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ROHSTOFFE/057: Chile - Streit um Lithiumförderung, Gewerkschaften fordern Abbau durch den Staat (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2012

Chile: Streit um Lithiumförderung - Gewerkschaften fordern Abbau durch den Staat

von Marianela Jarroud



Santiago de Chile, 18. Juli (IPS) - Chile will Konzessionen für die Förderung von Lithium versteigern. Die Regierung des südamerikanischen Landes will dafür eine Ausnahmeregelung schaffen, weil sie sonst Verfassungsbruch begehen würde. Gewerkschaften sind gegen die Beteiligung privater Unternehmen und fordern die Ausbeutung der Ressource durch den Staat.

"Der Bergbau ist essenziell für die Finanzierung der Sozialprogramme Chiles", sagte der Generalsekretär der Gewerkschaft 'Konföderation der Kupferarbeiter' (CTC) Jedry Velis. Deshalb mache er sich Sorgen über die Unbekümmertheit, mit der die demokratisch gewählten Regierungen nach der Diktatur Augusto Pinochets, die bis 1990 anhielt, die nationalen Rohstoffe verschleudere. "Wir verlieren unsere Souveränität an ausländische transnationale Konzerne, die wenig bis gar nichts ihres Umsatzes an den Staat abtreten."

Lithium kommt in Chile zuhauf vor, insbesondere in den trockenen Salzwüsten im Norden des Landes und dort vor allem in der Atacama-Wüste. Bereits seit langem wird das Leichtmetall für die Herstellung von Schmiermittel verwendet und später auch für die Produktion von hitzebeständigem Glas sowie für pharmazeutische Zwecke. In den vergangenen 20 Jahren ist Lithium verstärkt für Handy- und Laptop-Akkus eingesetzt worden.


E-Autos lassen Nachfrage nach Lithium steigen

Neuerdings wird dem Metall eine große Zukunft für Batterien von Elektroautos vorhergesagt. Schätzungen zufolge wird die Lithiumindustrie dadurch bis zum Jahr 2020 um sieben Prozent wachsen. In den vergangenen zehn Jahren ist der Preis für Lithium bereits um 200 Prozent gestiegen, und es ist absehbar, dass er durch die gesteigerte Nachfrage noch weiter in die Höhe klettern wird. Die Regierung unter Sebastián Piñera will, dass in den kommenden 20 Jahren 100.000 Tonnen des chemischen Elements gefördert werden.

Noch können die Unternehmen auf die Konzessionen bieten. Am 24. September will die Regierung dann den Meistbietenden bekannt geben. Für jeden Vertrag, den die Regierung über die Förderung des Leichtmetalls abschließt, will sie einmalig 350 Millionen Dollar verlangen.

Das Unternehmen muss darüber hinaus monatlich sieben Prozent seiner Einnahmen aus dem Verkauf des Lithiums an den chilenischen Staat abtreten. Der Regierung zufolge entspricht das dem Anteil, den auch andere Staaten, in denen Lithium vorkommt - beispielsweise Australien und Argentinien -, von den Förderunternehmen verlangen.

Oppositionspolitiker der Mittelinkspartei 'Concertación por la Democracia' halten das für zu wenig. Sie gehen davon aus, dass der Staat wesentlich mehr verdienen könnte, wenn er das Lithium selbst ausbeuten würde.

Die Gewerkschaften der Minenarbeiter fordern, dass die Regierung den Auftrag an das staatliche Kupferunternehmen Codelco vergibt. Codelco erklärte Ende Juni, grundsätzlich dazu bereit zu sein und diese Möglichkeit prüfen zu wollen.

Die Gewerkschaft 'Föderation der Kupferarbeiter' (FTC), in der die Codelco-Mitarbeiter organisiert sind, kritisieren, dass die Versteigerung eines solch "strategischen Rohstoffes" wie das Lithium lediglich die "Politik der Privatisierung" der chilenischen Regierung unterstreiche.

Der sozialistische Präsident Salvador Allende (1970 bis 1973) hatte die Kupferproduktion verstaatlicht, der Diktator Pinochet (1973-1990) machte die Entscheidung wieder rückgängig. Er reformierte Gesetze, um insbesondere den Abbau von Kupfer in die Hände von Privatunternehmen zu geben. Die Mineralien wurden aufgeteilt in "konzessionierbare" und "nicht-konzessionierbare" Rohstoffe, wobei die meisten in die erste Kategorie fielen. Da Lithium als "strategischer" Rohstoff für den Bau von Atomkraftwerken eingestuft wurde, galt er als "nicht-konzessionierbar".

Doch Pinochet hielt sich selbst nicht daran: Eine Ausnahmeregelung machte es möglich, doch zwei Konzessionen für die Ausbeutung des Leichtmetalls zu vergeben. Noch heute wird Lithium in Chile hauptsächlich im Rahmen dieser Konzessionen gefördert.


Chile ist weltgrößter Lithiumexporteur

In ganz Südamerika lagern 75 Prozent der globalen Lithiumreserven. Bolivien hat den größten Anteil daran (35 Prozent), in Chile lagern 20 Prozent der Reserven. Mit einem Anteil von 41 Prozent ist Chile der weltweit größte Lithiumproduzent. Ihm folgen Australien, China und schließlich das Nachbarland Argentinien. Chile exportiert nach Deutschland, Belgien, China, Südkorea, in die USA und nach Japan.

Da die Vergabe von Konzessionen für Lithium per Verfassung ausgeschlossen ist, plant die Regierung, weitere Ausnahmeregelungen durchzusetzen. Für die Gewerkschaft CTC ist das unhaltbar. "Die Regierung umgeht einfach das in der Verfassung festgelegte Verbot", sagte ein Sprecher. Würde die Regierung den korrekten Weg gehen, müsse sie die Opposition einbeziehen, um eine Verfassungsänderung zu erreichen.

Der Direktor des Zentrums für die Innovation von Lithium der Universität von Chile, Jaime Alee, hält den Streit um die Ausbeutung der Lithiumreserven für eine politische Diskussion. "Lithium ist massenhaft vorhanden und extrem billig. Ob und wie viel davon gefördert wird, hat keinerlei Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes."

Man müsse sich allerdings Gedanken machen, wie man einen höheren Gewinn aus dem Lithium ziehen könne. Chile exportiert hauptsächlich Rohstoffe. Wenn das Land ein anderes Entwicklungsniveau erreichen wolle, müsse es Humankapital kreieren und einen Mehrwert schaffen, argumentierte Alee. "Wenn wir weiterhin nur landwirtschaftliche Produkte sowie Kupfer und andere Rohstoffe exportieren, werden wir immer auf unserem jetzigen Entwicklungsniveau verharren." (Ende/IPS/jt/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2012