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ARBEITSRECHT/098: WM-Spezial - Wenn auf den Anpfiff die Abmahnung folgt (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 31. Mai 2010

WM-Spezial
Ressort: Ratgeber/Service/Recht

Wenn auf den Anpfiff die Abmahnung folgt
- Gelbe und rote Karten für Arbeitnehmer bei der WM -


Berlin (DAV). Die Fußball-WM als sportliches und mediales Großereignis wirft ihre Schatten voraus. Damit das Fußballgroßereignis kein arbeitsgerichtliches Großereignis nach sich zieht, sind arbeitsrechtliche Aspekte zu beachten, sofern die Spiele parallel zur Arbeitszeit verfolgt werden sollen.

Sofern Chef und Mitarbeiter hinsichtlich vorhandenem oder nicht vorhandenem Fußballfieber auf unterschiedlichen Wellenlängen liegen, sind Konflikte fast schon vorprogrammiert. "Nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch in der Arbeitswelt sind (Spiel-) Regeln zu beachten", erläutert Rechtsanwalt Swen Walentowski, Sprecher der Deutschen Anwaltauskunft, in einem Gespräch.

Frage:
Die Spiele der Weltmeisterschaft finden teilweise zu Arbeitszeiten statt. Darf ich sie bei der WM verfolgen?

Antwort Rechtsanwalt Swen Walentowski, Sprecher der Deutschen Anwaltauskunft:
Grundsätzlich ist Arbeitszeit "Arbeits-Zeit" und nicht Fernseh-, Radio-, Diskussions- oder sonstige fußballbezogene Zeit. Sofern eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber besteht, können Arbeitnehmer durchaus auch am Arbeitsplatz eine Fußballübertragung verfolgen. Vielleicht ist es auch für manche Betriebe die Gelegenheit, gemeinsam spannende Spiele zu verfolgen. Ein Anspruch seitens des Arbeitnehmers besteht jedoch nicht.

Frage:
Darf allgemein in Büros oder Betrieben im Hintergrund ein Radio laufen?

Antwort Swen Walentowski:
Sofern dies nicht den Arbeitsablauf stört und soweit Arbeitgeber damit einverstanden sind, stellt dies kein Problem dar. Schwierig wird es, wenn das Radio auch bei einer Fußballübertragung genutzt werden soll. In diesem Fall kann von einer "Hintergrundberieselung" o. ä. nicht mehr die Rede sein. Dies sollte also ausdrücklich mit dem Arbeitgeber besprochen werden.

Frage:
Kann denn am Arbeitsplatz ein Fernseher aufgestellt werden?

Antwort Swen Walentowski:
Hier gilt ähnliches wie bei der Radioübertragung. Grundsätzlich kann von einer sinnvollen Arbeitsausübung während einer TV-Übertragung nicht mehr ausgegangen werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten sich zunächst zusammensetzen und prüfen, ob die Arbeit - zumindest für einige Bereiche - während einer Spielübertragung unterbrochen werden kann. Gegebenenfalls könnte auch ein Notdienst eingesetzt werden. Kommt es nicht zu einer Einigung, besteht grundsätzlich Arbeitspflicht.

Frage:
Dank der neuen Technik ist es möglich, im Internet per Live-Ticker Spiele zu verfolgen. Ist dies gestattet?

Antwort Swen Walentowski:
Hier gilt dasselbe wie bei Radio und TV, da auch die Ablenkung dieselbe ist. Grundsätzlich ist zu beachten, ob der Arbeitgeber generell die private Nutzung von Internet und E-Mail verboten hat. Ist dies der Fall, gilt dies auch während der WM. In vielen Betrieben ist aber eine geringfügige E-Mail- und Internetnutzung zulässig oder wird zumindest geduldet. Diese Nutzung darf dann während der WM nicht zunehmen, wobei aber problematisch ist, was noch als "geringfügig", "im normalen Umfang" oder "nicht übermäßig" anzusehen ist.

Frage:
In diesem Jahr ist es nicht so schwer, an ein Ticket zu kommen. Was ist, wenn ein Arbeitnehmer Urlaub nehmen will, um nach Südafrika zu reisen?

Antwort Swen Walentowski:
Der Arbeitgeber ist grundsätzlich verpflichtet, den vom Arbeitnehmer beantragten Urlaub zu gewähren, wenn nicht betriebliche Belange entgegenstehen. Wollen mehr Mitarbeiter als entbehrlich Urlaub nehmen, muss der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange entscheiden.

Frage:
Kann ich auch kurzfristig Urlaub nehmen für ein paar Stunden, um eine Fußballübertragung anzuschauen?

Antwort Swen Walentowski:
Ein Anspruch auf stundenweise Urlaubsgewährung besteht nicht. Generell gilt, Urlaub sollte tageweise genommen werden.

Frage:
Was passiert, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub eigenmächtig angetreten hat, nachdem die Urlaubsgewährung nicht erfolgt ist?

Antwort Swen Walentowski:
Dies ist nicht erlaubt, gleichgültig aus welchen Gründen der Arbeitgeber den Urlaub nicht gestattet hat. Unerlaubtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz kann ein Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung sein.

Frage:
Was ist mit bereits genehmigtem Urlaub, den der Arbeitgeber wieder zurücknehmen will, weil andere auch in den Urlaub wollen?

Antwort Swen Walentowski:
In diesem Fall muss der Arbeitgeber den Urlaub auch gewähren, gleichgültig ob sich die betriebliche Situation inzwischen verändert hat, z. B. auch bei einem plötzlich auftretenden betrieblichen Bedarf.

Frage:
Was ist, wenn dann der Arbeitnehmer eine Krankschreibung vorlegt?

Antwort Swen Walentowski:
Legt ein Arbeitnehmer eine Krankschreibung für den Zeitraum vor, für den ihm ein Urlaubsantrag abgelehnt worden ist, ist dies ein deutliches Indiz dafür, dass die Krankheit nur vorgetäuscht ist. In der Folge trifft dann den Arbeitnehmer die volle Beweislast für die tatsächlich vorhandene Arbeitsunfähigkeit.

Frage:

Was ist mit Krankschreibungen allgemein?

Antwort Swen Walentowski:
Wer eine Arbeitsunfähigkeit vortäuscht, begeht einen vollendeten oder versuchten Betrug und macht sich strafbar. Der Arbeitgeber kann sofort ohne Abmahnung eine fristlose Kündigung aussprechen.

Frage:

Kann ein Erkrankter an einem Public-Viewing teilnehmen?

Antwort Swen Walentowski:
Wenn ein Arbeitnehmer erkrankt ist, darf er seine Genesung grundsätzlich nicht verzögern. Wer beispielsweise wegen einer schweren Grippe arbeitsunfähig ist, dann aber bei heftigem Alkoholkonsum im T- Shirt beim Public-Viewing gesichtet wird, muss sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen. Bei einem Gipsbein sieht dies dann allerdings anders aus. Zu beachten ist auch, dass derjenige, der sich am Abend aus Frust oder Freude über einen Spielausgang so sinnlos betrinkt, dass er am nächsten Tag nicht mehr arbeitsfähig ist, vom Arbeitgeber keinen Lohn für diese Arbeitsunfähigkeit verlangen kann.

Frage:
Apropos Alkohol: Besteht ein generelles Alkoholverbot im Betrieb?

Antwort Swen Walentowski:
In der Regel kann ein solches Verbot vereinbart werden. Gibt es einen Betriebsrat, muss dieser einem entsprechenden Verbot zustimmen. Ansonsten müssten einzelvertragliche Regelungen getroffen werden. Dieses Verbot gilt dann auch während der Fußball-WM.

Frage:
Was ist, wenn der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit unter Alkoholeinfluss steht?

Antwort Swen Walentowski:
Gleichgültig wann und wo der Arbeitnehmer diesen zu sich genommen hat, ist zu prüfen, ob insoweit eine betriebliche Regelung besteht. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer nicht zwingen, einem Atemalkoholtest oder gar einer Blutuntersuchung zuzustimmen.

Frage:
Was ist, wenn es keine Vereinbarung hinsichtlich des Alkoholkonsums im Betrieb gibt?

Antwort Swen Walentowski:
Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer in der Lage sein, seiner Arbeitsverpflichtung ordnungsgemäß nachzukommen. Ist dies nicht mehr gewährleistet oder stellt der Arbeitnehmer für sich oder andere Arbeitnehmer wegen seines Alkoholkonsums eine Gefahr dar, kann der Arbeitgeber ihm eine Abmahnung erteilen und ihn nach Hause schicken. Ein Lohnanspruch für diese Zeit besteht natürlich nicht. Im Wiederholungsfall droht sogar eine Kündigung.

Frage:
Für viele Berufsgruppen fallen die WM-Spiele in ihren Bereitschaftsdienst. Können sie dann die Spiele verfolgen?

Antwort Swen Walentowski:
Von dem Bereitschaftsdienst kann man sich grundsätzlich nicht freimachen, wenn man zu dem Bereitschaftsdienst verpflichtet ist. Grundsätzlich ist allerdings gegen eine Übertragung mittels Radio oder TV-Gerät im Bereitschaftsdienst oder aber auch, wenn die Bereitschaft zu Hause abgeleistet wird, nichts einzuwenden - immer dann, wenn der Bereitschaftsdienst mit Wartezeiten verbunden ist und dadurch die Aufmerksamkeit für die eigentliche Bereitschaftsaufgabe nicht eingeschränkt wird. Eine Krankenschwester oder ein Arzt darf also nicht zu spät zur OP kommen, nur weil sie/er noch den Schlusspfiff abwarten will.

Frage:
Was ist, wenn der Arbeitgeber Überstunden vom Arbeitnehmer verlangt, währenddessen ein Spiel übertragen werden soll?

Antwort Swen Walentowski:
Manche Arbeitsverträge enthalten bereits eine grundsätzliche Verpflichtung, angeordnete Überstunden auch zu leisten. Will der Arbeitnehmer nach Ende der Arbeitszeit zur Fußballübertragung nach Hause oder vor eine öffentliche Leinwand, während der Arbeitgeber Überstunden anordnet, ist zunächst zu prüfen, ob diese Überstunden grundsätzlich betrieblich notwendig sind. Möglicherweise können diese auch auf den nächsten Tag verschoben werden. Grundsätzlich ist zu beachten: Über zehn Stunden tägliche Arbeitszeit hinaus kann der Arbeitgeber in der Regel keine Überstunden anordnen. Ausnahmen nur in Notsituationen.

Frage:
Stichwort Public-Viewing: Gerade in der Gastronomie werden während der WM verstärkt Aushilfen eingesetzt, um den vorübergehenden Spitzenbelastungen gerecht zu werden. Was ist zu beachten?

Antwort Swen Walentowski:
In all diesen Fällen sollten befristete Verträge abgeschlossen werden, und zwar auf jeden Fall schriftlich! Mündliche Befristungen - nach dem Motto "Während der Fußballübertragung stellen wir für den Service in den Gaststätten jeweils fünf Studenten ein" - können für den Arbeitgeber ein fatales Ergebnis haben: Die so geschlossenen Arbeitsverträge sind wirksam, die gewünschten Befristungen jedoch nicht. De facto würden dann also unbefristete Arbeitsverträge ohne Probezeit zustande kommen. Auch die kürzeste Befristung bedarf der Schriftform, und zwar vorher! Eine Befristung nach Arbeitsaufnahme ist unwirksam.

Frage:

Was ist generell zu raten?

Antwort Swen Walentowski:
Wer diese Regeln kennt, kann leichter im Betrieb eine einvernehmliche Lösung herbeiführen. Dem Betriebsfrieden dient, auf alle Belange Rücksicht zu nehmen, sowohl auf die des Arbeitgebers als auch auf die des Arbeitnehmers.

Informationen: www.anwaltauskunft.de


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 23/10 vom 31. Mai 2010
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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Tel.: 0 30/72 61 52 - 129
Fax: 0 30/72 61 52 - 193
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Internet: www.anwaltverein.de


veröffentlicht im Schattenblick zu 3. Juni 2010