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VERKEHR/1579: Seetransport - Fair übers Meer? (FUE Rundbrief)



Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2019

Die Geister, die wir riefen
Chemikalien belasten zunehmend Mensch und Umwelt - Zeit zu handeln!

Fair übers Meer?
Warum der Seetransport unserer Güter noch immer eine Blindstelle ist

von Nelly Grotefendt

Güter aus anderen Teilen der Welt umgeben uns tagtäglich. In den letzten Jahren wurde im Rahmen der Debatten um fairen Konsum die Situation der ErzeugerInnen in der Fairhandelsbewegung aufs Tableau gehoben. Doch bis diese Güter bei uns landen, haben sie einen weiten Weg zurückgelegt. Größtenteils über das Meer. Welche umweltschutz- und arbeitsrechtlichen Probleme damit verbunden sind, zeigen die Forderungen der Kampagne 'Fair übers Meer'.


Wir leben heutzutage in einer durch und durch globalisierten Welt. Die Güter unseres täglichen Konsums, quasi alles, was uns umgibt, was wir tragen, essen usw. hat bereits eine weite Reise hinter sich gebracht. Bei einigen Produkten wird über die Herkunft im Etikett oder auf der Verpackung Auskunft gegeben, doch das spiegelt oftmals nur einen Teil der Reise wieder. Ein klassisches Beispiel ist die allseits beliebte Jeanshose. Baumwolle aus Kasachstan, gesponnen in der Türkei, gefärbt in China, gewebt in Polen, genäht in Bangladesch und veredelt wiederum in China, und schließlich bei uns auf dem Ladentisch. Bis sie am Ende ihres Lebenszyklus entsorgt wird, hat die Jeans schon mehr Reisekilometer auf dem Buckel als mancher Mensch in einem Jahrzehnt. Soviel zum Thema Herkunftsangabe.

Noch schwieriger wird es nachzuvollziehen, wie das Produkt gereist ist. Zwar kennen viele den Anblick von großen und immer größer werdenden Containerschiffen, doch sie erhalten wohl kaum die nötige Aufmerksamkeit. Zu einer transparenten globalen Lieferkette, die durchgängig sowohl den Schutz der Menschenrechte wie auch der Umwelt gewähren will, gehört logischerweise auch der Seetransport.

Dafür müssen die Transportwege eines Produkts einschließlich der verwendeten Rohstoffe und Vorprodukte nachvollziehbar veröffentlicht werden. Transparenz stellt hierbei Sicherheit her. Nicht nur für die EndverbraucherInnen, sondern auch für die Seeleute und die Umwelt.

Schiffe sind das wichtigste Transportmittel unserer Zeit, Tendenz steigend. Seit dem Ende der 1960er Jahre hat sich das Seefrachtaufkommen verfünffacht. Etwa 90 Prozent des Welthandels erfolgt derzeit auf dem Seeweg.

Noch interessanter wird es, wenn wir schauen, wo wir uns in diesem Geflecht befinden. Denn die Europäische Union (EU) steht im Zentrum des globalen Güterhandels. Gut ein Drittel der Schiffe haben entweder als Ziel- oder als Abfahrtort die EU. Laut Zahlen der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) wurden im Jahr 2000 rund 30.800 Milliarden Tonnen-Meilen (Transport einer Tonne über eine Seemeile) zurückgelegt; 2017 waren es schon 56.300 Milliarden Tonnen-Meilen. Das entspricht einem Anstieg von gut 82 Prozent innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten.

Dabei liegt es nicht nur daran, dass es immer mehr Schiffe gibt, sondern auch, dass die Kapazitäten immer weiter ausgebaut wurden. Transportierten Containerschiffe in den 1990ern noch gut 5.000 Container, können manche von ihnen heute 20.000 und mehr transportieren. Insgesamt sind gut 50.000 Handelsschiffe auf den Weltmeeren unterwegs, auf denen mehr als eine Millionen Seeleute aus verschiedensten Ländern arbeiteten.

Mehr Seemeilen = Mehr Schmutz

Immer mehr Seemeilen, immer mehr Produkte, immer größere Schiffe bedeuten zwangsweise auch mehr Emissionen. Und sowohl die Produktion wie auch der Betrieb von Frachtern braucht Rohstoffe und Energie.

Damit Umwelt- und Klimaschutz konsequent durchgeführt werden kann, müssen insbesondere die Emissionen dieser globalen Flotte von gut 50.000 Schiffen reduziert werden. Der Schiffsverkehr ist schon heute für über 2 bis 3 Prozent der klimaschädlichen globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Laut Aussagen des Umweltbundesamts betrugen diese bereits 2012 ca. 940 Millionen Tonnen CO2. Zum Vergleich: Die gesamten Emissionen Deutschlands lagen im selben Jahr bei rund 926 Millionen Tonnen CO2. In den Schätzungen des Bundesumweltamtes wird davon ausgegangen, dass die Emissionen ohne politisches Gegensteuern in 25 Jahren noch um rund 50 Prozent im Vergleich zu 2012 ansteigen könnten. Dieser Trend scheint sich derzeit zu bewahrheiten. So müssten Transportschiffe schnellstmöglich mit hochwertigen, schwefelarmen Kraftstoffen und umweltfreundlichen Antriebssystemen fahren.

Von Anfang bis Ende

Für einen konsequenteren Umweltschutz muss der gesamte Lebenszyklus eines Schiffes mehr Beachtung bekommen. Die Verschmutzung der Umwelt spielt nicht nur beim Betrieb oder der Entsorgung der an Bord oder durch Instandhaltung entstehenden Abfälle eine Rolle, sondern eben auch bei der Entsorgung alter Schiffe. In Südasien herrschen laut zivilgesellschaftlichen Angaben die schlimmsten Verhältnisse bei den Verschrottungen. Diese Arbeit, die die Menschen, teilweise auch Kinder, vor Ort machen, wurde von der International Labour Organization als eine der gefährlichsten der Welt eingestuft.

Die ArbeiterInnen und auch die regionalen Ökosysteme sind giftigen Gasen und Materialien wie Asbest ausgesetzt. Oft sind die Menschen nicht ausreichend geschult und bei der Arbeit kaum geschützt. Viele Unfälle und die hohen Gesundheitsrisiken führen zu einer sehr geringen Lebenserwartung.

Daher müssen Schiffsbau, Betrieb und Recycling ökologisch und sozial nachhaltig geschehen. SchiffseignerInnen sind hierbei rechtlich verbindlich in die Haftung zu nehmen, diesem auch nachzukommen.

Welthandel ja, aber um jeden Preis?

Immer mehr Welthandel ist eben auch ein Problem. Die Seeleute erleben auf den Handelsschiffen auf engstem Raum, was die Globalisierung für Mensch und Umwelt bedeutet. In einer Welt, in der alles theoretisch überall produziert werden kann, stehen die Produktionsstätten zwangsweise in Konkurrenz zueinander. Denn billiger geht es immer in irgendeinem Teil der Erde, vermeintlich zumindestens. Insbesondere solange der Transport fast nichts kostet. Und das eben auch weil bestimmte Regulierungen nicht greifen. Die Seeleute leiden unter Arbeits- und Lebensbedingungen, die alles andere als fair sind: ungleiche beziehungsweise ungerechte Bezahlung der Besatzung, schlechte oder gar menschenverachtende Arbeitsbedingungen: lange Arbeitszeiten (meist weit mehr als zehn Stunden am Stück), wenig bis kein Urlaub, und gar Schlimmeres, und nicht zuletzt dem umweltschädlichen Schiffsbetrieb. Dieser Missstand muss von Politik und Wirtschaft angegangen werden.

Das größte Problem: die Umgehung von Umwelt- und Sozialstandards durch die Praxis des sogenannten Ausflaggens beziehungsweise besser bekannt als Billigflaggen. So fuhren schon 2015 sechs von zehn Schiffe nicht unter der Flagge des Unternehmenslandes, sondern unter fremder Flagge.

Auf einem Schiff gilt das Recht des Flaggenstaates, also das Recht jenes Staates, dessen Flagge auf dem Schiff gehisst ist. Durch diese Besonderheit des Seerechtes ist ein Wettbewerb zwischen Flaggenstaaten entstanden. Staaten mit sogenannten offenen Registern buhlen um Reedereien. Offenes Register heißt, dass es jeder Reederei freisteht, die Flagge des Landes anzunehmen - auch wenn keine weitere "echte Verbindung" zwischen Person bzw. Unternehmen, das das Schiff besitzt und dem Flaggenland besteht. In 2018 fuhren fast 73 Prozent der Schiffe der internationalen Flotte unter Flaggen von Ländern mit offenen Registern. Die versprochenen Wettbewerbsvorteile können unterschiedlichster Natur sein, oft geht es um Steuervorteile und Vergünstigungen bei bestimmten Routen.

Die Kampagne 'Fair übers Meer' fordert, dieser Praxis ein Ende zu bereiten, damit die Reedereien nicht länger über das Umflaggen auf sogenannte Billigflaggen höhere Sozial- und Umweltstandards vermeiden. Es ist höchste Zeit, Tarifverträge für alle Seeleute zu ermöglichen und endlich Lohngleichheit für alle Mannschaftsmitglieder herzustellen.

Blindstellen nicht weiter hinnehmen

Es braucht nicht noch mehr globalen Konkurrenzkampf aller gegen alle, sondern weniger. Der Zenit der Globalisierung ist bereits überschritten. Manche ÖkonomInnen sprechen bereits gar von Slowbalisierung, also einer Verlangsamung.

Die Zeiten wachsender globaler Integration sind vorbei. Zölle und Transportkosten können faktisch kaum weiter sinken und selbst immer neue Freihandelsabkommen bringen keinen neuen Schub mehr.

Wenn die Globalisierung zurückgeht, brauchen wir ein anderes Wirtschaftsmodell.

Es geht darum, die Wirtschaft wieder so zu regulieren, dass sie dem Wohl der Allgemeinheit dient und nicht unsere Lebensgrundlagen zerstört. Doch dafür braucht es konsequente Schritte seitens der Politik!

Nur mit Hilfe von Regulierungen lässt sich ein, auch ein in der Wirtschaft so beliebtes "Level Playing Field", sprich gleiche Bedingungen und Auflagen für alle, im Sinne fairer und umweltfreundlicher Maßnahmen herstellen.

Faire Handelsbeziehungen, gerechter Welthandel und Umweltschutz müssen entlang der gesamten Lieferkette gewährleistet werden. Dies schließt eben auch den Transport ein. Deshalb fordert die Kampagne 'Fair übers Meer!' die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft auf, Fairness endlich auch im Handel über die See zu verwirklichen.


Autorin Nelly Grotefendt ist Referentin für Weltwirtschaft und Handelspolitik im Forum Umwelt & Entwicklung.

Das Forderungspapier der Kampagne 'Fair übers Meer!' finden sie hier:
https://www.forumue.de/fair-uebers-meer-unsere-forderungen/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2019, Seite 38 - 39
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2020

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