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STRAFRECHT/326: Keine Schnellschüsse beim Jugendstrafrecht (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 3. Januar 2008

DAV warnt vor populistischen Schnellschüssen beim Jugendstrafrecht

Problem der Jugendkriminalität nicht über den Strafrahmen lösbar


Berlin (DAV). Angesichts einiger Vorfälle in jüngster Zeit wird erneut eine Verschärfung des Jugendstrafrechts diskutiert. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt hier vor populistischen Schnellschüssen. Die Erhöhung der Strafen sei nicht geeignet, Gewalttätigkeiten Jugendlicher zu verhindern. Bereits die zum Teil erheblichen Verschärfungen der Strafandrohungen bei Gewaltdelikten im Erwachsenenstrafrecht Ende der 90er Jahre hätten keine Auswirkungen auf die Kriminalität gezeigt. Es sei ohnehin ein Irrglaube, Verrohungserscheinungen mit den Mitteln der Strafjustiz entgegensteuern zu können. Erziehungslager werden abgelehnt. Eine schnellere Verurteilung jugendlicher Straftäter könnte durch eine bessere personelle Ausstattung der Justiz gewährleistet werden.

"Eine gute Ausbildungsstätte ist immer noch besser als jedes Erziehungslager", betont Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Vorsitzender des DAV-Strafrechtsausschusses. Besonders in Deutschland habe eine Forderung nach solchen "Lagern" einen schlimmen Beigeschmack. Das Jugendstrafrecht eigne sich nicht für populistische Forderungen. Auch gebe es keine Patentrezepte, wie teilweise von Politikern suggeriert werde. Dies zeige sich insbesondere in den Forderungen einiger Politiker, die Höchststrafe im Jugendstrafrecht von zehn auf fünfzehn Jahre zu erhöhen. "Die Fälle, an denen sich das Thema entzündet hat, würden allerdings gar nicht von diesen Strafrahmen erfasst", betont König weiter. Es könnten allein schwere Kapitalverbrechen betroffen sein.

Die zum Teil drastische Erhöhung der Strafrahmen Ende der 90er Jahre bei Körperverletzungsdelikten hat bei Tätern zwischen 21 und 25 Jahren nicht zu einer Verringerung der Gewaltstraftaten geführt.

"Dies zeigt, dass die Erhöhung des Strafrahmens ein völlig untaugliches Mittel ist, um Jugendkriminalität einzudämmen", erläutert König. Die Täter würden bei solchen "Rohheitsdelikten", wie sie jetzt aus München und Berlin berichtet worden seien, nicht vor ihrer Tat eine Abwägung zwischen dem zu erwartenden Strafrahmen, einem eventuell drohenden Erziehungslager und dem Vergnügen an der Tatbegehung treffen. Es handle sich um spontane Aggressionsausbrüche. Dass höhere Strafrahmen tatsächlich keine Wirkung zeigen würden, belegten Erfahrungen in anderen Ländern. Die USA besitze eine der höchsten Kriminalitätsbelastungen, obgleich als Höchststrafe die Todesstrafe drohe.

Der DAV hält es für bedenklich, wenn Verfahren gegen jugendliche Straftäter erst 1 Jahr oder später nach der vorgeworfenen Tat zu einem Urteil gelangten. Insoweit sei ein Funktionieren der Justiz und ihrer Ermittlungsorgane zu gewährleisten, das dem Beschleunigungsgrundsatz Rechnung trägt. Dazu braucht es keine Verfahrensänderungen, sondern eine vernünftige personelle Ausstattung.

Der DAV steht auch der Diskussion um die Einführung eines sog. "Warnschussarrestes" eher ablehnend gegenüber. Die hohe Rückfallquote bei stationären Sanktionen spricht dagegen. Sie liegt dort bei 70 %.

Ambulante Maßnahmen wie intensivierte Beratung und vermehrte Begleitung seien empirischen Studien zu Folge wesentlich erfolgreicher. Die ambulante Praxis müsse deshalb im Rahmen der Bewährungshilfe gestärkt werden. Nur so könne den Herausforderungen durch die wachsende Armut, durch Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit oder psychische Probleme begegnet werden, so König.

Auch die Erfahrungen mit der Betreuung von sog. Intensivtätern müssten ausgewertet werden. Neben Berlin ist z.B. auch Köln dazu übergegangen, die Fälle von jugendlichen Intensivtätern von Schwerpunkt-Staatsanwälten bearbeiten zu lassen. Die im sog. "Kölner Intensivtäter-Projekt" bearbeiteten Jugendlichen blieben in 60 % der Fälle noch 1 Jahr nach der Entlassung aus dem Programm straffrei. Dies funktioniert aber nur deshalb, weil die beteiligten Behörden (Staatsanwaltschaft, Polizei, Stadt, Schule, Soziale Dienste etc.) sehr gut untereinander vernetzt arbeiten.

Der DAV verweist auf eine Studie der gesetzlichen Unfallversicherer über Gewalt an Schulen. Diese habe das Ergebnis erbracht, dass aggressionsbedingte Delikte merklich zurückgegangen seien. Dass die polizeiliche Kriminalstatistik ein anderes Bild ergebe, ist nach Ansicht des DAV auf eine Veränderung des Anzeigenverhaltens zurückzuführen. Wer früher eine Straftat nicht angezeigt habe, tut dies heute eher. "So steigen die Zahlen in den Statistiken, ohne dass sich die tatsächliche Kriminalitätslage entsprechend verändert hat", führt König weiter aus.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 02/08 vom 3. Januar 2008
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
Tel. 030/72 61 52-1 29, Fax 030/72 61 52-1 93
Internet: www.anwaltverein.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2008