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SOZIALRECHT/080: Bundesverfassungsgericht erteilt dem bisherigen System der "Hartz-IV-Sanktionen" weitgehende Absage (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 5. November 2019

Mehr Einzelfallgerechtigkeit: Bundesverfassungsgericht erteilt dem bisherigen System der "Hartz-IV-Sanktionen" weitgehende Absage


Berlin (DAV). Heute verkündete das Bundesverfassungsgericht das lange erwartete Urteil zu Sanktionen beim Bezug von Arbeitslosengeld II ("Hartz IV"). Ergebnis: Bisher praktizierte Abzüge von 60 oder gar 100 Prozent des Regelsatzes verstoßen gegen das Grundgesetz. Bei den Kürzungen von 30 Prozent soll es in der Ausgestaltung ebenfalls Einschränkungen geben, die den Einzelfall stärker berücksichtigen. "Dass das Bundesverfassungsgericht so weitgehend die Sanktionen für verfassungswidrig erklärt hat, ist schon spektakulär", so Rechtsanwalt Volker Gerloff, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV).

Bisher erfolgte eine stufenweise Kürzung von 30 über 60 bis zu 100 Prozent des Regelbedarfs immer dann, wenn ein über 25-jähriger Empfänger bestimmten Mitwirkungspflichten nicht nachkam. Dazu gehören etwa die Aufnahme einer "zumutbaren" Arbeit oder Eingliederungsmaßnahme. Bei Verletzung dieser Pflichten war das Arbeitslosengeld II bislang über einen festen Zeitraum von jeweils drei Monaten zu kürzen. Ein Ermessen des Jobcenters war nicht vorgesehen, auch kein verfrühter Abbruch der Kürzung bei nachträglicher Mitwirkung des Empfängers.

"Genau an diesen Stellschrauben muss der Gesetzgeber nun drehen, wenn die bis zu 30-prozentigen Kürzungen den verfassungsmäßigen Anforderungen gerecht werden sollen", erläutert Gerloff. In der mündlichen Verhandlung im Januar stand aber auch die Frage im Fokus, ob und inwieweit die Sanktionen dem Ziel der Arbeitsmarktintegration überhaupt nutzen. Angesichts der jahrelangen Praxis monierte das Gericht, dass sich der Gesetzgeber selbst bei Kürzungen von 60 Prozent und mehr lediglich auf Annahmen beruft.

So war bereits bei der Verhandlung absehbar, dass das Bundesverfassungsgericht das System der Sanktionen zumindest so nicht stehenlassen würde. Fast zehn Monate nach der mündlichen Verhandlung hat das Gericht die Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten nun als teilweise verfassungswidrig erkannt.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 18/19 vom 5. November 2019
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2019

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