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MEINUNG/043: Konjunkturpolitik in Kriegszeiten (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 42 vom 17. Oktober 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Konjunkturpolitik in Kriegszeiten
"Deutschland geht es gut" war gestern

von Klaus Wagener



Es kam so plötzlich wie die Rüstungslücke. Gestern noch galt das Kanzlerinnenwort: "Deutschland geht es gut". Und nun Heulen und Zähneklappern. "Konjunkturschock: Wir sind Euro-Krise", alarmiert das Handelsblatt (HB). "Das German Wunder ist zu Ende", glaubt die Süddeutsche. Und die FAZ sieht "Deutschland vor der Rezession".

Selbstredend haben die Qualitätsmedien die Schuldigen sofort ausgemacht: "Putins Werk und Merkels Beitrag", brachte Focus-online die Sache auf den Punkt. Nun gibt es ja in diesen Kriegszeiten kaum etwas, woran der russische Präsident nicht die Schuld trägt. Warum nicht auch an den Sanktionen gegen ihn, respektive gegen die Russische Förderation, um etwas genauer zu formulieren. Aber nun auch die Kanzlerin, der geliebte Darling des Boulevard wie der Nadelstreifenabteilung, die doch immer für alles und jedes die Mehrheiten organisiert hat.

"Die wirtschaftsfeindliche Politik" der schwarz-roten Regierung mache "alles schlimmer", rügt die Welt der Frau Springer. Darunter ein nicht sehr freundliches Photo der Kanzlerin und ihres Wirtschaftsministers. Die hätten "hier eine soziale Wohltat, dort ein teureres Wahlgeschenk" verteilt. Wir leben in neoliberalen Zeiten, da steht der Versuch, das Leben der Menschen zu erleichtern, prinzipiell unter dem Generalverdacht profitschmälernd und damit moralisch verwerflich zu sein. So ziemlich das Mieseste, was sich ein "Politiker" zuschulden kommen lassen kann. Die Rente mit 63, die Mütterrente, der Mindestlohn - Milliardengräber mit Arbeitsplatzvernichtungspotential im Hunderttausenderbereich. Und die Konjunktur rauscht in den Keller. Ein einziger Skandal.

"Doch nun ist es vorbei mit Friede, Freude, Eierkuchen", droht die Welt, "die Zeit des fröhlichen Umverteilens ist endlich vorbei", atmet, ebenfalls in der Welt, die "Maggie Thatcher des deutschen Journalismus", Dorothea Siems, erleichtert auf, "Deutschland braucht kein kurzfristiges Konjunkturprogramm, sondern eine neue Agenda." Es riecht nach einem Schröder-Moment für Schwarz-Rosa. Auch der "Genosse der Bosse" hatte versucht, mit "hier einer sozialen Wohltat, dort einem teuren Wahlgeschenk", ein wenig PR beim Wahlvolk zu treiben, bevor die Herrschenden ihm über ihre Medien das Ende von "Friede, Freude, Eierkuchen" verkündeten und "den Gerd" an den Kernauftrag des Unternehmens Rosa-Oliv erinnerten: Die Agenda 2010.


Das Ende des "German Wunder"?

Was war passiert? "Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute" (Tagesschau) hatten sich vertan. Oder besser, nicht richtig gewürfelt. Mit den, natürlich streng mathematischwissenschaftlich geweissagten 1,9 Prozent BIP-Wachstum in diesem Jahr ist es wohl Essig. Nun hat die führende Forschungselite 1,3 Prozent ausgeknobelt. Aber auch wenn die hochdotierten Großkopfeten aus Ifo, DIW, RWI und IWH gerade unter Beweis gestellt hatten, dass sie von so etwas wie Konjunkturverlauf eigentlich keine Ahnung haben, so wollten sie doch wissen können, wer an dem Schuld trägt, wovon sie nichts wussten: Putin und die schwächelnden Chinesen. Und natürlich: Das Rentenpaket und der Mindestlohn.

Wir wollen uns an dieser Stelle der eigentlich notwendigen Bemerkung zu den systematischen Fragwürdigkeiten der BIP-Konstruktion und ihrer Berechnung enthalten. Die aufgeregte Debatte über den Kommastellenbereich ist angesichts des erheblichen Schätzungsvolumens, sowie der neuerdings, durch wen auch immer erfassten Schwarzmarktaktivitäten, ein schlechter Witz. Aber einmal ernst genommen, so hätte allein die Meldung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) vom 1.9.2014 die nun betätigten Alarmglocken klingen lassen müssen. Mit minus 0,2 Prozent zum Vorquartal befindet sich danach schon im zweiten Quartal das saisonbereinigte reale BIP deutlich jenseits dessen, was der Mainstream weiterhin unbekümmert gebetsmühlenhaft als "German Wirtschaftswunder" abfeierte.

Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben, dürfte der gefeierte "Deutschland-Boom" (HB) ohnehin herzlich gleichgültig sein. Selbst an jenen, die nicht zu den mittlerweile bundesweit 43,3 Prozent gehören, die mehr oder weiniger gezwungenermaßen einer atypischen Beschäftigung nachgehen, ist der "Aufschwung" fast spurlos vorüber gegangen. Die bundesdeutsche Brutto-Lohnsumme ist in den letzten 14 Jahren real gerade einmal um sechs Prozent gestiegen. Im Schnitt um "kräftige" 0,4 Prozent pro Jahr. Mit einer sich vergrößernden Spreizung. Während es den wichtigen Kernbelegschaften noch vergleichsweise gut geht, können offiziell 1,3 Million Aufstocker, die Zahl derjenigen, die sich aus Scham nicht melden, ist unbekannt, von ihrer Arbeit nicht mehr leben. Noch trister sieht es bei der Netto-Lohnsumme aus. Hier bewegen wir uns auf dem Niveau von vor der Rückeroberung der DDR.

Entsprechend flach wie ein Brett ist die Nachfragekurve, massenmedial als Kauflust psychologisiert. Seit 2000: plus neun Prozent. Einen klareren Statistik-Beleg für den engen Zusammenhang von Lohn(!)-Einkommen und Konsumausgaben gibt's kaum. Ohne Zweifel gab es in diesem (Agenda-)Zeitraum tatsächlich einen Boom. Nur eben woanders: Die realen Exporte stiegen seit 2000 um 91 Prozent. Dafür haben nun (fast) alle gespart. Doch in die schöne heile Welt des Exportweltmeisters, der ewigen Exportsteigerungen platzt Destatis nun auch noch mit einem Minus. Minus ein Prozent Exporte im August zum Vorjahresmonat. Und das nach dem Allzeithoch von Juli mit 101 Mrd. Euro. Da herrscht Aufregung im Hühnerstall.


Geldruckmaschinen und "Dicke Berthas"

Natürlich konnten nur jene von dieser Meldung "überrascht" werden, die ihr Wissen ausschließlich aus den einlaufenden Daten und/oder neoliberalen Glaubenssätzen beziehen. Wer sich der schlichten Überlegung anheim gibt, dass Überschüsse nun einmal zwingend Defizite erzeugen und dass Warenströme in Zeiten der Geld-Ware-Beziehung ebenso zwingend gegenläufige Finanzströme auslösen, der konnte auch vorher ahnen, dass dieser Zustand der Glückseligkeit für die deutsche Exportwirtschaft ein begrenzter sein dürfte.

Richtig, es gibt Kredite und es gibt Gelddruckmaschinen. Diese wunderbaren Einrichtungen haben ein gutes Jahrzehnt recht zuverlässig verhindert, dass der Export-Krug vorzeitig bricht. Doch aus Krediten werden Schulden. Aus ständig neuen Krediten immer höhere Schulden. Die verlangen immer mehr und tendenziell immer höhere Zinsen. Und die Euro-Staaten beispielsweise hatten nun zu allem Überfluss nun keine Gelddruckmaschine mehr, ihre Schulden auch zu zahlen Hätte Herr Draghi dem Treiben tatenlos zugesehen, wäre die Euro-Zone schon vor zwei Jahren auseinandergeflogen. Aber so, nachdem der EZB-Chef angekündigt hatte, ersatzweise mit richtigem Geld in die Bresche springen zu wollen, haben die Spekulations-Aasgeier erst einmal Wartestellung bezogen. Gegen EZB kann im Zweifel keiner. Erst recht nicht, wenn sie mit der britischen und japanischen und vor allem der US-Notenbank (fast) auf einer Linie liegt. Die "Dicken Berthas" wurden abgefeuert, die Kurse knallten durch die Decke, die Reichen wurden noch reicher und die Welt war wieder in Ordnung.


Konsument China

Fällt doch jemanden auf, dass permanente Handelsungleichgewichte gewisse Probleme mit sich bringen könnten, der Titel des Exportweltmeisters allenfalls dann etwas Positives ausdrücken würde, wenn er gleichzeitig mit dem des Importweltmeisters in gleicher Größenordnung verbunden wäre, dann kommt gewöhnlich China ins Spiel. Die Volksrepublik ist in der medialen Wirtschaftsdarstellung eine Art mystischer Ort, eine Art gieriger Schlund, der alle Waren jederzeit folgenlos verschlingt und dafür harte Dollar ausspuckt. China steht in dieser Sicht prototypisch für alle aufstrebenden Schwellenländer. Leider ist die Wirklichkeit etwas komplizierter.

Die Volksrepublik steckt inmitten einer grandiosen nachholenden Industrialisierung. Mit einer Investitionsquote von 47 Prozent/BIP (ca. fünf Bio. Dollar) ist China, trotz aller Umsteuerungsversuche, immer noch auf einem extremen Wachstumspfad. Ein Wachstumspfad, der sich auf eine, nach 2009, massive Ausweitung der gesamtgesellschaftlichen Verschuldung, aktuell 265 Prozent/BIP, stützt. Diese enormen Investitionen brauchen Absatzmärkte. Blasen, Fehlallokationen sind kaum zu vermeiden. Auch dieser Prozess hat Grenzen. Deutschland exportiert Waren im Wert von 67 Mrd. Euro nach China. Davon chemische Erzeugnisse (sechs Prozent); elektrische Ausrüstungen (neun Prozent); Datenverarbeitung, elektrisch-optische Erzeugnisse (10 Prozent); Maschinen (25 Prozent) und Fahrzeuge (32 Prozent).

Nebenbei sollte vielleicht noch einmal erwähnt werden, dass die Volksrepublik im Ranking der deutschen Exportziele den 5. Rang einnimmt. Nach den Niederlanden (70 Mrd.); Großbritannien (75 Mrd.); USA (88 Mrd.) und dem deutlichen Spitzenreiter, dem vielgescholtenen Frankreich (100 Mrd.). Konjunkturpolitisch würde es im eigenen Interesse durchaus mehr Sinn machen, bspw. Herrn Hollande zu einem weiteren Konjunkturprogramm aufzufordern, als ihn zu drängen den Schröder zu geben.

Erstaunlicherweise wird die Volksrepublik fast ausschließlich als Exportziel und Investitionsstandort betrachtet. Dass dort mit dem Aufbau riesiger Kapazitäten eine wuchtige Konkurrenz entsteht, und zwar nicht nur bei Solarpanelen sondern explizit auch in den deutschen Paradedisziplinen Automobil- und Maschinenbau, scheint dem deutschen Überlegenheitsgefühl nicht zugänglich. Irgendein China, so die Hoffnung wird es immer geben, denen wir unsere tollen Autos und Maschinen verkaufen können. Dass die chinesische Produktion die deutsche in fast allen Sektoren quantitativ längst übertroffen hat, die reale Basis für den Exportwahn auch von dieser Seite immer mehr schwindet, entzieht sich offenbar der Wahrnehmung.


Ins eigene Knie geschossen

Mit ihrem sicheren Gespür, das (nicht nur) konjunkturell Falsche zu tun, hat sich die nun endlich bellizistische Bundesregierung in einen Wirtschaftskrieg mit Russland hineinmanövrieren lassen, um das von den USA mit fünf Mrd. Dollar installierte Putschistenregime in der Ukraine zu stabilisieren. Die Exporte nach Russland lagen bei 36 Mrd. Euro. Sie sind nach russischen Angaben um bislang 20 Prozent (annualisiert 7,2 Mrd. Euro) eingebrochen. Damit wäre dann schon der größte Teil des Exportrückgangs erklärt. Russland ist allerdings ein unverzichtbarer Energielieferant. Noch hat die Auseinandersetzung, dank der besonnenen russischen Reaktionen, diese Ebene nicht erreicht, aber dann könnte es in jeder Hinsicht unerfreulich werden.

Unerfreulich ist jetzt schon die ökonomische Lage der Putschisten. Der Krieg kostet, die Zerstörungen sind enorm, die ohnehin marode Wirtschaft bricht zusammen. Die Staatsschulden haben sich seit 2007 mehr als verneunfacht. Will man das Land aus geostrategischen Erwägungen dauerhaft bei der EU-Stange halten, wird es mit Bundeswehreinsätzen nicht getan sein. Die EU respektive Deutschland wird um eine umfassende Finanzierung nicht umhin kommen. Im Gegensatz zu Griechenland hat die Ukraine eine Alternative.

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Vor dem Hintergrund des permanent gewordenen imperialistischen Krieges mehren sich auch konjunkturell die Negativnachrichten. (Der BIP-Anteil der Rüstungsindustrie liegt deutlich unter einem Prozent. Noch.) So fiel die Industrieproduktion, inklusive Bauhauptgewerbe, im August um vier Prozent zum Vormonat. Wichtiger noch: Das Auftragsvolumen für die deutsche Industrie sank real um minus 5,7 Prozent zum Vormonat, der Auslandsanteil um 8,4 Prozent, aus dem Nicht-Euro-Bereich sogar um 9,9 Prozent. Besonders drastisch ist der Absturz beim Fahrzeugbau hier ging es mit den Aufträgen um -18,8 Prozent nach unten. Sogar IWF-Chefin Christine Lagarde mahnte zur Aktion. Man kann nicht den wichtigsten Absatzraum, die Euro-Zone wirtschaftlich ruinieren, ihm dann ein verheerendes Austeritätsprogramm aufzwingen, einen bedeutenden Handelspartner und unentbehrlicher Energielieferant mit einem Wirtschaftskrieg überziehen und dann hoffen, dass alles immer so weiter geht, wenn nur unten im Haushalt eine "Schwarze Null" steht.

Die Wirkungen der "Dicken Berthas" scheinen sich erschöpft zu haben. Der Eurozone drohen japanische Verhältnisse, ein Abgleiten in eine zähe Deflation. Die Idee, die Wirtschaft werde schon wieder rund laufen, wenn man den Banken Hunderte von Milliarden zusteckt, damit sie diese günstig an die Realwirtschaft weiterreichen, war ohnehin reichlich extravagant. Die Bruttoinvestitionen liegen in der Bundesrepublik bei mickrigen 16,7 Prozent/ BIP. Das Kriterium für Investitionen ist zuallererst der zu erwartende Profit. Erst sehr in zweiter Linie der zu entrichtende Zins. Bislang hat die expansive Geldpolitik, außer die Reichen zu mästen, die Spekulation auf den Zusammenbruch der Euro-Zone erfolgreich ausgebremst und den Euro (im Interesse der Exportwirtschaft) geradezu abstürzen lassen. Aber mehr auch nicht. Die massiven Probleme und Ungleichgewichte in der Eurozone und der Weltwirtschaft insgesamt bestehen natürlich weiter fort. Und diese drohen der Bundesrepublik, bei ihrer selbstgemachten Abhängigkeit vom Außenhandel, übel auf die Füße zu fallen.

Die tiefere Ursache der Krise, die dramatische Überakkumulation von Kapital, die flagrante Unfähigkeit die enorme Geldschwemme in der Realwirtschaft profitabel zu investieren, ist durch die bisherige Krisenbekämpfung nicht beseitigt worden. Im Gegenteil. Ein Rückfall in den akuten Modus ist daher jederzeit möglich. Und nach allem, was nun zu hören ist, ist es die Sorge der Meinungsindustrie, die Ungleichgewichte und damit die Fallhöhe nach Möglichkeit zu erhöhen. Nach bisheriger Erfahrung wird sich Frau Merkel der Meinung von Frau Springer wohl kaum verschließen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 42 vom 17. Oktober 2014, Seite 12
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2014