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MEINUNG/117: Drei Gründe, warum Russland den westlichen Sanktionen standhält (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Drei Gründe, warum Russland den westlichen Sanktionen standhält

von Alex Männer - EuroBRICS, 2. September 2022


Nur wenige Tage nach dem Beginn der russischen Militärintervention in der Ukraine am 24. Februar haben die USA, Großbritannien, Kanada, die Mitglieder der Europäischen Union und andere Staaten schwerwiegende Sanktionen gegen Russland eingeführt, die die Wirtschaft dieses Landes isolieren und folglich in den Abgrund stürzen sollten. Zahlreiche Politiker, Wirtschaftswissenschaftler und andere Experten sagten angesichts der beispiellosen Sanktionspolitik des "kollektiven Westens" einen schnellen wirtschaftlichen Niedergang Russlands voraus.

Die Analysten der US-Investmentbank JPMorgan etwa prognostizierten [1] im März einen Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal um 35 Prozent [2] gegenüber dem ersten Quartal des Jahres. Zugleich hatte man bei JPMorgan einen Bankrott Russlands nicht ausgeschlosen [3]. Im gleichen Monat hatte eine andere große US-Bank, Morgan Stanley, ebenfalls verlautet, dass sie einen Zahlungsausfall Moskaus "als wahrscheinlichstes Szenario" betrachte [4]. Auch die Ratingagentur Fitch befand [5], dass das Risiko "unmittelbar" bevorstehe, dass Russland nicht in der Lage sein werde, seine Staatsschulden zurückzuzahlen. Bei dem Handelblatt [6] ging man zu dem Zeitpunkt sogar davon aus, dass die russische Wirtschaft vor dem schlimmsten Einbruch seit dem Zerfall der Sowjetunion stünde.

Die Experten lagen mit solchen Prognosen allerdings weit daneben - der erwartete Kollaps blieb aus, Russlands Wirtschaft hielt dem Sanktionsdruck stand. In den Monaten April bis Juni ging die Wirtschaftsleistung laut offiziellen Angaben nur um vier Prozent [7] im Vergleich zum Vorjahr zurück.

Die russische Zentralbank indes geht laut Angaben der Zeitung "Vedomosti" [8] davon aus, dass die Wirtschaft des Landes 2022 um vier bis sechs Prozent und 2023 um maximal vier Prozent schrumpfen werde, in den Jahren 2024 und 2025 jedoch um 1,5 bis 2,5 Prozent wachsen werde. Die Inflation, die in diesem Jahr zwischen 12 und 15 Prozent liegen werde, werde im kommenden Jahr zurückgehen und 2024 etwa vier Prozent betragen, heißt es.

Russland trotzt den Sanktionen

Damit ist die Lage für die Russen zwar sehr ernst, aber von einem wirtschaftlichen Niedergang ist Russland dennoch weit entfernt. Tatsächlich geht es der russischen Wirtschaft sogar viel besser, als die optimistischsten Prognosen vorhergesagt hatten, weshalb die meisten Experten, die dem Land einen baldigen Finanzkollaps voraussagten, ihre Einschätzung inzwischen revidiert haben [9].

Es stellt sich die Frage, wie Moskau angesichts des beispiellosen Sanktionsdrucks des Westens es geschafft hat, das Überleben der eigenen Wirtschaft zu sichern und nicht in einem finanziellen Chaos zu versinken.

Eine Antwort darauf liefert die britische Zeitung "The Economist" mit ihrem Artikel "Why the Russian economy keeps beating expectations" [10] vom 24. August. Darin werden drei Faktoren erläutert, die die Widerstandsfähigkeit der russischen Wirtschaft angesichts der Sanktionen bislang gewährleistet haben sollen.

Als den ersten Faktor bezeichnet "The Economist" die kompetenten Maßnahmen der russischen Führung, die sehr schnell entsprechende Schritte unternommen hätte, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern. Die Rede ist von Zinserhöhungen, die im Zusammenwirken mit Kapitalkontrollen den russischen Rubel gestärkt haben und dazu beitrugen, die Inflation zu senken. Die russische Zentralbank versuche zudem alles dafür zu tun, um den Anstieg der Verbraucherpreise zu bremsen.

Der zweite Faktor hängt mit den zahlreichen Wirtschaftskrisen in der jüngsten Vergangenheit Russlands und der daraus resultierenden Erfahrung der russischen Bevölkerung zusammen. Die aktuelle problematische Situation, die aufgrund der Sanktionspolitik der westlichen Staaten entstanden ist, ist bereits die fünfte Wirtschaftskrise, mit der die Russen in den vergangenen 25 Jahren konfrontiert sind. Inzwischen haben die Menschen es offenbar gelernt, sich an die wirtschaftlichen Herausforderungen und Schwierigkeiten anzupassen, nicht in Panik zu geraten und auch nicht zu rebellieren.

Zudem seien diverse Bereiche der russischen Wirtschaft schon seit geraumer Zeit vom Westen isoliert, so der Artikel. Dies hat unter anderem zur Folge, dass die russische Wirtschaft effektiver auf die jüngsten Sanktionen reagieren konnte.

Als der dritte Faktor gilt der russische Rohstoff-Export. Seit Beginn des Ukraine-Krieges hat Russland fossile Energieträger im Wert von 85 Milliarden US-Dollar in die EU verkauft. Ein aktueller Bericht der Internationalen Energieagentur weise zudem darauf hin, dass die Sanktionen wenig Einfluss auf die russische Ölproduktion gehabt hätten.

Fazit

Der Export von Energieträgern hat in der Tat enorm dazu beigetragen, dass Russland den westlichen Sanktionen trotzen und sich inmitten der aktuellen Wirtschaftskrise relativ gut zurechtfinden konnte. Insbesondere die Höchststände bei den Öl- und Gaspreisen haben dem Land Rekordeinnahmen beschert und dafür gesorgt, dass der Handelsüberschuss in diesem Jahr - trotz Sanktionen - sogar noch weiter steigen wird.

Das Wirtschaftswachstum wird unter anderem davon abhängen, ob es Russland gelingt, den Technologieimport weiter aufrechtzuerhalten. Denn die Russen sind in hohem Maße auf die ausländische Ausrüstung und Know-how angewiesen und deshalb brauchen sie neue Handelspartner, die den unterbrochnen Import aus dem Westen ersetzen könnten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Land mittel- bis langfristig in eine wirtschaftliche Isolation gerät und sich früher oder später in einer schwerwiegenden Rezession wiederfindet.


Anmerkungen:

[1] https://www.jpmorgan.com/insights/research/russia-ukraine-crisis-market-impact#:~:text=J.P.%20Morgan%20Research%20forecasts%20that,contraction%20of%20at%20least%207%25.

[2] https://www.reuters.com/world/europe/jpmorgan-shock-russian-gdp-will-be-akin-1998-crisis-2022-03-03/

[3] https://edition.cnn.com/2022/03/02/investing/default-sanctions-russia/index.html

[4] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-03-07/morgan-stanley-sees-russia-set-for-venezuela-style-debt-default

[5] https://www.reuters.com/markets/europe/fitch-cuts-russias-rating-says-debt-default-imminent-2022-03-08/

[6] https://www.handelsblatt.com/politik/international/sanktionsfolgen-russland-steht-vor-der-schlimmsten-wirtschaftskrise-seit-dem-zerfall-der-sowjetunion/28217626.html

[7] https://www.nytimes.com/2022/08/12/business/russia-economy-gdp.html

[8] https://www.vedomosti.ru/economics/articles/2022/08/14/935939-tsb-razvitiya-ekonomiki

[9] https://www.businessinsider.in/stock-market/news/jpmorgan-says-russias-economy-is-doing-much-better-than-expected-and-will-only-shrink-3-5-this-year-despite-western-sanctions/articleshow/92682899.cms

[10] https://www.economist.com/finance-and-economics/2022/08/23/why-the-russian-economy-keeps-beating-expectations

Link zum Originalartikel:
http://eurobrics.de/?module=articles&action=view&id=2087

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Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 1. Oktober 2022

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