstücks an die Eisenbahn abtreten musste und um eine Entschädigung kämpft. "Das Schlimmste war der Tod meines Enkels", betont er. Doch habe der Zug auch einmal 14 seiner trächtigen Kühe getötet.

Die Züge von Vale gelten als die sichersten des Landes. Die Schutzvorkehrungen beinhalten elektronisch gesicherte Absperrungen, Überführungen, Sensibilisierungskampagnen und 24-stündige Sicherheitseinsätze, die nach Angaben von Elmer Vinhote durchschnittlich 80 Menschen im Monat das Leben retten. "Unfälle und Zusammenstöße sind seit 2009 von 20 auf drei bis vier zurückgegangen", sagt Vinhote, der im Kontrollzentrum der Carajás-Eisenbahn arbeitet.

Dutzende Familien berichten von Rissen im Mauerwerk ihrer Häuser, die durch den Bau von Überführungen entstanden sind. Sie verlangen, dass man ihnen Häuser in größerer Entfernung zu den Schienen baut.

Auf dem Höhepunkt der Gleisausbauarbeiten wird Vale nach eigenen Angaben 8.645 Menschen beschäftigen. Die Rede ist zudem von 1.438 ständigen Jobs nach Abschluss der Arbeiten, die vorwiegend an die Lokalbevölkerung gehen sollen. Ihre größten Hoffnungen setzen die Menschen jedoch auf die sozialen Investitionen der transnationalen Firma.


Hoffnung auf neues Gesetz

Ein neues Bergbaugesetz, das in diesem Jahr verabschiedet wird, soll dafür sorgen, dass ein kleiner Teil der Vale-Einnahmen dem Wohl derjenigen Gemeinden zukommt, die indirekt die Auswirkungen ihrer Aktivitäten zu spüren bekommen. Um sicherzugehen, dass auch sie von diesen und anderen Ressourcen profitieren werden, haben sich die 23 Gemeindebezirke Maranhãos im Umfeld der Bahnlinie zusammengeschlossen, um ihre Kräfte zu bündeln.

Wie der Vale-Logistik-Direktor Zenaldo Oliveira erklärt, hat der Multi lokale Wirtschaftsentwicklungsprojekte begutachtet und Vorhaben für jede einzelne Mikroregion längs der Schienen entwickelt. In einer Gemeinschaft wird das Unternehmen nach eigenen Angaben eine Kassavamühle und in einer anderen Obstanbau und Saftproduktion finanzieren.

Vale war 1942 als Staatsunternehmen gegründet und 1997 privatisiert worden. Bisher unterstützt es Bildungs-, Gesundheits- und Einkommen schaffende Initiativen.

Derzeit gibt es nur einen kleinen Streckenabschnitt, auf dem die Züge in beide Richtungen unterwegs sind. Täglich fahren zwölf Containerzüge von Carajás nach São Luis. Mit jeweils 330 Triebwagen und vier Lokomotiven gelten sie als die längsten der Welt. Jedes Jahr transportieren sie mehr als 100 Millionen Tonnen Mineralien.

Auf dem Rückweg sind sie mit Treibstoff, Dünger und anderen Erzeugnissen beladen, die im Landesinnern benötigt werden. Der Personentransport wird subventioniert, weil sich die Menschen den Fahrpreis nicht leisten können. Dadurch steht den Menschen ein zuverlässiges und bezahlbares Transportmittel in einer Region zur Verfügung, in der die Straßen aufgrund der heftigen Niederschläge oftmals unpassierbar sind.

An 15 Stopps, vor allem in Alto Alegre do Pindaré, finden sich informelle Händler, meist Frauen, ein, um den 360.000 Reisenden im Jahr kleine Speisen anzubieten. Die Snacks werden durchs offene Fenster gereicht. Diese geringen Einkünfte sind gefährdet, da die Wagons mit Luftkühlung ausgestattet und die Fenster deshalb verschlossen werden.

Bild: © Mario Osava/IPS

Informelle Verkäufer bieten Reisenden auf dem Bahnsteig von Alto Alegre de Pindaré im Nordwesten des brasilianischen Bundesstaates Maranhão Snacks an
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"Wir werden Lösungen für die Betroffenen finden", versichert Oliveira. "Vielleicht organisieren wir Verkaufskooperativen." In Alto Alegre gab es eine Zeitlang eine Arbeiter- und Verkäufer-Genossenschaft, die mit Unterstützung von Vale entstanden war und vor zehn Jahren die Speisewagen der Züge belieferte, wie Alice Cunegundes, Mutter dreier Kinder, erzählt. Später richtete die 93 Mitglieder zählende Vereinigung 3.000 Mahlzeiten für das Rathaus aus, bis der derzeitige Bürgermeister den Vertrag löste und die Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit entließ.

Vale und seine Stiftung haben in die Verbesserung der Schulen und die berufliche Ausbildung tausender Menschen investiert. Doch George Pereira von der Itaquí-Bacanga-Gemeindevereinigung kritisiert, dass die Projekte nur von kurzer Dauer und somit einer nachhaltigen Entwicklung nicht förderlich seien.

Darüber hinaus würden die Menschen im Carajás-Korridor nicht angemessen für erlittene Verluste entschädigt, wie aus dem Umfeld der Kampagne 'Gerechtigkeit auf den Schienen' zu erfahren ist, die von sozialen und religiösen Gruppen zur Verteidigung der Menschen, die vom Schienenverkehr betroffen sind, geführt wird.


Vale in der Kritik

2012 sorgten Proteste der Kampagne und des Internationalen Netzwerks der von Vale betroffenen Menschen dafür, dass das Unternehmen für den 'Public Eye'-Award ausgewählt wurde, einen von internationalen Organisationen wie Greenpeace ausgelobten Negativ-Preis für die Unternehmen mit der schlimmsten Menschenrechts- und Umweltbilanz.

Die Eisenbahn ist ein Bestandteil des Groß-Carajás-Programms, an dem auch Bergbau-, Stahl-, Aluminium-, Zellstoff-, Papier- und Viehzuchtunternehmen sowie Wasserkraftwerksbetreiber beteiligt sind, mit denen zusammen die Regierung in den 1980er Jahren die östliche Amazonasregion entwickeln wollte.

Das Programm beschleunigte die Entwaldung, verseuchte die Gebiete im Umfeld der Industriezentren, begünstigte sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse und andere Formen der Gewalt. Von einer menschlichen Entwicklung kann somit keine Rede sein. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/02/ferrocarril-y-mineria-matrimonio-impotente-ante-pobreza-brasilena/
http://www.ipsnews.net/2014/02/rich-railroad-brings-opportunities-brazil/
http://www.ipsnews.net/2014/03/political-wrangling-stymies-car-peacekeeping-force/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2014