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STRAFRECHT/349: Verbesserte Rechte für Untersuchungsgefangene (BMJ)


Bundesministerium der Justiz - Berlin, 3. November 2008

Verbesserte Rechte für Untersuchungsgefangene


Der Rechtsschutz für Untersuchungsgefangene soll verbessert werden. Die Verbesserungen sind Teil eines Gesetzentwurfs von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zur Änderung des Untersuchungshaftrechts, den das Bundeskabinett am kommenden Mittwoch verabschieden soll.

"Untersuchungshaft ist mit weitreichenden Grundrechtseingriffen verbunden. Wenn U-Haft angeordnet wird, geht es oft nicht nur um die Freiheitsentziehung selbst, sondern auch um begleitende Maßnahmen wie Postkontrolle oder Besuchsbeschränkungen. All diese Eingriffe müssen im Hinblick auf die Unschuldsvermutung und das Freiheitsrecht des Beschuldigten sorgfältig abgewogen werden. Dazu bedarf es transparenter und klarer gesetzlicher Regelungen sowohl für die Anordnung solcher Maßnahmen als auch für den Rechtsschutz gegen sie. Beides wollen wir mit dieser Novelle verbessern. Gestärkt werden sollen die Rechte Inhaftierter zudem durch die Festschreibung, dass ein Festgenommener schriftlich über seine Rechte zu belehren ist - und das unverzüglich, nicht wie bisher erst bei Beginn der Vernehmung. Ich freue mich, dass die Bundesländer heute parallel einen Gesetzentwurf für ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz vorgestellt haben. Er enthält Bestimmungen für den Bereich der Untersuchungshaft, der durch die Föderalismusreform auf die Länder übertragen wurde. Bund und Länder werden damit das Recht der Untersuchungshaft künftig gesetzlich neu regeln - jeder für seinen Zuständigkeitsbereich, aber umfassend und lückenlos", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

Die vorgeschlagenen Änderungen gehen überwiegend auf eine veränderte Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Föderalismusreform zurück. Den Bundesländern steht nach dieser Reform die Regelungskompetenz für das "Wie" zu, also für den Vollzug von U-Haft. Dazu gehören etwa Vorschriften über die Ausstattung des Haftraums, über die Verpflegung der Gefangenen, über die Arbeit von Gefangenen in der Haft, aber auch Bestimmungen mit dem Ziel, die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt sicherzustellen (z. B. Einzelhaft). Der Bund hat dagegen weiterhin die Gesetzgebungszuständigkeit für das "Ob" der U-Haft (Anordnung der U-Haft, Voraussetzungen und Dauer). Außerdem kann er auch solche Regelungen treffen, die zur Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr erforderlich sind (z.B. Verbot der Kontaktaufnahme mit anderen Tatbeteiligten). Bislang werden beide Bereiche in der Strafprozessordnung (StPO) und der sie konkretisierenden Untersuchungshaftvollzugsordnung - einer Verwaltungsanordnung der Länder - einheitlich geregelt. Die verfassungsrechtlich veränderte Kompetenzlage macht eine rechtsstaatlich klare Trennung beider Bereiche erforderlich. Auf Länderebene haben insgesamt zwölf Bundesländer für ihren Zuständigkeitsbereich einen Entwurf für ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz erarbeitet, der heute von der Berliner Justizsenatorin und der thüringischen Justizministerin vorgestellt wurde. Es soll die bisherige Untersuchungshaftvollzugsordnung ersetzen. Der Bund muss nun seinerseits die Materien in der StPO regeln, die in der Bundeskompetenz verblieben sind. Zugleich soll die Novelle dazu dienen, Rechte der Betroffenen zu verbessern.

Im Einzelnen:

Die Strafprozessordnung regelt nach geltendem Recht vor allem die Anordnungsvoraussetzungen einer Untersuchungshaft und Maßnahmen, die nötig sind, um Verdunkelungs-, Flucht- und Wiederholungsgefahr abzuwenden.

Beschränkungen, die über die reine Freiheitsentziehung hinausgehen, werden bisher durch die Untersuchungshaftvollzugsanordnung konkretisiert. Da diese nach Erlass der Untersuchungshaftvollzugsgesetze der Länder künftig wegfallen wird, müssen die Voraussetzungen, unter denen solche Beschränkungen angeordnet werden können, künftig vollständig und rechtsstaatlich transparent in der Strafprozessordnung geregelt werden. Gleiches gilt für Rechtsbehelfe gegen solche Beschränkungen.

Beschränkende Anordnungen nach der StPO nur im Einzelfall

Zu den Beschränkungen, die Untersuchungsgefangenen über die Freiheitsentziehung als solche hinaus zur Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr auferlegt werden können, gehört vor allem die Überwachung der sog. Außenkontakte (Besuche, Telekommunikation und Briefverkehr) und die Trennung von anderen Gefangenen, die an derselben Tat beteiligt waren. Das Erfordernis von solchen Beschränkungen ist nach dem Gesetzentwurf von der zuständigen Stelle im Einzelfall genau zu prüfen. Standardmäßig geltende Beschränkungen unabhängig von den Erfordernissen des konkreten Falls sieht der Gesetzentwurf anders als die bisherige Untersuchungshaftvollzugsordnung dagegen nicht vor. Damit wird der Unschuldsvermutung, nach der jeder Untersuchungsgefangene bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt, Rechnung getragen.

Richtervorbehalt und Rechtsmittel

Die im Einzelfall gebotenen Beschränkungen müssen grundsätzlich durch ein Gericht angeordnet werden, dem auch die Ausführung obliegt (Richtervorbehalt). Das Gericht kann die Ausführung jedoch widerruflich auf die das Verfahren leitende Staatsanwaltschaft übertragen, die sich bei dieser Aufgabe - je nach den Erfordernissen des Einzelfalls - auch der Hilfe durch die Polizei oder die Vollzugsanstalt bedienen kann. Mit der Novelle wird zugleich ausdrücklich klargestellt, dass und welche Rechtsmittel Inhaftierten gegen Beschränkungen in der Haft zur Verfügung stehen.

Im Zuge des Übergangs der Gesetzgebungskompetenz für die Art und Weise (das "Wie") des Vollzugs der Untersuchungshaft an die Länder werden diese in ihren Vollzugsgesetzen Vorschriften vorsehen, nach denen Gefangenen Beschränkungen auferlegt werden können, um die Sicherheit und Ordnung in den Vollzugsanstalten zu gewährleisten. Der Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen ist aber Teil des gerichtlichen Verfahrens, das weiterhin in der Zuständigkeit des Bundes liegt. Der Gesetzentwurf enthält daher auch Regelungen zu Rechtsbehelfen von Inhaftierten gegen Entscheidungen der Vollzuganstalten, die der Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung dienen (z. B. Benutzung von Fernsehgeräten oder Disziplinarmaßnahmen).

Erweiterte Belehrungspflicht

Nach geltendem Recht muss ein Beschuldigter nicht bereits im Moment der Festnahme, sondern erst zu Beginn der Vernehmung des Beschuldigten über seine Rechte belehrt werden. Künftig sollen festgenommene Personen unverzüglich und schriftlich etwa darüber belehrt werden, dass sie spätestens am Tag nach der Ergreifung einem Richter vorzuführen sind, dass sie Zugang zu einem Verteidiger und einem Arzt sowie das Recht haben, keine Aussage zu machen. Damit wird sichergestellt, dass Beschuldigte so früh wie möglich umfassend über ihre Rechte aufgeklärt werden.

Präzisierung des Akteneinsichtsrechts

Das Akteneinsichtsrecht für Inhaftierte und ihre Verteidiger wird verbessert. Bislang konnte die Staatsanwaltschaft das Recht auf Einsichtnahme in die Ermittlungsakten vollständig verweigern, wenn dadurch der Untersuchungszweck gefährdet wird. Dies hat zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung des Rechts auf eine angemessene Verteidigung gegen die Freiheitsentziehung geführt. Künftig soll ein gesetzlich ausdrücklich geregelter Anspruch auf Überlassung zumindest derjenigen Informationen bestehen, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung erforderlich sind. Mit dieser Änderung wird der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Rechnung getragen.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 03.11.2008
Herausgegeben vom Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
des Bundesministeriums der Justiz
Verantwortlich: Eva Schmierer
Redaktion: Dr. Henning Plöger, Dr. Isabel Jahn,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2008