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PRESSE/680: Editorial von Heft Nr. 2/2008 (Buddhistische Monatsblätter)


Buddhistische Monatsblätter Nr. 2/2008, April-Juni
Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.

Editorial

Von Dr. Holger Stienen


In unserem Hause praktizieren Gruppen verschiedener Strömungen des Buddhismus, wie er sich in Asien über mehr als zwei Jahrtausende entwickelt hat. Der Buddhismus wird heute grob in zwei Grundströmungen unterschieden, dem Theravada, der heute besonders in Sri Lanka, Thailand und Myanmar zu Hause ist und dem Mahayana, der zumeist als tibetischer Buddhismus, Zen und anderen Strömungen (Shingon, Reines Land usw.) zutage tritt. Bei uns im Westen werden sehr oft, beinahe sektiererisch, die Unterschiede hervorgehoben und nicht die breite Grundlage der faktischen Gemeinsamkeiten betont, wie wir sie uns hier im Hause auf die Fahnen geschrieben haben und hierum immer wieder ringen. Tatsache ist, dass es im Buddhismus auf keinem der drei wichtigen frühen Konzile ein Schisma (Trennung) wie im Christentum gegeben hat. Vielmehr haben sich die verschiedenen Traditionen unter regionalen und kulturellen Einflüssen herausgebildet.

Ein sehr gutes Buch hierzu hat Bhikkhu Sujato (Sects and Sectarism) 2006 publiziert. Die Trennungen von einzelnen Orden, z. B. zur Zeit König Asokas in Indien, erfolgten entlang anderer Unterscheidungen (etwa Fragen der Ordensdisziplin). Auch haben Mönche noch ca. 1.000 Jahre lang in gemeinsamen Klöstern gelebt und noch heute mehr gemeinsame als trennende Themen, wie auch kürzlich der Nonnenkongress hier in Hamburg gezeigt hat. Eine Beschäftigung mit der Thematik der zwei buddhistischen Grundströmungen ist ein durchaus freudvolles Unterfangen für jeden ernsthaften Buddhisten und mit vielen Aha-Effekten verbunden, wie ich es selber empfinde. Die Autorin B. L. Suzuki hat 1959 in einem Buch (Mahayana Buddhism) sehr detailliert Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet.


Die Gemeinsamkeiten sind demnach:

1. "Eintritt" in die Welt des Unendlichen und Absoluten (Erleuchtung). Alle Illusionen beseitigen.

2. Die Welt hat keinen Anfang und kein Ende. Alles entsteht abhängig. Kein "Urgrund" oder erste Entität.

3. Alle Dinge sind unbeständig und vorübergehend wie die Menschen und alle Lebewesen, auch alle "festen" Dinge, Steine, Berge, Planeten usw.

4. Es existiert keine substanzielle Entität (Seele, Ich) über das (entstandene, vergängliche, zusammengesetzte) Bewusstsein hinaus.

5. Jede Erscheinung hat Vorgründe bzw. -bedingungen. Auf der physikalischen Ebene genauso wie auf der ethischen.

6. "Transmigration" ist Karma-bedingt und führt zu Leiden.

7. Täuschung und Wahn sind die Gründe für das (universelle) Leiden.

8. Ethische Praktiken (Edler Pfad, Paramitas) werden als leidmildernd angesehen und können in letzter Konsequenz Täuschungen und Wahn komplett auslöschen.


Die Unterschiede sind demgegenüber:

1. Bezüglich der Interpretation von Buddhaschaft. Theravada (T): Historisch und ethisch. Mahayana (M): Metaphysisch und spirituell ("religiös").

2. Erreichen des "Non-Ego". T: Analytisch und scholastisch. M: Experimentell und intuitiv.

3. "Erlösung". T: Individuell. M: Kollektiv.

4. Daraus folgt. T: Arahatschaft. M: Bodhisattvaschaft.

5. Nirvanakonzept. T: Im samsarischen Umfeld ist Auflösung von Karma nur schwer erreichbar und wenigen vorbehalten. M: Hier und jetzt (im Prinzip für jeden) erreichbar.

6. Grundlage hierfür. T: Karmabedingt sind nur ganz wenige Menschen nahe genug an der Buddhaschaft, um den Schritt ihrer Verwirklichung in diesem Leben zu tun. M: Jeder/Alles ist Buddhanatur. Sie muss nur "freigelegt" werden.

7. Monastisch. T: Strenge Trennung von Mönchen und Laien. M: Einfacher Wechsel von Mönchs- in Laienstand und umgekehrt ("Durchlässigkeit"). Z. T. Laienordination (in verschiedenen Traditionen).


Aus der Auflistung wird klar, dass die Grundlagen allemal gleich sind. Offensichtlich deshalb tritt der Buddhismus nach außen weiterhin sinnvollerweise als eine gemeinsame "Religion" auf. Bei den Unterschieden geht es zumeist auch nur um die Umsetzung und Alltagspraxis, die wahrscheinlich bei den Laienanhängern größer sind, als bei den monastisch lebenden Ordinierten. Im Westen kommt als Problematik kulturell bedingt jedoch noch die starke Schriftgläubigkeit hinzu, die dann zu einem besonderen Hindernis wird, wenn aus asiatischen Sprachen mit westlichen (christlichen, philosophischen) Begriffen übersetzt wird.

Daher denke ich, dass wir in der Buddhistischen Gesellschaft (BGH) noch mehr Wert auf die gemeinsame Praxis legen sollten, die nicht nur aus Meditation und Seminaren besteht, sondern dem harmonischen Handeln als buddhistische Gemeinschaft, als traditionsübergreifende Sangha. In diesem Sinne sollten wir einmütig voranschreiten und alle aufkommenden Fragen im Geiste des Buddha besprechen und zur Lösung bringen.


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Quelle:
Buddhistische Monatsblätter Nr. 2/2008, April-Juni, Seite 4-5
Herausgeberin: Buddhistische Gesellschaft Hamburg e.V.,
Beisserstr. 23, 22337 Hamburg
Tel.: 040 / 6313696, Fax: 040 / 6313690
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2008