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MELDUNG/153: Zur Klage einer Hausangestellten im Diplomatenhaushalt (Institut für Menschenrechte)


Deutsches Institut für Menschenrechte - 12. Oktober 2011
www.institut-fuer-menschenrechte.de

Pressemitteilung zur Verhandlung der Klage Lohn/Schmerzensgeld - Indonesische Hausangestellte im Diplomatenhaushalt

Berufungsverhandlung in der Rechtssache Prof. Dr. Heide Pfarr gegen Herrn A. am 12. Oktober 2011


Berlin - Das Projekt "Zwangsarbeit heute" des Deutschen Instituts für Menschenrechte und die Beratungsstelle gegen Menschenhandel Ban Ying unterstützen gemeinsam in einem Musterverfahren eine indonesische Hausangestellte dabei, ihren ehemaligen Arbeitgeber, einen Diplomaten der Saudi-Arabischen Botschaft (Herrn A.), auf Zahlung von rund 70.000 Euro Lohn und Schmerzensgeld zu verklagen. Frau Dewi Ratnasari (Pseudonym) wurde ihrer glaubhaften Schilderung zufolge über einen Zeitraum von 19 Monaten extrem ausgebeutet, regelmäßig körperlich misshandelt und gedemütigt.

Das Arbeitsgericht Berlin hat am 14. Juni 2011 die Klage wegen der Immunität von Diplomaten abgewiesen. Heute hat das Landesarbeitsgericht Berlin über die Zulässigkeit der Klage verhandelt. Hierbei ging es ausschließlich um die Frage, ob die diplomatische Immunität von Herrn A. den Klageweg in Deutschland sperrt.

Die Klägerseite hat die Vorlage dieser Rechtsfrage an das Bundesverfassungsgericht angeregt. Sie stützt ihre Argumentation auf die Auffassung, dass Deutschland aus menschenrechtlicher Perspektive in der Pflicht ist, den Betroffenen von Menschenhandel und schwerer Arbeitsausbeutung Zugang zum Recht zu verschaffen. Sie müssen ihre Lohn- und Entschädigungsansprüche in Deutschland vor Gericht durchsetzen können oder anderweitig entschädigt werden.

Das Landesarbeitsgericht wird am 9. November seine Entscheidung verkünden.


Hintergrund:
Bisher können Hausangestellte von Diplomaten wegen der bestehenden diplomatischen Immunität gerichtlich keine zivilrechtlichen Ansprüche gegen ihre Arbeitgeber in Deutschland durchsetzen. Die Immunität gilt unabhängig davon, welche Vorwürfe den Ansprüchen zugrunde liegen. Selbst in Fällen schwerer Rechtsverletzungen - wie im Fall von Frau Dewi Ratnasari (Pseudonym) - sind die Betroffenen davon abhängig, ob ihre Arbeitgeber freiwillig bereit sind, Lohn für geleistete Arbeit zu zahlen. Die Rechtsverfolgung in den Herkunftsstaaten der Diplomaten ist oft faktisch unmöglich. Das führt häufig dazu, dass die Betroffenen nach jahrelanger Arbeit mit leeren Händen dastehen.

Die indonesische Staatsangehörige, Frau Ratnasari, hat in der Zeit von April 2009 bis Ende Oktober 2010 in dem Privathaushalt eines Attachés der Saudi-Arabischen Botschaft in Berlin, des Diplomaten Herrn A. gearbeitet. Frau Ratnasari wurde nach ihrer glaubhaften Schilderung in dieser Zeit extrem ausgebeutet, regelmäßig körperlich misshandelt und gedemütigt. Ihr wurde der Pass abgenommen und sie durfte das Haus des Attachés nicht ohne Aufsicht verlassen. Frau Ratnasari war dadurch vollständig isoliert und durfte keinen Kontakt mit ihrer Familie aufnehmen. Sie war sieben Tage die Woche für die Versorgung eines siebenköpfigen Haushaltes zuständig, musste von morgens um 6 Uhr bis zum Teil Mitternacht arbeiten und ohne Matratze auf dem Boden des Kinderzimmers schlafen.

Vereinbart waren in einem schriftlichen Arbeitsvertrag die Entgeltzahlung in Höhe von 750 Euro pro Monat für acht Stunden täglich, freie Unterkunft und Verpflegung sowie ein Monat Jahresurlaub. Nach 19 Monaten gelang es ihr, mit externer Hilfe aus der Wohnung von Herrn A. zu fliehen. In der gesamten Zeit hat sie keinen Lohn erhalten. Ihre Gesamtsituation war geprägt von schweren Menschenrechtsverletzungen und ist als faktische Sklaverei zu bezeichnen.

Das Verfahren wird auf der Klägerseite von Prof. Dr. Heide M. Pfarr geführt. Frau Ratnasari hat Frau Pfarr ihre Forderungen abgetreten, damit sie selbst nicht mit der Durchführung des Verfahrens belastet ist und auch nicht unter Druck gesetzt werden kann.

Herr A. bestreitet die Vorwürfe. Er beruft sich ausschließlich darauf, dass er Diplomat sei und deshalb in Deutschland nicht verklagt werde dürfe.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 12. Oktober 2011
Deutsches Institut für Menschenrechte e. V.
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www.institut-fuer-menschenrechte.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2011