Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

VERKEHR/1366: Sri Lanka - Neue Züge, neue Hoffnungen, altes Leid (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Oktober 2014

Sri Lanka: Neue Züge, neue Hoffnungen, altes Leid

von Amantha Perera


Bild: © Amantha Perera/IPS

Junge Leute im Zug Richtung Süden auf dem neuen Streckenabschnitt in der Nähe von Mankulam im nördlichen Bezirk Kilinochchi in Sri Lanka
Bild: © Amantha Perera/IPS

Jaffna, Sri Lanka, 16. Oktober (IPS) - Die Kinder von Kodikaman, einem staubigen Dorf im Bezirk Jaffna im Norden von Sri Lanka, haben seit einiger Zeit ein neues Lieblingsspiel. Stundenlang warten sie am Rande der neuen Eisenbahnlinie auf die Baulok. Sobald sie in der Ferne auftaucht, legen sie Münzen auf die Schienen und bringen sich dann in Sicherheit. Entfernt sich das Fahrzeug wieder, kommen sie hervor, um die plattgewalzten Münzen einzusammeln.

Bild: © Amantha Perera/IPS

Kinder, die Münzen auf die Schienen legen, damit sie von den vorüberfahrenden Schienenbaufahrzeugen plattgewalzt werden
Bild: © Amantha Perera/IPS

Die Bahnlinie, an der sich dieses kleine Ritual abspielt, ist die Neuauflage einer alten Zugverbindung, die vor 24 Jahren gekappt wurde. Sie soll Regionen wie Vanni einen Entwicklungsschub bringen. Die Menschen vor Ort hatten die Hauptlast des drei Jahrzehnte langen Bürgerkrieges zu tragen, der im Mai 2009 beendet werden konnte.

Der letzte Zug war in der Nacht des 13. Juni 1990 durch das 380 Kilometer nördlich der Hauptstadt Colombo gelegene Kodikaman geruckelt. Der Angriff der Separatisten der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) auf den Yal-Devi-Express ('Prinzessin-von-Jaffna-Express') bedeutete das Ende des Bahnverkehrs zwischen Nord und Süd. Schon der erste Überfall der LTTE hatte den Zugverkehr erheblich eingeschränkt.

Als im September 2013 nach mehr als 20 Jahren die ersten Züge nach Vanni zurückkehrten, fanden sich in Kilinochchi am Rand der Bahnlinie Scharen von Schulkindern ein, um einen Blick in die Abteile zu erhaschen. Die Stadt war mehr als ein Jahrzehnt lang das wirtschaftliche und administrative Zentrum der Rebellen gewesen.

Bild: © Amantha Perera/IPS

Arbeiter kurz vor Abschluss der Bauarbeiten am Bahnhof der srilankischen Stadt Jaffna
Bild: © Amantha Perera/IPS

"Wir alle haben darauf gewartet, dass der Traum endlich Wirklichkeit werden konnte", meint S. L. Gupta, Projektdirektor von IRCON, zum Wiederaufbau des Schienennetzes. IRCON ist eine Niederlassung der Indischen Eisenbahn, die in Vanni 800 Millionen Dollar in die Zuglinie investiert. Das Projekt läuft bereits seit Februar 2011, und große Abschnitte konnten inzwischen fertiggestellt werden. Der nordwestliche Schienenstrang reicht bis nach Madhu und der nördliche Abschnitt bis nach Pallai, etwa 17 Kilometer südlich von Jaffna.


Preiswerte Transportalternative

Vadevil Jayakumar aus Kilinochchi ist glücklich über die Verbindung. Einmal pro Woche macht er zusammen mit Frau, Schwester und Nichte Gebrauch von dieser "preiswerten und bequemen Transportmöglichkeit, die schneller als der Bus ist", wie er sagt. Eine Fahrkarte für die 264 Kilometer lange Strecke Colombo-Vanni kostet nur 180 Rupien (rund 1,25 US-Dollar).

Doch Jayakumar und die Seinen sind eher rare Fahrgäste. "Die meisten Menschen nehmen lieber den Bus", bestätigt Nesarathnam Praveen, der 23-jährige Bahnhofsvorsteher von Madhu Road. Voll wird es auf seinem Bahnsteig nur bei Festlichkeiten in der berühmten Madhu-Kirche, für die die Menschen aus der Provinz und von außerhalb anreisen. An normalen Tagen tut sich an diesem kleinen Bahnhof wenig, wie der Bahnhofsvorsteher einräumt.

Und auch im Yal-Devi-Express tritt man sich nicht auf die Füße. Die meisten Passagiere sind Soldaten, die von Colombo zu ihren Kasernen im Norden zurückkehren.

Das Problem besteht nach Meinung vieler darin, dass die Züge im Norden nicht so regelmäßig verkehren wie im Rest des Landes. Hauptverkehrsmittel der Nordwestschiene sind ehemalige Straßenbusse, die in Schienenfahrzeuge umgewandelt wurden und im Doppelpack unterwegs sind.


Züge haben nicht den erwarteten Aufschwung gebracht

Obwohl sie Millionen Dollar gekostet haben, konnten die neuen Zugverbindungen nicht die wirtschaftliche Entwicklung nach Vanni bringen, die sich die Menschen dort erhofft hatten. Die Region liegt ökonomisch weiterhin am Boden - obwohl der Krieg seit fünf Jahren vorbei ist und drei Milliarden Dollar in die Nordprovinz investiert wurden.

Bild: © Amantha Perera/IPS

Minenwarnschild nahe der Ortschaft Murukandhi im Bezirk Kilinochchi in Sri Lankas Nordprovinz
Bild: © Amantha Perera/IPS

Die Armut in der Region ist gravierend. Spitzenreiter ist der Bezirk Mullaitivu, in dem 28,8 Prozent der Menschen in Armut leben. Der nationale Durchschnitt ist mit 6,7 Prozent um das Sechsfache niedriger. Im Bezirk Colombo beträgt die Armutsrate 1,4 Prozent.

Andere Bezirke im Norden sind nicht viel besser dran. Kilinochchi weist eine Armutsrate von 12,7 Prozent, Mannar von 20,1 Prozent und Jaffna von 8,3 Prozent auf. Lediglich Vavuniya, der südlichste der fünf Nordbezirke und Tor zum Rest des Landes, ist mit 3,4 Prozent besser gestellt.

Bei der Arbeitslosigkeit ergibt sich ein ebenso trostloses Bild, wobei Kilinochchi mit 7,9 Prozent am schlechtesten abschneidet. Der nationale Durchschnitt beträgt 4,4 Prozent, während alle anderen Distrikte mit Ausnahme von Vavuniya ebenfalls Raten vorweisen, die den nationalen Durchschnittswert überschreiten.

Fischfang und Landwirtschaft sind die wichtigsten Wirtschaftsaktivitäten in der Region. Doch Initiativen, um regionale Märkte aufzubauen und Käufer in die Region zu bringen, sind rar gesät. Die Beteiligung des Privatsektors nimmt zwar zu, konnte aber der kriegsversehrten Wirtschaft bisher kein Leben einhauchen. Ökonome machen dafür vor allem das Fehlen eines umfassenden Strategieplans verantwortlich. Millionen Dollar wurden in die Entwicklung der Infrastruktur investiert, doch Möglichkeiten, um lokale Einkommen zu generieren, nicht genutzt.

Dabei haben die Bahnlinien die Voraussetzungen für den Handel mit dem Norden verbessert. Anushka Wijesinha, Wirtschaftsberaterin am Institut für strategische Studien, einer Denkfabrik in Colombo, weist darauf hin, dass sich der Warentransport durch das neue Schienennetz so sehr verbilligt habe, dass die Güter aus Vanni attraktivere Preise erzielen könnten.


Integraler Entwicklungsplan für den Norden gefordert

Doch damit die Bahnlinie zu einem wirklichen Entwicklungsmotor werden kann, wäre es notwendig, den kleinen und mittelständischen Unternehmern in Vanni mehr Anreize und Starthilfen zu geben. "Maßnahmen, die das Geschäftsklima, den Zugang zu Finanzmitteln, Technologien und Unternehmensfähigkeiten verbessern", fügt Wijesinha hinzu.

Dem Wirtschaftswissenschaftler Muttukrishna Sarvananthan zufolge hatte der Norden vor Ausbruch des Krieges der Eisenbahnbehörde die meisten Einnahmen verschafft. Schließlich war die nördliche Bahnstrecke mit 83 Bahnhöfen die längste des Landes.

Bild: © Amantha Perera/IPS

Fahrradfahrer, der dem Yal-Devi-Express in der nordsrilankischen Stadt Kilinochchi nachblickt
Bild: © Amantha Perera/IPS

Sarvananthan, der das Point-Pedro-Institut für Entwicklung in Jaffna leitet, ist der Meinung, dass die Zentralregierung die Umsetzung eines integralen Wirtschaftsentwicklungsplans nicht länger verschieben sollte. "Die Wiedereröffnung der Bahnlinie in die Nordprovinz bietet gegenüber anderen Transportleistungen einen ungeheuren Wettbewerbsvorteil. Das gilt sowohl für den Waren- als auch den Personentransfer", betont er. Ohne die Umsetzung eines ehrgeizigen Entwicklungsplans werde sich die Lage in Vanni kaum verbessern. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/new-trains-new-hopes-old-anguish/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Oktober 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2014