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INTERNATIONAL/092: Indien - Debatte über Todesstrafe für Vergewaltiger (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Januar 2013

Indien: Debatte über Todesstrafe für Vergewaltiger

von Sujoy Dhar


© Sujoy Dhar/IPS

Mahnwache für Jyoti Singh Pandey
Bild: © Sujoy Dhar/IPS

Neu-Delhi, 22. Januar (IPS) - In Indien reißen die Proteste gegen sexuelle Übergriffe auf Frauen nicht ab. Inzwischen mischen sich unter die Forderungen, den Opfern endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auch Rufe nach der Todesstrafe für die Täter. "Hängt die Vergewaltiger" ist auf zahlreichen Spruchbändern zu lesen.

Einen Monat nach der Massenvergewaltigung und Folterung der 23-jährigen Studentin Jyoti Singh Pandey am 16. Dezember durch sechs Männer in einem Bus in Neu-Delhi fanden sich kürzlich erneut Hunderte Menschen in der Hauptstadt zu einer Mahnwache mit Kerzen ein. Das Opfer war 13 Tage nach dem Überfall in einem Krankenhaus in Singapur an den schweren inneren Verletzungen gestorben.

Seither schwappt eine Protestwelle durch Indien, die jedoch die Gewalt gegen Frauen nicht beenden konnte. Selbst als Politiker auf Podien Reden hielten und die Polizei auf die Straßen geschickt wurde, gingen die gewaltsamen Übergriffe auf Frauen unvermindert weiter.

In den vergangenen Wochen kam es in verschiedenen Landesteilen zu neuen Fällen von Massenvergewaltigungen. Im nördlichen Bundesstaat Punjab wurde eine Frau Anfang Januar ebenfalls von einer Gruppe Männer in einem Bus vergewaltigt. Im nordwestlichen Bundesstaat Rajasthan beging ein junges Mädchen Selbstmord, das nach einer Vergewaltigung Anzeige erstatten wollte, von den Polizisten jedoch durch die Anwendung von Druck daran gehindert wurde. Im westindischen Bundesstaat Goa wurde ein siebenjähriges Mädchen auf einer Schultoilette missbraucht.


Fast jede halbe Stunde eine Vergewaltigung

Nach offiziellen Angaben kommt es in dem 1,2 Milliarden Menschen zählenden Indien alle 28 Minuten zu einer Vergewaltigung. Nach Angaben des Nationalen Statistikamts für Verbrechen kam es 2011 zu 228.650 gewaltsamen Übergriffen gegen Frauen. 12,7 Prozent beziehungsweise 29.133 der Fälle wurden allein in Westbengalen registriert.

Nach den zahlreichen Straßenprotesten, den vielen Diskussionen in sozialen Internet-Netzwerken und den Kommentaren von Politikern, die sich zwischen Plattitüden und polemischen Äußerungen bewegten, wird in der Öffentlichkeit nun darüber debattiert, ob die Todesstrafe die fürchterlichen Attacken gegen Frauen beenden oder zumindest abschwächen könnte.

Die Vergewaltigungen haben Politiker und zahlreiche Bürger dazu veranlasst, über die Grenzen des indischen Justizsystems nachzudenken. Frauenministerin Krishna Tirath forderte für besonders brutale Vergewaltigungen die Todesstrafe. Auch die Oppositionsführerin im Parlament, Sushma Swaraj von der nationalistischen Bharatiya-Janata-Partei (BJP), sprach sich gemeinsam mit Regierungschef Manmohan Singh für die Hinrichtung der Täter aus. Die Politiker fanden bei vielen Bürgern, die die steigende Zahl der sexuellen Angriffe empört, großen Zuspruch.

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass 100 Prozent der in einer Umfrage interviewten Frauen der Ansicht waren, eine Verbesserung der Sicherheit von Frauen sei die größte Herausforderung für Indien. "Es ist kompletter Unsinn zu sagen, die Angreifer seien auch Menschen und verdienten auf Kosten der Steuerzahler am Leben gelassen zu werden", sagt die in Neu-Delhi tätige Journalistin Sanchita Guha.

Die meisten Frauengruppen sind jedoch gegen eine Vollstreckung der Todesstrafe. Auch die chemische Kastration der Schuldigen halten sie nicht für den richtigen Weg. Sie verlangen stattdessen Garantien dafür, dass Vergewaltiger künftig hart bestraft werden. Da die indischen Gesetze viele Schlupflöcher ließen und die Justiz gegenüber den Opfern keine Sensibilität zeige, kämen die meisten Täter straffrei davon.

Kavita Krishnan, eine der prominentesten Vertreterinnen der Protestbewegung, hält die politischen Debatten über die Todesstrafe lediglich für ein "Ablenkungsmanöver" mit dem Ziel, die Menschen vom Nachdenken über die eigentlichen Verbrechen abzubringen. "Die Todesstrafe ist keine Lösung für ein Land, in dem es frauenfeindliche Gesetze gibt", so die Vorsitzende der 'All India Progressive Women's Association'.


Bei Zulässigkeit der Todesstrafe mildere Urteile erwartet

"Nirgendwo auf der Welt gibt es Beweise dafür, dass die Todesstrafe Vergewaltigungen oder andere Verbrechen verhindert", gibt sie zu bedenken. Schlimmstenfalls könnte die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe für Sexualtäter sogar dazu führen, dass die Gerichte mildere Urteile verhängten. Laut Krishnan darf außerdem nicht vergessen werden, dass die meisten Vergewaltigungen innerhalb der eigenen Familie stattfänden. "Stünde darauf die Todesstrafe, wäre der Druck auf die Opfer enorm, keine Anzeige zu erstatten." Der Aktivistin zufolge muss vielmehr über Garantien für eine verlässliche Bestrafung der Täter und frauensensible Gesetze diskutiert werden.

Gemäß dem indischen Strafrecht müssen Vergewaltiger je nach Schwere des Falls mit Haftstrafen von zwischen sieben Jahren und lebenslänglich rechnen.


Verfahren ziehen sich in die Länge

Ranjana Kumari, die Direktorin des Zentrums für Sozialforschung (CSR) in Neu-Delhi befürchtet, dass Vergewaltiger letztlich straffrei bleiben, sollte die Todesstrafe gegen sie verhängt werden. Denn Todeskandidaten hätten die Möglichkeit, beim Staatspräsidenten Gnadengesuche einzureichen, damit ihre Strafe abgemildert werde. Zudem seien noch etwa 95.000 Verfahren anhängig, die mit einem Todesurteil enden könnten. Da sich solche Prozesse laut Kumari in die Länge ziehen, wäre eine Verhängung der Todesstrafe in großem Umfang nicht denkbar.

Wie Kumari hervorhebt, werden zurzeit nur 26 Prozent der wegen Vergewaltigung Angeklagten tatsächlich verurteilt. Die Haftstrafen lägen bei höchstens drei bis vier Jahren. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://aipwa-aipwa.blogspot.de/
http://www.csrindia.org/
http://www.ipsnews.net/2013/01/some-call-for-death-others-call-for-justice/
http://www.ipsnews.net/2012/12/fear-of-rape-stalks-indian-women/

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IPS-Tagesdienst vom 22. Januar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2013