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STRAFRECHT/366: Aufarbeitung von Gewalt gegen Frauen in Kriegen (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 106, 4/08

Sexualisierte Kriegsgewalt
Ende der Straflosigkeit
Aufarbeitung von Gewalt gegen Frauen in Kriegen

Von Rita Schäfer


Dieser Artikel thematisiert, inwieweit der strafrechtlichen Verfolgung sexualisierter Kriegsgewalt auf internationaler und nationaler Ebene nachgegangen wird, welche Anstrengungen Aktivistinnen und Expertinnen aufbringen, um dies zu erreichen, sowie die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind.

Am 19. Juni 2008 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1820, darin verlangt er die strafrechtliche Verfolgung sexualisierter Kriegsgewalt. Ziel ist es, Vergewaltigungen als systematisch eingesetzter Kampfstrategie Einhalt zu gebieten und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Vergewaltiger sollen nicht länger amnestiert werden, denn ihre Gewaltakte gelten nunmehr als Kriegsverbrechen und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch mit den Blauhelmsoldaten geht die Resolution erneut ins Gericht. Die Null-Toleranz-Regelung zur Bestrafung von Zwangsprostitution und sexuellem Missbrauch durch Mitglieder von Friedensmissionen wurde bekräftigt.

Die Resolution 1820 basiert auf früheren Resolutionen und internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen und Mädchen. Dazu zählen die im Jahr 2000 verabschiedete UN-Resolution 1325 und die Aktionsplattform der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking. Erneut geht es darum, Gewaltopfern Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Nun liegt es an der internationalen Staatengemeinschaft und einzelnen Regierungen, diese Ziele zu verwirklichen. Frauenrechtsorganisationen und Friedensaktivistinnen werden in Zukunft kritisch beobachten, inwieweit die Vorgaben der Resolution erfüllt werden. "Auf der Suche nach Gerechtigkeit" lautete das Motto einer internationalen Fachtagung, die Mitte September in der Nähe von Bonn stattfand. Die Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale hatte über 50 Vertreterinnen von Frauenrechtsorganisationen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Süd-Osteuropa eingeladen. Alle repräsentierten Organisationen, die sexualisierte Kriegsgewalt aufarbeiten. Gemeinsam mit Madeleine Rees, der Gender-Expertin im UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, und Yakin Ertürk, der UN-Berichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, erörterten die Teilnehmerinnen die Probleme bei der Umsetzung internationaler Rechtsstandards. Denn solche Schwierigkeiten gab es schon lange vor der Verabschiedung der UN-Resolution 1820.


Probleme bosnischer Frauen

So wies Madeleine Rees darauf hin, dass vielfältige Diskriminierungen durch Vertreter männlich dominierter Institutionen auf internationaler und nationaler Ebene eine effektive Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt stark beeinträchtigen. Ihr regionaler Arbeitsschwerpunkt ist Bosnien-Herzegovina, wo unterschiedliche Diskriminierungsformen juristische Verfahren lähmen. Das bestätigte Sabiha Husic, die dort als Expertin für psycho-soziale Konflikttransformation tätig ist. Sie beklagte die vielen bürokratischen Hürden, mit denen Gewaltopfern der Weg durch die juristischen Instanzen erschwert wird. Insbesondere Frauen, die während des Bosnienkriegs vergewaltigt wurden und seit 2006 offiziellen Anspruch auf Kompensationen haben, werden durch die abweisenden und autoritären Umgangsformen in den mehrheitlich von Männer besetzten Gremien abgeschreckt.

Sogar vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ist es schwierig, die internationalen Rechtsgrundlagen umzusetzen. Dies wurde im aktuellen Verfahren gegen Radovan Karadzic deutlich. Zahlreiche Frauenrechtsaktivistinnen - allen voran Medica Mondiale - forderten, dass Karadzic auch für sexualisierte Kriegsgewalt zur Verantwortung gezogen werden muss. Er sei für Massenvergewaltigungen und die sexuelle Versklavung von Frauen während des Bosnienkriegs verantwortlich. Die Gynäkologin Monika Hauser, eine der diesjährigen Preisträgerinnen des alternativen Nobelpreises, hatte 1993 gemeinsam mit bosnischen Ärztinnen und Psychologinnen das Therapiezentrum Medica Zenica gegründet. Seit einigen Jahren wird das Zentrum von Sabiha Husic geleitet. Sie und ihre Kolleginnen haben dort schon viele tausend Frauen betreut.


Gewaltkontinuitäten in Osttimor

Langlebige Gewaltstrukturen beeinträchtigen das Leben von Frauen in Osttimor. Während der Besatzung durch die indonesische Armee zwischen 1974 und 1999 zählten Vergewaltigungen und andere Formen der sexualisierten Gewalt zur systematischen Demütigungsstrategie der indonesischen Militärs. Mit dem Erbe dieser Gewaltstrukturen ist die Organisation Fokupers konfrontiert. Täter, die für sexualisierte Kriegsgewalt nicht zur Verantwortung gezogen wurden, setzen ihr gewalttätiges Verhalten nach dem eigentlichen Kriegsende weiter fort. Dadurch bleiben Vergewaltigungen weiterhin Machtbeweise von Männern. Die Gefährdung durch sexualisierte Gewalt wird zur Alltagserfahrung von Frauen und Mädchen. Fokupers unterstützt die Opfer bei Strafrechtsprozessen und leistet Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit.

Die Fokupers-Direktorin Rosa Maria do Rosario de Sousa wirkte maßgeblich daran mit, dass Frauen aus Osttimor vor dem internationalen Frauentribunal als Zeuginnen aussagen konnten, das im Jahr 2000 in Tokio stattfand. Dieses Tribunal verurteilte die Sex-Sklaverei durch die japanische Armee im Zweiten Weltkrieg, die während des Zweiten Weltkriegs über 200.000 Frauen und Mädchen aus ganz Südostasien als so genannte "comfort women" gefangen hielt. Unzählige Male wurden die Verschleppten vergewaltigt. Obwohl das Urteil keine juristische, sondern nur eine politische und moralische Wirkung hatte, trug es dazu bei, dass die Überlebenden ihre Würde wiedererlangten.


Ost-Kongo

Seit einiger Zeit beschäftigen die Chancen und Grenzen des internationalen Strafrechts Frauenrechtsexpertinnen aus dem Kongo. Denn einzelne kongolesische Ex-Milizionäre sind vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag für die Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten angeklagt. Allerdings müssen sie sich nicht für die Anwendung sexualisierter Gewalt bei der Rekrutierung von Mädchen verantworten. Im Ost-Kongo selbst ist das Verhalten von Richtern ein großes Problem, weil viele korrupt sind. Sie lassen sich von angeklagten Milizen-Chefs bestechen, die nachweislich Frauen vergewaltigt haben. So können sich namentlich bekannte Vergewaltiger freikaufen und ihre Machenschaften fortführen.

In einigen Orten haben couragierte Menschenrechtsaktivistinnen Organisationen gegründet, die Rechtshilfe bieten und politische Lobbyarbeit leisten. Julienne Lusenge ist eine von ihnen. Sie koordiniert die verschiedenen Arbeitsbereiche der Organisation Solidarité Féminine pour la Paix et le Developpement Intégral (SOFEPADI). Sie versucht, internationalen Druck auszuüben, z.B. durch die UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen. Des Weiteren setzt SOFEPADI auf Reformen der etablierten staatlichen Strukturen. Julienne Lusenge und ihre Mitstreiterinnen versuchen auch, Einstellungsveränderungen lokaler Autoritäten anzuregen. Sie sollen der Stigmatisierung der Vergewaltigten Einhalt gebieten. SOFEPADI fordert eine respektvolle Behandlung der Vergewaltigten und kämpft gegen deren soziale und ökonomische Marginalisierung an. Für diese Arbeit sind Austausch und gegenseitige Unterstützung wichtig, deshalb hat sich SOFEPADI einem Netzwerk von 40 Frauenorganisationen im Ost-Kongo angeschlossen.

Diese regionalen Beispiele illustrieren, wie mutige Aktivistinnen und engagierte Expertinnen Gerechtigkeit für Frauen in Nachkriegsgesellschaften einfordern. Die internationale Arbeitstagung bestärkte sie darin, ihre schwierige Arbeit unter äußerst problematischen Umständen fortzuführen. Internationale Abkommen und UN-Resolutionen bilden wichtige Meilensteine, um institutionelle Strukturen zu verändern. Dennoch ist der Einstellungswandel politischer Entscheidungsträger auf unterschiedlichen Ebenen ein schwieriger und langwieriger Prozess.


Hinweise:
www.drcsexualviolence.org/site/en/node/35
www.medicamondiale.de/fileadmin/content/Infothek/Positionspapiere/ Statement_UN-Resolution_1820_-_2008.pdf

Zur Autorin:
Rita Schäfer ist Ethnologin und Autorin zahlreicher Bücher. Dazu zählen: Frauen und Kriege in Afrika (2008); im Schatten der Apartheid (2 Aufl. 2008).


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 106, 4/2008, S. 28-29
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2009