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INTERNATIONAL/203: Japan - Gastarbeiter gesucht, überalterte Gesellschaft stürzt Baubranche in die Krise (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. April 2014

Japan: Gastarbeiter dringend gesucht - Überalterte Gesellschaft stürzt Baubranche in die Krise

von Suvendrini Kakuchi


Bild: © Catherine Makino/IPS

Gastarbeiter protestieren in Tokio gegen Diskriminierung und Ausbeutung
Bild: © Catherine Makino/IPS

Tokio, 25. April (IPS) - Japan sucht händeringend Arbeitskräfte für den boomenden Bausektor. Über ein umstrittenes Trainee-Programm für Ausländer, das jetzt erweitert werden soll, will die Regierung mehr ungelernte Asiaten ins Land holen. Statt der bisher festgelegten drei Jahre sollen sie fünf Jahre lang bleiben dürfen.

Das 1993 eingeführte Programm sieht vor, dass sich ausländische Praktikanten in japanischen Unternehmen mit neuen Technologien vertraut machen und dann in ihre Heimat zurückkehren. Bei der Umsetzung haben sich allerdings viele Probleme aufgetan.

Mehr als 200 Firmen wurden 2012 beschuldigt, gegen geltendes Arbeitsrecht, darunter eine zu niedrige Bezahlung und viel zu lange Arbeitszeiten, zu verstoßen. Aktivisten kritisieren, dass mit Hilfe des Programms vor allem Lücken gestopft werden sollen, die durch die Überalterung der japanischen Gesellschaft entstanden sind.


Ein Viertel aller Japaner sind Senioren

Ein Viertel der etwa 130 Millionen Japaner sind älter als 65 Jahre. 1995 zählte das Land insgesamt 83 Millionen Erwerbstätige, bis 2012 sank die Zahl um fast fünf Millionen.

Die Bauindustrie sucht indes dringend ausländische Arbeiter, die als Gießer und Stuckateure eingesetzt werden können. Die Regierung hat daher vorgeschlagen, die Visa für Trainees um zwei Jahre zu verlängern, in denen diese mit "bestimmten Tätigkeiten" vertraut gemacht werden sollen, die ihre Chancen auf eine reguläre Arbeitsstelle erhöhen.

Offenbar hat die Regierung diesen Entschluss vor allem mit Blick auf die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio gefasst. Von einem Technologieaustausch mit Entwicklungsländern könne somit keine Rede sein, meint Ippei Tori von der großen Gewerkschaft 'Zentotsu'. Die japanische Einwanderungspolitik betrachte Arbeitsmigranten nicht als Menschen mit Arbeitsrechten. Der neue Vorstoß sei nur ein weiteres Beispiel für das Bestreben, über ausländische Arbeitskräfte frei und rücksichtslos verfügen zu können.

Zentotsu verhandelt über die Fälle mehrerer ausländischer Praktikanten, die von ihren Arbeitgebern hemmungslos ausgebeutet werden. Unter ihnen sind sechs Chinesinnen, die in einer Textilfabrik in einer ländlichen Region Japans drei Jahre lang für umgerechnet vier US-Dollar pro Stunde - die Hälfte des offiziell festgelegten Mindestlohns - als Näherinnen arbeiten mussten.


Arbeitsmigranten in der Schuldenfalle

"Sie konnten nicht weg, weil jede von ihnen 8.000 Dollar Schulden bei Arbeitsvermittlern hatten, die sie aus ihren Heimatorten in China geholt hatten", berichtet Ippei. Derzeit sind etwa 136.603 aller ausländischen Arbeiter in Japan Praktikanten. Das entspricht einem Anteil von 19 Prozent. Ganz oben in der Statistik stehen Chinesen, Vietnamesen und Philippiner. Etwa 15.000 Ausländer sind in der Baubranche beschäftigt und verdienen im Durchschnitt monatlich ungefähr 1.200 Dollar zuzüglich der Vergütung für Überstunden.

Jotaro Kato von der 'Asian People's Friendship Society' (APFS) plädiert dafür, dass die Regierung ein spezielles Visum für ungelernte Arbeiter einführt. "Der Vorschlag, mehr ausländische Praktikanten ins Land zu holen, erweckt den Eindruck eines rein bürokratischen Vorgangs. Es handelt sich nicht um eine nachhaltige Lösung für ein gewichtiges nationales Problem."

Nachdem die Behörden hart gegen Migranten durchgegriffen haben, die das Land nicht mehr verlassen wollten, ist die Zahl der Ausländer, die nach dem Auslaufen ihrer Visa weiter im Land bleiben, auf etwa 6.000 gesunken. In den 1990er Jahren waren es an die 250.000 gewesen. "Aufgrund der scharfen Kontrollen kommen arme Menschen aus Asien nun als Praktikanten nach Japan. Sie verlängern ihren Aufenthalt dadurch, dass sie einen Flüchtlingsstatus beantragen oder heiraten Einheimische. Sie tun all dies aus Verzweiflung, weil sie hier leben wollen", sagt Kato.


Mehr Frauen sollen auf dem Bau arbeiten

Die Bauarbeitergewerkschaft lehnt den neuen Plan ab und argumentiert damit, dass auf diese Weise die Zahl der unterbezahlten Ausländer steigen würde. Damit gerieten auch die höheren Gehälter von Japanern in Gefahr. Der japanische Verband der Bauindustrie forderte kürzlich eine Verdopplung der weiblichen Arbeitskräfte von derzeit 90.000 in den kommenden fünf Jahren, um auf diese Weise die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage zu überbrücken.

Laut einer im März durchgeführten Meinungsumfrage der Zeitung 'Yomuiri' sind aus Angst vor einer Zunahme der Kriminalität nur zehn Prozent der Japaner für die Anwerbung ungelernter ausländischer Arbeiter. Eine überwiegende Mehrheit von 85 Prozent plädiert dafür, Frauen stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Derzeit machen Ausländer zwei Prozent der Bevölkerung Japans aus. Darin eingeschlossen sind fast 400.000 Menschen, die eine ständige Sonderaufenthaltserlaubnis haben. Bei ihnen handelt es sich um in Japan geborene Koreaner, die nicht eingebürgert wurden. Mit lediglich 1,1 Prozent Ausländern unter den Erwerbstätigen ist Japan das Schlusslicht der Industriestaaten. In Deutschland liegt der Anteil von Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit bei neun Prozent. Elf Prozent der Deutschen haben einen Migrationshintergrund.


Beschäftigung ausländischer Krankenschwestern gefördert

Angesichts der bevorstehenden demografischen Krise sieht sich auch Japan gezwungen, seine Einwanderungspolitik zu verändern. Zwei Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die 2008 mit Indonesien und den Philippinen geschlossen wurden, enthalten eine Klausel, die den Zuzug von Krankenschwestern und Pflegekräften aus diesen Ländern begünstigt.

In den vergangenen fünf Jahren sind etwa 750 Krankenschwestern aus Indonesien und den Philippinen nach Japan gekommen. Laut dem japanischen Gesundheitsministerium fehlen rund 43.000 Pflegekräfte. Viele Japanerinnen geben wegen der langen Arbeitszeiten ihren Beruf als Krankenschwester auf, sobald sie eine Familie gegründet haben. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/04/japan-seeks-foreign-workers-uneasily/

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IPS-Tagesdienst vom 25. April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2014