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VERKEHR/1190: Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr (spw)


spw - Ausgabe 3/2011 - Heft 184
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr - Herausforderungen für Betriebsräte oder wettbewerbsbedingte Hilflosigkeit?

von Ralf Halbauer


Der Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr stellt Betriebsräte insbesondere dann vor große Herausforderungen, wenn ein Vergabeverfahren einer bestehenden Zugstrecke bevorsteht. In der Regel gewinnt das Unternehmen das Verfahren, welches die Leistungen am billigsten anbietet. Dies geht in der Regel mit Arbeitsplatzverlusten einher oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konnten sich bei der Konkurrenz bewerben, allerdings meistens zu niedrigeren Lohn- und Sozialbedingungen. Bei dem neuen Verkehrsunternehmen fahren sie dann auf der gleichen Strecke und üben die gleiche Tätigkeit aus, müssen aber oftmals länger arbeiten und verdienen weniger, obwohl sich an ihrem eigentlichen Job nichts ändert.

In größeren Unternehmen gibt es oftmals die Möglichkeit, anstelle des wegfallenden Arbeitsplatzes eine neue Tätigkeit angeboten zu bekommen. Auch dies ist aber nicht immer hilfreich: Personalbedarf und Stellenlücken liegen nicht selten entfernt von Familie und Heimat oder in teuren Ballungsgebieten.

Ein weiteres Problem ist das Halten von qualifizierten Fachkräften. Wenn Beschäftigte wissen, dass aufgrund einer Übernahme der Zugleistungen durch ein Konkurrenzunternehmen Arbeitsplatzverlust droht, sind frühzeitige Stellenwechsel nur verständlich. Dies führt jedoch dazu, dass insbesondere qualifizierte Fachkräfte die Firma vor dem Betreiberwechsel verlassen. Aufgrund der zeitlichen Beschränkung sind geeignete BewerberInnen nur schwer zu finden, frei gewordene Stellen werden dann oftmals mit LeiharbeitnehmerInnen gefüllt. Hier befinden sich die Betriebsräte in einem Konflikt, da - trotz aller Skepsis gegenüber Leiharbeit - das Personal benötigt wird um die bis zum Betreiberwechsel vertraglich vereinbarten, notwendigen Verkehrsleistungen aufrecht zu erhalten.


Zuspitzung des Wettbewerbs durch "Dumpingtöchter"

Das Primat des billigsten Angebots führte außerdem dazu, dass Firmen mit guten Lohn- und Sozialbedingungen sogenannte "Dumpingtöchter" gegründet haben. Mit diesen wurde dann die Tarifflucht aus den eigenen Tarifverträgen begangen. Diese Töchter nahmen an Vergabeverfahren teil und kalkulierten mit Löhnen, die entsprechend unter Tarif lagen. Erst nach dem Zuschlag wurden die entsprechenden Beschäftigten gesucht. So wurde eine Abwärtsspirale bei den Lohn-und Sozialstandards innerhalb der Konzerne eröffnet. Die Beschäftigten erhielten "Weiterbeschäftigungsangebote" in der Tochterfirma zu niedrigeren Bedingungen. Diese Situation stellte die Betriebsräte vor viele Fragen: Sollte man den Weg der Dumpingtöchter mitgehen, um zumindest den Mantel des Konzerns zu erhalten? Oder sollte man den Konflikt austragen, nur Angebote zu Tarifbedingungen fordern und Arbeitsplatzverluste riskieren? Was ist die beste Strategie zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Lohn- und Sozialstandards? Und wie geht man mit erfolgreichen Dumpingtöchtern um, wenn vor der Betriebsaufnahme Betriebsräte fehlen? Galt dieser Wettbewerbsdruck bisher im Konkurrenzverhältnis zu anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen, fand er nun auch im eigenen Konzern statt.

Zumeist warnten die Betriebsräte die Beschäftigten, solche Angebote anzunehmen und forderten die Übernahme der MitarbeiterInnen zu den vorherigen Bedingungen, um nicht die Beschäftigten innerhalb eines Konzerns zwischen Mutter- und Tochterfirma auszuspielen.


Branchentarifvertrag - ein wenig Entspannung, auch für Betriebsräte?

Im Januar 2011 wurde mit der Eisenbahn-und Verkehrsgewerkschaft EVG ein Branchentarifvertrag für den Schienennahverkehr mit der Deutschen Bahn und den sechs größten Privatanbietern abgeschlossen. Damit entspannt sich der Wettbewerb für die Beschäftigten insofern, dass die Ausschreibungen mit gedrückten Personalkosten nicht mehr nur auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewonnen werden. Auch ist das Problem der Gründung von Dumpingtöchtern bei der Deutschen Bahn und den sechs größten Privatbahnen behoben. Bedeutet der Branchentarifvertrag nun auch eine Entspannung für die Betriebsräte in der generellen Wettbewerbssituation?

Es ist zu vermuten, dass ein Eisenbahnverkehrsunternehmen mit hohen Lohn- und Sozialstandards sich nunmehr auch wieder mit seinen Tarifverträgen im Wettbewerb besser behaupten kann und Betreiberwechsel weniger oft stattfinden werden. Im Falle von Leistungsübernahmen durch Konkurrenzunternehmen sind die Beschäftigten nun zwar besser geschützt, die Probleme für die Betriebsräte bleiben aber. Außerdem sind Mitbewerber außerhalb des Geltungsbereichs des Branchentarifvertrages möglich.

Die Umsetzung desselbigen führt die Betriebsräte zu neuen Problemen. Die DB hat für sich geregelt, dass die Gewerkschaft der Lokomotivführer GDL für die Angelegenheiten dieser Berufsgruppe alleine zuständig ist. Damit gilt der Branchentarifvertrag im Schienennahverkehr nicht für die Lokführer, die bei der DB beschäftigt sind. Bei den Privatbahnen gibt es eine solche Regelung nicht. Dies führte zum Streik der GDL für einen Tarifvertrag mit bundesweiten Mindestbedingungen. Die Arbeitgeber verweisen auf den Branchentarifvertrag der EVG, der, anders als bei der DB, auch die LokführerInnen umfasse und deshalb von Lohndumping zu deren Lasten keine Rede sein könne, wie es die CDL behauptet. Die Betriebsräte werden nun von Beschäftigten gefragt, ob der Branchentarifvertrag für sie als LokomotivführerIn gelte oder nicht. Während die Antwort der Betriebsräte bei der DB eindeutig ist, differieren die Antworten bei den Privatbahnen je nach Gewerkschaftszugehörigkeit oder politischer Einstellung zur Tarifpluralität. Hier könnte Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Branchentarifvertrags Klarheit schaffen.

Auch zu gesetzlichen Regelungen wie einem Tariftreuegesetz gibt es von Betriebsräten durchaus kritische Töne an dem Branchentarifvertrag oder vergleichbaren Regelungen. Tariftreuegesetze richten sich oft nach sogenannten "repräsentativen Tarifverträgen", also Tarifverträgen, die bereits für viele Beschäftigte gelten. In der Regel sind dies die Bedingungen, die für die MitarbeiterInnen der DB Regio AG gelten, also der Tochterfirma der DB für den Schienennahverkehr. Der Branchentarifvertrag liegt (noch) unter den tariflichen Regelungen der DB Regio AG, und wird als "repräsentativer Tarifvertrag" für Tariftreuegesetze festgelegt. Im Fazit heißt dies: Wenn für Beschäftigte ein Tariftreuegesetz greift, dann gilt für die Ausschreibungen nunmehr eher der Branchentarifvertrag anstatt die höheren Tarifvereinbarungen des "Branchenprimus" DB Regio AG. Trotzdem: Der Branchentarifvertrag oder vergleichbare Regelungen sind notwendig, um zu verhindern, dass sich der Wettbewerb im Schienennahverkehr zu Lasten der Beschäftigten auswirkt!


Ralf Halbauer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Gesamtbetriebsrats der DB Regio AG.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 3/2011, Heft 184, Seite
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2011