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VERKEHR/1182: China - Hochgeschwindigkeitstechnologie in alle Welt exportiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juni 2011

China: 'Züge für Aristokraten' - Hochgeschwindigkeitstechnologie in alle Welt exportiert

Von Antoaneta Becker


Peking, 29. Juni (IPS) - Zugreisende in China können Schanghai von Peking aus künftig fast doppelt so schnell erreichen wie bisher. Die Volksrepublik investiert kräftig in den Ausbau der Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsnetze - im eigenen Land und in Übersee.

Die Fahrt von der Hauptstadt in die Industriemetropole soll nur noch fünf statt zehn Stunden dauern. Vor mehr als zwei Jahren war bereits die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Peking und der 117 Kilometer entfernten nordchinesischen Hafenstadt Tianjin eingeweiht worden.

Fahrgäste können ein Zugmodell kaufen, das so lang ist wie ein Arm. Viele beobachten interessiert den Bildschirm, auf dem die wechselnden Geschwindigkeiten angezeigt werden. Diejenigen, die zum ersten Mal an Bord sind, finden es besonders aufregend, sich mit 330 Stundenkilometern vorwärts zu bewegen.

"Manche Leute meinten, dass solche Züge nicht in Massenproduktion hergestellt und eingesetzt werden könnten. China zeigt ihnen aber, dass das sehr wohl funktoniert", sagt die Geschäftsfrau Miao Li, die von Tianjin zum Einkaufen nach Peking fährt. Die Fahrt dauert inzwischen nicht mehr 70, sondern nur noch 30 Minuten.

Die neue Strecke zwischen der Hauptstadt und Schanghai wird mit 1.318 Kilometer die längste Hochgeschwindigkeitsstrecke der Welt sein. Auch mit den Baukosten von 34 Milliarden US-Dollar liegt China an der Spitze.

"In wenigen Jahren hat China mehr Hochgeschwindigkeitsstrecken gebaut als alle anderen Länder zusammen in einem halben Jahrhundert", kommentiert die Zeitung 'Southern Weekend' stolz. Dies sei eine positive Entwicklung für eine Nation, deren neuere Geschichte eng mit dem Zugverkehr verbunden sei.


Korruptionsskandale

Die Sache hat allerdings auch einen Haken, denn die Korruption im Industriebereich hat auch vor den ambitionierten Hochgeschwindigkeitsprojekten nicht Halt gemacht. Jüngst enthüllte Skandale dürften Peking in einem Moment, in dem die Regierung große Expansionspläne in Übersee hegt, ganz und gar nicht gelegen kommen. Selbst auf der kurzen Strecke zwischen Peking und Tianjin sollen seit 2008 Verluste von umgerechnet 109 Millionen Dollar entstanden sein.

"Der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes wurde von staatlichen Banken finanziert, also in erster Linie mit dem sauer verdienten Geld der Chinesen", kritisierte Li Hongchang, Wissenschaftler an der Pekinger Jiaotong-Universität. "Wenn die Blase platzt, werden die sozialen Kosten enorm sein."

Leisten können sich solche Fahrten ohnehin nur Wohlhabende. Ein Ticket in dem Zug mit dem klangvollen Namen 'Harmonie', der zwischen Peking und Schanghai verkehren wird, soll mit 86 Dollar in der einfachen Klasse drei Mal soviel kosten wie eine herkömmliche Fahrkarte. Ein Sitzplatz in der Luxusklasse schlägt sogar mit 273 Dollar zu Buche. Kritiker sprechen längst von "Zügen für Aristokraten".

China begann im Jahr 2005 mit der Einrichtung der ersten superschnellen Zugverbindungen. Bis Ende vergangenen Jahres erstreckte sich dieses Schienennetz bereits auf mehr als 8.000 Kilometer. Geplant ist, die Länge bis 2015 noch zu verdoppeln. Mit Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 500 Stundenkilometern will China ausländische Konkurrenten wie Alstom und Siemens überrunden.

Während die Regierung in halsbrecherischem Tempo den Ausbau des hochmodernen Schienenverkehrs im eigenen Land vorantreibt, rüstet sie sich für die Eroberung ausländischer Märkte. Denn die Volksrepublik kann auch in diesem Bereich mit Dumping-Preisen locken.

In Südafrika will die chinesische Bahngesellschaft für 30 Milliarden Dollar eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Johannesburg und der im Osten gelegenen Hafenstadt Durban errichten. In Großbritannien haben die Chinesen unterdessen eine Charmeoffensive gestartet, um Fahrzeuge für eine Schnellstrecke zwischen London und Birmingham zu liefern. Außerdem hofft Peking für eine Milliarde Pfund (1,49 Milliarden Dollar) Züge für den Pendelverkehr zwischen der Hauptstadt und ihren Vororten bereitstellen zu können.


Zugstrecke zwischen Mekka und Medina

In Saudi-Arabien baut China bereits eine 350 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitsstrecke, die die Pilgerstädte Mekka und Medina verbinden soll. Durch den Ausbau der internationalen Verbindungen verfolgt Peking außerdem das Ziel, besseren Zugang zu wertvollen Bodenschätzen zu erlangen. Die Regierung stellt sich vor, im Gegenzug für die Infrastrukturprojekte Anteile an den jeweiligen Energie- und Mineralvorkommen zu erhalten.

Peking beabsichtigt zudem, neue Hochgeschwindigkeitsstrecken in Asien und Osteuropa mit der bereits bestehenden Infrastruktur in den Ländern der Europäischen Union zu verknüpfen. Zusätzliche Zuglinien sollen über Singapur nach Südostasien führen. Zurzeit verhandelt China mit 17 Ländern, wobei Peking die Finanzierung übernehmen will, sofern die Partner dafür natürliche Ressourcen liefern.

Wo im großen Stil Finanzmittel bereitgestellt werden, steigt das Risiko für Bestechung. Das chinesische Bahnprogramm erlitt einen empfindlichen Rückschlag, als der zuständige Minister Liu Zhijun im Februar wegen eines "ernsten Verstoßes gegen die Disziplin" seinen Posten räumen musste. Liu hatte acht Jahre an der Spitze des Programms gestanden. In der Presse wurde ihm nun vorgeworfen, die Sicherheit der Züge vernachlässigt zu haben, um immer höhere Geschwindigkeiten zu erreichen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2011