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STRAFRECHT/475: Antragserfordernis bei Pflichtverteidigung macht Reform wertlos (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 4. September 2019

Antragserfordernis bei Pflichtverteidigung macht Reform wertlos

Statement von Rechtsanwalt Stefan Conen, Mitglied des Ausschusses Strafrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV)


Die Reform der notwendigen Verteidigung (Pflichtverteidigung) aufgrund einer EU-Richtlinie weist einen erheblichen rechtsstaatlichen Rückschritt auf: Der sogenannte Verteidiger der ersten Stunde soll dem Beschuldigten anlässlich der ersten polizeilichen Vernehmung zur Seite gestellt werden, was zu begrüßen ist. Der Regierungsentwurf, der heute im Rechtsausschuss des Bundesrates debattiert wird, enthält jedoch Einschränkungen, die dem ganzen Konzept der Pflichtverteidigung zuwiderlaufen.

Bereits im Vorfeld war zu befürchten, dass eine Verzichtsmöglichkeit des Beschuldigten (Opt-out) aufgenommen werden sollte. Der aktuelle Entwurf geht noch deutlich darüber hinaus: Nun soll die Beiordnung eines Verteidigers überhaupt erst auf expliziten Antrag des Beschuldigten (Opt-in) geschehen.

Das Antragserfordernis ist ein heftiger Paradigmenwechsel. Pflichtverteidigung ist nach geltendem Recht unabhängig vom Wunsch des Beschuldigten, wie auch unabhängig von seinem Einkommen. Entscheidend sind die Schwere des Tatvorwurfs und die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. Die notwendige Verteidigung soll sicherstellen, dass der Beschuldigte nicht nur Gegenstand des Prozesses, sondern handlungsfähiges Subjekt ist. Der bislang geltende Automatismus schützt Beschuldigte auch vor unzulässigem Druck der Ermittler, auf eine Verteidigung zu verzichten. Diesen Schutz zeitlich vorzuverlagern ist dringend geboten - das Antragserfordernis macht die Reform jedoch nahezu wertlos.

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Quelle:
Statement vom 4. September 2019
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2019

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