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REDE/447: Schäuble zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag, 14.09.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 14. September 2010 in Berlin


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Mit dem Entwurf des Bundeshaushalts 2011, auch mit der Fortschreibung der mittel-fristigen Finanzplanung, setzen wir den Ausweg aus dem durch die Finanzkrise verursachten schwersten Einbruch in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland konsequent fort.

Man muss daran erinnern: Wir hatten im vergangenen Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 4,7 Prozent. Das haben wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland so nicht gekannt. Wir haben bei der Einbringung des Haushalts 2010 im Januar noch mit einer Neuverschuldung von annähernd 86 Milliarden Euro rechnen müssen. Ich habe damals gesagt: Die Rückgewinnung verloren gegangenen Vertrauens ist die wichtigste Aufgabe, wenn wir politisch die Rahmenbedingungen für eine positive wirtschaftliche und soziale Entwicklung gestalten wollen.

Die tatsächliche Neuverschuldung in diesem Jahr liegt nicht mehr bei 86 Milliarden Euro, sondern zwischen 50 und 60 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden haben sich besser beziehungsw weniger schlecht entwickelt, als wir es am Anfang des Jahres noch einplanen mussten. Unsere wirtschaftliche Entwicklung ist sehr viel besser, als man Anfang des Jahres hoffen konnte.

Die EU-Kommission hat gestern ihre Frühjahrsprognose vorgelegt. Bisher hat sie uns, der Bundesrepublik Deutschland, für dieses Jahr ein reales Wachstum in Höhe von 1,2 Prozent prognostiziert. Gestern hat sie ihre Prognose auf 3,4 Prozent angehoben. Der IWF prognostiziert für dieses Jahr ähnlich. Das heißt, wir sind auf einem guten wirtschaftlichen Weg.

Ich will hinzufügen: Niemand kann erwarten, dass sich die Wachstumszahlen für das Jahr 2010 angesichts der Ausgangsbasis des Jahres 2009 im Jahr 2011 so fortsetzen werden. Manche titeln schon: Wenn das Wachstum in diesem Jahr über alle Erwartungen hoch sein wird, dann werden wir im nächsten Jahr einen Einbruch des Wachstums zu verzeichnen haben. Das ist sachlich nicht ganz richtig. Auch die Prognosen für das Jahr 2011 werden von allen nationalen und internationalen Institutionen eher angehoben. Wahr ist aber: Wir werden die Wachstumszahl von über drei Prozent - wenn sie sich in diesem Jahr verwirklicht - im nächsten Jahr zwar nicht erreichen, aber wir haben alle Chancen auf eine stetige, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Das ist nichts Abstraktes, sondern es wirkt sich auf die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land konkret und positiv aus.

Ich will daran erinnern: Die Arbeitslosigkeit ist das größte soziale Problem. Wer Arbeitslosigkeit abbaut, leistet den wichtigsten Beitrag zu nachhaltiger sozialer Gerechtigkeit und zur Gewährleistung sozialer Leistungen. Das kann man nicht voneinander trennen. Im August dieses Jahres wurden 3,188 Millionen Arbeitslose registriert. Damit liegen wir unter dem Niveau, das wir vor der Krise hatten. Wir haben übrigens einen stärkeren Rückgang der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zu verzeichnen; dort sind es zehn Prozent. In den alten Bundesländern sind es sieben Prozent. Das heißt, die derzeitige Entwicklung hat die positive Wirkung, dass der Abstand zwischen neuen und alten Bundesländern nicht größer, sondern kleiner wird.

Bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegen wir um 93.000 über dem Vorkrisenniveau. Der Bestand an gemeldeten offenen Arbeitsstellen belief sich im August auf 396.000. Das ist gegenüber dem Vorjahresmonat ein Anstieg um 32 Prozent. Das heißt, unsere Politik wirkt sich konkret auf die Menschen aus. Wer die sozialen Wirkungen dieser Politik kritisch beleuchtet - das wird in der Debatte in dieser Woche geschehen -, darf das nicht aus dem Blick verlieren.

Im internationalen und im europäischen Vergleich liegen wir übrigens nicht schlecht: In der Europäischen Union rechnet man in diesem Jahr mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 9,6 Prozent. Wir liegen bei 6,9 Prozent und damit weit unter dem EU-Durchschnitt. Nur zum Vergleich: Die Erwerbslosenquote in den USA lag im Juni bei 9,5 Prozent. Unsere Politik wirkt sich also positiv für die Menschen aus, und das ist die beste Sozialpolitik.

Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir behaupten ja nicht, dass alles durch die Finanzpolitik oder überhaupt durch die Politik beeinflusst und gestaltet wird - das wäre der Beleg für ein falsches Verständnis von sozialer Marktwirtschaft -; aber offensichtlich setzt die Politik den richtigen Rahmen für eine positive Entwicklung, und das ist schon eine ganze Menge. Weil wir auf dem richtigen Weg sind, wäre es töricht, diesen Weg nun schon wieder zu verlassen. Deswegen sind wir, die Bundesregierung, die Koalition und CDU/CSU, entschlossen, Kurs zu halten. Wir sind entschlossen, diesen Weg, dessen erste Erfolge wir deutlich spüren, fortzusetzen. Das ist wichtig; denn wenn wir Vertrauen zurückgewinnen wollen, brauchen wir Stetigkeit, Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit.

Im Übrigen beurteilen uns unsere Partner in Europa und in der Welt inzwischen mit weniger Kritik. Noch vor einigen Monaten hat man uns nicht zugetraut, dass wir die Anforderungen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes erfüllen können. Wir selbst haben uns in den Bundestagsdebatten im Januar und im März kritisch gefragt - jeder wird sich erinnern -, ob wir die Schuldenbremse des Grundgesetzes, die gut ist, die eine balancierte, nachhaltige Exit Strategie aus der zu hohen Verschuldung vorsieht, einhalten können.

Die Kritik und die Zweifel sind inzwischen gewichen. Stattdessen gab es im internationalen Bereich zunehmend eine andere Kritik: Wir sparten die Weltwirtschaft kaputt; wir müssten unsere Verantwortung in Europa ganz anders wahrnehmen. Doch auch diesbezüglich hat sich unsere Politik als richtig erwiesen und durchgesetzt. Ich will daran erinnern, dass man sich beim Treffen der Staats- und Regierungschefs im Rahmen des G20-Gipfels in Toronto am Ende gemeinsam verpflichtet hat, die jeweiligen Budgetdefizite bis 2013 zu halbieren. Man hat festgestellt, dass es richtig ist, dass man eine maßvolle, aber nachhaltige Reduzierung der zu hohen öffentlichen Defizite, die ja eine Hauptursache der Krise sind, so ausgestalten kann, dass sie wachstumsfreundlich ist, dass sie die wirtschaftliche Entwicklung nicht behindert, sondern fördert. Im Übrigen hat man festgestellt, dass das auch dem Arbeitsmarkt und den Menschen zugute kommt.

Es ist ein wichtiger Punkt, dass das gelungen ist; denn die Zweifel daran waren weit verbreitet. Deswegen muss daran festgehalten werden. Wir sind auf einem richtigen Weg. Wir gelten inzwischen als Wachstumslokomotive in Europa. Angesichts unserer Wachstumszahlen in diesem Jahr und angesichts der Tatsache, dass wir im Juni die höchsten Importzahlen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hatten, ist die Kritik, wir nähmen unsere Verantwortung für Europa und für die globalisierte Welt nicht wahr, in sich zusammengebrochen. Auch das Vertrauen unserer Partner und deren Beurteilung zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Im Übrigen zeigen alle Meinungsumfragen, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr wohl verstanden haben - sie empfinden eine entsprechende Sorge -, dass eine zu hohe, nicht mehr beherrschbare Neuverschuldung des Staates eines unserer größten Probleme ist. Wenn wir sie zurückführen, entsprechen wir dem dringenden Bedürfnis unserer Bürgerinnen und Bürger. Auch das ist wichtig.

In den Debatten über die Frage, ob wir mit unserer Defizitreduzierung unsere internationale Verantwortung vielleicht nicht richtig wahrnehmen, habe ich unseren Kollegen übrigens immer gesagt - ich bin nicht derjenige, der anderen viele Ratschläge erteilt; ich konzentriere mich eher darauf, die Ratschläge, die wir anderen geben könnten, bei uns selbst zu verwirklichen -: In Deutschland ist die Rückgewinnung von Vertrauen, die Bekämpfung von Verunsicherung wegen der zu hohen Defizite, eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass wir nachhaltiges Wachstum und eine ausgewogene, stabile Entwicklung am Arbeitsmarkt haben.

Wir führen die Neuverschuldung zurück; das zeigen die Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung. Die Ausgangsmarge für 2010 habe ich genannt. Noch einmal: Bei der Verabschiedung des Haushaltsentwurfs lagen wir noch bei rund 80 Milliarden Euro, bei der Einbringung bei annähernd 86 Milliarden Euro. Im tatsächlichen Verlauf liegen wir irgendwo unterhalb von 60 Milliarden Euro. Wir führen die Neuverschuldung des Bundes in den Jahren 2011 bis 2014 konsequent von 57,5 Milliarden Euro - das ist die Zahl im Haushalt 2011 - über 40 Milliarden Euro im Jahr 2012 auf 31,6 Milliarden Euro in 2013 und 24,1 Milliarden Euro in 2014 zurück. Das ist konkret die Umsetzung der im Grundgesetz vorgesehenen Schuldenbremse, und vor allen Dingen ist das eine nachhaltige, wachstumsfreundliche Defizitreduzierung.

Unsere Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung ist richtig. Das zeigt sich auch darin, dass wir unser Zukunftskonzept zur Rückgewinnung von mehr Handlungsfähigkeit genau danach ausgerichtet haben. Wir haben die Investitionen im Bundeshaushalt nicht verringert. Wir haben die Investitionen für Bildung und Forschung erhöht, und es bleibt dabei. Wir haben im Übrigen vor dem Hintergrund unserer demografischen Entwicklung - eines unserer größeren gesellschaftlichen wie ökonomischen Probleme - einen klaren Schwerpunkt gesetzt, indem wir die Leistungen für Familien und Integration nicht verringern, sondern verstärken. Das alles ist der richtige Weg.

Wenn Sie sich die praktische Umsetzung in der Familienpolitik anschauen, können Sie nicht bestreiten, dass wir die Mittel erhöht haben; dies ist übrigens schon zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten.

Wenn Sie sich anschauen, wie der Anteil der Sozialausgaben im Bundeshaushalt kontinuierlich in den letzten Jahren gestiegen ist und auch im Haushalt 2011 steigt, dann erkennen Sie, dass wir das sehr wohl bedacht haben. Ich füge jetzt hinzu: Wir machen mit der Wende bei den Ausgaben zum ersten Mal Ernst. Wir haben im Bundeshaushalt 2010 noch 319,5 Milliarden Euro Ausgaben. In 2011 - nach dem Entwurf des Haushalts, den ich Ihnen heute vorlege - reduzieren sich die Ausgaben im Bundeshaushalt auf 307 Milliarden Euro. Ab 2012 wollen wir bei 301 Milliarden Euro landen. Damit schaffen wir

erstens die Voraussetzungen dafür, dass wir das Wachstum der Ausgaben unter dem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes halten - das ist die entscheidende Größenordnung, um die zu hohe Verschuldung dauerhaft zurückzuführen -, und

zweitens dafür, dass wir die Neuverschuldung zurückführen.

Wir haben im Übrigen in unserem Zukunftspaket - auch das muss man wieder und wieder in Erinnerung rufen - eine ausgewogene Struktur. Wir sparen - das wird in den öffentlichen Debatten gelegentlich ein bisschen unterschätzt - in dem Bereich, den die Regierung ohne gesetzliche Änderungen selbst gestalten kann: bei den Ausgaben für Personal, bei den Stellen und bei den sachlichen Verwaltungsausgaben.

Herr Bonde, wir haben insgesamt - ich kann Ihnen die Zahlen gerne noch einmal vortragen - im Verwaltungsbereich im kommenden Jahr bei den disponiblen Mitteln eine Reduzierung um 2,3 Milliarden Euro vorgesehen.

An der Gesamtsumme der mittelfristigen Finanzplanung der nächsten vier Jahre, in denen wir insgesamt etwas über 80 Milliarden Euro konsolidieren, ist der Verwaltungsbereich mit über 14 Milliarden Euro beteiligt. Wir planen weitere Maßnahmen, die auch im Regierungsbereich liegen. Wenn Sie das zusammenrechnen, stellen Sie fest: Wir liegen bei etwa 20 Milliarden Euro weniger.

Wir haben im Bereich der Neujustierung von gesetzlichen Leistungen - hier achten wir im Übrigen sehr genau darauf, dass wir Anreize für Beschäftigung verbessern, und wir berücksichtigen das Lohnabstandsgebot als einen der wichtigen Schlüssel für nachhaltig positive Entwicklung am Arbeitsmarkt - für die nächsten vier Jahre insgesamt einen Betrag von etwa 30 Milliarden Euro - im Jahr 2011 drei Milliarden Euro - vorgesehen. Wir haben darüber hinaus in dem Bereich, den man Subventionsabbau nennen kann - ökologische Neujustierung, Beteiligung von Unternehmen oder Einnahmeverbesserungen -, eine Größenordnung von zusammengerechnet ebenfalls etwa 30 Milliarden Euro. Das heißt, das Zukunftspaket der Bundesregierung hat eine ausgewogene Struktur. Das ist ein zentraler Punkt.

Ich will im Übrigen daran erinnern, dass wir uns bei den Kürzungen im sozialen Bereich ganz gezielt darauf konzentrieren, die Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme zu verbessern. - Herr Trittin, schauen Sie sich doch einmal die Zahlen an, die die Situation auf dem Arbeitsmarkt darstellen. Ich weiß nicht, warum Sie darüber lachen. Herr Kollege Trittin, wenn Sie sich den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit anschauen und wenn Sie darüber hinaus die bessere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen, dann sehen Sie, dass wir mit reduzierten Ansätzen die Effizienz der Leistungen verbessern können. Das ist die Politik der Bundesregierung.

Wir haben darüber hinaus die Einnahmen verbessert. Ich habe wieder und wieder gesagt - das wissen wir alle -: Aufgrund der Struktur des Bundeshaushalts kann die Erwartung nicht erfüllt werden, dass sich die Haushaltskonsolidierung ausschließlich auf der Ausgabenseite vollzieht. Dafür ist die Struktur des Bundeshaushalts zu spezifisch. Weit über 50 Prozent der Mittel des Bundeshaushalts fließen in Sozial- und Familienleistungen. Einen Großteil der Investitionen müssen wir im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung schonen, da zusätzliche Impulse davon ausgehen können.

Vor diesem Hintergrund sind Einnahmeverbesserungen zur Haushaltskonsolidierung beziehungsweise Defizitreduzierung unvermeidlich. In der Bundesregierung haben wir intensiv darüber diskutiert und uns bewusst dafür entschieden, zugleich Anreize für mehr Energieeffizienz und zur Energieeinsparung zu setzen. Deswegen schlagen wir die Einführung einer Luftverkehrsabgabe vor.

- Ja, klar. Herr Kollege Schneider, Sie sind zu sachkundig, um nicht zu wissen, dass ein Subventionsabbau - dazu haben Sie 100 Prozent Zustimmung - im Ergebnis fast immer höhere Steuern nach sich zieht. Daran führt kein Weg vorbei. Es ist wichtig, dass wir das gelegentlich sagen.

Jetzt will ich die Luftverkehrsabgabe erläutern. Wir hätten eine breite Zustimmung in der Bevölkerung und auch im Parlament, wenn wir die Ausnahme beseitigen könnten, dass der Luftverkehr - im Gegensatz zu den Verkehrsträgern Schiene und Straße - von der Mineralölbesteuerung ausgenommen ist. Aufgrund der internationalen und der europäischen Rechtslage können wir diese Ausnahme aber nicht beseitigen. Das mag man bedauern; aber das ist so. Also wollen wir anstelle dessen eine Luftverkehrsabgabe einführen. Das ist ein Ersatz für eine nicht national einzuführende Besteuerung von Flugbenzin. Das ist Subventionsabbau. Ich glaube, diese Maßnahme ist richtig dosiert, abgewogen und sie ist gut zu begründen.

Das ist übrigens bei der Kernbrennstoffsteuer ganz ähnlich. Wir wissen, dass von der Kernenergie im Gegensatz zu anderen Energieträgern keine als Belastung empfundenen Emissionen ausgehen. Deswegen beseitigen wir mit der Kernbrennstoffsteuer - das sehen die Betroffenen natürlich nicht ganz so; daher muss man darüber intensiv diskutieren - im Wesentlichen die Privilegierung eines bestimmten Energieträgers. Angesichts dessen kann man auch diese Maßnahme gut rechtfertigen.

- Herr Kollege Poß, wir werden in den nächsten Tagen und Wochen das Energiekonzept der Bundesregierung und der Koalition insgesamt mit großer Intensität diskutieren. Sie werden dann ziemlich viel Mühe haben, Argumente zu finden, die dagegen sprechen, dass dieses Energiekonzept das wahrscheinlich ehrgeizigste und effizienteste beim Umstieg auf regenerative Energien ist.

Ich will in großer Ruhe und mit großer Klarheit sagen: Über die Kernbrennstoffsteuer, die Sache des Gesetzgebers ist, wird nicht verhandelt. Wir haben sehr darauf gedrängt - wir sind froh, dass es uns gelungen ist, dies auch zu erreichen -, die Vereinbarung zu erzielen, dass die Energieversorgungsunternehmen im Zusammenhang mit der Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken im Hinblick auf den Übergang zu regenerativen Energien einen zusätzlichen Beitrag leisten. Das ist ein großer Erfolg. Es gibt überhaupt nichts, was daran zu diffamieren ist. Ganz im Gegenteil, das ist der richtige Weg, und es ist das beste, ehrgeizigste und effizienteste Programm für den Umstieg in der Energiepolitik.

Aber dafür brauchen wir Zeit. Das kann man nicht innerhalb eines Jahres verändern, sondern dafür braucht man einen langen Atem. Insofern bildet die Kernenergie eine Brücke, um den Umstieg in der Energiepolitik in den nächsten Jahrzehnten gesamtwirtschaftlich zu schaffen. Das ist die Politik der Bundesregierung.

Wenn wir auf dem Weg der Reduzierung der zu hohen Staatsverschuldung, so wie ich ihn beschrieben habe und wie er in der mittelfristigen Finanzplanung angelegt ist, konsequent voranschreiten, dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, gewinnen wir auch zusätzliche Handlungsspielräume für die Politik; darum geht es. Bei der Reduzierung der zu hohen Defizite nehmen wir unsere Verantwortung für unsere Kinder und Enkel wahr. Denn nachhaltige Politik heißt: Man darf nicht immer höhere Schulden auf die kommenden Generationen abwälzen. Wir nehmen außerdem unsere Verantwortung für die künftige Handlungsfähigkeit von Politik und Staat auf allen Ebenen - Bund, Länder und Kommunen - wahr. Wenn Sie erst einmal in der Lage wie andere Länder - auch in Europa - sind, dass Sie zu ganz anderen Einschnitten in die Finanzpolitik kommen müssen, dann ist das der Beweis dafür, dass Sie den Handlungsspielraum für politische Gestaltung in den zurückliegenden Jahren verspielt haben. In diese Situation wollen wir in Deutschland nicht kommen, und in diese Situation werden wir auch nicht kommen, wenn wir die Politik der Bundesregierung und der christlich-liberalen Koalition konsequent weiterführen.

Diesen Spielraum erweitern wir und nutzen wir auch. Wir nutzen ihn nicht nur für das modernste Energiekonzept, sondern wir nutzen ihn auch für Steuervereinfachungen. Dafür haben wir in den ersten Jahren nur einen begrenzten Spielraum. Hier arbeiten wir übrigens intensiv mit den 16 Finanzministern aller 16 Bundesländer zusammen. Es besteht die grundsätzliche Übereinstimmung, dass wir uns in den ersten Jahren bei steuervereinfachenden Maßnahmen auf solche Bereiche konzentrieren müssen, in denen wir mit geringen Ausfällen für Bund, Länder und Kommunen rechnen.

Wenn Sie bei dem Thema Steuervereinfachung gegen 16 Finanzminister von 16 Bundesländern argumentieren, die ja die Verantwortung für die Steuerverwaltung haben und die Steuergesetze vollziehen müssen, dann müssen Sie sich schon überlegen, ob Sie nicht irgendwo eine falsche Position haben. Wir setzen die Maßnahmen zur Steuervereinfachung gemeinsam mit den Bundesländern Schritt für Schritt um.

- Herr Kollege Poß, wenn Sie Ihren Kollegen sagen, dass Sie gar nicht dagegen sind, dann haben wir ja schon wieder ein hohes Maß an Übereinstimmung und dann hoffe ich auf Ihre kooperative Mitwirkung. Prinzipiell sind wir alle für Defizitreduzierung; aber wenn es konkret wird, sind Sie dagegen. - So geht es nicht. Diese Arbeitsteilung funktioniert nicht.

Im Übrigen nutzen wir den Spielraum auch und vorrangig, um die Lage der Kommunalfinanzen zu verbessern. Ich habe das wieder und wieder gesagt: Das ist die dringendste Aufgabe, die wir in dem gesamtstaatlichen Verbund von Bund, Ländern und Kommunen leisten müssen. Wir brauchen eine Verbesserung der Kommunalfinanzen, um die kommunale Selbstverwaltung nicht weiter erodieren zu lassen. Auch daran arbeiten wir intensiv. Wir werden die Vorschläge dafür gemeinsam mit den Ländern und den Vertretern der kommunalen Ebene, den kommunalen Spitzenverbänden, noch in diesem Herbst vorlegen. So nutzen wir Schritt für Schritt die Spielräume, die wir mit unserer konsequenten Haushaltspolitik gewinnen.

Mit dieser Haushaltspolitik nehmen wir übrigens auch unsere Verantwortung in und für Europa wahr. Wer sich noch daran erinnert, dass wir in den ersten Monaten dieses Jahres in einer so nicht vorhergesehenen und wahrscheinlich so auch nicht für möglich gehaltenen Weise darum ringen mussten, die Stabilität unserer gemeinsamen Währung in Europa zu verteidigen, weil die Verhältnisse sich durch die globale Verflechtung der Finanzmärkte anders entwickelt haben, als das bei der Gründung der Europäischen Währungsunion und der Schaffung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes vorhergesehen werden konnte, der weiß: Wir haben eine hohe Verantwortung für unsere gemeinsame Währung. Wir müssen diese Verantwortung in Europa und in der Euro-Zone wahrnehmen, und wir nehmen sie wahr.

Wir nehmen sie am besten dadurch wahr, dass wir zunächst einmal uns selber an die gemeinsam vereinbarten Regelungen im Stabilitäts- und Wachstumspakt halten. Das ist das beste Argument dafür, andere von der Richtigkeit dieser Politik und von der Notwendigkeit einer wachstumsfreundlichen Defizitreduzierung zu überzeugen. Diese Verantwortung nehmen wir wahr, und wir kommen auch damit voran.

Es wird international teilweise schon wieder bestritten, aber es bleibt dabei: Die zu hohen Staatsdefizite in vielen Ländern, insbesondere Industrieländern, sind eine der Hauptursachen der Krisen, die wir an den Finanzmärkten und am Schluss auch in der Euro-Zone in diesem Jahr hatten. Wer uns krisenfester für die Zukunft machen will, der muss diese zu hohen Defizite zurückführen. Daran führt kein Weg vorbei, in Deutschland nicht und auch in Europa nicht.

Darüber haben wir - ich habe es erwähnt - inzwischen sogar in der G20 einen Konsens; das zeigt sich an der gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs von Toronto, die beinhaltet, dass sich alle Industriestaaten dazu verpflichten, ihre Defizite bis 2013 zu halbieren.

Wir müssen den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt stärken; denn seine Instrumente haben nicht ausgereicht, die Krise des Euro, ausgehend von Griechenland, zu verhindern. Eine der unabweisbaren Konsequenzen aus diesen Erfahrungen ist, dass die Bundeskanzlerin am 25. März dieses Jahres im Europäischen Rat durchgesetzt hat, dass wir konsequent daran arbeiten, die Instrumente des Stabilitäts- und Wachstumspaktes effizienter zu gestalten. Dazu gehört, dass wir bessere Kriterien für die Beurteilung entwickeln, ob europäische Volkswirtschaften, insbesondere solche in der Euro-Zone, diesen Anforderungen gerecht werden oder nicht. Daran arbeiten wir in der Taskforce - so ist das genannt worden -, die unter dem Vorsitz des europäischen Ratspräsidenten den Auftrag hat, zunächst einmal bis Oktober die Schritte zu definieren und vorzuschlagen, die wir ohne Änderung der europäischen Verträge zustande bringen können. Danach reden wir in der zweiten Etappe über diejenigen Schritte, die eine Veränderung in den europäischen Verträgen notwendig machen.

Dazu verbessern wir die Transparenz in der Abstimmung der Haushaltsverfahren innerhalb Europas; das nennt man Europäisches Semester. Es ist wichtig, dass alle frühzeitig Kenntnis von den Verfahren der anderen erhalten und dass wir als nationale Haushaltsgesetzgeber uns unserer Verantwortung für das Ganze in Europa bewusst sind. Dadurch wird die Souveränität des Bundestages in Haushaltsfragen nicht beeinträchtigt. Aber mehr Transparenz und frühere Abstimmung sind ein Beitrag dazu, dass alle ihre Verantwortung besser wahrnehmen.

Dazu gehört, dass wir die Kriterien verschärfen, dass wir insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften als ein wichtiges Element der Beurteilung frühzeitig mit einbeziehen, dass wir Instrumente schaffen, mit denen früher gegen sich abzeichnende Fehlentwicklungen eingeschritten werden kann - "Early Warnings" nennt man das -, und dass wir im Übrigen auch das Instrumentarium der europäischen Strukturfonds dazu nutzen, um die Anreize für stabilitätsgerechtes Verhalten zu verstärken und um notfalls durch zeitige erste sanktionsähnliche Eingriffe früher zu Korrekturen zu kommen als erst dann, wenn das Kind gewissermaßen schon im Brunnen liegt. Auch da sind wir auf einem guten Weg. Der Europäische Rat wird nach meiner festen Überzeugung entsprechende Vorschläge nach den Vorarbeiten in der Van-Rompuy-Gruppe und durch die Finanzminister im Oktober beschließen.

Wir werden - ich sagte es schon - auch europäische Strukturfonds in den Katalog möglicher Sanktionen mit einbeziehen müssen. Zudem brauchen wir in einem zweiten Schritt - darüber gibt es in Europa noch keinen völligen Konsens, aber wir müssen Schritt für Schritt vorangehen - Maßnahmen, die nicht ohne eine Änderung der europäischen Verträge zu erreichen sind. Wer beispielsweise nichtökonomische Sanktionen, also etwa den Ausschluss von Stimmrechten, vorübergehend einführen will, braucht dazu eine Vertragsänderung.

Wir alle sind uns einig: Wir brauchen solche moralischen Sanktionen, weil die ökonomischen Sanktionen zum Teil nicht mehr richtig wirken, wenn das Defizit eines Landes schon sehr weit fortgeschritten ist. Das ist eine zusätzliche Maßnahme, um den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu stärken.

Wir in Deutschland sind uns auch darüber einig - daran muss in Europa noch intensiv gearbeitet werden -, dass zur Vermeidung künftiger Krisen des Euro Maßnahmen erforderlich sind, um die Moral-Hazard-Problematik besser lösen zu können. Das heißt auf Deutsch: Es kann nicht sein, dass wir Krisen, die im Finanzsektor in Euro-Staaten oder wo auch immer entstehen, auf Dauer zulasten der Gemeinschaft der Steuerzahler abwenden. Das war 2008 bei der Bankenkrise nicht anders möglich, und es war auch 2010 in der Euro-Krise vorübergehend nicht anders möglich. Aber für die Zukunft ist eine Beteiligung der Gläubiger notwendig.

Wenn höhere Zinsen innerhalb der Euro-Zone ein Anreiz sind - beziehungsweise der negative Anreiz, sich stabilitätsgerecht zu verhalten -, dann müssen diejenigen, die als Gläubiger höhere Zinsen bekommen, auch angemessen am höheren Risiko beteiligt werden. Dafür brauchen wir einen Mechanismus, den wir in Europa nicht haben; aber wir arbeiten daran. Dabei werden wir noch viel Überzeugungskraft brauchen. Da sollten wir Schritt für Schritt vorangehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das im kommenden Jahr in Europa erreichen werden.

Ich will daran erinnern, dass dies von Anfang an die Position der Bundesregierung war; wir haben unsere Vorschläge schon im Mai in die Van-Rompuy-Gruppe eingebracht und entsprechende Punkte formuliert. Ich finde es auch wichtig, dass Frankreich und Deutschland - keine unwichtigen Mitgliedsländer in der Euro-Zone und in der Europäischen Union - diese Position gemeinsam formuliert haben, zuletzt in einem gemeinsamen Schreiben der französischen und deutschen Finanzminister auf der Grundlage einer Entscheidung, die im französischen Kabinett am 22. Juli getroffen worden ist, in einer Sitzung, bei der ich die Ehre hatte anwesend zu sein.

Auf diesem Weg kommen wir in der engen deutsch-französischen Zusammenarbeit gut voran. Das stärkt unsere Chancen, in Europa die notwendigen Entscheidungen zustande zu bringen. Der Weg wird noch schwierig sein. Aber wir gehen ihn konsequent, und wir kommen auch voran. Diejenigen, die sagen, wir hätten das noch nicht erreicht, übersehen, dass wir verabredet haben, uns zunächst einmal bis zum Europäischen Rat im Oktober auf die Dinge zu konzentrieren, die ohne Vertragsänderung möglich sind; denn wir wollen nicht mit allem warten, bis wir zu Vertragsänderungen kommen - das braucht Zeit -, sondern das, was möglich ist, schon jetzt tun.

Es gehört übrigens zu den Lehren, die wir aus der Krise ziehen müssen, wenn sie sich so nicht wiederholen soll, dass wir strengere Regulierungen der Finanzmärkte erreichen müssen. Wie notwendig das ist, sehen wir übrigens in diesen Tagen, in denen verständlicherweise viele Menschen in unserem Lande Schwierigkeiten haben, wenn sie hören, dass die HRE eine zusätzliche Liquiditätsgarantie durch die Finanzmarktstabilisierungsanstalt braucht. Sie fragen sich: Wieso ist das notwendig?

Das ist notwendig, weil wir längst die Entscheidung getroffen haben - die umgesetzt werden muss und Ende des Monats auch umgesetzt wird -, dass Bilanzvolumen in einer Größenordnung von über 200 Milliarden Euro aus der HRE in eine Anstalt innerhalb der Finanzmarktstabilisierungsanstalt ausgelagert wird. Um diesen Prozess abzusichern, ist es unvermeidlich, dass die HRE in der Übergangszeit über zusätzliche Liquidität verfügt. Dazu braucht sie die zeitlich begrenzten zusätzlichen Liquiditätsgarantien, die wir am Freitagabend im Lenkungsausschuss beschlossen haben. Das war übrigens mit allen Ressorts, die in diesem Lenkungsausschuss vertreten sind, abgestimmt; es war eine gemeinsame Position.

Die Maßnahmen sind aber bis Ende September befristet; denn sie sind nur zur Abstützung des Prozesses, die HRE nachhaltig zu sanieren, notwendig. Das ist erforderlich, weil sonst diese Instrumente nicht bei der Zentralbank refinanzierungsfähig wären. Aber es ist völlig klar: Was wir bei der HRE beschließen mussten, gilt vorübergehend und ist zeitlich eng befristet. Es ist eine Maßnahme, um die Sanierung der HRE so, wie gemeinsam verabredet, voranzubringen, nicht mehr und nicht weniger.

Aber das zeigt, dass wir in Bezug auf die bessere Regulierung unseres Finanzsektors nicht am Ende sind und dass wir in unserem Elan nicht nachlassen dürfen. Die Gefahr besteht immer - das gilt in der Haushaltspolitik wie bei zusätzlichen Regulierungen -, dass man, sobald die Krise ein bisschen überwunden scheint, in den Anstrengungen nachlässt, weil man meint, jetzt seien sie nicht mehr so notwendig. Das wäre falsch. Gerade weil wir auf dem richtigen Weg sind, muss er konsequent fortgesetzt werden.

Wir haben im Übrigen mehr erreicht, als viele in der öffentlichen Debatte wahrnehmen wollen. Wir haben die Anreizsysteme in der Bezahlung und Vergütung von Bankmanagern international wie national - auf dem G20-Gipfel verabredet und dann in Europa und jetzt in nationale Gesetzgebung umgesetzt - deutlich stärker auf den langfristigen Erfolg der Institute begrenzt. Denn solange es Anreize gab, die sich am kurzfristigen Erfolg der Unternehmen ausrichten, hat man die Verantwortlichen in die nicht beherrschbare Versuchung geführt, den kurzfristigen Erfolg ohne Rücksicht auf die langfristige Tragfähigkeit zu maximieren. Deshalb ist eine Korrektur bei den Vergütungs- und Anreizsystemen eine notwendige Konsequenz.

Der zweite, genauso notwendige Bereich ist, dass wir die aufsichtsrechtlichen und die tatsächlichen Möglichkeiten verbessern. Deswegen ist es ein großer Schritt, dass es in Europa gelungen ist, sich auf eine europäische Finanzaufsichtsstruktur zu verständigen. Das hat viele Anstrengungen erfordert. Aber wir haben es geschafft. Damit kann die nationale Finanzaufsicht, die nicht ersetzt werden soll, in Krisensituationen von grenzüberschreitenden, europäischen Dimensionen besser eingreifen. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass wir die Finanzaufsicht in Europa insgesamt handlungsfähiger machen, damit sie früher krisenhaften Entwicklungen entgegenwirken kann. Das machen wir mit Nachdruck. Auch da kommen wir voran.

Das bedeutet im Übrigen im nächsten Schritt, dass wir unsere nationale Finanzaufsicht an die neuen Anforderungen anpassen müssen. Ich hatte immer gesagt - nur zur Erinnerung -: Wir brauchen zuerst die Entscheidung über die europäischen Strukturen - diese werden wir jetzt haben; das Europäische Parlament wird sich bald damit befassen; der Finanzministerrat hat dem schon zugestimmt -; dann können wir gemeinsam prüfen, welche richtigen Konsequenzen für unsere nationale Finanzaufsichtsstruktur wir ziehen müssen. Auch das wird im Laufe dieses Jahres zum Abschluss gebracht werden.

Wir brauchen dann - das ist der nächste wichtige Bereich; man kann ihn gar nicht hoch genug einschätzen - im Bereich der Eigenkapital- und Liquiditätsvorsorge bei den Finanzinstituten bessere Konsequenzen. Auch hier sind wir mit dem Ergebnis, das die Notenbankgouverneure und die Finanzaufseher am Sonntag in Basel erzielt haben - der sogenannte Basel-III-Prozess -, einen großen Schritt vorangekommen. Dabei ist es gelungen, die richtige Balance zu finden zwischen der Notwendigkeit einer besseren Eigenkapital- und Liquiditätsvorsorge und der Notwendigkeit, zu vermeiden, dass der Finanzsektor nicht mehr in der Lage ist, die stattfindende wirtschaftliche Erholung mit genügend Liquidität und entsprechenden Kreditmöglichkeiten abzusichern. Es ist wichtig, dass es im Rahmen von Basel III gelungen ist, die Besonderheiten des deutschen Finanzwesens mit den drei Sektoren - Sparkassenwesen, Kreditgenossenschaften und Privatbanken - zu berücksichtigen. Das ist in den Besitzstandswahrungsvorschriften des in Basel erzielten Ergebnisses gesichert.

Ich halte Folgendes für ganz wichtig - das sage ich immer unseren Kollegen -: Dass Deutschland zurzeit eine bessere wirtschaftliche Entwicklung hat, und zwar nachhaltig, hat neben anderem mit unserer ausgewogenen Struktur aus Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben zu tun. Die mittelständisch orientierte Wirtschaftsstruktur in unserem Land ist einer unserer großen Vorteile. Diese Struktur erfordert einen entsprechend gegliederten Finanzsektor. Diesen Zusammenhang zwischen der mittelständischen Struktur unserer Wirtschaft und der gegliederten Struktur unseres Finanzsektors sollte man nicht übersehen. Das heißt im Übrigen nicht, dass wir nicht auch Konsequenzen im deutschen Finanzsektor ziehen müssen. Die erheblichen Anforderungen auf der Eigenkapitalseite und an die Liquiditätsvorsorge im Rahmen von Basel III werden alle betreffen. Aber diese Anforderungen sind zumutbar und zu bewältigen. Sie werden den Prozess einer Neustrukturierung innerhalb des Finanzsektors eher befördern. Die Bundesregierung ist entschlossen, ihren Beitrag im Rahmen unserer föderalen Ordnung - bis hin zum besonders schwierigen Bereich der Landesbanken - zu leisten und den Prozess voranzubringen.

Wir müssen auch den Schutz des Steuerzahlers, der sich in der Krise als der letzte Anker herausgestellt hat, ausbauen und seine hohen Belastungen zurückführen. Deswegen ist die Umsetzung der Restrukturierung für die Finanzinstitute ein zentraler Punkt.

Das ist uns durch die G20-Beschlüsse vorgegeben. Wir haben sie durch den Gesetzentwurf zur Restrukturierung der Banken umgesetzt. Der Bundestag muss sich noch intensiv damit befassen. Das sind die Konsequenzen aus der nicht gegebenen Möglichkeit 2008, systemische Risiken bei der Bankenrestrukturierung zu vermeiden. Deswegen haben wir damals andere Lösungen gewählt. Jetzt leisten wir Vorsorge für ein geordnetes Restrukturierungsverfahren, das systemische Risiken im Finanzsektor vermeidet. Dazu gehört im Übrigen auch, dass wir einen Restrukturierungsfonds schaffen, der teilweise durch eine maßvolle, aber systemische Risiken berücksichtigende Bankenabgabe gespeist werden soll. Das ist ein wichtiger Schritt, und wir liegen mit dieser Gesetzgebung genau in der Linie, die durch G20 vorgegeben ist und die jetzt auch in eine europäische Struktur eingebettet wird.

Es ist gelegentlich kritisiert worden, dass wir als Bundesrepublik Deutschland in Europa gewissermaßen vorgegangen wären. Ich sage Ihnen: Wir haben damals schon in enger Abstimmung mit Frankreich gesagt, dass wir eine europäische Regelung wollen. Aber so eine Regelung kommt eher zustande, wenn einige der größeren Mitgliedsländer vorangehen, als wenn jeder sich hinter der Aussage versteckt: Sobald es alle machen, machen wir auch mit. Am Ende geschieht dann nichts. Das ist ein Punkt, den wir sehr im Blick haben müssen.

Dazu kommt im Übrigen, was ich an dieser Stelle schon einige Male gesagt habe: Wir müssen auch die alternativen Marktteilnehmer im Finanzsektor der Regulierung und der Aufsicht unterwerfen. Das ist ein wichtiger Punkt. Daran arbeitet die EU mit Nachdruck; wir kommen hier voran. Wir müssen uns bei den alternativen Produkten im Finanzsektor ganz genau anschauen, wo die Missbrauchsmöglichkeiten größer sind als die dienende Funktion für die Erfüllung der Aufgaben des Finanzsektors.

Deshalb haben wir in der Frage der ungedeckten Leerverkäufe die Entscheidung getroffen, national voranzugehen. Wir haben dies nicht getan, um Europa zu spalten, sondern um eine europäische Lösung zustande zu bringen. Wir wollen die Maßnahmen international so gut wie möglich abstimmen, weil das immer die bessere Lösung ist; aber die internationale Abstimmung darf am Ende nicht zu einer Ausrede dafür mutieren, dass gar nichts geschieht. Wenn wir Lösungen nicht global zustande bringen, dann müssen wir sie in Europa zustande bringen, und damit es in Europa vorangeht, müssen wir gelegentlich auch ein Stück auf nationaler Ebene vorangehen.

An den Bemühungen, ungedeckte Leerverkäufe oder Kreditversicherungen, CDS, die nicht der Absicherung realer Geschäfte dienen, stärker aus dem Instrumentariumkasten herauszunehmen, sehen Sie, dass wir mit diesem Weg vorankommen und dass wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Es zeigt, dass die Bundesregierung konsequent ihrer Verpflichtung nachkommt, wo immer möglich Konsequenzen aus der Finanzkrise zu ziehen, damit sie sich nicht wiederholen kann. Hier sind wir auf einem richtigen Weg.

Ich will die Gelegenheit nutzen, noch einmal an unsere vielen Debatten über die Frage einer zusätzlichen Besteuerung des Finanzsektors zu erinnern; sei es nun eine Finanzaktivitätsteuer oder sei es eine Finanztransaktionsteuer. Es ist klar: Global werden wir diese nicht zustande bringen. In Toronto hat sich gezeigt: Wer sagt, er sei für eine solche Steuer, jedoch unter der Voraussetzung, dass sie global eingeführt wird, muss auf nicht absehbare Zeit davon Abstand nehmen. Das geht nicht. Deshalb hatten wir früh einen großen Konsens, und zwar weitgehend auch mit der Opposition und innerhalb der Regierung: Wenn wir das global nicht hinbekommen, dann werden wir eine europäische Lösung suchen.

- Hier sind wir gut vorangekommen, Herr Kollege Poß. Wissen Sie, das schadet auch nichts. Es tut einer Regierung und übrigens jeder politischen Partei gut, wenn sie politische Entscheidungen erst kritisch diskutiert, bevor sie sie trifft, wenn sie nicht sagt: Wir entscheiden das erst einmal und sehen dann, ob es richtig ist.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir zulassen, dass öffentliche Debatten vor Entscheidungen immer als Streit diffamiert werden, dann schwächen wir die Mechanismen der parlamentarischen Demokratie. Das wird diese Regierung nicht tun.

Wir haben nun - auch dazu gibt es einen deutsch-französischen Vorschlag - im Finanzministerrat Anfang dieses Monats zum ersten Mal eine Vorlage der Kommission - die hat das Initiativrecht - für eine solche Steuer in Europa bekommen. Deswegen hatten wir im Ecofin im September die erste Debatte über die Initiative der Bundesregierung und der französischen Regierung. Natürlich haben wir in der ersten Debatte keine einstimmige Zustimmung für diesen Vorschlag bekommen. Wer das erwartet hat, hat keinen Bezug zur Wirklichkeit. Aber die Diskussion im Finanzministerrat, im Ecofin, war sehr viel offener, als man nach den öffentlichen Erklärungen hätte vermuten können. Deswegen werden wir an unserem Vorschlag weiterarbeiten. Ich habe nie behauptet, dass wir sicher sind, dass wir unser Ziel erreichen werden. Wir sind nicht allein in Europa. Sie können aber sicher sein - das haben wir auch hier im Bundestag versprochen, und das ist die Politik der Bundesregierung -, dass wir alles daransetzen und alle Bemühungen unternehmen werden, um das zustande zu bringen. Sie können darauf vertrauen. Wir sind in dieser Frage nicht isoliert, aber wir müssen noch sehr viel daran arbeiten.

Wenn wir die Konsequenzen aus der Krise ziehen, dann ist folgender Punkt entscheidend - ich will ihn uns noch einmal ins Gedächtnis rufen -: Wir leben in einer Zeit dramatisch schneller und dramatisch tiefgehender Veränderungen wirtschaftlicher, ökologischer, politischer und sozialer Art. Das ist das Kennzeichen der modernen Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung. In einer solchen Zeit ist es wichtig, dass wir das Vertrauen unserer Bürger in die Nachhaltigkeit unserer Politik bewahren. Eine Gesellschaft, die sich ohnmächtig und den Veränderungen ausgeliefert fühlt, wird eher regressiv reagieren. Wir müssen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes bewahren und die notwendigen Entscheidungen, über die man im Einzelnen streiten kann, treffen. Wir müssen unser Land immer wieder infrastrukturell weiterentwickeln und uns auf veränderte weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen einstellen. Das kann nicht bestritten werden. Es ist wichtig, dass die Bevölkerung genügend Vertrauen in die Nachhaltigkeit unserer Politik hat, damit wir die notwendigen Veränderungen in unserer offenen Gesellschaft konsensfähig gestalten können. Wenn kein Vertrauen vorhanden ist, werden wir das Gegenteil von dem, was wir wollen, erzielen. Die Rückgewinnung von Vertrauen durch Nachhaltigkeit und Beständigkeit unserer Politik ist ein zentrales Element, wenn wir in einer Zeit aufregender Veränderungen Kurs halten wollen.

Wir haben in über 60 Jahren Nachkriegszeit vieles erreicht, worüber wir glücklich sein können. In diesen Tagen und Wochen erinnern wir uns an den größten Glücksfall der deutschen Geschichte. Wir leben seit 20 Jahren nicht mehr in der alten Bundesrepublik, sondern im vereinten Deutschland. Wir haben die Einheit in Frieden und Freiheit erreicht. Uns wurde die Richtigkeit unserer grundsätzlichen ordnungspolitischen Vorstellungen wieder und wieder bestätigt. Wenn wir nun diesen Weg konsequent fortsetzen, auch indem wir uns etwa bei der Energiewende auf neue Entwicklungen einstellen, dann sind wir auf einem guten Weg in die Zukunft. Mir ist vor der Zukunft nicht bange. Die Politik allein kann die Zukunft nicht gestalten; aber sie muss die Bedingungen so setzen, dass wir einen stabilen Rahmen für Freiheit, aber auch für Gerechtigkeit in unserer demokratischen Gesellschaft haben. Das ist die Politik der Bundesregierung.

Dazu gehört: Wer die Freiheit - auch die des Marktes und des Wettbewerbs - durch mehr staatliche Bürokratie ersetzen will, wird am Ende wieder die Erfahrung machen, die wir in 40 Jahren Nachkriegsgeschichte gemacht haben. Bürokratische staatliche Systeme sind weniger effizient und weniger in der Lage, die Menschen zu motivieren. Sie sind noch weniger in der Lage, richtige und nachhaltige ökonomische Entscheidungen zu treffen. Deswegen setzen wir auf Freiheit. Aber damit die Freiheit sich nicht selbst zerstört, brauchen wir einen Rahmen. Diesen Rahmen setzt die soziale Marktwirtschaft. Sie setzt Regeln, die eingehalten, und Grenzen, die nicht überschritten werden. Diese Regeln müssen immer wieder angepasst werden. Sie sorgen im Übrigen für den sozialen Ausgleich. Deswegen ist es so wichtig, dass unsere Politik durch die Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt und der Beschäftigungschancen den Menschen konkret zugutekommt. Diesen Weg werden wir fortsetzen.

Im Prinzip ist es klar: Es geht darum, in einer Zeit schneller Veränderungen, in einer Zeit, in der die Gefahr der Verunsicherung als Folge dieser Veränderungen groß ist, zu handeln. Dies ist die Situation überall in der westlichen Welt. Schauen Sie sich andere Länder an, ehe Sie vorschnell diskutieren oder kritisieren. Schauen Sie sich die Schwierigkeiten anderer Länder an, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass Anpassungen in der Gesellschaft notwendig sind. Wir kommen um Konsequenzen aus der demografischen Entwicklung so wenig herum wie um Konsequenzen aus der Veränderung der weltweiten wirtschaftlichen Bedingungen durch die Globalisierung.

Wenn wir Zukunft gestalten wollen, brauchen wir Vertrauen, brauchen wir eine verlässliche Basis. Die Grundwerte, die Grundstrukturen in unserem Land verändern sich nicht. Aber die Antworten, die wir aus Grundwerten und Grundstrukturen ableiten müssen, um für das Jahr 2010 und die folgenden Jahre die richtigen Entscheidungen zu treffen, setzen voraus, dass wir die Realität zur Kenntnis nehmen. Es gilt, auf fester Basis zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen.

Das ist das Leitmotiv der Bundesregierung: Veränderung gestalten - auf der Basis fester Werte, aber unter Würdigung dessen, was in der Welt stattfindet. Die Verweigerung der Realität durch ideologisch begründete Vorstellungen ist der falsche Weg.

Unser Weg ist, auf fester Basis einen Rahmen für Veränderung zu geben, die Rahmenbedingungen durch die Politik so zu gestalten, dass Freiheit, Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich in unserem Land auch in der Zukunft möglich bleiben. Das ist eine große Aufgabe. Der Haushalt 2011, den wir jetzt zu beraten beginnen, leistet seinen Beitrag dazu.

Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.


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Quelle:
Bulletin Nr. 86-1 vom 14.09.2010
Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble,
zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag
am 14. September 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2010