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PRESSE/670: Die roten Nonnen (welt der frau)


welt der frau 2/2008 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Die roten Nonnen

Von Cornelia Nack


Fast fünf Jahrzehnte nach der Flucht des Dalai Lama aus Tibet blüht das Leben in den tibetischen Klöstern in Indien und Nepal. Im Exil hat auch die jahrhundertelange Benachteiligung der tibetisch-buddhistischen Nonnen ein Ende gefunden. Doch eine Formalie verwehrt den Ordensfrauen bis heute die volle Gleichstellung. Ein Besuch im nepalesischen Kloster Kopan.

Abb.: Das Nonnenkloster "Khacho Ghakyil Ling" am Fuß des Kopan Hill im Kathmandutal ist seit seiner Gründung vor 15 Jahren zu einem stattlichen Gebäudekomplex gewachsen. 390 Nonnen gehören ihm heute an.


Aggression liegt in der Luft. Wütendes Stimmengewirr, lautes Rufen schallt über den Platz vor dem Lhakhang, der Gebetshalle. Ein paar Gestalten in roten Gewändern sitzen auf dem Boden. Vor ihnen haben zwei Dutzend weitere mit zornig gerecktem Kinn und anklagenden Gesten Position bezogen. Tapfer versuchen die Bedauernswerten auf der Erde sich der Vorhaltungen zu erwehren, die scheinbar auf sie niederprasseln.

Ani Jangsem, Leiterin des Nonnenklosters am Fuß des Kopan Hill, betrachtet die Szene mit Wohlgefallen. "Endlich sind sie nicht mehr so furchtbar schüchtern", erklärt sie durch den Lärm hindurch. "Erst nachdem die Mönche mit ihnen geübt haben, machen sie es richtig!" Denn was die männlichen Mitglieder des Gelug-Ordens seit Jahrhunderten praktizieren, ist ihren Ordensschwestern erst seit einigen Jahren erlaubt: die religiöse Debatte, bei der "Herausforderer" und "Verteidiger" der buddhistischen Lehre sich temperamentvolle Wortgefechte liefern.

Abb.: Laut und temperamentvoll geht es bei der Debatte einem Hauptfach des Philosophiestudiums zu: Mehrere "Herausforderer" attackieren die "Verteidigerin" mit möglichst schwierigen Fragen zur buddistischen Lehre.


Anspruchslose Nonne

In der über tausendjährigen Geschichte des tibetischen Buddhismus schien die Rolle der Ordensfrau als anspruchsloses, kaum beachtetes Mauerblümchen unüberwindlich festgeschrieben. Acht zusätzliche Klosterregeln verpflichten buddhistische Nonnen bis heute zur kritiklosen Unterordnung gegenüber Mönchen: "Selbst eine Nonne, die 100 Jahre ordiniert ist, muss sich einem Mönch beugen, der erst einen Tag ordiniert ist" lautet eine dieser Vorschriften.

Hinzu kommt eine tief verwurzelte Geringschätzung weiblicher spiritueller Kräfte. Der aufstrebenden, bald alle politische Macht innehabenden klösterlichen Männergesellschaft des alten Tibet lag wenig an einer spirituellen Ausbildung von Frauen: Ein paar Lieder singen, ein paar Mantras rezitieren zu können und um eine männliche Wiedergeburt zu beten schien genug. Viele Generationen von Nonnen führten deshalb ein Leben in großer Armut, denn von den Spenden der tief religiösen Bevölkerung fiel für sie kaum etwas ab.


Gleichberechtigung als Geschenk

Den Nonnen von Kopan fiel dagegen ein großes Stück Gleichberechtigung geradezu in den Schoß. Ihr Glück einer umfassenden, den Mönchen gleichgestellten Ausbildung ist eng verbunden mit dem Elend des tibetischen Volkes seit der Annexion des Landes durch China. Mit der ersten Fluchtwelle verließen 1959 hunderttausend Tibeter ihre Heimat. Seither fliehen sie einzeln oder in kleinen Gruppen über verschneite Bergpässe nach Indien und Nepal, um einer systematischen politischen und kulturellen Unterdrückung zu entgehen.

Ein Flüchtlingsschicksal teilen auch die meisten der rund 400 Frauen von Kopan. Ani Jangsem war sechzehn, als sie sich auf den gefährlichen Weg nach Nepal machte, um dort Nonne zu werden. In einem abgelegenen Kloster traf das junge Mädchen auf zwei Geistliche aus der Hauptstadt, die gerade die Grenzregion bereisten. Sie boten Ani Jangsem an, eine fundierte religiöse Ausbildung in ihrem Mönchskloster auf der Spitze des Kopan Hill im Tal von Kathmandu zu beginnen. Für das Überleben des tibetischen Buddhismus mussten nun alle Kräfte mobilisiert werden.

Abb.: Bild links: Pünktlich beim ersten Hahnenschrei versammeln sich die Nonnen von Kopan in der Gebetshalle zur zweistündigen Morgenandacht, die von einer Vorbeterin geleitet wird.

Abb.: Bild rechts: In tibetischen Klöstern gehört es zur Tradition, auch Novizen im Kindesalter aufzunehmen. Die kleinen Mädchen von Kopan, viele von ihnen Flüchtlingskinder, tragen ganz selbstverständlich die Ordenstracht und lernen mit Begeisterung aus dicken Schulbüchern.


Englisch und Computer

"So kam ich vor 24 Jahren hierher zu all den Mönchen und wohnte anfangs in einer kleinen Hütte auf dem Klostergelände", erinnert sich die Direktorin. Nachdem immer mehr Frauen um Aufnahme baten, kaufte die Klosterleitung weiteres Land am Fuß des Berges. "Drei Jahre haben wir Fundamente ausgehoben und Ziegelsteine geschleppt, bis wir 1993 endlich in unser eigenes Kloster einziehen konnten".

Englisch- und Computerkenntnisse sind für die überwiegend jungen Frauen ebenso selbstverständlich wie täglich mehrstündige Andachten und das traditionelle Auswendiglernen eines ungeheuren Pensums religiöser Texte.

Schon morgens um fünf klappen die ersten Türen, hasten gedämpfte Schritte in Richtung Gebetshalle. Flip-Flops und Sandaletten landen am Eingang auf einem immer größer werdenden Haufen. Zwischen den Reihen der versammelten Nonnen vollziehen die Ankommenden die vorgeschriebenen Niederwerfungen. Butterlampen tauchen die üppigen Seidendraperien und Wandmalereien in ein schummriges Licht, während der an- und abschwellende Singsang der Gebetsrezitationen den Raum erfüllt.

Abb.: Bild links: Der geschorene Kopf von buddhistischen Mönchen und Nonnen ist ein Zeichen ihrer Entsagung von weltlichen Dingen.Regelmäßig wird das nachwachsende Haar mit der elektrischen Schere beseitigt.

Abb.: Bild rechts: Heißer, gewürzter Milchtee begleitet in Nepal die Menschen durch den ganzen Tag. Die Klosterküche liefert köstliches vegetarisches Essen, von einem nepalesischen Koch zubereitet.


Ein guter Mensch werden

Das große, für westliche Besucher kaum nachvollziehbare Bedürfnis der Hingabe an ein geistliches Leben ist heute so lebendig wie zu alten Zeiten. "Ich komme aus einem Dorf in den Bergen", erzählt die 35-jährige Gyalmo, die der tibetischen Minderheit Nepals angehört. "Als ich fünfzehn war, nahmen mich meine Eltern mit nach Indien, wo der Dalai Lama Unterweisungen gab, und ich sah, wie die Mönche und Nonnen dort lebten. Da wollte ich unbedingt auch Nonne werden. Ich wollte so gut werden wie sie."

Für dieses Ziel hat Gyalmo eine besondere Herausforderung angenommen: Die junge Frau, die als Analphabetin ins Kloster kam, absolviert zusammen mit 70 Ordensschwestern in Kopan ein 15-jähriges Studium mit dem Ziel, "Geshe" zu werden, Doktor der buddhistischen Philosophie - eine Ausbildung, die tibetischen Nonnen niemals zuvor gewährt wurde. Diese einzigartige Laufbahn junger buddhistischer Nonnen auf dem Weg zur Gleichberechtigung könnte indessen an einer Formalie scheitern. Tibetische Frauen können keine volle Ordination erhalten, sie bleiben lebenslang Novizin.

Abb.: Die 35-jährige Gyalmo (links) und ihre beiden jüngeren Schwestern stammen aus einem entlegenen Dorf im Hochgebirge und gehören der tibetisch-stämmigen Minderheit des Hindukönigreichs Nepal an.


Verantwortlich dafür ist die Vorschrift, dass die Nonnenweihe nur von einer Frauenordensgemeinschaft vollzogen werden darf, deren Ordinationslinie lückenlos zum indischen Ursprungsorden Buddhas zurückführt. Eine solche ununterbrochene Übertragungslinie existiert zum Beispiel in China und Taiwan seit der Ankunft von singhalesischen Nonnen im 5.Jahrhundert. Nach Tibet kamen voll ordinierte Frauen jedoch niemals. Nur ein Kompromiss wie die Anwendung der chinesischen Ordinierungsvorschriften könnte den tibetischen Nonnen zu einer vollwertigen Stellung im Orden verhelfen.


Kein Zugeständnis des Dalai-Lama

Ausgerechnet das norddeutsche Hamburg brachte diese Lösung kürzlich in greifbare Nähe: Ein großer internationaler Fachkongress buddhistischer Sachverständiger sprach sich in Gegenwart des Dalai Lama eindringlich für die überfällige Gleichstellung der Nonnen aus. Auch der umtriebige Gottkönig, der sich seit mehr als 20 Jahren für spirituelle Ausbildung und Eigenständigkeit tibetischer Nonnen stark macht, ließ keinen Zweifel daran, wie sehr er sich die volle Ordination für seine Landsfrauen wünscht - einfach anordnen kann er weit reichende Änderungen der Ordinierungspraxis nämlich nicht.

Zur großen Enttäuschung der 1200 Kongressteilnehmer erklärte der Dalai Lama im Audimax der Hamburger Universität jedoch, für diesen Schritt sei die Zeit noch nicht reif: Eine Umfrage unter hochrangigen tibetischen Mönchen hatte kurz zuvor ergeben, dass eine Mehrheit nach wie vor zu keinem Kompromiss zugunsten der Frauen bereit ist.

Gyalmo aus Kopan lässt sich von den Machtspielen hinter den Kulissen ihres Ordens nicht aus der Ruhe bringen - obwohl ihr Doktor-Examen nun weiterhin in den Sternen steht, denn nur Vollordinierte dürfen den letzten Teil des Geshe-Studiums absolvieren. "Der Dalai Lama hat uns den Geshe-Titel versprochen, und wir werden ihn bekommen", sagt sie voll Vertrauen in die Autorität ihres obersten Dienstherren. Dieser hat eine neue Runde schon eingeläutet: Die nächste internationale Konferenz führender buddhistischer Kleriker ist schon anberaumt. Dieses Mal in Indien, wo widerspenstige Traditionalisten gleich vor Ort dem Einfluss fortschrittlicher Kollegen ausgesetzt werden können.

Abb.: Mehrere Stunden täglich verbringen die Nonnen mit dem Auswendiglernen religiöser Texte. Auch nach dem Abendessen wird noch einmal gemeinsam im Klostergarten memoriert.


TIBETISCHE NONNEN
Ein Leben zwischen Befreiung vom Leid und Ausschluss von wichtigen Ritualen

Im tibetischen Buddhismus entwickelten sich ab dem 9. Jahrhundert die vier Hauptorden Nyingma, Sakya, Kagyü und Gelug; ihre gemeinsame religiöse Grundlage sind die Lehrreden Buddhas. Darüber hinaus erhielt jeder Orden seine besondere Ausprägung durch die verschiedenen, von indischen und tibetischen Meistern übernommenen Auslegungen, Lehren und Anweisungen zur religiösen Praxis. Die gesellschaftliche Aufgabe des Klerus ist eine spirituelle, nicht karitative. Ziel des Lebens in klösterlicher Weltabgeschiedenheit ist zum einen die persönliche Befreiung vom Kreislauf der Wiedergeburt und die Erlangung der Buddhaschaft, zum anderen die Befreiung aller fühlenden Wesen von Leid. Diese Ziele werden erreicht durch vorbildliche Lebensführung und Charakterformung (Überwindung von Begierden, Wut oder Missgunst, Entwicklung von Mitgefühl) sowie intensive spirituelle Praxis. Auch wenn es einige herausragende Mystikerinnen gegeben hat, so wurde tibetischen Nonnen jedoch im Allgemeinen keine systematische religiöse Ausbildung gewährt. Sie konnten bislang auch nur zur Novizin ordiniert werden und waren deshalb nicht befugt, wichtige Rituale und Zeremonien durchzuführen. Erst seit rund 15 Jahren erhalten tibetische Nonnen in Indien und Nepal zunehmend eine den Mönchen gleichgestellte Ausbildung. Gestärkt wird damit nicht nur ihre Rolle innerhalb des Klerus, sondern auch ihr sozialer Status in der (exil-)tibetischen Bevölkerung, die vermehrt Nonnen beauftragt, für sie religiöse "Pujas" zu halten.


Coypright 2008 für Text und Bilder: Cornelia Nack


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 2/2008, Seite 22-25
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2008