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PRESSE/1003: Im Fokus der Forschung - Transformation durch Achtsamkeit (Buddhismus aktuell)


Buddhismus aktuell, Ausgabe 1/2016
Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union

Im Fokus der Forschung: Transformation durch Achtsamkeit

Ein Interview mit der Psychologin und Neurowissenschaftlerin Britta Hölzel geführt von Susanne Billig


Meditation und Achtsamkeit werden inzwischen umfangreich psychologisch und neurowissenschaftlich erforscht. Was sagt diese Forschung zur transformativen Wirkung der Achtsamkeit - wo liegen ihre Möglichkeiten, wo die Grenzen? Buddhismus aktuell sprach mit der Psychologin und Neurowissenschaftlerin Britta Hölzel. Das Interview führte Susanne Billig.

Buddhismus aktuell: Sie befassen sich mit Achtsamkeitsmeditation aus psychologisch-neurowissenschaftlicher Perspektive - wie kam es für Sie zu diesem Forschungsinteresse?

Britta Hölzel: Ich bin durch meine eigene Meditations- und Yogapraxis zur Forschung gekommen. Nach dem Abitur habe ich ein halbes Jahr in Indien gelebt und Yoga dort im Ashram kennengelernt. Etwas später bin ich in Thailand in einem Kloster mit der Vipassana-Meditation in Kontakt gekommen. Ich war sehr begeistert von den alten Philosophien und habe die Praxis als sehr wertvollen Weg wahrgenommen - zum einen als Weg zur Gewinnung von Einsicht in die Funktionsweise des menschlichen Geistes und zum anderen als Weg zur Kultivierung von innerer Freiheit und damit Zufriedenheit und Gesundheit. Ich entschloss mich daraufhin, in Deutschland Psychologie zu studieren. Im Studium war ich dann ganz überrascht, dass in der westlichen Psychologie die alten asiatischen Philosophien gar nicht wahrgenommen wurden. Wie schade: Dort haben sich Menschen über Hunderte oder sogar Tausende von Jahren mit der Frage beschäftigt, was man selbst unternehmen kann, um zu geistiger Gesundheit und innerer Freiheit zu gelangen. Und dieses Wissen wird in unserer Psychologie so gut wie nicht genutzt. Daran wollte ich etwas ändern.

BA: Wie muss man sich Ihre Forschung konkret vorstellen, wie gehen Sie da vor?

BH: Ich beschäftige mich in meiner Forschung mit der Frage, auf welche Art und Weise die Achtsamkeitsmeditation wirkt, also über welche psychologischen und neuronalen Mechanismen sie ihre positiven Effekte ausübt. Dazu führe ich zum einen Forschungsprojekte durch, in denen ich Meditierende mit dem Kernspintomografen untersuche. Zum anderen habe ich auch theoretische Übersichtsarbeiten gemacht, in denen ich versucht habe, die Literatur aus dem Feld in einem theoretischen Rahmenmodell zusammenzufassen.

In unseren neurowissenschaftlichen Studien messen wir sowohl die Funktionsweise des Gehirns - das heißt, wir untersuchen, wie unterschiedliche Hirnregionen bei verschiedenen Tätigkeiten durchblutet sind. Wir untersuchen aber auch die Struktur, also die graue Substanz, in der sich unter anderem die Zellkörper der Neurone befinden, sowie die weiße Substanz, in der die Verbindungsleitungen der Neurone liegen. Dann nehmen wir zum Beispiel Vergleiche zwischen erfahrenen Meditierenden und Nichtmeditierenden vor, oder wir untersuchen Meditationsanfänger, die einen achtwöchigen Kurs in "Mindfulness-Based Stress Reduction" besuchen. Dabei erfassen wir, wie sich die Struktur und Funktionsweise des Gehirns mit der Meditationspraxis verändert.

BA: Aus Ihren Befunden hat sich ergeben, dass Achtsamkeitsmeditation auf drei Ebenen wirkt. Können Sie diese kurz beschreiben?

BH: Unsere Überlegung ist, dass man die Befunde aus den vorliegenden Studien ganz gut in drei größere Bereiche zusammenfassen kann, die beschreiben, auf welche Weise Achtsamkeitsmeditation unter anderem wirkt: eine Verbesserung der Aufmerksamkeitsfähigkeit, eine Veränderung im Umgang mit den eigenen Emotionen und eine Veränderung in der Wahrnehmung des eigenen Selbst. Dieses Modell ist sozusagen der Versuch, die Meditationspraxis in die psychologisch-wissenschaftliche Sprache zu übersetzen. Und die drei Bereiche sind als Gliederungshilfe zu verstehen, um die inzwischen recht komplexe Forschungsliteratur in einem Rahmenmodell zusammenzufassen.

Meditierende berichten, dass sie Veränderungen in diesen Bereichen Wahrnehmen, und es gibt inzwischen eine Anzahl an Studien, die mit psychologischen Tests zeigen, dass sich auch das Verhalten zu verändern scheint. Neurowissenschaftliche Studien beginnen nun zu untersuchen, mit welchen Veränderungen im Gehirn Veränderungen in diesen Bereichen einhergehen.

BA: Achtsamkeitsmeditation führt offenbar zu einer Veränderung des Selbsterlebens - können Sie das einmal beschreiben?

BH: Meine Kollegin Gisela Full forscht aktiv in diesem Bereich. Sie führt ausführliche qualitative Interviews mit erfahrenen Meditierenden. Aus ihrer Forschung geht unter anderem hervor, dass viele Menschen in den Anfangsstadien der Meditation eine Stärkung ihres Ichs erleben, das heißt, sie sind selbstbewusster, haben weniger Selbstzweifel, wissen mehr, was sie Wollen, können besser für sich sorgen, spüren mehr ihren Charakter, stehen mehr für sich ein. Also sehr gesunde Entwicklungen. In späteren Stadien der Meditationspraxis, wenn durch das reine Beobachten die Konditionierungen und Konzepte immer mehr wegbrechen, wird dann auch das Ego-Erleben als Konstrukt erlebt, das der Geist aus der Identifizierung mit Gedanken, Gefühlen, Sinneswahrnehmungen, Empfindungen konstruiert. Von solchem Erleben berichten jedoch nur wenige sehr erfahrene Meditierende.

Ich möchte einmal zitieren, was Gisella Full in unserem Buch Achtsamkeit mitten im Leben schreibt, und zwar über die Ergebnisse einer Studie mit Meditierenden in Burma, die sehr fortgeschrittene Erfahrungen gemacht haben: "Die Teilnehmer berichteten von einer veränderten Wahrnehmung, in welcher sie Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen und sinnliche Wahrnehmungen als Formationen des Bewusstseins wahrnähmen, in der jedoch kein Ich zu finden sei. Das Erleben eines Ichs, einer Person, die all diese Wahrnehmungen hat, sei eine durch Identifikation mit den einzelnen Phänomenen konstruierte Fiktion, die als solche durchschaut werde, Die Auflösung dieser Fiktion werde als Befreiung empfunden."

Während die Identifikation mit einem "Ich" und das Festhalten an Geschichten über dieses "Ich" abnimmt, entsteht ein höheres Gewahrsein für innere Prozesse und für Empfindungen im Moment, unter anderem für Körperempfindungen. Die Meditierenden erleben also bewusster und klarer, wie sich Empfinden im Körper darstellt.

BA: Und wie lässt sich dieses veränderte Ich-Bewusstsein neurowissenschaftlich untersuchen?

BH: Das ist nicht ganz einfach. Es gibt aber zum Beispiel gerade eine ganz neue Studie aus einer Arbeitsgruppe in Zürich, durchgeführt von Uwe Herwig und Jacqueline Lutz. Die beiden haben untersucht, wie Meditierende, die über ein mittelgroßes Ausmaß an Meditationserfahrung verfügen, im Vergleich zu Nichtmeditierenden darauf reagieren, wenn man ihnen Sätze präsentiert, die Selbstkritik oder Selbstlob darstellen. Sie finden Unterschiede in der Hirnaktivierung, die sie als erhöhtes Gewahrsein und verminderte Selbst-Fokussierung bei den Meditierenden deuten.

BA: Sie gehen davon aus, dass ein höheres Körpergewahrsein auch mit der Fähigkeit zu Empathie zusammenhängt. Warum?

BH: Die neurowissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass ganz ähnliche Hirnregionen aktiviert sind, wenn ich mich in jemand anderes hineinversetze - zum Beispiel wenn diese Person Schmerz empfindet -, wie wenn ich selbst diese Empfindungen spüre. Das führt zu der Überlegung, dass es hilft, sich selbst spüren zu können, um sich in andere hineinspüren zu können.

BA: Wissenschaftlich erforscht werden ja vor allem die Wirkungen säkularer Formen von Achtsamkeit. Wo sehen Sie den Unterschied zu Achtsamkeit in einem buddhistischen Kontext. Ist auch sie Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen - und mit welchen Ergebnissen?

BH: Ja, Achtsamkeitspraxis wird durchaus auch in buddhistischen Kontexten wissenschaftlich untersucht. Zum Beispiel hat die Arbeitsgruppe von Richard Davidson in Wisconsin, USA, Studien durchgeführt, in denen tibetische Mönche im Kernspintomografen oder mittels EEG untersucht wurden. Aus wissenschaftlicher Perspektive stellt sich hier die Schwierigkeit, dass man die Mönche nicht gut im Längsschnitt, also über einen langen Zeitraum hinweg, untersuchen kann, weil das Training viele Jahre umfasst. Daher muss man auf Querschnittstudien zurückgreifen, das heißt, man vergleicht eine bestehende Gruppe erfahrener Mönche mit einer Gruppe Nichtmeditierender. Bei einem solchen Versuchsdesign stellt sich das Problem, dass man nicht definitiv sagen kann, ob die Unterschiede zwischen den Gruppen wirklich auf die Achtsamkeitspraxis zurückzuführen sind, oder ob sie schon vorher bestanden. Aus diesem Grund greift man häufig eher zu den kürzeren Achtsamkeitsprogrammen, bei denen man nach strengeren wissenschaftlichen Standards vorgehen kann.

Die Meditationsforschungsszene ist sich aber durchaus darüber bewusst, dass die Intention, die der Praxis zugrunde liegt, einen wesentlichen Einfluss spielt. Man sollte also im Kontext einer säkular vermittelten Praxis andere Effekte feststellen, als sie im buddhistischen Zusammenhang zu finden sind. Auf der anderen Seite bin ich persönlich immer wieder beeindruckt, wie stark die Praxis an sich ist, wenn sie ohne den religiös-ethischen Kontext vermittelt wird - und dass sich viele Effekte, zum Beispiel ein höheres Mitgefühl für andere, auch zeigen, wenn man nicht explizit in einem Rahmen übt, in dem dies beabsichtigt ist. Es wird nun noch stärker die Aufgabe der zukünftigen Forschung sein, die Unterschiede und auch die Ähnlichkeiten zwischen säkularer Praxis und Praxis im buddhistischen Kontext klarer aufzuzeigen.

BA: Achtsamkeit wird heute in den Medien oft als Allheilmittel angepriesen. Ist das in Ihren Augen positiv zu werten, da so viele Menschen sich für Achtsamkeit zu interessieren beginnen - oder sehen Sie damit auch Gefahren verbunden?

BH: Der Gedanke, dass wir nun in der Achtsamkeitspraxis ein Allheilmittel gefunden haben könnten, ist eben auch wieder ein Ausdruck unserer menschlichen Funktionsweise. Ich denke, es ist doch offensichtlich, dass sich diese Versprechen nicht halten lassen, wenn es um die Praxis von ein paar Stunden Achtsamkeitsmeditation geht! Es gibt viele Stimmen, die vor einer Instrumentalisierung der Achtsamkeit warnen. Es besteht die Gefahr, dass Unternehmen Achtsamkeitsmeditation einsetzen, um Mitarbeiter zu größeren Leistungen anzutreiben, oder dass wir selbst die Achtsamkeit zur "Selbstverbesserung" gebrauchen. In meinen Augen werden diese Versuche, Achtsamkeit zu instrumentalisieren, sich aber auch nicht lange aufrechterhalten lassen, denn so ist die Achtsamkeitsmeditation nun mal einfach nicht beschaffen. Aus zwei Gründen: Wenn wir lernen, die Dinge mehr so zu akzeptieren, wie sie sind, und liebevoller und freundlicher mit uns selbst werden, dann werden wir nach und nach von dem Zwang ablassen können, uns selbst dauernd verbessern zu müssen. Und je mehr wir lernen, die eigenen Bedürfnisse zu erspüren, desto weniger werden wir über unsere eigenen Grenzen gehen.

Davon abgesehen muss ich auch zugeben, dass es mich tatsächlich freut, wenn bei den Menschen die Neugierde für die Achtsamkeit geweckt wird. Viele erleben vielleicht einen Einstieg über den Versuch, Schwierigkeiten "wegzumeditieren", kommen darüber aber auf einen umfassenderen Weg.

BA: In der Meditation sind auch Erlebnisse möglich, die sich von dem normalen Alltagsempfinden stark unterscheiden. Das kann als bedrohlich erlebt werden, wenn ein Mensch darauf nicht vorbereitet wurde oder meint, Meditation bringe immer nur Gelassenheit und Entspannung hervor. Sind solche Themen auch Gegenstand der aktuellen Meditationsforschung - und wie wird diese Problematik eingeschätzt?

BH: Diese Thematik ist in den letzten Jahren tatsächlich stärker in den Blick der Meditationsforscher gerückt. In den USA beschäftigt sich Willoughby Britton viel mit der Frage, in Deutschland führt Ulrich Ott eine Studie durch, in der diesen sogenannten "adverse events" nachgegangen wird, also Erfahrungen, die für die Meditierenden beängstigend oder erschütternd sind oder sie in ihrer normalen Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. Zwar kommen solche Ereignisse vermutlich nicht sehr häufig vor; für die Betroffenen können sie aber sehr beeinträchtigend sein, wenn sie nicht gut integriert werden. Davon abgesehen wird im klinischen Kontext zum Beispiel Patientinnen und Patienten mit einer Trauma-Vorbelastung oder mit psychotischen Erkrankungen empfohlen, mit therapeutischer Begleitung zu praktizieren.

BA: Was sind für Sie die erfolgversprechendsten Felder für den Einsatz von Achtsamkeit?

BH: Die großen wichtigen Felder sind sicherlich vor allem in der Arbeit an Schulen und generell mit Kindern zu suchen, auch in der Wirtschaft, zur Veränderung unserer Unternehmens- und Wirtschaftskultur, und natürlich, um ein mitfühlenderes Miteinander in der Gesellschaft zu stärken. Und wenn Sie an den Einsatz im klinisch-psychologischen Bereich denken, dann hat die Forschung positive Befunde bisher vor allem zur Verbesserung von Angst- und depressiver Symptomatik und im Einsatz bei Schmerzpatienten gezeigt. Diese großen, oft stressbedingten, Volkskrankheiten können deutlich durch Achtsamkeitspraxis verbessert werden.

BA: Unbestritten, Achtsamkeitsmeditation kann viele positive Wirkungen haben - aber wie würden Sie aus der Perspektive der Wissenschaft ihre Grenzen beschreiben? Was kann sie leisten - und was nicht? Welche Erwartungen würden sie überstrapazieren?

BH: Diese Frage "aus der Perspektive der Wissenschaft" zu beantworten ist nicht ganz einfach, weil wir eben noch ganz am Anfang stehen. In einem so relativ neuen Forschungsfeld ist der Enthusiasmus zunächst groß. Es werden Studien mit sehr positiven Ergebnissen publiziert. Nun wird sich zeigen müssen, ob sich diese Befunde auch replizieren lassen, wenn wir sie mit methodisch strikteren Studien überprüfen. Aus meiner Erfahrung heraus würde ich auf Ihre Frage sagen: Die Grenzen liegen vor allem dort, wo man von relativ kurzen Achtsamkeitsprogrammen Wunderwirkungen erwartet. Achtsamkeitspraxis ist ein sehr umfangreicher Lebensweg und mit ein paar Stunden Übung ist es nicht getan. Menschen, die regelmäßig praktizieren und Achtsamkeit im Lebensalltag umsetzen, berichten aber über deutlich spürbare transformative Wirkungen auf viele Bereiche.

BA: Praktizieren Sie selbst auch Achtsamkeit oder Meditation? Was hat sich für Sie dadurch verändert?

BH: Ich praktiziere selbst mittlerweile seit fast zwanzig Jahren, wobei die formelle Praxis zurzeit durch meine junge Familie recht kurz kommt. Ja, ich denke, dass sich ganz vieles dadurch verändert hat. Vor allem habe ich durch die Praxis gelernt, das Leben umfangreicher und ganz bewusst zu genießen und Dankbarkeit zu erleben. Die Meditation hilft mir auch dabei, das Leben etwas weniger durch die Brille der eigenen Erwartungen und Vorstellungen zu sehen und die Augen etwas weiter dafür zu öffnen, was tatsächlich ist.


Literaturhinweis:

Britta HölzeI, Christine Brähler (Hg): Achtsamkeit mitten im Leben O. W. Barth Verlag, München 2015.

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Quelle:
Buddhismus aktuell, Ausgabe 1/2016, S. 29-32
Herausgeberin: Deutsche Buddhistische Union e.V.(DBU)
Buddhistische Religionsgemeinschaft
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2016

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