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SOZIALRECHT/055: Menschen mit Demenz - Menschenwürdige Pflege muss garantiert werden (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 8. April 2011

2. Deutscher Seniorenrechtstag in Berlin

Menschen mit demenziellen Erkrankungen - Menschenwürdige Pflege und Versorgung muss garantiert werden


Berlin (DAV). Das zentrale Thema des am 8. April 2011 stattfindenden 2. Deutschen Seniorenrechtstages in Berlin ist "Demenz und Lebensqualität". Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) müssen insbesondere pflegende Angehörige - auch finanziell - besser gestellt werden.

In Deutschland leben nach Informationen der Deutschen Alzheimergesellschaft gegenwärtig etwa 1,1 Millionen Menschen mit Demenz. Jahr für Jahr treten mehr als 250.000 Neuerkrankungen auf. Die Zahl der Demenzkranken nimmt in Folge des demografischen Wandels kontinuierlich zu. Sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt, wird sich nach Vorausberechnung der Bevölkerungsentwicklung die Zahl der Menschen mit Demenz bis zum Jahre 2050 auf etwa 2,6 Millionen erhöhen. Demenz ist eine typische "Seniorenkrankheit": Das Risiko an Demenz zu erkranken steigt mit dem Lebensalter rasant. 1 % der 60-jährigen, 5 % der 70-jährigen, 20 % der 80-jährigen und 33 % der 90-jährigen sind an Demenz erkrankt.

Bereits jetzt zeigt sich, dass eine Pflege und Versorgung flächendeckend nicht gewährleistet ist. Dabei tragen die Angehörigen derzeit die Hauptlast der Versorgung, die meisten sind weiblich und selbst über 60. Auch für die Bezugspersonen ist die Demenzerkrankung ihres Angehörigen bedrohlich. Diese Krankheit löst Verunsicherung und Angst aus. Die Autonomie und Individualität wird in Frage gestellt. Daher ist dem Thema "Vereinbarkeit von Pflege und Beruf" Vorrang einzuräumen. Die bisherigen Schritte eines Pflegezeitgesetzes können nur der Anfang sein. Insbesondere ist ein Rechtsanspruch einzuräumen und die Finanzierung des Lebensunterhalts der pflegenden Angehörigen in der Zeit der Übernahme der Pflege sicherzustellen. "Das Pflegegeld der sozialen Pflegeversicherung ist ein Anerkennungsbetrag für die pflegenden Angehörigen und kann niemals ein Lohnersatz sein", sagt Rechtsanwalt Ronald Richter, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im DAV.

Ein Rechtsanspruch auf Freistellung ohne Finanzierung des Lebensunterhalts ist genauso zu wenig, wie eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers bei bezahlter Freistellung. Ebenso verhängnisvoll ist, dass die derzeitige Reform der Pflegeversicherung - im politisch ausgerufenen "Jahr der Pflege" - unter dem sog. Finanzierungsvorbehalt steht. Ein notwendiger Ausbau der Versorgung aber wird mehr Geld kosten, darüber sind sich eigentlich alle einig. Warum nur wird dann so getan, als seien die derzeitigen Beitragssätze zur sozialen Pflegeversicherung ausreichend. "Gerade die Versorgung von Menschen mit Demenz, denen das bisherige Leben buchstäblich weg bricht, kann keine sog. Minutenpflege sein, sondern bedeutet Zuwendung, Tagesstrukturierung und vor allem: Kein Stress, keine Hektik, ein eigener Rhythmus des Erkrankten ist, was der alte König in seinem Exil (Arno Geiger) will", so Richter auf dem 2. Deutschen Seniorenrechtstag.

Für eine menschenwürdige Pflege und Betreuung müssen dringend die Personalschlüssel angehoben und die Leistungen bei Einschränkungen der Alterskompetenz der §§ 45a, 45b SGB XI im ambulanten und § 87b SGB XI in stationären Pflegeeinrichtungen weiter ausgebaut werden. Dabei hat gerade die Diskussion um die Assistenzkräfte gezeigt, wie gut ein Mehr an Personal der Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner zu Gute kommt, auch und gerade um die ehrenamtlichen und professionellen Pflegekräfte zu entlasten. Die Aufwertung der Pflegeberufe wird nicht nur mit fröhlichen Anzeigenkampagnen, sondern vor allem auch über den Lohn entschieden. "Geld ist in unserem Wirtschaftssystem auch eine Form der Anerkennung", so Richter, "und diese Anerkennung ist zwingend nötig, damit auch ein Leben mit einer demenziellen Erkrankung lebenswert begleitet und gestaltet werden kann."


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Quelle:
Pressemitteilung SozR 3/11 vom 8. April 2011
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2011