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PRESSE/724: Der Kern der Lehre des Buddha (DMW)


Der Mittlere Weg - Nr. 3, September - Dezember 2008
Zeitschrift des Buddhistischen Bundes Hannover e.V.

Der Kern der Lehre des Buddha
Eine kurze orientierende Übersicht für Europäer

Von Winfried Kruckenberg


Die Lehre des Buddha für Europäer?

Durch die Entwicklung der Erkenntnisse der Naturwissenschaften und deren Anwendung in der Technik hat sich sowohl das philosophisch-ideologische (Plato, Kant, Hegel, Marx) als auch das theologisch-theistische (christliche, islamische, jüdische) Weltbild Europas zunehmend als fragwürdige, nicht der Wirklichkeit entsprechende, spekulative Behauptung erwiesen. Ein gesichertes Weltbild ist aber für den Einzelnen wie auch für die menschliche Gemeinschaft zur Orientierung und zum Handeln im Leben notwendig. Dem experimentell gesicherten naturwissenschaftlichen Weltbild fehlt eine Aussage über die menschliche Lebensproblematik. Das führte in Europa zu einem Interesse an der Lehre des Buddha, die diesen Mangel beheben kann, ohne naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu widersprechen.

Zunächst waren es Indologen, die bedeutende Übersetzungen der buddhistischen Standardwerke schufen. Eine Fülle von Übersetzungen aus verschiedenen Schulen des Buddhismus folgte. Heute wirken auch asiatische Lehrer verschiedenster Schulen bei uns. Meist gelingt es jedoch nicht oder nicht hinreichend, eine Brücke vom asiatischen zum europäischen Denken so zu schlagen, daß sich die Lehre in den heutigen europäischen Erfahrungsbereich und seine Lebensproblematik verständlich einfügt und hilfreich wirken kann. Die Fülle der verschiedenartigen asiatischen Formen und ihre uns fremde Symbolsprache wirken oft verwirrend und sind einer europäischen Gestaltung hinderlich. Die Grundlage dieser östlichen Fülle und Verschiedenartigkeit ist der Kern der Lehre des Buddha. Sie ist weder asiatisch noch europäisch, sondern allgemein menschlich, denn der Buddha war ein Mensch, und als Mensch hat er gelebt, erlebt und gesprochen. Er stand unter demselben Lebensgesetz wie wir alle. Was er daraus gemacht hat, was er in seinem menschlichen Leben erreicht hat, geschah nicht auf Grund irgendwelcher übernatürlicher, esoterischer Eigenschaften und Umstände; als Mensch hat er seine Erleuchtung erlebt, und als Mensch hat er anderen Menschen den zum Ziele führenden Weg gezeigt. Er sagte von seiner Lehre, daß sie dem Verständigen von selbst verständlich sei. Er sagte aber auch, um das rechte Verständnis müsse sich jeder selber bemühen, denn die Buddhas seien nur Verkünder.

Nach dieser Lehre den Weg zu gehen, ohne die Orientierung an ihrem Kern zu verlieren, ist schwierig. Dies wird erleichtert, wenn man sich ganz oder von Fall zu Fall der Hilfe geeigneter Lehrer aus Ost und West anvertraut.


Die Grundlagen der Lehre

Die Lehre des Buddha beruht auf einer tief greifenden Analyse der Welt und ihrer Gesetzmäßigkeit und zeigt einen sich daraus ergebenden Weg zur Aufhebung des Leidens im Leben des Einzelnen durch rechte Erkenntnis und rechtes Handeln. Der Buddha sagt: "Eines nur zeige ich immer wieder: Das Leiden, die Entstehung des Leidens, die Aufhebung des Leidens und den zur Aufhebung des Leidens führenden Weg". Das sind die Vier Edlen Wahrheiten des Buddhismus. Als Ursache des Leidens nennt er das Nicht-Wissen, aus dem Gier, Haß und wahnvolles (nicht wirklichkeitsgemäßes) Denken entstehen. Sie bewirken ein Haften an falschen Vorstellungen, das immer zu Leiden führen muß. Unter diesem Gesichtspunkt müssen alle buddhistischen Schriften verstanden werden. Leiden ist hierbei nicht eng zu sehen. Auch Freude ist ein Leiden im Sinne von positiv empfundenem Erleiden von Sinneseindrücken. Der Kern der Lehre des Buddha enthält keine metaphysischen Spekulationen, Glaubenshaltungen oder Gottesvorstellungen. Sie werden respektiert und geduldet, solange sie dem Menschen noch eine Hilfe sind. Um spekulative Mißdeutungen seiner Lehre zu vermeiden, gab der Buddha den Kalamas folgende Weisung: "Richtet euch, ihr Kalamas, nicht nach Hörensagen, nicht nach landläufigen Meinungen und der Autorität von (heiligen) Schriften, nicht nach Spekulationen und Schlußfolgerungen, nicht nach sinnfälligen Theorien und liebgewordenen Ideen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge und nicht nach der Autorität des Meisters! Wenn ihr vielmehr selber erkennt: 'Diese Dinge sind unheilsam, verwerflich, werden von Verständigen getadelt, führen, wenn verwirklicht, zu Unheil und Leiden' - dann sollt ihr sie ablehnen.. . und wenn ihr selber erkennt: 'Diese Dinge sind heilsam, annehmbar...' dann solltet ihr sie euch zu eigen machen."


Die grundlegenden Erkenntnisse

Alles Geschehen und alle Erscheinungen sind das Ergebnis eines ständigen dynamischen Prozesses und deshalb ausnahmslos vergänglich, unbeständig. Ein Anfang und ein Ende dieser Dynamik der Welt sind nicht zu erkennen. In diesem Geschehen ist kein statisches Ich, keine Seele, keine Persönlichkeit erkennbar (Anatta-Lehre). Alles Geschehen folgt ausnahmslos dem Gesetz von Ursache und Wirkung (paticca-samuppada).

Alles Leben strebt nach Wohlerleben, und auch Menschen sind Wesen, die nach Wohl streben und Wehe meiden. Unter Wohl ist zunächst allgemein das Bewußtwerden angenehmer Empfindungen zu verstehen, die in der Regel aus der Harmonie zwischen dem einzelnen Menschen und der im Augenblick wirksamen Umwelt entstehen. Das Gesetz von Ursache und Wirkung bestimmt auch den Lebensweg des Menschen. Es ist deshalb entscheidend und wichtig, die inneren und äußeren Bedingungen zu erkennen, zu beachten und danach zu handeln. Das Schicksal des Menschen hängt somit von seinen eigenen richtigen Vorstellungen und dem entsprechenden Handeln ab. Daraus ergibt sich, daß es kein Fremdverschulden und kein stellvertretendes Leiden geben kann.

Im Bewußtwerden entsteht die Welt ausschließlich über den Sinnesorganprozeß von Berührung, Wahrnehmung, Empfindung, Bewußtwerden. Hierbei wird auch das Gehirn als Sinnesorgan aufgefaßt, das die anderen Sinneseindrücke zu Vorstellungen, Begriffen und Worten ordnet. Diesen Prozeß nennt man Geist. Es heißt deshalb im Dhammapada: "Vom Geiste geh'n die Dinge aus, sind geistgeboren, geistgeführt". Es gibt drei Umwege zur Erkenntnis: Die Schrift, die Sprache und das Denken. Der direkte Weg ist spontanes Sehen des So-Seins (tathata), das den gesamten Menschen erfaßt.


Die auf den Erkenntnissen beruhenden Weisungen

Wenn gesagt wird: "Es lebe der Mensch zu seinem Wohl, zu anderer Wohl, zu beider Wohl", so ist hier ein Wohlstreben gemeint, das keine negativen Folgen haben kann, weil sonst auch das angestrebte beständige Wohl nicht erreichbar ist. Die Befolgung dieser Weisung setzt eine klare Erkenntnis der jeweiligen Situation und die Beherrschung - möglichst die Aufhebung - von Gier, Haß und wahnvollem Denken im handelnden Menschen voraus. Die hierfür zu übende und einzunehmende menschliche Grundhaltung wird in den Brahma Vihara als Einheit von Güte, Verstehen, Freude, Gleichmut beschrieben.

Das letzte Ziel des buddhistischen Weges ist es, in der Welt zu leben, ohne von ihr leidvoll berührt zu werden (nirvana). Der beste Weg dorthin - oft wird gesagt der einzige - ist der Weg der Achtsamkeit (satipatthana). Er besteht aus rechter Erkenntnis, rechter Gesinnung, rechter Rede, rechtem Tun, rechtem Lebensunterhalt, rechter Anstrengung, rechter Achtsamkeit, rechter Sammlung. Dieser Weg ist auch als der Achtfache Pfad bekannt. Die geübte Schulungsmethode ist die Methode des reinen Beobachtens, des intuitiven wortlosen Erkennens, der Meditation.

Rechtes wortloses Erkennen ist zunächst wertfreies Erkennen des So-Seins (tathata) der jeweiligen Situation, des aktuellen Tatbestandes. Erst dann können die Möglichkeiten für richtiges Handeln betrachtet werden. Die Meditation soll zu Klarbewußtwerden führen. Da sie aber beim Anfänger leicht außer Kontrolle geraten und zu Halluzinationen führen kann, soll sie möglichst nicht ohne einen erfahrenen Lehrer intensiv geübt werden. Im täglichen Leben soll man die permanente Meditation pflegen, "die Achtsamkeit vor sich hertragen". Das bedeutet z. B., daß man sich übt, nie "in Gedanken" woanders zu sein, sondern die Aufmerksamkeit stets voll bei seinem augenblicklichen Tun, bei seiner augenblicklichen Situation zu halten.

Das Ergebnis ist eine wirklichkeitsgemäße spontane Erkenntnis der jeweils aktuellen Situation (vipassana, Klarblick) und dadurch richtiges leidfreies Handeln bis zum endgültigen Erlöschen des Bewußtwerdeprozesses, den wir als Tod (parinirvana) bezeichnen.


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Quelle:
Der Mittlere Weg - majjhima-patipada
40. Jahrgang, September - Dezember 2008/2553, Nr. 3, Seite 33-35
Herausgeber: Buddhistischer Bund Hannover e.V.
Drostestr. 8, 30161 Hannover,
Tel. und Fax: 05 11/3 94 17 56
E-mail: info@buddha-hannover.de
Internet: www.buddha-hannover.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2008