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INTERNATIONAL/091: Taiwan - Regierung wegen Hinrichtungen unter Druck (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Januar 2013

Taiwan:
Regierung wegen Hinrichtungen unter Druck - Menschenrechtler sehen UN-Pakte verletzt

von Dennis Engbarth



Taipeh, 9. Januar (IPS) - Menschenrechtsaktivisten in Taiwan haben sich zum Ziel gesetzt, eine "Rückkehr zu einer autoritären Herrschaft" zu verhindern. Den Familien von Gefangenen, die kurz vor Weihnachten hingerichtet wurden, sicherten sie Gerechtigkeit zu.

Menschenrechtsanwälte kündigten an, Justizminister Tseng Yung-fu zu verklagen. Zudem forderten sie die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen seine Person, da er ohne rechtliche Grundlage die Exekution von sechs Häftlingen angeordnet hatte. Der Oberste Gerichtshof des Inselstaates hatte sechs Todesurteile für insgesamt acht begangene Morde bestätigt.

Die Männer wurden am 21. Dezember in drei Gefängnissen Taiwans durch Schüsse in Kopf und Herz hingerichtet. Weder die Angehörigen noch ihre Anwälte waren zuvor verständigt worden. Damit sind unter der amtierenden Regierung von Präsident Ma Ying-jeou von der Kuomintang-Partei bereits 19 Menschen exekutiert worden. Mit vier Hinrichtungen am 30. April 2010 hatte er ein fünfjähriges Moratorium für die Vollstreckung von Todesurteilen beendet. Zurzeit sitzen 55 Häftlinge in Todeszellen.

Es war jetzt das dritte Mal, dass die Regierung Todesurteile seit der Ratifizierung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) und des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) 2009 vollstrecken ließ. Der Präsident hatte im Dezember jenes Jahres zugesichert, dass die internationalen Regelungen in die einheimischen Gesetze eingehen würden.


Internationale Menschenrechtsaktivisten forderten Überprüfung

Aktivisten werfen der Regierung aber vor, mit ihrer Entscheidung für die Vollstreckung der Exekutionen einen Appell prominenter Menschenrechtsexperten aus aller Welt missachtet zu haben, die Ende Februar die Fortschritte Taiwans bei der Umsetzung der beiden Übereinkünfte überprüfen sollen.

Manfred Novak, ehemals UN-Sonderberichterstatter über Folter, und Eibe Riedel vom UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, verfassten am 21. November einen gemeinsamen Brief, in dem sie Ma aufforderten, vor der Überprüfung im Februar keine weiteren Hinrichtungen anzuberaumen.

Tseng erklärte, das Justizministerium habe "keine andere Wahl gehabt, als die Hinrichtungen ausführen zu lassen". Im Fall des Kindermords habe der Haupttäter mit seiner Äußerung, er wisse, dass er nicht hingerichtet werde, sondern ein Leben im Gefängnis "genießen" könne, öffentliche Empörung ausgelöst. Überdies habe sein Ministerium nie versprochen, die Todesstrafe abzuschaffen.

Ein Bündnis aus taiwanesischen Menschenrechtsaktivisten hat bereits bei einer Behörde, die Fehlverhalten von Regierungsmitgliedern untersucht, einen Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen Tseng gestellt.

In der Petition heißt es, dass Tsengs Unterschrift auf dem Exekutionsbefehl gegen Artikel 6-4 des ICCPR verstoße, der auch im taiwanesischen Recht verankert sei. In dem Pakt sei zudem festgelegt, dass jeder zum Tode Verurteilte das Recht erhalten müsse, um Begnadigung oder die Umwandlung des Urteils zu ersuchen.

Lin Hsin-yi, der Exekutivdirektor der Taiwanesischen Allianz für die Abschaffung der Todesstrafe (TAEDP) erklärte, dass seine Organisation 44 Todeskandidaten geholfen habe, im Mai 2010 Amnestie-, Gnaden- oder Strafmilderungsanträge einzureichen. Unter ihnen seien auch die sechs Häftlinge gewesen, die im Dezember hingerichtet worden seien. Der Präsident ließ nicht verlauten, ob er die Petitionen anerkannt oder abgelehnt hat.

In einer Erklärung des Justizministeriums zu den Hinrichtungen im Dezember hieß es, dass sie im Einklang mit dem geltenden Recht durchgeführt worden seien. Kao Yung-cheng, der für die Überprüfung der Einhaltung der beiden UN-Pakte zuständig ist, sagte dagegen, dass Tseng von Gesetzes wegen dazu verpflichtet gewesen wäre, das Recht der Verurteilten auf eine Petition für eine Amnestie zu respektieren. Vor den Hinrichtungen hätte er erst nachweisen müssen, dass der Präsident die Anträge abgelehnt habe.

"Wenn Menschen unabhängig von den Gründen hingerichtet werden können, ohne dass das notwendige rechtliche Verfahren abgeschlossen ist, wird Taiwan wieder auf den Weg zum Autoritarismus zurückkehren", warnte Kao. Die Menschenrechtsgruppen zögen eine strafrechtliche Klage in Erwägung, die Tseng bis zu fünf Jahre ins Gefängnis bringen könnte.


Proteste aus dem In- und Ausland

Auch die Europäische Union sowie Menschenrechtsorganisationen aus dem In- und Ausland verurteilten die Hinrichtungen. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Catherine Ashton, äußerte "Bedauern" über die Exekutionen und forderte die Regierung in Taipeh auf, "konkrete Schritte zur Reduzierung der Anwendung der Todesstrafe" zugunsten eines De-Facto-Moratoriums zu ergreifen. Die Direktorin der Organisation 'Amnesty International' für Ostasien, Roseann Rife, sprach von "kaltblütigen Morden der taiwanesischen Behörden".

Während sich das Justizministerium auf Meinungsumfragen beruft, die eine große Mehrheit für die Todesstrafe ergeben hätten, stellte eine unabhängige taiwanesische Denkfabrik im Dezember bei der Befragung von mehr als 1.000 Menschen fest, dass nur 21,4 Prozent der Bevölkerung die Hinrichtungen für rechtens befunden hätten. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:
http://www2.ohchr.org/english/law/ccpr.htm
http://www2.ohchr.org/english/law/cescr.htm
http://www.taedp.org.tw/p/171
http://www.amnesty.org/en/news/taiwan-broken-promises-six-executed-2012-12-21
http://www.ipsnews.net/2013/01/executions-elicit-fears-of-authoritarianism/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2013